MEDIENGRUPPE REITSCHULE BERN
Bern, 9. Juni 2008
Offener Brief an die Grüne Freie Liste
Am 29. Mai 2008 deponierte Erik Mozsa, GFL/EVP im Berner Stadtparlament
eine Motion: "Reitschule schützen: Gewaltprobleme lösen".
Die Reitschule nimmt diese Motion mit einigem Erstaunen zur Kenntnis
und wendet sich mit folgendem offenen Brief an die Grüne Freie
Liste,
an die anderen RGM-Parteien sowie an die Öffentlichkeit.
Die Motion von Erik Mozsa gegen die Reitschule ist ein ernsthafter
Versuch von Seiten der GFL, die Reitschule in ihrer
Eigenständigkeit
und Kreativität zu zerstören. Die ReitschülerInnen, die
ihre Energie in
dieses einzigartige, basisdemokratische Projekt stecken, betrachten die
Motion als direkten Angriff auf das Kulturzentrum und die Arbeit der
letzten 20 Jahre.
Die Reitschule war in ihrer 20-jährigen Geschichte noch nie
bequem: und
das soll sie als sozio-kulturelles Biotop auch nicht sein. Dass das
stete Engagement, die Freiwilligenarbeit, das monatliche weitestgehend
ohne städtische Subventionen auf die Beine gestellte, pralle
Kulturprogramm, die politischen Utopien oder das freie Denken
Ängste
auslösen, sind wir uns bewusst - und nehmen wir in Kauf. Denn das
alles
ist das Kultur- und Begegnungszentrum Reitschule Bern.
Die Interessengemeinschaft Kulturzentrum Reitschule (IKuR) besteht seit
1986 als Verein. In den Vereinsstatuten ist die Basisdemokratie
festgeschrieben. Im Manifest der Reitschule sind Grundsätze und
Organisationsform ausführlicher formuliert. Unter Basisdemokratie
verstehen wir, dass alle Mitglieder der Arbeitsgruppen und alle
SympathisantInnen aus dem Umfeld der Reitschule, das Recht haben,
Vorschläge einzubringen, mitzureden und mitzubestimmen.
Grundsätzliche
Probleme oder Themen werden an Vollversammlungen eingehend diskutiert.
Die Koordinationsgruppe trifft sich wöchentlich in wechselnder
Besetzung um über anstehende Themen zu diskutieren und nach
Rücksprache
mit den Gruppen zu entscheiden.
Die Betriebsgruppe, das "Büro" der Koordinations- und
Reitschule-Gruppen, trifft sich in fixer Zusammensetzung ebenfalls
wöchentlich und ist für Kontinuität zuständig. Sie
fungiert als
Ansprechspartnerin für die Behörden und alle anderen Gruppen
und
Personen, die etwas von der Reitschule wollen.
Bei diesen Strukturen handelt es sich um über die Zeit entwickelte
und
gewachsene Formen des Zusammenlebens und der Zusammenarbeit - ohne
Betriebsleitung oder "Chef/Chefin". In den letzten 20 Jahren haben
hunderte Menschen aktiv daran mitgearbeitet. Viele von ihnen haben
dadurch gelernt, sich als eigenständige Individuen zu erkennen,
die die
Möglichkeit haben, ihre Umgebung zu gestalten, selber aktiv zu
werden
und selber zu denken. Diese Grundsätze und diese Praxis machen den
eigentlichen Wert des Projektes Reitschule aus. Eine Abkehr von
den
basisdemokratischen Strukturen ist nicht verhandelbar, weil es sich um
das Fundament des Kultur- und Begegnungszentrums Reitschule handelt.
Rückblick auf die letzten 15 Monate
Mit ihren Gremien und Strukturen haben die ReitschülerInnen
beispielsweise und nur in den letzten 15 Monaten gemeinsam eine gut
funktionierende Torwache wegen Problemen mit Konsum und Handel von
harten und weichen Drogen sowie mit Dieben, Sanktionsmassnahmen gegen
GewalttäterInnen, eine Umorganisation der Gastrobetriebe, eine
Kampagne
zum 20-jährigen Jubiläum der Reitschule inklusive
Buchpublikation und
Festivitäten, jeden Monat ein Kulturprogramm und seit Ende Winter
die
Neugestaltung und Neubelebung des Vorplatzes in Angriff genommen und
gemeinsam durchgeführt: In einem "Klima von Angst" [Zitat Motion
Mozsa]
könnten Aktivitäten, die auf ein gemeinsames Engagement und
auf gelebte
Solidarität angewiesen sind, nicht durchgeführt werden.
Als langjähriges Mitglied des Fördervereins der Reitschule
kennt Erik
Mozsa die Reitschule von innen. Seine Darstellungen über das
Funktionieren und die Strukturen der Reitschule in der Motion entbehren
jeglicher Grundlage und sind reine Behauptungen - wie er selber am
besten weiss.
Absichten der Motion
Die Reitschule macht immer wieder die Erfahrung, dass es sehr viel
einfacher ist, mit all dem, was vor und neben der Reitschule passiert -
und nicht immer ganz nachvollziehbar mit der Reitschule in Verbindung
gebracht wird - in die Medien zu kommen, als mit dem Kulturprogramm
oder den Politveranstaltungen, die mit grossem Engagement und viel
Gratisarbeit von den BetreiberInnen der Reitschule organisiert werden.
Von diesem Effekt profitiert auch die Motion Mozsa mit
grossaufgemachten Artikeln in den Lokalzeitungen (Bund vom 28. Mai
2008, Berner Zeitung vom 29. Mai 2008).
Buhlen Erik Mozsa (und seine Partei?) im Vorfeld der Wahlen vom Herbst
2008 auf dem Buckel der Reitschule um Aufmerksamkeit? Ist es ein
perfider politischer Schachzug, wie wir es uns seit 20 Jahren von den
bürgerlichen Parteien gewöhnt sind?
Wer besorgt ist über die Verhältnisse in der Reitschule und
dem Projekt
ernsthaft helfen will, kann sich jederzeit an die Betriebsgruppe der
Reitschule wenden und das Gespräch suchen.
Wie geht es weiter?
An die Parteien im RGM-Bündnis der Stadt Bern stellen wir die
Frage,
was eine Partei wie die GFL, die Demonstrationen grundsätzlich
verbieten und die Reitschule in ein braves von oben nach unten
verwaltetes Kulturzentrum verwandeln will, in einem RGM-Bündnis
noch
verloren hat? Nicht von ungefähr sehen SVP-Rechtsaussen in der
Motion
inhaltliche Nähe zu eigenen Anliegen (Bund vom 28. Mai 2008).
Wie bereits erwähnt: Alle Jahre wieder ist die Reitschule mit
allerlei
Angriffen konfrontiert. Für die Transparenz und das
Verständnis der
gegenseitigen Anliegen organisiert sie, auf Anfrage oder
anlässlich der
Reitschule-Feste, jeweils Führungen durch die Reitschule.
Aus diesem Grund laden wir die GFL zu einem Gespräch in die
Reitschule
ein. Gerne erklären wir dort bei einer Führung unsere
Vereinsstrukturen
und die Schwierigkeiten, die für die Reitschule entstehen, wenn
die
Stadtbehörden beispielsweise Demonstrationen nicht mehr tolerieren
wollen oder jährlich Hunderte von Wegweisungen gegen so genannt
Randständige aussprechen, sie es aber nicht schaffen, die drogen-
und
gesundheitspolitisch skandalöse Situation auf dem Vorplatz der
Reitschule durch die Einrichtung einer zweiten Drogenanlaufstelle
anzugehen.
Als Termin schlagen wir den Montag, 16. Juni, 18.30h vor.
Mit freundlichen Grüssen
Kultur- und Begegnungszentrum Reitschule Bern
Geht an:
- GFL-Sekretariat
- RGM-Parteien, Gewerkschaftsbund Stadt Bern, PDA, GPB
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