MEDIENSPIEGEL 14.8.08

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Wagenplatz Alternative
- Anti-SVP 6.10.08
- Asyl für Guantanamo
- Schnüffel-Multi Nestlé
- Braune Website
- Braune Bernburger

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REITSCHULE
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PROGRAMM:

Do 14.08.08     
20.00 Uhr     Vorplatz     
DJ Forensic (Subversive Records, Bern) - Fullspectrum Ambient + Rock'n'Roll

Fr 15.08.08   
20.00 Uhr     Vorplatz     
Wazomba - Ska-Reggae-Swing-Trash-Klezmer-Polka-Balkanjazz

Sa 16.08.08     
21.00 Uhr     Grosse Halle     Balder-Fly-Preview 4: "Wild wild West"
22.00 Uhr     Grosse Halle     Zeno Tornado & The Boney Google Brothers  - Country/ Bluegrass

Vorplatz-Belebungs-Bar:
Di-Sa ab 16 Uhr
Vorplatz-Belebungs-Infos: http://www.vorplatz.ch

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WAGENPLATZ ALTERNATIVE
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punkt.ch 14.8.08

Viererfeld: Kanton zeigt die Stadtnomaden an

Gestern hat ein Aufgebot der Polizei den Stadtnomaden auf dem Viererfeld einen Besuch abgestattet. "Wir haben aufgrund einer Anzeige des Grundbesitzers eine Personenkontrolle durchgeführt", sagte Polizeisprecher Stefan von Below auf Anfrage. Der Kanton als Grundeigentümer habe eine Anzeige wegen Widerhandlungen gegen das Baugesetz eingereicht. "Wir können die illegale Besetzung nicht dulden ", sagte Brigitte Graf von der Baudirektion.

Runder Tisch

Noch im Juni hatte ein Runder Tisch unter der Leitung von Stadtpräsident Alexander Tschäppät nach einer Lösung für die rund 70 Wagenbewohner gesucht. (czd)

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ANTI-SVP 6.10.07
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punkt.ch 14.8.08

Anti-SVP-Krawall

Happige Busse für einen Mitläufer

Von Katharina Schwab

Ein Mitläufer bei der unbewilligten Demo am 6. Oktober wurde gestern in Burgdorf verurteilt. Die Junge SVP trat als Privatkläger auf.

Der 6. Oktober 2007 ist noch lebhaft in Erinnerung: Auf dem Bundesplatz kam es zu Krawallen, Sachschaden entstand. So auch bei der Jungen SVP, die Stände aufgestellt hatte. Präsident Erich Hess und die Vereinigung Pro Libertate traten vor dem Gericht Burgdorf als Privatkläger an. Hess wollte vom Angeklagten einen Schadenersatz von 4800 Franken. Die Parteien konnten sich darauf einigen, dass er 680 Fr. zahlt. Mit der Masse Der Angeklagte sagte: "Ich habe mich mit der Masse mitreissen lassen und bin so auf dem Bundesplatz gelandet. " Dort habe er eine Zeltplane den Boden entlang gezerrt. Zu diesem Zeitpunkt war der etwa 40-Jährige vermummt - mit einer Kapuze und einem Tuch vor dem Gesicht - "wegen des Tränengases", wie er erklärte. Er wurde wegen versuchter Sachbeschädigung, Landfriedensbruch und weiterer Vergehen schuldig gesprochen. Das Gericht verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 6000 Franken. Ausserdem muss er 2080 Fr. Verfahrenskosten bezahlen.

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Bund 14.8.08

"Weiss gar nicht, was ich da eigentlich wollte"

Das Gericht Burgdorf verurteilt einen Teilnehmer der nicht bewilligten Anti-SVP-Demo vom 6. Oktober 2007 wegen Landfriedensbruch

Welche Sachbeschädigungen er am 6. Oktober letzten Jahres auf dem Bundesplatz begangen hat, blieb unklar. Der Angeklagte hat sich mit dem Privatkläger Erich Hess, Präsident der Jungen SVP Schweiz, auf einen Vergleich geeinigt.

Eigentlich wollte er gar nicht an die Demo. Er sei am Mittag des 6. Oktobers auf dem Kornhausplatz in einem Café gesessen, als es in der Berner Altstadt zu "chlepfen" und rauchen begonnen habe. Weil ihn das Geschehen "Wunder genommen" habe, habe er sich in die Menschenmenge beim Zytglogge gemischt. Vor dem Tränengas und den Gummigeschossen sei er dann "Richtung Bundeshaus geflüchtet", erzählte der 37-jährige Mann aus Biel gestern in Burgdorf der Gerichtspräsidentin Annemarie Hubschmid. Wie ein Rädelsführer wirkt der Angeklagte mit der Halbglatze und der leisen Stimme tatsächlich nicht. Seine Erklärung, warum er - wenn er doch zufällig an die Demo herangelaufen war - sein Gesicht vermummt habe, kommt indes gar fadenscheinig daher: Er habe sich sein Halstuch spontan wegen des Tränengases vor das Gesicht gebunden. Dabei gehabt habe er es, weil er von der Arbeit gekommen sei, wo er damit die Tätowierung an seinem Hals abdecke. Auch die Kapuze will er nicht als Vermummung verstanden haben: "Die habe ich hochgezogen, weil es kalt war."

Das JSVP-Zelt fliegen sehen

Im Gerichtssaal lacht Erich Hess ob dieser Aussage laut auf, was ihm eine Rüge der Richterin einträgt. Der Präsident der Jungen SVP Schweiz (JSVP) hat den Bieler Demonstranten im Zusammenhang mit den Geschehnissen am 6. Oktober angezeigt. Gemeinsam mit Ami Bosshard, zum Tatzeitpunkt Pro-Libertate-Präsidentin, macht er den Schaden geltend, der seiner Partei und Pro Libertate durch die Schlacht auf dem Bundesplatz entstanden sei. "Wir hatten gerade unsere Zelte aufgestellt, als die Menschenmasse auf den Platz stürmte, Steine und Schrauben gegen die Musik warf und alles zerstörte", erzählt Hess. Und weiter: Er habe den Stand der JSVP "fliegen sehen". Der Schaden an den Zelten und am Propagandamaterial betrage rund 6000 Franken. Die einzelnen Sachbeschädigungen hat der JSVP-Präsident aber "nicht mitgekriegt", den Angeklagten hat er auf dem Bundesplatz nicht selber beobachtet.

Ein Zeuge hatte aber gesehen, wie dieser ein umgekipptes Zelt in Richtung eines Feuers auf dem Platz zerrte, und eine Plane in die Flammen legen wollte. Der Angeklagte räumt ein, er habe an einer Zeltplane gezerrt, allerdings ohne grossen Effekt, da diese befestigt gewesen sei. "Ich weiss nicht, was ich damit wollte." Feuer habe es auf dem Platz aber keines gegeben, nur "ein paar angekohlte Zeitungen". Er habe sich sowieso "nicht gross beteiligt" am Geschehen. Als er auf den Bundesplatz gekommen sei, seien die Zelte und Tische bereits umgestürzt und die meisten Demo-Teilnehmer weg gewesen.

Vorbestrafter Angeklagter

Welchen Sachschaden der einzelne Demonstrant aus Biel auf dem Bundesplatz tatsächlich verursacht hat, liess sich auch im Gerichtssaal nicht klären. "Wenn eine Masse von Tätern beteiligt ist, ist meist unklar, wer für den Schaden aufkommen muss", erklärte Gerichtspräsidentin Hubschmid. Der Angeklagte willigte in einer Vergleichsverhandlung aber ein, den Privatklägern eine Wiedergutmachung von 650 Franken zu zahlen. Im weiteren Verfahren sprach Hubschmid den Angeklagten des Landfriedensbruchs schuldig. Der Bieler habe durch seine Teilnahme an der unbewilligten Demo zur Gewaltbereitschaft beigetragen und damit an den Ereignissen erheblich mitgewirkt - unabhängig davon, welche Sachbeschädigungen er konkret verschuldet habe, erklärte sie. Zudem habe er gegen das Vermummungsverbot verstossen und sich der versuchten Sachbeschädigung schuldig gemacht.

Neben dem 6. Oktober stand im Prozess aber auch die Nacht vom 3. auf den 4. August des letzten Jahres im Fokus: Nach dem Besuch des Antifa-Festivals in der Berner Reitschule hatte sich der Angeklagte mit dem Auto auf den Heimweg nach Biel gemacht. Als er in eine Polizeikontrolle geriet, hatte er 1,7 Promille Alkohol, Kokain und Spuren von THC im Blut. Er habe an diesem Abend "einige Biere und ein paar Schlücke Schnaps" getrunken, das Kokain aber in der Nacht zuvor und den letzten Joint drei Monate vorher konsumiert, sagte der Angeklagte. Dass er nicht fahrtüchtig sei, habe er sich - frustriert vom vorzeitigen Abbruch des Festes wegen eines gelegten Brandsatzes - nicht überlegt. Für das Fahren im angetrunkenen Zustand und unter Drogeneinfluss, die Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie die Straftaten im Zusammenhang mit der Anti-SVP-Demo verurteilte Hubschmid den Bieler zu einer bedingten Geldstrafe von 6000 Franken bei einer Probezeit von drei Jahren und einer Busse von 1000 Franken. Mit dem Urteil holt den Mann zudem eine Altlast ein: Straffällig geworden, muss er nun 600 Franken Strafe zahlen, zu denen er bereits im Mai letzten Jahres verurteilt worden war - wegen zu schnellen Fahrens.

Franziska Ramser

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BZ 14.8.08

Quittung für Randale gegen die SVP

Mitgegangen, mitgehangen: Im Nachgang zur Anti-SVP-Demo in Bern kassiert ein Vermummter 6000 Franken bedingt.

Er will eher zufällig in den Sog der Ereignisse geraten sein, die am letzten 6. Oktober Bern erschüttert haben. Nach dem Besuch bei Bekannten sei er beim Zytglogge gestanden, als er es unvermittelt habe "chlepfe und tätsche" hören. Schon hätten sich die Altstadtgassen mit Tränengas gefüllt, Gummischrot sei geflogen, "da bin ich hin zum Bundeshaus geflohen".

Der Angeklagte erzählt all dies auf Schloss Burgdorf. Hier muss sich der 38-Jährige vor Richterin Annemarie Hubschmid wegen der - unbewilligten - Demo verantworten, an der links-autonome Chaoten gegen die - bewilligte - Wahlkundgebung der rechtsbürgerlichen SVP aufmarschierten und kurzerhand alles, was nach SVP aussah, kurz und klein schlugen.

Kapuzenpulli im Alltag

Auf dem Bundesplatz liess es der Angeklagte indes nicht bei seiner passiven Rolle bewenden. Ja, gesteht er ein, er habe dort an einer Blache gezerrt, doch sei diese irgendwie befestigt gewesen. Zu viel mehr sei er gar nicht gekommen, "in dem Moment wurde ich festgehalten und von hinten überwältigt".

Der Angeklagte bemüht sich redlich, der Richterin klar zu machen, dass das Entscheidende schon vor seinem Eintreffen auf dem Bundesplatz passiert gewesen sei. "Von den Zelten stand nichts mehr, der Grossteil der Leute war schon zum Schänzli weitergezogen."

Um ein Eingeständnis mehr kommt er bei alledem nicht herum. Ja, er sei vermummt gewesen, allerdings habe er das Gesicht zum Schutz gegen das Tränengas abgedeckt. Zudem trage er immer ein Tuch, um ein Tatoo am Hals abzudecken, "aus Rücksicht auf meine Kunden". Ebenso normal sei weiter gewesen, dass er eine Kapuze aufgehabt habe. "Ein Kapuzenpullover gehört doch zur Alltagskleidung."

Nicht bei der Milchkanne

Da waren jene, die ihn für die Polizei festhielten, ganz anderer Meinung. Richterin Hubschmid zitiert aus den Akten einen Zeugen, der von den Randalen einer Gruppe von schwarz Vermummten erzählte. Wie diese eine riesige Milchkanne samt zwei Milchfrauen im Innern umgekippt sowie SVP-Werbematerial samt dazu gehörendem Tisch angezündet hätten. Wie gleichzeitig "ein vermummter Typ" eine Blache zum Feuer gezogen habe - "da nutzte ich den Moment und zerrte ihn weg".

Es war der Angeklagte, doch dieser verwahrt sich nun dagegen, mit dem Sturz der Milchkanne etwas zu tun zu haben. Wieso er überhaupt an der Blache gezerrt habe, will Richterin Hubschmid wissen. "Ich weiss nicht, was ich eigentlich wollte" - bei der Polizei hatte er sein lückenhaftes Erinnerungsvermögen gar als Filmriss bezeichnet.

Symoblische Zahlung

Umso klarer wird nun vor Gericht Erich Hess, der Präsident der Jungen SVP. Er vertritt gemeinsam mit Ami Bossard, damals Präsidentin der rechtsbürgerlichen Vereinigung Pro Libertate, als Privatkläger zwei Geschädigte. Die Stimmung sei "nicht so gemütlich" gewesen, erklärt Hess, er habe in all dem Chaos vorab dafür gesorgt, "die Schwächeren", Senioren und Familien also, wegzubringen, kurz: Die SVP-Kundgebung so enden zu sehen, habe ihn "emotional sehr hart" getroffen.

Dennoch willigen die beiden in einen Vergleich ein. Der Angeklagte zahlt ihnen zwar nicht die gefoderten insgesamt 7900 Franken Schadenersatz, wenigstens aber 650 Franken. Symbolisch als Wiedergutmachung, so Richterhin Hubschmid, ein Einzelner könne ja nicht für alle Schäden haftbar gemacht werden.

Frust nach Antifa-Fest

Dass sie den Angeklagten am Schluss mit einer Geldstrafe von 6000 Franken bedingt und 1000 Franken Busse straft, hat nicht nur damit zu tun, dass er bei der verheerenden Demo aktiv dabei war und so Landfriedensbruch begangen hat. Ins Gewicht fällt auch, dass er zwei Monate zuvor mit 1,71 Pormille am Steuer erwischt worden war. Nach einem Antifa-Fest in der Reithalle, das wegen eines Brandanschlags abgebrochen wurde - das, begründet der 38-Jährige seine Fahrt, habe ihn sehr frustriert.

Erwischt wurde er übrigens auf der Autobahn bei Schönbühl im Amt Fraubrunnen. Was erklärt, wieso das ganze Verfahren überhaupt in Burgdorf gelandet ist.Stephan Künzi

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ASYL FÜR GUANTANAMO
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Rundschau 13.8.08

Asylgesuch aus Guantánamo

Ein Schweizer Rechtsvertreter hat mit Unterstützung von Amnesty International bei den Schweizer Behörden das erste Asylgesuch für einen Gefangenen auf Guantánamo eingereicht, den die USA zur Ausreise freigegeben haben.

http://www.sf.tv/videoplayer/embed/372b11a3-d046-4e50-9aa8-bfefa31e88cf&live=false

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tagesanzeiger.ch 13.8.08

Guantanamo-Häftlinge stellen Asylgesuch in der Schweiz

Zwei Guantanamo-Häftlinge haben Asyl in der Schweiz beantragt, bald soll ein drittes Gesuch eingereicht werden. Die von den USA als unschuldig anerkannten Gefangenen dürfen von den Schweizer Asylbehörden keine Sonderbehandlung erwarten.

Das erste Gesuch betrifft einen libyschen Staatsbürger. Es sei ein Asylgesuch aus dem Ausland, das gleich behandelt werde wie alle anderen, sagte Jonas Montani, Sprecher des Bundesamts für Migration, gegenüber der "Rundschau" von Schweizer Fernsehen SF. Der Libyer sitzt seit Ende 2001 in dem Gefangenenlager auf Kuba.

Inzwischen könnte er das Lager verlassen, falls ihn ein anderer Staat aufnimmt, wie Denise Graf von Amnesty International auf Anfrage sagte. Andere Gefangene seien in Libyen entgegen Zusagen der dortigen Behörden verhaftet worden, sagte Graf. Eine Ausreise nach Libyen sei darum unmöglich.

Das Asylgesuch dieses Häftlings wurde Anfang Juni von einem Anwalt in der Schweiz eingereicht. Aufgrund der Signale aus dem Bundesamt für Migration befürchtet Amnesty International nun eine Ablehnung. Trotzdem wurde vor kurzer Zeit ein weiteres Gesuch für einen Algerier eingereicht, ein Drittes soll dieser Tage folgen.

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SCHNÜFFEL-MULTI
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WoZ 14.8.08

Nestlégate

Attac blitzt ab

Am 12. August hat das Bezirksgericht Lausanne entschieden: Es wird keine Hausdurchsuchung bei Nestlé und Securitas geben, um etwaige weitere Dokumente in Zusammenhang mit der Spitzelaffäre bei der globalisierungskritischen Organisation Attac zu beschlagnahmen. Das heisst: Die Justiz gibt sich mit den von den beiden Firmen vorgelegten Dokumenten zufrieden, obwohl sie auffällige zeitliche Lücken aufweisen (vgl. WOZ Nr. 32/08). Mehr noch: Sie verurteilt die Klägerin Attac zur Bezahlung eines Teils der Kosten. Insgesamt rund 5000 Franken muss Attac auf den Tisch legen, davon gehen je 2250 an Nestlé und an Securitas - für deren Anwaltskosten. Vom Prinzip her sei es normal, dass der Verlierer einen Teil bezahlen müsse, erklärt Attac-Rechtsanwältin Elisabeth Chappuis. Schockierend sei jedoch die Höhe der Summe: "Wir haben den Eindruck, sie soll abschreckend wirken." Ob Attac dagegen Rekurs einlegt, kann die Organisation erst nach Vorliegen der schriftlichen Begründung beschliessen. Der Entscheid aus Lausanne sagt allerdings nichts aus über die kommenden Prozesse in Sachen "Nestlégate": Weiterhin hängig sind eine zivile und eine Strafklage. hb

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BRAUNE WEBSITE
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BZ 14.8.08

Freiheitspartei

Webmaster steht vor Gericht

Meinungsäusserungsfreiheit oder Verletzung der Anti-Rassismus-Strafnorm? Mit dieser Frage wird sich Richter Fritz Aebi in Aarwangen im Zusammenhang mit der Webseite der Freiheitspartei auseinandersetzen müssen.

Die Freiheitspartei bewegt sich ständig auf dem hohen Seil der Anti-Rassismus-Strafnorm. So etwa, als FP-Galionsfigur Jürg Scherrer vor zwei Jahren in Langenthal in ein Schokolade-Minarett biss, oder als am diesjährigen 1.Mai in Langenthal eine Frau dem dunkelhäutigen Redner, SP-Nationalrat Ricardo Lumengo, eine Banane zuwarf.

Solche Aktionen sind das eine, der Niederschlag, den sie auf der Website der Freiheitspartei finden, sind das andere.

Entschuldigung relativiert

Eben wegen dieser Internetseite musste sich im Schloss Aarwangen Willi Frommenwiler, Thunstetten, stellen. Er ist Kantonalpräsident der Partei und bezeichnete sich als verantwortlicher Webmaster für die FP-Seite. Gestern fand beim Gerichtspräsidenten 1, Fritz Aebi, eine erste Einvernahme statt. So hatte Frommenwiler einen Artikel von Werner Scherrer mit einem Bild illustriert, das die Association des Africains de Bienne zu einer Anzeige veranlasste.

Das Bild zeigte drei "Choco-Köpfli", die man früher "Mohrenköpfe" nannte, mit Gesichtern, von denen das mittlere die Zunge rausstreckt. Er habe damit den "Basar" karikieren wollen, der an einer Gerichtsverhandlung gegen Jürg Scherrer geherrscht hatte. Scherrer hatte sich dabei für Äusserungen entschuldigt, jedoch auf der Webseite der Freiheitspartei diese Entschuldigung relativiert. Zu diesem Artikel stellte Frommenwiler das kritisierte Bild. Die Kläger verlangen Genugtuung und Wiederherstellung ihrer Ehre.

Schwarze Schwäne

Andere Klagen betrafen Äusserungen auf der Webseite gegen Nationalrat Ricardo Lumengo oder der geschmacklose Vergleich von schwarzen Schwänen auf dem Thunersee und schwarzen Menschen in der Schweiz.

Wie das Gericht die Tatbestände, die Frommenwiler nicht bestritt, beurteilen wird, kommt erst an der Hauptverhandlung aus. Da wird das Gericht den Ausgleich finden müssen zwischen der Meinungsäusserungsfreiheit und der Anti-Rassismus-Strafnorm. Die Hauptverhandlung wird vermutlich im November oder Dezember stattfinden. Eduard Nacht

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BRAUNE BERNBURGER
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Katrin Rieder
Netzwerke des Konservatismus
Berner Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20. Jahrhundert
http://www.chronos-verlag.ch/php/book_latest-new.php?book=978-3-0340-0905-8&type=Kurztext&access=Vorschau

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Regionaljournal Bern 14.8.08
http://real.xobix.ch/ramgen/srdrs/regibern/2008/rbe7v714082008.rm?start=00:03:33.799&end=00:04:51.769

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10vor10 13.08.08

Braune Vergangenheit der Berner Burggemeinde

Ein Drittel der Stadt Bern gehört auch heute noch der Berner Aristokratie. Nun wurde ein Buch veröffentlicht, das die Geschichte der Berner Burgergemeinde und des Berner Patriziats genauer unter die Lupe nimmt. Neue Dokumente belegen: Namhafte Exponenten der Berner Burgergemeinde engagierten sich in den 1930er Jahren bei den Frontisten. Der jetzige Präsident zeigte sich gegenüber "10vor10" betroffen.

http://www.sf.tv/videoplayer/embed/5e10ab42-0dcd-4bac-8bf5-1230f8933db3&live=false

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WoZ 14.8.08

Berns Burger

Die Unsichtbaren

Als die Berner Historikerin Katrin Rieder begann, über die Berner Burgergemeinde zu forschen, stiess sie auf grossen Widerstand. Ihr wurden aktuelle Quellen vorenthalten, es wurde ihr subtil gedroht, und dann wurde selbst die Publikation von Artikeln schwierig. Denn die 17 000 BernburgerInnen sind mächtig, und sie üben diese Macht am liebsten diskret aus.

Die Burgergemeinde hat viel Erfahrung im Herrschen: In ihr versammeln sich die alten patrizischen Berner Familien und das städtische Grossbürgertum. Man kennt sich, man hilft sich: "Burger gegen Burger, das geht nicht", heisst es. Die BurgerInnen sitzen in wichtigen Positionen in der Verwaltung und in der Privatwirtschaft. Und ihre Macht ist institutionell gestützt, die Burgergemeinde hat die Funktion einer Heimatgemeinde. Deshalb übernimmt sie auch staatliche Aufgaben wie die Sozialfürsorge für ihre Angehörigen.

Heute verfügt die Burgergemeinde über ein Milliardenvermögen, sie ist die reichste Korporation der Schweiz. Allein in der Stadt Bern besitzt sie einen Drittel des Bodens - Kapital, das aus dem Vermögen des alten Stadtstaates Bern stammt. "Wenn es die Burgergemeinde nicht gäbe, wäre die Einwohnergemeinde der Stadt Bern viel reicher", sagt Rieder. "Sie hätte dann zwar mehr Aufgaben, aber auch die Mittel dafür." Dieser Tage erscheint Katrin Rieders präziser Bericht über die heimlichen Herrscher­Innen von Bern in Buchform. rv

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Berner Burgergemeinde

Die heimliche Herrschaft

Von Rachel Vogt

Die Bernburger besitzen ein Drittel des städtischen Bodens. Und sie üben in aller Diskretion ihre Macht aus, wie das aufschlussreiche Buch der Berner Historikerin Katrin Rieder zeigt.

WOZ: Katrin Rieder, Sie forschen seit Jahren über die Berner Burgergemeinde. Haben sich die Burger Innen darüber gefreut?

Katrin Rieder: Nicht wirklich. Sie haben es mir nicht leichtgemacht, an die Quellen heranzukommen, nur solche aus dem 19. Jahrhundert sind frei zugänglich. Ich musste ein Gesuch stellen, um zumindest einige Akten aus dem 20. Jahrhundert einsehen zu können. Zu den Dokumenten aus den letzten dreissig Jahren wurde mir der Zutritt vollumfänglich verwehrt. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Wie haben Sie das Problem gelöst?

Ich habe mehrmals nachgefragt, doch letztlich hätte ich es juristisch einfordern müssen, und das habe ich nicht getan. Eigentlich begründete das neue kantonale Informationsgesetz von 1993 das Öffentlichkeitsprinzip - auch die Burgergemeinde ist diesem Gesetz unterstellt. Die Gespräche mit der Burgerbibliothek waren nicht einfach. Man war über meine Forschungen - gelinde gesagt - "not amused".

Oh! Inwiefern?

Es gab Drohungen, wenn auch nur subtile. Man sagte mir etwa, falls aus meinen Nachforschungen jemandem ein Schaden entstehen würde, dann sicher nicht ihnen, den Burgern. Und als ich nach meinem Lizenziat meine Dissertation zum gleichen Thema in Angriff nahm, teilte man mir mit: "Diese Diss wird es nie geben."

Das ist schweres Geschütz.

Ich hatte schon ein paar schlaflose Nächte. Doch ich entschied mich dazu, weiterzuforschen. Das Thema ist historisch zu interessant.

Gab es weitere Probleme?

Meine Seminararbeit über das Villette-Quartier wurde aus einem Buch zur Berner Stadtentwicklung gekippt. Das war vorauseilender Gehorsam der Her ausgeber, die von der Burgergemeinde und den Zünften finanziell unterstützt worden waren.

Dann ist eine direkte Machtaus übung wohl gar nicht notwendig.

In Bern weiss man intuitiv, was den Burgern gefällt und was nicht, und man verhält sich dementsprechend. Die Macht der Burgergemeinde ist ein Tabu. Nach verschiedenen ähnlichen Geschichten wurde mir klar, dass ich als Historikerin in Bern kaum einen Job finden würde. Ich habe daraufhin eine Stelle in Zürich angenommen.

Sie sind also in Bern eine unerwünschte Person?

Nein, so weit geht es nicht, ich wohne ja noch immer in Bern, im Alltag ist das überhaupt kein Thema. Aber vielleicht in jenen Bereichen, in denen die Burger viel Macht haben.

Und wo ist das?

In allem, was mit der Berner Geschichte zu tun hat, ganz allgemein in der Kultur: Ihr gehören das Kultur-Casino und das Naturhistorische Museum, am Historischen Museum ist sie zu einem Drittel beteiligt, sie unterstützt historische Publikationen und Ausstellungen. Dabei bevorzugte sie lange Zeit Projekte mit einer konservativen Orientierung. Sie ist aber auch einflussreich in der Stadtentwicklung. Man darf nicht vergessen: Die Burgergemeinde besitzt einen Drittel des städtischen Bodens. Dazu kommen weiterer Grundbesitz und Wälder im Kanton Bern und anderswo. Sie ist die reichste Korporation des Landes.

Die reichste? Wie gross ist das Vermögen?

Hochrechnungen sind schwierig, aber man kann von einem Milliardenvermögen ausgehen. Und weil die Berner Einwohnergemeinde und auch der Kanton relativ arm sind, können die Burger ihre Macht sehr gut ausspielen. Die Burger würden dann jeweils sagen: "Wenn ihr uns jetzt nicht helft, helfen wir euch das nächste Mal auch nicht." Insofern erstaunt es nicht, dass es kaum je zu einer expliziten Machtdemonstration in aller Öffentlichkeit gekommen ist. Die Dinge werden diskret ausgehandelt.

Auch mit der rot-grünen Regierung?

Am Abhängigkeitsverhältnis hat sich in den letzten Jahren nichts geändert. Auch die gegenwärtige Regierung muss mit der Burgergemeinde zusammenarbeiten, klar.

Gibt es denn gar keine öffentlichen Auseinandersetzungen?

Nur beim Umbau des Bahnhofplatzes ist es den Burgern nicht gelungen, ihre Interessen im Vorfeld durchzusetzen, deshalb wurden sie aktiv. In anderen Fällen werden die burgerlichen Interessen nicht öffentlich gemacht oder sogar verschleiert.

Besetzen BurgerInnen politische Ämter?

Wichtige öffentliche Positionen werden durchaus angestrebt, etwa im Grossen Rat, in der Zentralen Steuerverwaltung oder in der Denkmalpflege. Es gibt über 17 000 Burgerinnen und Burger, und sie bilden eine gesellschaftliche Elite.

Weiss man denn in Bern, wer zur Burgergemeinde gehört?

Kaum jemand ist sich bewusst, wer alles zur Burgergemeinde gehört. Man kennt nur einige alte patrizische Geschlechter, jene mit dem "von" im Namen. Die Burger stehen aber im Burgerbuch, inklusive Beruf, Arbeitsort, familiären Verbindungen. Die Burger selbst kennen sich untereinander natürlich. Wenn Besuch kommt oder wenn man geschäftliche Beziehungen aufnimmt, dann schaut man schon mal schnell im Burgerbuch nach, in welchem Grad man verwandt ist.

Was steht denn sonst noch alles in diesen Burgerbüchern?

Alle fünf Jahre erscheint ein neues Buch, häufig besitzen die Leute mehrere Bände. Darin stehen die Verwandtschaftsbeziehungen, die Herkunft, der Zeitpunkt der Einburgerung, die Zunftzugehörigkeit, aber auch, ob jemand verheiratet oder geschieden ist oder unehelich geboren wurde. Ein hilfreiches Nachschlagewerk auch für Medienschaffende.

Und, schauen die JournalistInnen da nach?

Es ist erstaunlich, dass dieses mächtige Netzwerk von den Medien praktisch nicht thematisiert wird. Letzthin erzählte ein Redaktor erstaunt, der Denkmalpfleger habe ihm gar nicht mitgeteilt, dass er ein Burger sei. Natürlich nicht!

Haben einzelne Familien besonders viel Einfluss?

Das kann man so nicht sagen. Die Gemeinde ist gross und heterogen, es kommen alle möglichen Berufsgattungen vor, auch wenn es vielleicht einen hohen Anteil an Juristen, Bankiers, Vermögensverwaltern oder Architekten gibt. Generell sind Burger und Burgerinnen überdurchschnittlich ausgebildet und vermögend. Die Berner Historikerin Karoline Arn hat aufgezeigt, dass Burger in vielen Berner Firmen Führungspositionen besetzen, zum Beispiel in den achtziger Jahren in den Bernischen Kraftwerken, bei der Berner Versicherung oder der Mobiliar. Auch der marktbeherrschende Medienkonzern Espace Media Groupe war in Burgerhänden, bevor er kürzlich an die Zürcher Tamedia verkauft wurde. Die Burgergemeinde besitzt übrigens auch eine eigene Bank, die Deposito Cassa.

Gibt es denn Unterschiede zwischen den alten und den neuen Familien?

Ja, sie sind im Burgerbuch abgebildet. In den burgerlichen Räten gibt es eine Übervertretung patrizischer Geschlechter. Die Abgrenzung erfolgt auch über einen patrizisch-altburgerlichen Sozio lekt, man sagt etwa nicht "gäub" für gelb, sondern "gälb", nicht "Ussteuig", sondern "Usstellung", und die Sprache ist mit französischen Ausdrücken durchsetzt. Allerdings verliert sich diese Dialektfärbung heute zunehmend.

Bleibt man unter sich?

Neben der Burgergemeinde, in die auch bürgerliche Familien aufgenommen werden, existieren weiterhin exklusive Gesellschaften, die Grande Société, die Bogenschützengesellschaft oder der adelige Johanniterorden. Da wird deutlich, dass die Aufnahme in die Burgerschaft niemals bedeutet, dass man den alten patrizischen Familien gleichgestellt ist. Wussten Sie, dass es in Bern noch Barone und Grafen gibt?

Barone und Grafen?

Ja. Und das, obwohl seit der Bundesverfassung von 1848 das Prinzip der Gleichheit gilt. Innerhalb der Burgergemeinde werden die Adelstitel aber nicht gebraucht. Doch noch bis Ende 19. Jahrhundert hat die Burgergemeinde den patrizischen Familien aufgrund von Reglementen aus dem Ancien Régime die Adelspartikel "von" verliehen.

Was verbindet denn die Angehörigen der Burgergemeinde miteinander?

Verbindend ist eine konservative Wertehaltung, eine "burgerliche Gesinnung".

Wie hilft man sich?

Das Netzwerk funktioniert sehr gut. Burger können Aufträge erhalten von anderen Burgern und von burgerlichen Institutionen. So war klar, dass ein burgerlicher Architekt das Naturhistorische Museum bauen durfte. Für einen Burger, der in der städtischen oder kantonalen Verwaltung sitzt, kann es schwierig sein, etwas zu unternehmen, das gegen die Interessen der Burgergemeinde geht. "Burger gegen Burger, das geht nicht", heisst es.

Ein richtiger Ehrenkodex?

Ja, dem könnte man so sagen.

Und interne Kritik ist wohl nicht willkommen?

Offenbar nicht. Bei Abstimmungen in der Burgergemeinde gibt es stets zwischen neunzig und hundert Prozent Zustimmung.

Davon träumen Diktatoren!

Bei Wahlen werden die vorgeschlagenen Kandidaten gewählt, Abwahlen gibt es nicht. Es gibt nie Sprengkandidaten, es ist ganz klar, der Vizepräsident wird mal Präsident und so weiter. Eigentlich sind es Ernennungen, die Kandidaten haben vorher eine lange innerburgliche Karriere absolviert.

Wird man als Burger, als Burgerin geboren?

Ja, denn die Burgergemeinde hat ja die Funktion einer Heimatgemeinde. Ob es sich um Nachfahren des Patriziats handelt oder um neu aufgenommene Stadtbürger: Wer in eine solche Familie geboren wird, ist Burger oder Burgerin.

Und es gibt kein Entkommen?

Man kann nicht austreten, nein. Aber man kann aufgenommen werden. Offenbar wollen noch immer viele zu diesen Kreisen gehören.

Was muss man mitbringen, um aufgenommen zu werden?

Den Glauben an diese Institution, an ihre informellen Hierarchien. Dann braucht man einen guten Leumund, eine stabile Vermögensgrundlage ...

... wie teuer ist denn die Aufnahme?

Das ist von Zunft zu Zunft unterschiedlich - es gehören ja praktisch alle einer Zunft an -, es geht in die Zehntausende von Franken. Nicht willkommen sind Leute, die die Burgerschaft lediglich als Karriereinstrument sehen. Früher war zudem klar, dass man protestantisch sein musste, und man hatte ein ärztliches Zeugnis abzuliefern, das eine gute Gesundheit und das Fehlen von Erbkrankheiten nachwies. Früher wie heute sind eine andere Hautfarbe, andere kulturelle oder ethnische Hintergründe nicht beliebt. Der erste Jude wurde in den Neunzigerjahren aufgenommen - der Akt wurde öffentlich zelebriert.

Wie weit nach rechts reicht der Konservatismus?

Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es im Burgerrat Frontisten, einer war in den dreissiger Jahren Gauleiter der Nationalen Front. Er wurde 1968 gar Burgerratspräsident - gewählt ohne Gegenstimme, und die Öffentlichkeit reagierte überhaupt nicht darauf. In der Forschung wurde diese frontistische Vergangenheit bis heute nicht thematisiert, auch im Historischen Museum nicht. Das erstaunt wiederum wenig, wenn man weiss, dass im Aufsichtsrat des Museums lange Zeit zwei burgerliche Vertreter sassen, die sich selbst in der Frontenbewegung engagiert hatten.

Welche Privilegien geniessen die BurgerInnen heute?

Früher wurde jährlich ein sogenannter Burgernutzen ausgeschüttet, das war Bargeld und Holz. Heute profitiert man vom sozialen und symbolischen Kapital und von sozialen Leistungen: Es gibt ein Burgeraltersheim, eine Burgersozialfürsorge, Burgerstipendien.

BurgerInnen beziehen Sozialhilfe nicht bei der Einwohnergemeinde? Die Burgergemeinde übernimmt also staatliche Aufgaben?

Ja. Problematisch ist, dass die entsprechenden Ämter bei den Zünften ehrenamtlich ausgeübt werden, nicht von Fachleuten. Auch die familiären Verbindungen widersprechen den Anforderungen an eine professionelle Sozialfürsorge. Zudem kann nach wie vor ein moralischer Ton mitschwingen, man erwartet eine gute, eine bürgerliche Lebensführung. Also kann sich die Angehörigkeit zur Burgerschaft für einige sehr wohl auch negativ auswirken.

Normalerweise wirkt sie sich aber positiv aus. Die Burgergemeinde verleiht Status.

Genau. Das hat einen Einfluss auf das Auftreten, auf den ganzen Habitus. Man gehört dazu und kennt wichtige Leute. Dass man so wenig über die Burger weiss, verleiht zudem vielleicht einen geheimnisvollen Nimbus.

Wurde dieser Status denn nie hinterfragt?

Doch, und wie. Im 19. Jahrhundert waren die Burgergemeinden höchst umstritten. Die Liberalen wollten sie in der Revolution von 1831 abschaffen, die Radikalen 1846 und so weiter. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts reformierte sich die Burgergemeinde und formulierte ihren Willen, der Allgemeinheit zu dienen. So verschaffte sie sich Legitimität. Man darf nicht vergessen, dass Ende des 19. Jahrhunderts der bürgerliche Block enger zusammenrückte, gegen die Sozialdemokraten. Die Burger politisierten in der Folge gemeinsam mit ihren früheren Gegnern, den Liberalen.

Ist das bis heute so?

Ja, das blieb im ganzen 20. Jahrhundert so. 1993 gab es eine neue Kantonsverfassung, in der Vernehmlassung schlugen die Sozialdemokraten, die Freie Liste und die Grünen zwar die Abschaffung der Burgergemeinde vor, machten dar aus aber kein Politikum. Vielerorts wird die Macht schlicht nicht wahrgenommen, oder man hat sich einfach damit arrangiert. Alle betonen immer wieder, dass die Burger viel Gutes für die Stadt tun, aber es spricht niemand über die Nachteile dieses Systems.

Was sind die Nachteile?

Wenn es die Burgergemeinde nicht gäbe, wäre die Einwohnergemeinde der Stadt Bern viel reicher. Sie hätte dann zwar mehr Aufgaben, aber auch die Mittel dafür, und es könnte die gesamte Stadtbevölkerung mitbestimmen.

Wie kam denn die Burgergemeinde zu ihren Reichtümern?

Während des Ancien Régime im 18. Jahrhundert war Bern aristokratisch und wurde von wenigen patrizischen Burgerfamilien beherrscht. Dies wurde durch die Helvetik gebrochen, der Kanton Bern entstand, und 1832/33 wurden die Einwohnergemeinde und die Burgergemeinde Bern gegründet. Danach wurde das Vermögen des alten Stadtstaates Bern aufgeteilt: Ein Teil ging an den Kanton, der Rest wurde zwischen der Einwohner- und der Burgergemeinde aufgeteilt. Die Burgergemeinde landete damals einen grossen Coup, sie erhielt viel wertvollen Grundbesitz und etliche gut dotierte Kassen. Die Verträge wurden unterschrieben von einem, der gleichzeitig Burgerratspräsident, Burgergemeindepräsident, Gemeindepräsident und Gemeinderatspräsident war.

Die Burger sind also klassische Grossgrundbesitzer.

Ja. Dahinter steht historisch gesehen das adelige Selbstverständnis des Patriziats, bei dem Handel und Industrie keine grosse Wertigkeit hatte. Man war Staatsdiener oder Grundbesitzer. Deshalb ist Bern auch keine Industriestadt.

Letzte Frage: Gibt es Witze über die BurgerInnen?

Ich kenne keine, nein. Vielleicht ist das Thema zu stark tabuisiert.

Selbst über Kriegsverbrecher gibt es Witze.

Aber nicht über Bernburger.

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Das Brisante Buch

Sie war die berühmteste Berner Burgerin, sie kleidete sich altmodisch und ging nicht ohne ihr imposantes Hörrohr aus dem Haus: Madame de Meuron. "Im Himmel obe", soll sie gerne gesagt haben, "sy mir alli glych, aber hie uf Ärde herrscht Ordnig." Die Patrizierin, die 1980 in hohem Alter starb, galt als Original, als Relikt aus einer vergangenen Zeit.

Die Berner Historikerin Katrin Rieder belegt in ihrem diese Woche erscheinenden Buch, dass die alte Aris tokratie in der Berner Burgergemeinde durchaus noch vertreten ist - und dass sie immer noch grossen Reichtum mit grosser Macht vereint. Eine Macht, die bis heute kaum hinterfragt wird. ­Rieder, 39, studierte an der Universität Bern Geschichte und Soziologie. Sie promovierte 2004 in Schweizer Geschichte mit der Dissertation "Netzwerke des Konservatismus. Berner Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20. Jahrhundert". Ihre umfangreiche Studie hat sie nun zu einem präzisen und aufschlussreichen Buch umgearbeitet.
Katrin Rieder lebt in Bern.

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Bund 14.8.08

Bernburger und die Fronten

Buch über ein dunkles Kapitel der Burger-Geschichte

Die Burgergemeinde wählte 1968 den ehemaligen Gauführer der Nationalen Front zu ihrem Präsidenten. Die Historikerin Katrin Rieder zeigt, dass die Karriere Georges Thormanns kein Einzelfall war.

In den 1930er-Jahren standen viele Bernburger rechtskonservativen und frontistischen Gruppierungen vor: Dies zeigt die Historikerin Katrin Rieder in ihrem eben erschienenen Buch "Netzwerke des Konservatismus. Berner Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20. Jahrhundert". Die Burgergemeinde Bern hat dieses düstere Kapitel ihrer Geschichte bisher nie aufgearbeitet. Bernburger mit nazifreundlicher Gesinnung hatten nach dem Krieg intakte Karrierechancen. Ihre Vergangenheit in rechtskonservativen oder frontistischen Kreisen war selbst bei Wahlen ins höchste Amt der Institution kein Thema, wie das Beispiel Georges Thormann zeigt. Der Architekt wurde 1968 mit der ausserordentlich hohen Zahl von 594 Stimmen zum Burgerratspräsidenten gewählt und war bis 1984 im Amt. In den 30er-Jahren war er Gauführer der Nationalen Front Bern gewesen. Unter seiner Ägide wurde das Versammlungslokal der Ortsgruppe Bern im Zunfthaus zu Distelzwang an der Gerechtigkeitsgasse untergebracht. Entgegen den bisherigen Erkenntnissen der Forschung kommt Rieder zum Schluss, dass die Verbindungen zwischen den Fronten und rechtskonservativen Kreisen in Bern "sehr eng" waren. Die Forderung der autoritären Rechten hätten im Berner Patriziat "grosses Echo" hervorgerufen.

Burgerratspräsident Franz von Graffenried zeigt sich "überrascht" und "betroffen" von Rieders Recherchen. Es sei "erstaunlich", dass die Vergangenheit Georges Thormanns bei dessen Wahl nicht thematisiert worden sei. Aufgrund eines ersten Berichtes im "Bund" vor Jahresfrist habe die Burgergemeinde eine externe Fachperson gesucht, um ihre Vergangenheit in der Nazizeit aufzuarbeiten. Es gehe aber nicht an, von einzelnen Personen "auf die Burgergemeinde als Ganzes" zu schliessen, hält von Graffenried fest.

Seiten 2 und 3

Catherine Arber,Bernhard Ott

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Bund 14.8.08

Kommentar: Die Geschichte kommt ans Licht

Die Burgergemeinde Bern ist eine ehrwürdige Institution: bewahrend, umsichtig ihren reichen Besitz und das kulturelle Erbe verwaltend. Stets hat sie, neben dem Erbe, auch ihr Image gepflegt, und die Berner Medien haben am positiven Bild mitgezeichnet - einem geschönten Bild, wie wir spätestens seit der Publikation der Dissertation von Katrin Rieder wissen.

Das Image der Burgergemeinde muss korrigiert werden; das ist nicht verwunderlich: So makellos, wie sie sich dargestellt hat, kann sie gar nicht sein. Jede grosse, heterogene Institution, zumal eine an der Schnittstelle von politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Macht, hat in ihrer Geschichte lichtere und dunklere Kapitel.

Dass sich Mitglieder und Exponenten dieser Institution in den 1930er- und 1940er-Jahren totalitären Utopien hingaben und dass Nationalsozialismus und Faschismus in gewissen "besseren" Berner Kreisen salonfähig waren, muss aus jener Zeit heraus erklärt werden. Schliesslich erklärt (und akzeptiert) man auch, dass sich Teile der heutigen Elite in den 1960er- und 1970er-Jahren von marxistisch-leninistischen und maoistischen Heilslehren blenden liessen. (Und wenn der Kommunismus immer noch als kleineres Übel erscheinen mag, dann nur, weil sich die Erklärungshoheit weitgehend im Besitz der Alt-Achtundsechziger befindet; auch das muss und wird korrigiert werden.)

Doch anders als viele frühere Linke, die sich heute mit ihrer eigenen Geschichte vor 30 oder 40 Jahren auseinandersetzen, hat die Burgergemeinde die faschistische Vergangenheit einiger ihrer Exponenten vor und im Zweiten Weltkrieg systematisch ausgeblendet. Wenn noch 1968 (!) ein ehemaliger Gauleiter ohne Rückfrage und ohne Diskussion Burgerratspräsident werden konnte, dann muss sich die Burgergemeinde der kollektiven Verdrängung bezichtigen lassen.

Irgendwann kommt die Geschichte ans Licht; besonders gut gehütete Geheimnisse werden mit besonderer Vehemenz hervorgezerrt. Wenn die Burgergemeinde jetzt, wie versprochen, die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit einleitet, muss daraus ein realistischeres Bild erwachsen. Nur dieses ermöglicht den notwendigen Aufbruch in die Zukunft, der heute noch von rückwärtsgewandter, verklärender Fiktion gehemmt wird.

Artur K. Vogel

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Bund 14.8.08
http://194.209.226.170/pdfdata/bund/2008/08/14/BVBU-002-1408-2.pdf

* "Wollte man es nicht mehr wissen?"
http://www.ebund.ch/artikel_556101.html
* Burgerrat möchte Nazizeit untersuchen
http://www.ebund.ch/artikel_556103.htmlv
* Zum Buch
http://www.ebund.ch/artikel_556104.html
* Gauführer, später Burgerratspräsident
http://www.ebund.ch/artikel_556100.html
* Väter und Grossväter waren informiert
http://www.ebund.ch/artikel_556099.html
* Die Zerstörung der Villette
http://www.ebund.ch/artikel_556102.html

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BZ 14.8.08

Brisante Buchpublikation

Berns Burger unter Beschuss

Die Historikerin Katrin Rieder hat ein kritisches Buch geschrieben, das den schönen Mythos der Burgergemeinde Bern erschüttert.

An der Buchvernissage unterhielt sich gestern Abend Buchautorin Katrin Rieder freundlich mit Burgerratspräsident Franz von Graffenried, die Burger sponserten gar den Apéro. Aber der harmonische Schein trügte. Die Berner Historikerin Katrin Rieder hat gestern ihren 700-seitigen Wälzer "Netzwerke des Konservatismus" präsentiert, der schonungslos das Bild der wohltätigen und grosszügigen Burgergemeinde Bern ankratzt. Noch nie bisher ist die erhabene Berner Burgergemeinde so schonungslos beschrieben worden. Nicht weiter erstaunlich, dass die Berner Burger dem Buch die finanzielle Unterstützung versagten.

Der alarmrote Wälzer über die 200-jährige Burgergeschichte seit 1798 beschreibt den scheinbaren Frieden zwischen Stadt- und Burgergemeinde Bern als Stillhalteabkommen und das Burgerimage der Wohltätigkeit als Beschönigung, die von der historischen Tatsache ablenken soll, dass die Burgergemeinde ihre Privilegien und ihren Besitz auf Kosten der Stadtgemeinde bewahren konnte. Die Burgergemeinde skizziert Rieder als Bollwerk, in dem bis heute ein reaktionäres Patrizierbewusstsein überlebe.

Ihr Buch gipfelt in der Enthüllung, dass burgerliche Exponenten in den 1930er-Jahren aktive Rollen bei den nazifreundlichen Schweizer Frontisten spielten. Der Architekt Georges Thormann war bis 1937 "Gauleiter Kanton Bern" bei der "Nationalen Front". Nach dem Krieg trat er eine burgerliche Karriere an und wurde 1968 ohne Gegenstimme und Frage zu seinem Vorleben als Burgerratspräsident gewählt. Laut Rieders Buch gab es ein ganzes Netzwerk frontistisch aktiver Bernburger. Sie rückt aber nicht die ganze Institution Burgergemeinde in die Nähe der Nazifreunde.

Bevor die Burgergemeinde Rieders Buch lesen konnte, hat sie schon beschlossen, ihre Vergangenheit zu durchleuchten. Burgerratspräsident Franz von Graffenried erklärt auf Anfrage, ein Historiker sei eigens freigestellt worden, um einen "Quellenforschungsbericht" über die Burgergemeinde in den 1930er-Jahren zu erstellen.svbSeite 28

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BZ 14.8.08

Bequeme Symbiose

Stefan von Bergen

Auf 700 Seiten stellt das angriffige Buch der Berner Historikerin Katrin Rieder über die Burgergemeinde Bern die eine Frage: Was hat diese anachronistische Parallelwelt, die sich auf Kosten der Öffentlichkeit einst Privilegien und Besitz bewahrte, in einem modernen Gemeinwesen verloren? Braucht es die Burgergemeinde Bern überhaupt?

Niemand fordert heute im Ernst die Abschaffung der Burgergemeinde. Denn es ist für die Stadt Bern bequem, sich auf die grosszügige Unterstützung der Burger bei der Sozialhilfe oder bei spektakulären Kulturprojekten zu verlassen. Und die Stadt kann darauf zählen, dass die Burgergemeinde grosszügig sein muss, wenn sie ihre Existenzberechtigung behalten will.

Die Burgergemeinde mag auf historischem Unrecht basieren, wie Rieders Buch nahelegt. Für Berns Zukunft aber ist sie ein Plus. Denn sie ist eine Institution, die nicht der kurzfristigen Konjunktur der Politik und Wahlperioden unterworfen ist, sondern langfristig plant und nachhaltig Kapital äufnet.

Dennoch tut Katrin Rieders Schuss vor den Bug gut. Ihr Buch erschüttert die träge Berner Selbstverständlichkeit und erinnert die Stadt daran, sich auf ihre Kräfte zu besinnen.

stefan.vonbergen@

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BZ 14.8.08

Brisante Buchpublikation

Berner Burger im Gegenwind

Die Historikerin Katrin Rieder erschüttert mit einem 700-Seiten-Wälzer das schöne Bild von der freigebigen Burgergemeinde Bern. Sie verschweige die Wurzeln ihrer Finanzmacht - und überdies auch Nazifreunde in ihren Reihen.

Vorbei die Zeiten, als der Burgergemeinde Bern der dubiose Ruf nachhing, eine verschwiegene Geheimgesellschaft zu sein. Nicht zuletzt die Burger selber haben mit einer Charmeoffensive dazu beigetragen, dass Bern die Burgergemeinde gern hinnimmt. Sie tut ja Gutes. Sie hat den Bärenpark mit einem Startbeitrag angeschoben, sie hilft, den Botanischen Garten zu retten. Was wäre Bern ohne Burgergemeinde.

Korrigiertes Burgerimage

Das schöne Bild der Wohltäterin wird nun arg angekratzt. Von der Berner Historikerin Katrin Rieder, 39, die gestern an der Vernissage im Berner Progr - an der auch Burgerratspräsident Franz von Graffenried zugegen war - ihr brisantes Buch "Netzwerke des Konservatismus" vorstellte.

Der alarmrote Wälzer - es ist Rieders Dissertation - beschreibt den Frieden zwischen der Stadt- und Burgergemeinde Bern als Stillhalteabkommen, das Image der Wohltäterin demontiert er als Beschönigung. Die Burgergemeinde wird als "Bollwerk" analysiert, in dem bis heute ein reaktionäres Machtbewusstsein von Patriziern überlebe - und ein auf Kosten der Öffentlichkeit erworbener Reichtum verwaltet werde. Das Werk gipfelt in der Enthüllung, dass Burger, die später hohe Burgerämter innehatten, in den 1930er-Jahren führende Rollen bei den nazifreundlichen Schweizer Frontisten spielten (siehe unten). Starker Tobak.

Rieders Buch ist die erste umfassende Untersuchung über Berns Burgergemeinde im 19. und 20. Jahrhundert. "Weil die Burger die Wurzeln ihrer Macht und ihres Reichtums ausblenden und ihre Geschichte nicht selber untersuchen, tue ich das jetzt halt als Aussenstehende. Ich wollte verstehen, wie das funktionieren kann", sagt Katrin Rieder im Gespräch. Sie verstösst mit ihrem Buch gegen den eher nostalgischen, burgerfreundlichen Konsens in der Berner Geschichtsschreibung. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass die Burger Rieders Buch die finanzielle Unterstützung versagten - und dass Rieder keinen Job in den burgerlich geprägten historischen Berner Institutionen innehat. Sie arbeitet bei der Kulturstiftung Pro Helvetia in Zürich.

Insel aus versunkener Zeit

Glühende Alt-Patrizier könnten Rieders Buch als antiburgerliches Pamphlet abtun. Es leistet mehr. Zweifellos: Rieder stellt die Existenzfrage: Braucht es die Burgergemeinde überhaupt? Die Autorin antwortet zwar zwischen den Zeilen mit Nein, sie durchleuchtet aber den Gegenstand ihrer Kritik gleichzeitig seriös und minuziös. Sie erklärt den Bernern, was die Institution Burgergemeinde, eine der grössten Schweizer Waldbesitzerinnen und Berner Baulandbesitzerinnen, überhaupt ist. Sie fragt, wie sie ihr Image be- und ihre Gewinne erwirtschaftet.

Nach dem Untergang Alt-Berns 1798 existieren im Kanton Bern nebeneinander die neu formierten Einwohnergemeinden und die Heimat- oder Burgergemeinden, in denen alte Besitzstände bewahrt werden. In der Burgergemeinde der Stadt Bern sammelten sich die gestürzten patrizischen Machthaber des alten Stadtstaates und machten sie in Rieders Analyse zu einem Refugium, in dem sie sich ihre verbleibende Macht, ihr Standesbewusstsein und ihren Besitz zu erhalten versuchten. Wie auf einer Insel aus alten Zeiten. Und das mitten in Bern, seit 1848 Hauptstadt eines fortschrittlich demokratischen Staates.

Ungerechter Landdeal?

Im Güterausscheidungsvertrag zwischen Einwohner- und Burgergemeinde Bern erhält die Stadt 1854 die Gebäude, die Kosten verursachen. Die Burgergemeinde aber behält unüberbautes Land, das 40 Jahre später, beim Wachstum der Stadt, zu lukrativem Bauland wird, das bis heute Baurechtszinsen abwirft. Der historische Deal, der schon damals von liberalen Politikern als ungerecht kritisiert wurde, ist der Grundstein des heutigen Burgerreichtums. In der Volksabstimmung kam er auch deshalb durch, weil damals nur Männer ab einem bestimmten Einkommen stimmberechtigt waren. Und weil auch in der Einwohnergemeinde Bern Burger wichtige Posten besetzten. Das ist für Rieder ein bis heute wirksames Muster: Die Burger üben mit ihrer Finanzkraft in der Stadt indirekt Macht aus.

Rieders Fazit: "Die Burger sicherten ihre alte Macht und ihr Überleben mit moderner ökonomischer Gewinnpolitik." Diese burgerliche Wendigkeit belegt Rieder auch später: In der Debatte um das Berner Villettequartier in den 1980er-Jahren etwa habe die Burgergemeinde, der in der Altstadt jeder Stein heilig sei, ihr Ideal verraten, indem sie denkmalgeschützte Villen dem Abriss preisgab, um auf dem Boden eine Rendite zu erwirtschaften.

Grosszügigkeit als Taktik

Anders als heute war die Existenz der Burgergemeinde im 19.Jahrhundert umstritten. In der Abstimmung über die Kantonsverfassung von 1885 entging die Burgergemeinde nur knapp ihrem Ende. In der Folge strukturierte sie sich neu, öffnete sich für Neumitglieder und verpflichtete sich auf eine soziale, gemeinnützige Linie. "Bestandessicherung durch Grosszügigkeit", kommentiert Rieder das Image, mit dem die Burger bis heute die Wogen glätten.

Diese Grosszügigkeit ist doch gut für die Stadt. "Sie ist aber auch ein kalkuliertes Konzept zur Verschleierung eines Machtanspruchs", findet Rieder. Überschätzt sie diese Macht? "Die Burgergemeinde bleibt in Bern ein Machtfaktor, das zeigt ihre ungebrochene Anziehungskraft. Sie verspricht sozialen Status. Neben Bundesbern ist das Burgerbern das andere Berner Netzwerk für den sozialen Aufstieg."

Stefan von BergenKatrin Rieder: Netzwerke des Konservatismus - Berner Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20.Jahrhundert, Chronos-Verlag, 736 Seiten, Fr. 78.-.

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BZ 14.8.08

Burgerliche Nazifreunde

Katrin Rieder enthüllt burgerliche Frontistenkarrieren. Ohne gleich die ganze Burgergemeinde unter Naziverdacht zu stellen.

Um ihre Existenz in einem bürgerlich-demokratischen Bern besser zu legitimieren, machte die Burgergemeinde Bern Ende 19.Jahrhundert Konzessionen: Sie öffnete sich und engagierte sich sozialpolitisch. Das hinderte eine Reihe von Burgern nicht, unter dem Eindruck des aufkommenden Faschismus aristokratischen Eliteträumen nachzuhängen. Nach Katrin Rieders brisanten Archivrecherchen gab es gar ein ganzes Netzwerk verwandter und verschwägerter Burger aus Patrizierfamilien, die sich in den 1930er-Jahren bei den nazifreundlichen Schweizer Frontisten engagierten.

Gauleiter Thormann

Eine der auffälligsten Figuren dieses Netzwerks ist der Architekt Georges Thormann-Girard (1912-1999). Als junger Mann gehört er der Nationalen Front an, verfasst für sie rechtsnationale Aufrufe und fällt laut den Akten auch der Berner Polizei auf. Kein Wunder: Bis 1937 - länger als andere, die viel früher aussteigen - wirkt er in der Nationalen Front als "Gauleiter Kanton Bern".

Für seine Frontistenkarriere ist Thormann selber verantwortlich. Dass er aber nach dem Krieg eine steile, ungehinderte Burgerkarriere machte, das stellt auch der Burgergemeinde als Institution kein gutes Zeugnis aus. 1968 wird Thormann mit über 500 Stimmen und ohne Gegenstimme zum Burgerratspräsidenten gewählt. Niemand fragt nach seinem politischen Vorleben.

Differenzierter Vorwurf

Rieder entgeht der Gefahr, ihr Buch mit dem verkaufsfördernden Nazivorwurf zu promoten: Sie wirft nicht der ganzen Burgergemeinde rechtsextreme Tendenzen vor. Für sie passt Thormanns Karriere aber "zu einem Konservatismus mit reaktionären Komponenten, wie er von vielen Burgern patrizischer Herkunft gepflegt wurde".svb

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BZ 14.8.08

Frontisten-Vorwurf

Burgergemeinde wird aktiv

Mit einem "Quellenforschungsbericht" will die Burgergemeinde ihre Nähe zu den Frontisten in den 30er-Jahren untersuchen.

Bevor die Burgergemeinde Bern in Katrin Rieders brisantes Buch blicken konnte, reagiert sie darauf und arbeitet ihre Vergangenheit auf. "Wir haben einen Quellenforschungsbericht in Auftrag gegeben", sagt Burgerratspräsident Franz von Graffenried auf Anfrage. Weil sich kein externer Forscher für die Aufgabe finden liess, sei nun ein Historiker der Burgerbibliothek für die Aufgabe freigestellt. Er soll Quellen und Fakten der Burgergemeinde - nicht aber einzelner Burgerfamilien - zusammentragen, die zur brisanten Enthüllung in Rieders Buch Auskunft geben, dass Exponenten der Burger, die später zum Teil hohe Burgerämter innehatten, in den 1930er-Jahren bei den nazifreundlichen Schweizer Frontisten mitwirkten.

Er sei "erstaunt und überrascht", dass Burger - auch aus seiner direkten Verwandtschaft - aktive Frontisten waren, sagt von Graffenried. Man habe in der Burgergemeinde davon nicht gewusst - oder nicht wissen wollen. Die Quellenstudie soll klären, ob sich auch die Burgergemeinde als Ganzes - etwa als sie eine Frontisten-Feier des Hitler-Geburtstags im Berner Casino tolerierte - rechtsradikal verstrickt war. Allzu hohe Erwartungen dämpft von Graffenried: Das knappe und zerstreute Quellenmaterial lasse vielleicht wenig Schlüsse zu. "In burgerlichen Dokumenten der Zeit, die ich kenne, kommt der Weltkrieg nicht vor." Würde sich die Burgergemeinde für erhärtete Fehler entschuldigen? "Nein, ich kann mich nur für etwas entschuldigen, was ich persönlich zu verantworten habe."svbBZ vom Samstag: Interview mit Burgerratspräsident Franz von Graffenried, Hintergrundseiten "Zeitpunkt".

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pdabern.ch 15.7.08

Pressecommuniqué der PdA Bern

Burgergemeinde mit Einwohnergemeinde vereinigen!

Die PdA Bern hat die ewige Diskussion über den Sozialhilfemissbrauch satt. Wir verurteilen es, wenn gewisse Parteien auf Kosten der Schwächsten auf Stimmenfang gehen. Es ist genug Geld für eine humane Sozialfürsorge vorhanden.

In der Stadt Bern müssen wird dazu nicht einmal die grossen Firmen heranziehen. Es reicht, wenn die Burgergemeinde mit der Einwohnergemeinde vereinigt wird.

Die Burgergemeinde weist ein Vermögen von 800 Mio. Franken aus; wenn ihr Grundbesitz richtig bewertet wird, sind es weit über eine Milliarde Franken. Diesem Vermögen steht eine einzige gesetzliche Verpflichtung gegenüber: Die Burgergemeinde muss für die Fürsorgeleistungen ihrer Mitglieder aufkommen. Bei den Bernburgern haben im Jahr 2006 84 Menschen Fürsorgeleistungen bezogen, dies ist ein halbes Prozent der Bernburger. Bei der städtischen Bevölkerung sind 5 Prozent auf Fürsorgeleistungen angewiesen.

Die Burgergemeinde Bern ist ein Überbleibsel aus der Zeit vor der französischen Revolution. Das Vermögen der Burgergemeinde ist kein Privateigentum, es ist das Vermögen der Stadt Bern vor dem Einmarsch der Franzosen. Die politische Macht ist auf alle Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Bern übergegangen, genau gleich muss endlich auch das Vermögen an die Einwohnergemeinde gehen.

Alle Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Bern sollen demokratisch entscheiden, wie das Vermögen der Burgergemeinde und seine Erträge nach der Vereinigung zu verwenden sind. Es spottet jeder Demokratie, wenn nur die Nachkommen der Gnädigen Herren von Bern entscheiden können, welche Museen und welche Kulturveranstaltungen mit den Erträgen aus dem Vermögen gefördert werden sollen. Es spottet auch jeder sozialen Gerechtigkeit, wenn die Burgergemeinde wie bei der kommenden Überbauung Baumgarten Ost jede Wohnung um 50'000 Franken verbilligt. Leute mit kleinem Einkommen, die sich eine solche Wohnung trotz Verbilligung nicht leisten können, wären dringender auf Mietzinsreduktionen angewiesen.

Daher rufen wir alle fortschrittlichen Kräfte dazu auf, die bürgerliche Revolution endlich zu vollenden und die Berner Kantonsverfassung so zu ändern, dass Burgergemeinden aufzulösen und mit den jeweiligen Einwohnergemeinden zu vereinigen sind.

Rückfragen an: vorstand@pdabern.ch

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Bund 21.7.07

Wo die Welt noch in Ordnung ist

Historisches Relikt und unsichtbare Macht - vom Ancien Régime bis heute: In der Berner Burgergemeinde haben sich patrizische Familien unter immer neuen gesellschaftlichen Bedingungen als wirtschaftliche Stadtelite und Hort konservativen Denkens behauptet.

Einflussreiche Clans gibt es auch anderswo. In Basel spielt der "Daig" eine bestimmende Rolle. In Zürich sammelt sich die Oberschicht in der Zunft zur Meisen und der Gesellschaft zur Constaffel. Was die Berner Burgergemeinde zum weltweiten Unikum macht, ist die Kombination von drei Faktoren: ihre gesetzlich verankerte öffentlich-rechtliche Position, ihr aus der Zeit vor der Französischen Revolution herübergeretteter Liegenschaftsreichtum und das über die Jahrhunderte gewachsene gesellschaftliche und wirtschaftliche Netzwerk, das den führenden Patrizierfamilien in der Entwicklung der Stadt Bern heute noch massgeblichen Einfluss garantiert.

Die Burgerherrschaft hatte sich seit der Stadtgründung im 12. Jahrhundert entwickelt. Im so genannten Ancien Régime des 18. Jahrhunderts, vor der Französischen Revolution, wurde Bern von einer immer kleineren Zahl von Familien geführt. Zuoberst wenige "regierende" Patrizierfamilien, darunter "regimentsfähige" Patrizier und ins Burgerrecht aufgenommene Altburger. Fast drei Viertel der Stadtbevölkerung waren als Nichtburger von Macht und einträglichen Ämtern ausgeschlossen.

Patrizier nur kurzfristig entmachtet

In der Folge der Umwälzungen nach der Französischen Revolution wurden diese Patrizierprivilegien in der Schweiz 1889 formell aufgehoben. Später hoben die meisten Kantone die alten Burgergemeinden auf und übertrugen ihre Kompetenzen und Güter auf neue Einwohnergemeinden. Nicht so der Kanton Bern: Hier gelang es den Patriziern durch ihren Einfluss in den Kantonsbehörden, die alten Burgergemeinden nach einem kurzen Unterbruch in einem dualistischen System neben den Einwohnergemeinden weiterleben zu lassen. Die weitaus bedeutendste ist die Burgergemeinde Bern. Sie zählt heute 17 500 Angehörige. Sie besitzt einen Drittel des städtischen Bodens und grosse Ländereien und Wälder im Kanton und in der ehemaligen bernischen Gebieten. Sie ist eine der grössten Liegenschaftsbesitzerinnen der Schweiz. Der so genannte Ausscheidungsvertrag von 1854 schuf die Basis der bis heute geltenden Vermögens- und Aufgabenteilung zwischen der Burger- und der 1832 gegründeten Einwohnergemeinde: Die Burgergemeinde trat der Einwohnergemeinde einen guten Drittel ihrer Besitztümer ab.

Umstrittene Güterteilung

Aus Sicht der Burgergemeinde wurden damit "die Forderungen des neuen Gemeindegesetzes in allen Teilen erfüllt" (1). Aus Sicht des Kantons hat die Burgergemeinde die Einwohnergemeinde im Hinblick auf ihre umfangreichen Aufgaben aber nur knappstens ausgestattet. Zugespitzt formuliert, erhielt die Einwohnergemeinde vor allem Strassen, Plätze und Schulhäuser. Güter also, die Kosten verursachen. Die Burgergemeinde behielt Schlösser, Stadtliegenschaften, landwirtschaftliche Domänen und Waldungen, die Erträge abwarfen und über die Jahrzehnte hohen Wert erreichten. Die Burgergemeinde schätzt ihr Liegenschaftsvermögen heute auf rund eine Milliarde Franken. Zusätzlich zum Gemeingut der alten Burgergemeinde blieben den Burgern beträchtliche Vermögen der Zünfte und Gesellschaften.

Trägerin wichtiger Institutionen

Dass die Einwohnergemeinde den von der Burgergemeinde vorgeschlagenen Verteilschlüssel akzeptierte, hat wesentlich damit zu tun, dass die herrschenden Familien der alten Burgerschaft in den Jahren vor 1854 auch in den Organen der neuen Einwohnergemeinde wieder eine führende Rolle spielten, und damit, dass sich die Burgergemeinde bereit erklärte, nach der Gründung des Bundesstaates im Jahr 1848 sich an den Kosten der neuen Bundesstadt Bern zu beteiligen.

Der alte Burgernutzen, mit dem Angehörige der Burgerschaft früher durch Holz- und Weinlieferungen oder auch durch Geldleistungen an den Vermögenserträgen beteiligt wurden, ist abgeschafft. Aber das reichlich verbliebene Vermögenspolster erlaubt es der Burgergemeinde bis heute, für ihre Angehörigen überdurchschnittliche Sozialleistungen zu bieten und sich als Allein- oder Mitträgerin von wichtigen Institutionen zum Wohl der Allgemeinheit zu profilieren. Burgerinnen und Burger profitieren von guter Fürsorge- und Vormundschaftsbetreuung, Kinder von Burgern erhalten Stipendien, im Burgerspital am Bahnhof betreibt die Burgerschaft ein modernes Alters- und Pflegeheim, im Viererfeld das Burgerheim. Die Burgergemeinde finanziert allein das für das Kulturleben der Stadt wichtige Kultur-Casino und das Naturhistorische Museum, zusammen mit der Stadt und dem Kanton das Historische Museum.

Zum Schutz der Altstadt hat die Burgergemeinde von Spekulation bedrohte Liegenschaften aufgekauft und denkmalpflegerisch fachgerecht renovieren lassen. Bei der Vermietung ihrer Liegenschaften verzichtet sie auf extreme Marktmieten. Darüber hinaus kann es sich die Burgergemeinde leisten, Kultur- und Bildungsinstitutionen ihrer Wahl mit freiwilligen Beiträgen zu unterstützen. Beiträge der Burgergemeinde ermöglichen jedes Jahr die Produktion von Publikationen, die den kulturellen Werten der Burger entsprechen.

Leistungen zugunsten der Stadt

Die sehr eindrücklichen Leistungen zugunsten der Allgemeinheit haben dem historischen Relikt der Burgergemeinde in den letzten 150 Jahren in der Berner Öffentlichkeit die für das politische Überleben nötigen Sympathien gesichert. Dabei wird gern vergessen, dass die finanziellen Mittel der Burgergemeinde grösstenteils aus Gemeingut des alten Staates Bern bestehen. Einmal, 1883, schien die Existenz der Burgergemeinde auf der Kippe zu stehen: 1883 präsentierte der mit der Vorbereitung einer neuen Kantonsverfassung beauftragte Verfassungsrat einen Entwurf, der vorsah, die Burgergemeinden abzuschaffen. Begründung: Diese Institution sei eine Art Staat im Staat, ein "Anachronismus" und ein demokratisches Ärgernis. Die Berner Burgergemeinden organisierten einen Abwehrkampf. Und sie gewannen: Das kantonale Stimmvolk verwarf die neue Verfassung mit hoher Mehrheit. Die Burger betrachteten und betrachten den grössten Teil der Gemeindegüter als ihren Besitz. Für den Fall einer Niederlage in der Verfassungsabstimmung hatten sie bereits gerichtliche Schritte zur Abwehr einer Güterübertragung an die Einwohnergemeinde vorbereitet.

Weiterhin elitäre Organisation

Heute ist die Burgergemeinde eine gemäss Gemeindegesetz intern demokratisch geführte und vom Staat kontrollierte öffentlich-rechtliche Institution. Auch die mit der Burgergemeinde verbundenen 13 Zünfte und Gesellschaften - rund die Hälfte der Berner Burger sind Mitglieder einer Zunft - haben öffentlich-rechtlichen Status. In der Praxis leben in Burgergemeinde und Zünften aber in weiten Teilen im Ancien Régime vor der Französischen Revolution geltende elitäre Regeln und Organisationsformen weiter.

Burgerratspräsidenten wurden mit einer Ausnahme männliche Patrizier. Die Präsidentenliste seit 1852 (2) spiegelt einen quasi gottgegebenen Führungsanspruch der Berner Patriziergeschlechter: v. Tavel, v. Tscharner, v. Sinner, v. Muralt, v. Fischer (3x), Marcuard, v. Graffenried (2x), Weyermann, Thormann, Wildbolz. Bis in die 1930er-Jahre waren nur Männer wählbar, die mit einer Berner Burgerin verheiratet waren.
Die praktizierten Bedingungen für Neuaufnahmen zeigen den Willen, die Burgergemeinde als an traditionellen, konservativen Werten orientiertes, von Berner Interessen geprägtes exklusives Netzwerk zu bewahren. Ein Rechtsanspruch auf das Burgerrecht wird in keinem Fall akzeptiert. Dabei verweist man auf die seit 1917 bestehende Möglichkeit, bei der Einwohnergemeinde die Stadtbürgerschaft zu erwerben.

Wie für das kommune Bürgerrecht der Stadt verlangt die Burgergemeinde einen Leumundausweis über polizeiliches und strafrechtliches Verhalten, die Zahlungsmoral und die Fähigkeit, die Lebenskosten decken zu können. Über objektive Bedingungen hinaus bestehen für das Burgerrecht in der Praxis aber auch Voraussetzungen, die nicht transparent sind: "Petenten" müssen in persönlichen Befragungen in grösstem Detail über ihren privaten Lebenswandel, ihre Familienverhältnisse, Vereinsmitgliedschaften und über ihre finanziellen Verhältnisse Auskunft geben.

Finanzielle Oberschicht

Mit dem Vermögens- und Einkommensnachweis und einer substanziellen Einkaufssumme hat die Burgergemeinde seit je dafür gesorgt, dass ihre Angehörigen finanziell und bezüglich Berufswahl eine Elite der Stadtbevölkerung bleiben. Eine Studie der Berner Historikerin Karoline Arn zeigt (3), dass ein weit überproportionaler Teil der Burger als Rechtsanwälte, Bankiers, Vermögensverwalter, Ärzte oder Architekten arbeitet. Der früher häufige Beruf des Pfarrers hat in der Burgergemeinde seine Bedeutung verloren. Arbeiter gibt es in der Burgergemeinde praktisch keine. Die Studie zeigt, dass der durchschnittliche Vermögensertrag bei Burgern patrizischer Abstammung um ein Mehrfaches höher liegt als bei Nichtburgern. Die durchschnittliche Einkaufssumme soll heute bei rund 20 000 bis 30 000 Franken pro Familie liegen. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden 6000 Franken verlangt. Nach dem damaligen Geldwert war das sogar für angehende Bundesräte ein ernstes Beitrittshindernis.

Jahrzehntelang war reformierte Konfession eine Aufnahmebedingung. Dann öffnete man sich für Katholiken. 1997 wurde - erklärtermassen als Symbol für eine neue Offenheit - erstmals ein Jude aufgenommen. Bis vor ganz kurzem verlangte die Burgergemeinde auch ein ärztliches Zeugnis, das körperliche und geistige Gesundheit und Freiheit von Erbkrankheiten attestieren musste. Kritiker erklären, damit habe die Burgerschaft im Fürsorgebereich schlechte Risiken den Einwohnergemeinden überlassen.

Wichtiges Aufnahmekriterium ist und bleibt der Nachweis der "Verbundenheit mit Bern". Objektiv eine längere Wohndauer, Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben. Aber praktisch auch Verbundenheit zur aus dem Ancien Régime übernommenen Berner Tradition einer durch Autorität begrenzten Demokratie. Konkret: Akzeptanz der etablierten Vorherrschaft der Patrizierfamilien.

Die Burgergemeinde ist aufgrund ihrer Aufnahmebedingungen eine offene Gemeinschaft. Im klaren Gegensatz zu Freimaurerlogen oder dem katholischen Opus Dei. Aber die Burgergemeinde hat sich mit ihrem Aufnahmeverfahren ihren Schwerpunkt in der wirtschaftlichen Oberschicht und eine sehr konservative Geisteshaltung bewahrt.

Ehrenamtlich, aber rentabel

Ämter der Burgergemeinde werden weitgehend ehrenamtlich, ohne kostendeckende Entschädigung erfüllt. Und die Burgergemeinde betont glaubhaft, bei der Verwendung ihres Vermögens sei Profit nicht das zentrale Ziel. Aber die anhaltend grosse Nachfrage nach dem Berner Burgerrecht lässt erkennen, dass Angehörige der Burgergemeinde sich ausser Ehre auch wesentliche wirtschaftliche Vorteile versprechen.

Die Arbeit von Karoline Arn zeigt, wie Burger in ausgewählten Sektoren der regionalen Wirtschaft über Jahrzehnte Führungspositionen besetzen: zum Beispiel bei den Bernischen Kraftwerken (BKW), bei führenden Notariats-, Anwalts- und Vermögensverwaltungs- und Architekturbüros. Bei Versicherungen und Banken, zum Beispiel bei der Berner Versicherung und Mobiliar, bei Unternehmungen der Nahrungs- und Medizinalindustrie, zum Beispiel bei Galenica, im Elektroniksektor, zum Beispiel bei Gfeller und Hasler.

Im Medienbereich hielt die von den Bernburgern Charles von Graffenried und Erwin Reinhard kontrollierte und kürzlich an die Zürcher Tamedia AG verkaufte Espace Media Groupe in der Region eine marktbeherrschende Position. Die in der Stadtentwicklung einflussreiche Berner Denkmalpflege war mit Bernhard Furrer jahrelang und ist seit Anfang Jahr mit Jean-Daniel Gross wieder in den Händen von Burgern. So konnten und können Burger in einem regionalen Wirtschaftsnetz für Stellen oder Aufträge für sich oder Nachkommen immer wieder mit "familiärer" Aufnahme rechnen. Konflikte um die Neuüberbauung von Grundstücken der Burgergemeinde (Beispiel: Villette-Quartier) und der Verkauf der Espace Media haben gezeigt, dass das bernische Interesse auch bei Burgern oft dort seine Grenze findet, wo viel Geld auf dem Spiel steht.

Die neueste Forschungsarbeit der Historikerin Katrin Rieder (4) zeigt, dass die Burgergemeinde in ihrer geistigen Homogenität eine Tendenz zur autoritären Tabuisierung und Kritikabwehr entwickelt hat. Man pflegte ein Bild, wo die Welt noch in Ordnung ist. Prominente Bernburger hatten sich schon früher in rechtskonservativen Kreisen profiliert: In der Auseinandersetzung mit den Liberalen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden "Radikale" (Freisinnige) zusammen mit Kommunisten, Schriftstellern und missliebigen Journalisten als Abschaum beschimpft.

Düstere Nazizeit-Geschichte

Brisant wurde die rechtsradikale Tendenz zahlreicher Patrizier aber erst in der Nazizeit. In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg engagierten sich prominente Bernburger in führenden Positionen ultrapatriotischer, direkt nazifreundlicher und frontistischer Organisationen.

Mit dieser düsteren Phase ihrer Geschichte hat sich die Burgergemeinde nie auseinander gesetzt. Jahrzehnte später haben die Burger - aus Ignoranz oder in falsch verstandener Solidarität - einen Patrizier in eine zentrale Position gewählt, der vor dem Krieg eine Position innehatte, die ein öffentliches Amt eigentlich für immer hätte ausschliessen müssen.
Für Forscher ist das Thema Burgergemeinde eine Risikozone. Die von der Burgergemeinde publizierte Selbstdarstellung "Burgergemeinde Bern, Gegenwart und Geschichte" (1) gewährt zwar bis ins 19. Jahrhundert klaren Einblick in die Herrschaftsstruktur und den "Habitus" der Burger. Aber für das 20. Jahrhundert werden nicht so erfreuliche Entwicklungen und Ereignisse vollständig ausgeblendet.

Kritische Forschung unerwünscht

Vier Beispiele aus dem Umgang mit kritischen Stimmen der historischen Wissenschaft zum Thema Burgergemeinde:

· Zwei an der Universität Bern erarbeitete historische Lizenziatsarbeiten von Karoline Arn und Katrin Rieder (5) brachten Ende der 1990er-Jahre neue Fakten über die neue Geschichte der Burgergemeinde ans Licht. Mit der Folge, dass - laut Aussage des heutigen Burgerratspräsidenten Franz von Graffenried - der damalige Sekretär der Burgergemeinde drohte, ein Weiterzug der Forschungsarbeit mit Publikation hätte Klagen zur Folge.

· Im Hinblick auf eine vom Bundesarchiv, dem Stadt- und Staatsarchiv für 2001 geplante Ausstellung im Käfigturm über Bundesrat Markus Feldmanns Tagebücher hatte das Bundesarchiv Katrin Rieder den Auftrag erteilt, für ein Dossier einen Artikel zu schreiben zum Thema, wie Feldmann Bernburger wurde (6). Feldmann war im ersten Anlauf 1940 überraschend nicht zum Bundesrat gewählt worden. An seiner Stelle wählte das Parlament den deutschfreundlichen BGB-Parteikollegen und Bernburger Eduard von Steiger. Im Hinblick auf seine Wahl im zweiten Anlauf offerierte die Burgergemeinde Feldmann 1951 das Ehrenburgerrecht. Dem Vernehmen nach hatte der Berner Staatsarchivar - selbst ein Bernburger - versucht, den Auftrag an die Historikerin zu verhindern. Als ihm dies nicht gelang, machte das Berner Staatsarchiv bei der Ausstellung nicht mehr mit.

· Der Berner Historiker Daniel Schläppi publizierte zwei Texte in Bänden über die Geschichte von Berner Zünften (7). Dem Vernehmen nach musste er dabei Zensuren akzeptieren. Heute will er sich zu dieser Angelegenheit nicht mehr äussern. Kenner der Szene erklären, wer in Sachen Burgergemeinde kritisch recherchiere, müsse damit rechnen, auf dem Platz Bern keine Stelle als Historiker zu finden.

· Seit 2004 liegt in den Schubladen der Universität Bern die Dissertation von Katrin Rieder zum Thema Burgergemeinde im 19. und 20. Jahrhundert. Aufgrund dieser Arbeit hat die Wissenschaftlerin von der Universität Bern den Doktortitel erhalten. Aber die Arbeit ist im Bibliothekskatalog immer noch nicht registriert und damit nicht öffentlich einsehbar. Im Januar 2008 plant der Chronos-Verlag die Publikation einer gekürzten Version. Wer garantiert, dass dabei aus der von der Universität genehmigten Fassung nicht politisch missliebige Fakten gestrichen werden?

Bürger statt Burger

Die Berner Burgergemeinde ist für Auswärtige offenbar ein in der heutigen Zeit fast unglaublich kurioses Konstrukt. Das musste der Berner Geschichtsprofessor Albert Tanner bei der Publikation seiner Habilitatsionsschrift (8) erfahren. Als der Korrektor des Verlags die Passagen über die Burgergemeinde las, war ihm klar, das müsse ein Schreibfehler sein. Er setzte überall ü-Pünktchen drauf. Im Sinne der gängigen politischen Vernunft machte er für das gedruckte Buch aus den Berner Burgern Bürger. Aus der Burgergemeinde eine Bürgergemeinde.

Verwendete Literatur:

1) Burgergemeinde Bern (Hrsg.). Die Burgergemeinde Bern, Gegenwart und Geschichte. Stämpfli-Verlag, 1993.

(2) Burgerbuch. Verzeichnis der Burgerschaft der Stadt Bern. Stämpfli Verlag, 2005.

(3) Karoline Arn. Mehr Sein als Scheinen. Die Burgerschaft der Stadt Bern im 19. und 20. Jahrhundert. Eine städtische Elite in ständischer Exklusivität. Lizenziatsarbeit. Universität Bern, 1999.

(4) Katrin Rieder. Netzwerke des Konservativismus. Berner Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20. Jahrhundert. Dissertation, Universität Bern. Voraussichtliches Erscheinungsdatum im Verlag Chronos, Zürich: Januar 2008.

(5) Katrin Rieder. Burgergemeinde der Stadt Bern. Hüterin der bernischen Tradition. Lizenziatsarbeit Universität Bern, 1998.

(6) Markus Feldmann, Bundesarchiv Dossier 13. Bern 2001.

(7) Daniel Schläppi. Hochherzige Männer, edle Freunde, strahlende Kinder, glückliche Mütter. Die Zunftgesellschaft zu Schmieden Bern. Zwischen Tradition und Moderne, 1795-1995. Dissertation. Universität Bern, 2000.

Daniel Schläppi. Der volle Zunftbecher. Menschen, Bräuche und Geschichten aus der Zunftgesellschaft zu Metzgern Bern. Lanius. Bern,

(8) Albert Tanner. Arbeitsame Patrioten, wohlanständige Damen. Bürgertum und Bürgerlichkeit in der Schweiz 1830-1914. Orell-Füssli-Verlag, 1995.

Richard Aschinger

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Bund 21.7.07

"Wir sind kein Rotary Club"

Seit der französischen Revolution haben sich die einstigen Berner Herrscherfamilien als Förderer von Kultur und Wissenschaft einen Namen gemacht. Burgerpräsident Franz von Graffenried über die Verdienste und über dunkle Flecken in der Geschichte der Burger.

"Kleiner Bund": Herr von Graffenried, der innerste Zirkel der Macht bei den Burgern sind von alters her die Patrizier. Sind Sie ein Patrizier?

Franz von Graffenried: Ja. Die Familie wird als patrizisch bezeichnet. Um 1300 zog einer meiner Vorfahren von Graffenried, einem Weiler im Westen Berns, in die Stadt und erhielt bald das Burgerrecht. In der Zeit bis zum Fall war die Familie regelmässig im Rat vertreten. Wir stellten vier Schultheissen. So wurden wir eine regierungsfähige, patrizische Familie.

Bis zum Fall . . . Sie meinen bis zum Einmarsch Napoleons in Bern?

Ja, bis 1798.

Wie wurde man damals und wie wird man heute Burger?

Damals musste man im Stadtstaat ein Haus besitzen und dauerhaft darin wohnen. Heute ist ein Kriterium für die Aufnahme der Nachweis einer besonderen Verbundenheit mit Bern. Wir sind kein Kegelklub oder Rotary Club. Idealerweise nehmen wir junge Familien mit Wohnsitz in Stadt oder Region Bern auf.

Die finanziellen Hürden der Einburgerung sorgen dafür, dass Leute aus unteren Schichten nicht aufgenommen werden?

Für eine Familie mit zwei Kindern und durchschnittlichem Einkommen kostet die Einburgerung zwischen 20 000 und 30 000 Franken. Dies

"Wir kämpfen gegen das Image des ,Geheimzirkels'."

beinhaltet auch die Aufnahme in eine der Zünfte, die verschiedene Tarife haben. Man muss dabei berücksichtigen, was damit verbunden ist. Wenn irgendjemand aus dieser Familie bedürftig werden sollte, kommt die Zunft auf. Die Summe ist als eine Art Einkauf ins Vermögen der Zunft zu verstehen.

Können Juden, Muslime oder Schwarze Burger werden?

Vor gut zehn Jahren wurde ein erster Burger jüdischer Herkunft aufgenommen. Damit sollte die Offenheit der Gemeinde demonstriert werden.

Burger wollen unter sich bleiben?

Wir kämpfen gegen das Image des "Geheimzirkels". Religionsangehörigkeit ist kein Kriterium mehr.

Aber Einburgerungswillige müssen ihre Konfession angeben. Das zeigt, dass primär an zwei Konfessionen gedacht wurde.

Das ist möglich. Wir haben aber auch schon Konfessionslose aufgenommen.

Gibt es andersfarbige Burger?

Sicher. Wir haben 17 500 Angehörige.

Heute sorgt die Wohnsitzgemeinde für die Fürsorge. Wenn schon der Heimatort keine Bedeutung mehr hat, warum braucht es da noch die Burgergemeinde?

Im Kanton Bern gibts 250 Burgergemeinden. Für die Vormundschaft und Fürsorge ihrer Angehörigen sorgen noch sechs Gemeinden.

Nochmals: Wozu braucht es die Burgergemeinde noch?

Der Staat würde auch ohne uns weiter funktionieren. Aber die Burgergemeinde existiert einfach. Die Basis sind die Ausscheidungsverträge mit der Einwohnergemeinde von 1854. Da wurden uns bestimmte Aufgaben übertragen, zu deren Erledigung wir Vermögen erhielten. Das blieb nicht immer unbestritten. Anfang der 1990er-Jahre, bei der letzten kantonalen Verfassungsrevision, gab es Vorstösse zur Abschaffung der Burgergemeinden. Das wurde abgeschmettert. Wir hatten uns damals überlegt, was wir tun würden, wenn es so weit käme. Das Vermögen würde wahrscheinlich in eine Stiftung zur Förderung von Kultur und Wissenschaft überführt. Wenn wir nicht mehr für die Fürsorge und Vormundschaft bedürftiger Angehöriger sorgen könnten, wären wir nur mehr ein Verein wie die Zürcher Zünfte. Die Essenz der Burgergemeinde wäre verloren.

Mit ihren Ländereien hat die Burgergemeinde direkten Einfluss auf die Stadtentwicklung.

Im Entwicklungsschwerpunkt Wankdorf gehört über ein Drittel des Bodens uns. In früheren Zeiten mussten wir für den Eisenbahnbau oder Autobahnbau Land abgeben. Aus den Erlösen wurden Bauerngüter in der Region gekauft. Nach einigen Jahrzehnten wurden die einstigen Bauerngüter zu Bauland. Dieser Zyklus ist durch das neue bäuerliche Bodenrecht unterbrochen worden, wonach nur noch der Selbstbewirtschafter Agrarland kaufen kann. So haben wir in drei Generationen keine Reserven mehr.

Die Burgergemeinde betont ihre ehrenamtliche Arbeit. Aber Angehörige der Burgergemeinde haben auch Vorteile?

Das kann in Einzelfällen sein. Eine Rolle in dieser Hinsicht spielt vielleicht die bei Burgern beliebte Pfadfinderabteilung Patria. Aber der Einfluss von Studentenverbindungen ist grösser. Helveter und Zofinger öffnen sich landesweit Türen.

Vor dem Zweiten Weltkrieg haben sich prominente Burger bei rechtsradikalen Gruppen bis zur Nazi-orientierten Nationalen Front engagiert. Diese düstere Zeit hat die Burgergemeinde nie aufgearbeitet.

Mir sind Burger - darunter auch einer aus meiner Familie - bekannt, die sich in dieser Hinsicht engagiert haben. Diese Zeit haben wir in der Tat nicht aufgearbeitet.

Auch ein von Graffenried wurde in diesem Zusammenhang genannt.

Das ist, wie gesagt, ein Angehöriger meiner Familie. Wir Nachgeborenen wollten einmal die Burger-Exponenten dieser Zeit zu einem Gespräch einladen. Es waren aber nur zwei von fünfzehn eingeladenen Personen bereit, teilzunehmen. Wir wollten sie nicht anprangern, nur wissen, wie sie die Kriegszeit erlebt haben. Die betreffenden Personen schienen diese Zeit aber ausgeblendet zu haben.

Mit Ihrem Familienangehörigen haben Sie nie darüber geredet?

Ich muss gestehen: Nein. Damals hatte ich nicht den Mut, ihn zu fragen. Er war eine starke Persönlichkeit.

Ein ehemaliger Frontist kam später in eine zentrale Position der Burgergemeinde. Das ist schwer verständlich.

Seine Sympathien für rechtsradikale Strömungen waren bekannt. Von seiner Funktion bei den Frontisten wusste ich nichts.

Noch ein Wort zum Verhältnis zur Einwohnergemeinde Bern: Das ist ja nicht spannungslos, wenn man an die Transparente am Burgerspital vor der Abstimmung über den Bahnhofplatzumbau denkt.

Die Burgergemeinde äussert sich nicht zur Stadtpolitik, es sei denn, ihre

"Der Staat würde auch ohne uns weiter funktionieren."

Interessen zum Beispiel als Grundeigentümerin werden tangiert. Beim Burgerspital haben wir uns gewehrt, weil die Verkehrsführung das "Spittel" betraf. Wenn jemand am Zytglogge ein Glashaus bauen will, nehmen wir aber nicht Stellung.

Als 1992 Rot-Grün an die Macht kam: War das für die Burger ein Schock?

Wir fanden das nicht erfreulich.

Heute hat man den Eindruck, die Burger störe es nicht, wer unter ihnen Stadtpräsident sei.

Was bleibt uns anderes übrig, als uns mit der Politik zu arrangieren? Was uns ärgert ist, dass in Bern Ruhe und Ordnung zu wenig durchgesetzt werden. Da fehlt es am politischen Willen.

Im Interview
Franz von Graffenried (66) ist Rechtsanwalt. Er stammt aus einer Diplomatenfamilie. 2003 wurde er zum Burgerratspräsidenten gewählt. Vorher war er zwanzig Jahre lang in leitender Funktionen der Burgergemeinde, der Zunftgesellschaft zu Pfister und im Bankrat der burgereigenen DC-Bank tätig. Er ist Verwaltungsrat der Bern Arena AG, Geschäftsführer der Berner Spezialgeschäfte und im Vorstand des Freien Gymnasiums.

Interview: Bernhard Ott, Richard Aschinger