MEDIENSPIEGEL 14.8.08
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Wagenplatz Alternative
- Anti-SVP 6.10.08
- Asyl für Guantanamo
- Schnüffel-Multi Nestlé
- Braune Website
- Braune Bernburger
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REITSCHULE
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PROGRAMM:
Do 14.08.08
20.00 Uhr Vorplatz
DJ Forensic (Subversive Records, Bern) -
Fullspectrum Ambient + Rock'n'Roll
Fr 15.08.08
20.00 Uhr Vorplatz
Wazomba -
Ska-Reggae-Swing-Trash-Klezmer-Polka-Balkanjazz
Sa 16.08.08
21.00 Uhr Grosse Halle Balder-Fly-Preview 4: "Wild wild West"
22.00 Uhr Grosse Halle Zeno Tornado & The Boney Google
Brothers - Country/ Bluegrass
Vorplatz-Belebungs-Bar: Di-Sa ab 16 Uhr
Vorplatz-Belebungs-Infos: http://www.vorplatz.ch
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WAGENPLATZ ALTERNATIVE
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punkt.ch 14.8.08
Viererfeld: Kanton zeigt die Stadtnomaden an
Gestern hat ein Aufgebot der Polizei den Stadtnomaden auf dem
Viererfeld einen Besuch abgestattet. "Wir haben aufgrund einer Anzeige
des Grundbesitzers eine Personenkontrolle durchgeführt", sagte
Polizeisprecher Stefan von Below auf Anfrage. Der Kanton als
Grundeigentümer habe eine Anzeige wegen Widerhandlungen gegen das
Baugesetz eingereicht. "Wir können die illegale Besetzung nicht
dulden
", sagte Brigitte Graf von der Baudirektion.
Runder Tisch
Noch im Juni hatte ein Runder Tisch unter der Leitung von
Stadtpräsident Alexander Tschäppät nach einer
Lösung für die rund 70
Wagenbewohner gesucht. (czd)
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ANTI-SVP 6.10.07
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punkt.ch 14.8.08
Anti-SVP-Krawall
Happige Busse für einen Mitläufer
Von Katharina Schwab
Ein Mitläufer bei der unbewilligten Demo am 6. Oktober wurde
gestern in
Burgdorf verurteilt. Die Junge SVP trat als Privatkläger auf.
Der 6. Oktober 2007 ist noch lebhaft in Erinnerung: Auf dem Bundesplatz
kam es zu Krawallen, Sachschaden entstand. So auch bei der Jungen SVP,
die Stände aufgestellt hatte. Präsident Erich Hess und die
Vereinigung
Pro Libertate traten vor dem Gericht Burgdorf als Privatkläger an.
Hess
wollte vom Angeklagten einen Schadenersatz von 4800 Franken. Die
Parteien konnten sich darauf einigen, dass er 680 Fr. zahlt. Mit der
Masse Der Angeklagte sagte: "Ich habe mich mit der Masse mitreissen
lassen und bin so auf dem Bundesplatz gelandet. " Dort habe er eine
Zeltplane den Boden entlang gezerrt. Zu diesem Zeitpunkt war der etwa
40-Jährige vermummt - mit einer Kapuze und einem Tuch vor dem
Gesicht -
"wegen des Tränengases", wie er erklärte. Er wurde wegen
versuchter
Sachbeschädigung, Landfriedensbruch und weiterer Vergehen schuldig
gesprochen. Das Gericht verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe
von 6000 Franken. Ausserdem muss er 2080 Fr. Verfahrenskosten bezahlen.
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Bund 14.8.08
"Weiss gar nicht, was ich da eigentlich wollte"
Das Gericht Burgdorf verurteilt einen Teilnehmer der nicht bewilligten
Anti-SVP-Demo vom 6. Oktober 2007 wegen Landfriedensbruch
Welche Sachbeschädigungen er am 6. Oktober letzten Jahres auf dem
Bundesplatz begangen hat, blieb unklar. Der Angeklagte hat sich mit dem
Privatkläger Erich Hess, Präsident der Jungen SVP Schweiz,
auf einen
Vergleich geeinigt.
Eigentlich wollte er gar nicht an die Demo. Er sei am Mittag des 6.
Oktobers auf dem Kornhausplatz in einem Café gesessen, als es in
der
Berner Altstadt zu "chlepfen" und rauchen begonnen habe. Weil ihn das
Geschehen "Wunder genommen" habe, habe er sich in die Menschenmenge
beim Zytglogge gemischt. Vor dem Tränengas und den Gummigeschossen
sei
er dann "Richtung Bundeshaus geflüchtet", erzählte der
37-jährige Mann
aus Biel gestern in Burgdorf der Gerichtspräsidentin Annemarie
Hubschmid. Wie ein Rädelsführer wirkt der Angeklagte mit der
Halbglatze
und der leisen Stimme tatsächlich nicht. Seine Erklärung,
warum er -
wenn er doch zufällig an die Demo herangelaufen war - sein Gesicht
vermummt habe, kommt indes gar fadenscheinig daher: Er habe sich sein
Halstuch spontan wegen des Tränengases vor das Gesicht gebunden.
Dabei
gehabt habe er es, weil er von der Arbeit gekommen sei, wo er damit die
Tätowierung an seinem Hals abdecke. Auch die Kapuze will er nicht
als
Vermummung verstanden haben: "Die habe ich hochgezogen, weil es kalt
war."
Das JSVP-Zelt fliegen sehen
Im Gerichtssaal lacht Erich Hess ob dieser Aussage laut auf, was ihm
eine Rüge der Richterin einträgt. Der Präsident der
Jungen SVP Schweiz
(JSVP) hat den Bieler Demonstranten im Zusammenhang mit den
Geschehnissen am 6. Oktober angezeigt. Gemeinsam mit Ami Bosshard, zum
Tatzeitpunkt Pro-Libertate-Präsidentin, macht er den Schaden
geltend,
der seiner Partei und Pro Libertate durch die Schlacht auf dem
Bundesplatz entstanden sei. "Wir hatten gerade unsere Zelte
aufgestellt, als die Menschenmasse auf den Platz stürmte, Steine
und
Schrauben gegen die Musik warf und alles zerstörte", erzählt
Hess. Und
weiter: Er habe den Stand der JSVP "fliegen sehen". Der Schaden an den
Zelten und am Propagandamaterial betrage rund 6000 Franken. Die
einzelnen Sachbeschädigungen hat der JSVP-Präsident aber
"nicht
mitgekriegt", den Angeklagten hat er auf dem Bundesplatz nicht selber
beobachtet.
Ein Zeuge hatte aber gesehen, wie dieser ein umgekipptes Zelt in
Richtung eines Feuers auf dem Platz zerrte, und eine Plane in die
Flammen legen wollte. Der Angeklagte räumt ein, er habe an einer
Zeltplane gezerrt, allerdings ohne grossen Effekt, da diese befestigt
gewesen sei. "Ich weiss nicht, was ich damit wollte." Feuer habe es auf
dem Platz aber keines gegeben, nur "ein paar angekohlte Zeitungen". Er
habe sich sowieso "nicht gross beteiligt" am Geschehen. Als er auf den
Bundesplatz gekommen sei, seien die Zelte und Tische bereits
umgestürzt
und die meisten Demo-Teilnehmer weg gewesen.
Vorbestrafter Angeklagter
Welchen Sachschaden der einzelne Demonstrant aus Biel auf dem
Bundesplatz tatsächlich verursacht hat, liess sich auch im
Gerichtssaal
nicht klären. "Wenn eine Masse von Tätern beteiligt ist, ist
meist
unklar, wer für den Schaden aufkommen muss", erklärte
Gerichtspräsidentin Hubschmid. Der Angeklagte willigte in einer
Vergleichsverhandlung aber ein, den Privatklägern eine
Wiedergutmachung
von 650 Franken zu zahlen. Im weiteren Verfahren sprach Hubschmid den
Angeklagten des Landfriedensbruchs schuldig. Der Bieler habe durch
seine Teilnahme an der unbewilligten Demo zur Gewaltbereitschaft
beigetragen und damit an den Ereignissen erheblich mitgewirkt -
unabhängig davon, welche Sachbeschädigungen er konkret
verschuldet
habe, erklärte sie. Zudem habe er gegen das Vermummungsverbot
verstossen und sich der versuchten Sachbeschädigung schuldig
gemacht.
Neben dem 6. Oktober stand im Prozess aber auch die Nacht vom 3. auf
den 4. August des letzten Jahres im Fokus: Nach dem Besuch des
Antifa-Festivals in der Berner Reitschule hatte sich der Angeklagte mit
dem Auto auf den Heimweg nach Biel gemacht. Als er in eine
Polizeikontrolle geriet, hatte er 1,7 Promille Alkohol, Kokain und
Spuren von THC im Blut. Er habe an diesem Abend "einige Biere und ein
paar Schlücke Schnaps" getrunken, das Kokain aber in der Nacht
zuvor
und den letzten Joint drei Monate vorher konsumiert, sagte der
Angeklagte. Dass er nicht fahrtüchtig sei, habe er sich -
frustriert
vom vorzeitigen Abbruch des Festes wegen eines gelegten Brandsatzes -
nicht überlegt. Für das Fahren im angetrunkenen Zustand und
unter
Drogeneinfluss, die Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz
sowie die Straftaten im Zusammenhang mit der Anti-SVP-Demo verurteilte
Hubschmid den Bieler zu einer bedingten Geldstrafe von 6000 Franken bei
einer Probezeit von drei Jahren und einer Busse von 1000 Franken. Mit
dem Urteil holt den Mann zudem eine Altlast ein: Straffällig
geworden,
muss er nun 600 Franken Strafe zahlen, zu denen er bereits im Mai
letzten Jahres verurteilt worden war - wegen zu schnellen Fahrens.
Franziska Ramser
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BZ 14.8.08
Quittung für Randale gegen die SVP
Mitgegangen, mitgehangen: Im Nachgang zur Anti-SVP-Demo in Bern
kassiert ein Vermummter 6000 Franken bedingt.
Er will eher zufällig in den Sog der Ereignisse geraten sein, die
am
letzten 6. Oktober Bern erschüttert haben. Nach dem Besuch bei
Bekannten sei er beim Zytglogge gestanden, als er es unvermittelt habe
"chlepfe und tätsche" hören. Schon hätten sich die
Altstadtgassen mit
Tränengas gefüllt, Gummischrot sei geflogen, "da bin ich hin
zum
Bundeshaus geflohen".
Der Angeklagte erzählt all dies auf Schloss Burgdorf. Hier muss
sich
der 38-Jährige vor Richterin Annemarie Hubschmid wegen der -
unbewilligten - Demo verantworten, an der links-autonome Chaoten gegen
die - bewilligte - Wahlkundgebung der rechtsbürgerlichen SVP
aufmarschierten und kurzerhand alles, was nach SVP aussah, kurz und
klein schlugen.
Kapuzenpulli im Alltag
Auf dem Bundesplatz liess es der Angeklagte indes nicht bei seiner
passiven Rolle bewenden. Ja, gesteht er ein, er habe dort an einer
Blache gezerrt, doch sei diese irgendwie befestigt gewesen. Zu viel
mehr sei er gar nicht gekommen, "in dem Moment wurde ich festgehalten
und von hinten überwältigt".
Der Angeklagte bemüht sich redlich, der Richterin klar zu machen,
dass
das Entscheidende schon vor seinem Eintreffen auf dem Bundesplatz
passiert gewesen sei. "Von den Zelten stand nichts mehr, der Grossteil
der Leute war schon zum Schänzli weitergezogen."
Um ein Eingeständnis mehr kommt er bei alledem nicht herum. Ja, er
sei
vermummt gewesen, allerdings habe er das Gesicht zum Schutz gegen das
Tränengas abgedeckt. Zudem trage er immer ein Tuch, um ein Tatoo
am
Hals abzudecken, "aus Rücksicht auf meine Kunden". Ebenso normal
sei
weiter gewesen, dass er eine Kapuze aufgehabt habe. "Ein
Kapuzenpullover gehört doch zur Alltagskleidung."
Nicht bei der Milchkanne
Da waren jene, die ihn für die Polizei festhielten, ganz anderer
Meinung. Richterin Hubschmid zitiert aus den Akten einen Zeugen, der
von den Randalen einer Gruppe von schwarz Vermummten erzählte. Wie
diese eine riesige Milchkanne samt zwei Milchfrauen im Innern umgekippt
sowie SVP-Werbematerial samt dazu gehörendem Tisch angezündet
hätten.
Wie gleichzeitig "ein vermummter Typ" eine Blache zum Feuer gezogen
habe - "da nutzte ich den Moment und zerrte ihn weg".
Es war der Angeklagte, doch dieser verwahrt sich nun dagegen, mit dem
Sturz der Milchkanne etwas zu tun zu haben. Wieso er überhaupt an
der
Blache gezerrt habe, will Richterin Hubschmid wissen. "Ich weiss nicht,
was ich eigentlich wollte" - bei der Polizei hatte er sein
lückenhaftes
Erinnerungsvermögen gar als Filmriss bezeichnet.
Symoblische Zahlung
Umso klarer wird nun vor Gericht Erich Hess, der Präsident der
Jungen
SVP. Er vertritt gemeinsam mit Ami Bossard, damals Präsidentin der
rechtsbürgerlichen Vereinigung Pro Libertate, als
Privatkläger zwei
Geschädigte. Die Stimmung sei "nicht so gemütlich" gewesen,
erklärt
Hess, er habe in all dem Chaos vorab dafür gesorgt, "die
Schwächeren",
Senioren und Familien also, wegzubringen, kurz: Die SVP-Kundgebung so
enden zu sehen, habe ihn "emotional sehr hart" getroffen.
Dennoch willigen die beiden in einen Vergleich ein. Der Angeklagte
zahlt ihnen zwar nicht die gefoderten insgesamt 7900 Franken
Schadenersatz, wenigstens aber 650 Franken. Symbolisch als
Wiedergutmachung, so Richterhin Hubschmid, ein Einzelner könne ja
nicht
für alle Schäden haftbar gemacht werden.
Frust nach Antifa-Fest
Dass sie den Angeklagten am Schluss mit einer Geldstrafe von 6000
Franken bedingt und 1000 Franken Busse straft, hat nicht nur damit zu
tun, dass er bei der verheerenden Demo aktiv dabei war und so
Landfriedensbruch begangen hat. Ins Gewicht fällt auch, dass er
zwei
Monate zuvor mit 1,71 Pormille am Steuer erwischt worden war. Nach
einem Antifa-Fest in der Reithalle, das wegen eines Brandanschlags
abgebrochen wurde - das, begründet der 38-Jährige seine
Fahrt, habe ihn
sehr frustriert.
Erwischt wurde er übrigens auf der Autobahn bei
Schönbühl im Amt
Fraubrunnen. Was erklärt, wieso das ganze Verfahren überhaupt
in
Burgdorf gelandet ist.Stephan Künzi
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ASYL FÜR GUANTANAMO
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Rundschau 13.8.08
Asylgesuch aus Guantánamo
Ein Schweizer Rechtsvertreter hat mit Unterstützung von Amnesty
International bei den Schweizer Behörden das erste Asylgesuch
für einen
Gefangenen auf Guantánamo eingereicht, den die USA zur Ausreise
freigegeben haben.
http://www.sf.tv/videoplayer/embed/372b11a3-d046-4e50-9aa8-bfefa31e88cf&live=false
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tagesanzeiger.ch 13.8.08
Guantanamo-Häftlinge stellen Asylgesuch in der Schweiz
Zwei Guantanamo-Häftlinge haben Asyl in der Schweiz beantragt,
bald
soll ein drittes Gesuch eingereicht werden. Die von den USA als
unschuldig anerkannten Gefangenen dürfen von den Schweizer
Asylbehörden
keine Sonderbehandlung erwarten.
Das erste Gesuch betrifft einen libyschen Staatsbürger. Es sei ein
Asylgesuch aus dem Ausland, das gleich behandelt werde wie alle
anderen, sagte Jonas Montani, Sprecher des Bundesamts für
Migration,
gegenüber der "Rundschau" von Schweizer Fernsehen SF. Der Libyer
sitzt
seit Ende 2001 in dem Gefangenenlager auf Kuba.
Inzwischen könnte er das Lager verlassen, falls ihn ein anderer
Staat
aufnimmt, wie Denise Graf von Amnesty International auf Anfrage sagte.
Andere Gefangene seien in Libyen entgegen Zusagen der dortigen
Behörden
verhaftet worden, sagte Graf. Eine Ausreise nach Libyen sei darum
unmöglich.
Das Asylgesuch dieses Häftlings wurde Anfang Juni von einem Anwalt
in
der Schweiz eingereicht. Aufgrund der Signale aus dem Bundesamt
für
Migration befürchtet Amnesty International nun eine Ablehnung.
Trotzdem
wurde vor kurzer Zeit ein weiteres Gesuch für einen Algerier
eingereicht, ein Drittes soll dieser Tage folgen.
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SCHNÜFFEL-MULTI
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WoZ 14.8.08
Nestlégate
Attac blitzt ab
Am 12. August hat das Bezirksgericht Lausanne entschieden: Es wird
keine Hausdurchsuchung bei Nestlé und Securitas geben, um
etwaige
weitere Dokumente in Zusammenhang mit der Spitzelaffäre bei der
globalisierungskritischen Organisation Attac zu beschlagnahmen. Das
heisst: Die Justiz gibt sich mit den von den beiden Firmen vorgelegten
Dokumenten zufrieden, obwohl sie auffällige zeitliche Lücken
aufweisen
(vgl. WOZ Nr. 32/08). Mehr noch: Sie verurteilt die Klägerin Attac
zur
Bezahlung eines Teils der Kosten. Insgesamt rund 5000 Franken muss
Attac auf den Tisch legen, davon gehen je 2250 an Nestlé und an
Securitas - für deren Anwaltskosten. Vom Prinzip her sei es
normal,
dass der Verlierer einen Teil bezahlen müsse, erklärt
Attac-Rechtsanwältin Elisabeth Chappuis. Schockierend sei jedoch
die
Höhe der Summe: "Wir haben den Eindruck, sie soll abschreckend
wirken."
Ob Attac dagegen Rekurs einlegt, kann die Organisation erst nach
Vorliegen der schriftlichen Begründung beschliessen. Der Entscheid
aus
Lausanne sagt allerdings nichts aus über die kommenden Prozesse in
Sachen "Nestlégate": Weiterhin hängig sind eine zivile und
eine
Strafklage. hb
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BRAUNE WEBSITE
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BZ 14.8.08
Freiheitspartei
Webmaster steht vor Gericht
Meinungsäusserungsfreiheit oder Verletzung der
Anti-Rassismus-Strafnorm? Mit dieser Frage wird sich Richter Fritz Aebi
in Aarwangen im Zusammenhang mit der Webseite der Freiheitspartei
auseinandersetzen müssen.
Die Freiheitspartei bewegt sich ständig auf dem hohen Seil der
Anti-Rassismus-Strafnorm. So etwa, als FP-Galionsfigur Jürg
Scherrer
vor zwei Jahren in Langenthal in ein Schokolade-Minarett biss, oder als
am diesjährigen 1.Mai in Langenthal eine Frau dem
dunkelhäutigen
Redner, SP-Nationalrat Ricardo Lumengo, eine Banane zuwarf.
Solche Aktionen sind das eine, der Niederschlag, den sie auf der
Website der Freiheitspartei finden, sind das andere.
Entschuldigung relativiert
Eben wegen dieser Internetseite musste sich im Schloss Aarwangen Willi
Frommenwiler, Thunstetten, stellen. Er ist Kantonalpräsident der
Partei
und bezeichnete sich als verantwortlicher Webmaster für die
FP-Seite.
Gestern fand beim Gerichtspräsidenten 1, Fritz Aebi, eine erste
Einvernahme statt. So hatte Frommenwiler einen Artikel von Werner
Scherrer mit einem Bild illustriert, das die Association des Africains
de Bienne zu einer Anzeige veranlasste.
Das Bild zeigte drei "Choco-Köpfli", die man früher
"Mohrenköpfe"
nannte, mit Gesichtern, von denen das mittlere die Zunge rausstreckt.
Er habe damit den "Basar" karikieren wollen, der an einer
Gerichtsverhandlung gegen Jürg Scherrer geherrscht hatte. Scherrer
hatte sich dabei für Äusserungen entschuldigt, jedoch auf der
Webseite
der Freiheitspartei diese Entschuldigung relativiert. Zu diesem Artikel
stellte Frommenwiler das kritisierte Bild. Die Kläger verlangen
Genugtuung und Wiederherstellung ihrer Ehre.
Schwarze Schwäne
Andere Klagen betrafen Äusserungen auf der Webseite gegen
Nationalrat
Ricardo Lumengo oder der geschmacklose Vergleich von schwarzen
Schwänen
auf dem Thunersee und schwarzen Menschen in der Schweiz.
Wie das Gericht die Tatbestände, die Frommenwiler nicht bestritt,
beurteilen wird, kommt erst an der Hauptverhandlung aus. Da wird das
Gericht den Ausgleich finden müssen zwischen der
Meinungsäusserungsfreiheit und der Anti-Rassismus-Strafnorm. Die
Hauptverhandlung wird vermutlich im November oder Dezember stattfinden.
Eduard Nacht
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BRAUNE BERNBURGER
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Katrin Rieder
Netzwerke des Konservatismus
Berner Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20. Jahrhundert
http://www.chronos-verlag.ch/php/book_latest-new.php?book=978-3-0340-0905-8&type=Kurztext&access=Vorschau
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Regionaljournal Bern 14.8.08
http://real.xobix.ch/ramgen/srdrs/regibern/2008/rbe7v714082008.rm?start=00:03:33.799&end=00:04:51.769
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10vor10 13.08.08
Braune Vergangenheit der Berner Burggemeinde
Ein Drittel der Stadt Bern gehört auch heute noch der Berner
Aristokratie. Nun wurde ein Buch veröffentlicht, das die
Geschichte der
Berner Burgergemeinde und des Berner Patriziats genauer unter die Lupe
nimmt. Neue Dokumente belegen: Namhafte Exponenten der Berner
Burgergemeinde engagierten sich in den 1930er Jahren bei den
Frontisten. Der jetzige Präsident zeigte sich gegenüber
"10vor10"
betroffen.
http://www.sf.tv/videoplayer/embed/5e10ab42-0dcd-4bac-8bf5-1230f8933db3&live=false
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WoZ 14.8.08
Berns Burger
Die Unsichtbaren
Als die Berner Historikerin Katrin Rieder begann, über die Berner
Burgergemeinde zu forschen, stiess sie auf grossen Widerstand. Ihr
wurden aktuelle Quellen vorenthalten, es wurde ihr subtil gedroht, und
dann wurde selbst die Publikation von Artikeln schwierig. Denn die 17
000 BernburgerInnen sind mächtig, und sie üben diese Macht am
liebsten
diskret aus.
Die Burgergemeinde hat viel Erfahrung im Herrschen: In ihr versammeln
sich die alten patrizischen Berner Familien und das städtische
Grossbürgertum. Man kennt sich, man hilft sich: "Burger gegen
Burger,
das geht nicht", heisst es. Die BurgerInnen sitzen in wichtigen
Positionen in der Verwaltung und in der Privatwirtschaft. Und ihre
Macht ist institutionell gestützt, die Burgergemeinde hat die
Funktion
einer Heimatgemeinde. Deshalb übernimmt sie auch staatliche
Aufgaben
wie die Sozialfürsorge für ihre Angehörigen.
Heute verfügt die Burgergemeinde über ein
Milliardenvermögen, sie ist
die reichste Korporation der Schweiz. Allein in der Stadt Bern besitzt
sie einen Drittel des Bodens - Kapital, das aus dem Vermögen des
alten
Stadtstaates Bern stammt. "Wenn es die Burgergemeinde nicht gäbe,
wäre
die Einwohnergemeinde der Stadt Bern viel reicher", sagt Rieder. "Sie
hätte dann zwar mehr Aufgaben, aber auch die Mittel dafür."
Dieser Tage
erscheint Katrin Rieders präziser Bericht über die heimlichen
HerrscherInnen von Bern in Buchform. rv
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Berner Burgergemeinde
Die heimliche Herrschaft
Von Rachel Vogt
Die Bernburger besitzen ein Drittel des städtischen Bodens. Und
sie
üben in aller Diskretion ihre Macht aus, wie das aufschlussreiche
Buch
der Berner Historikerin Katrin Rieder zeigt.
WOZ: Katrin Rieder, Sie forschen seit Jahren über die Berner
Burgergemeinde. Haben sich die Burger Innen darüber gefreut?
Katrin Rieder: Nicht wirklich. Sie haben es mir nicht leichtgemacht, an
die Quellen heranzukommen, nur solche aus dem 19. Jahrhundert sind frei
zugänglich. Ich musste ein Gesuch stellen, um zumindest einige
Akten
aus dem 20. Jahrhundert einsehen zu können. Zu den Dokumenten aus
den
letzten dreissig Jahren wurde mir der Zutritt vollumfänglich
verwehrt.
Damit hatte ich nicht gerechnet.
Wie haben Sie das Problem gelöst?
Ich habe mehrmals nachgefragt, doch letztlich hätte ich es
juristisch
einfordern müssen, und das habe ich nicht getan. Eigentlich
begründete
das neue kantonale Informationsgesetz von 1993 das
Öffentlichkeitsprinzip - auch die Burgergemeinde ist diesem Gesetz
unterstellt. Die Gespräche mit der Burgerbibliothek waren nicht
einfach. Man war über meine Forschungen - gelinde gesagt - "not
amused".
Oh! Inwiefern?
Es gab Drohungen, wenn auch nur subtile. Man sagte mir etwa, falls aus
meinen Nachforschungen jemandem ein Schaden entstehen würde, dann
sicher nicht ihnen, den Burgern. Und als ich nach meinem Lizenziat
meine Dissertation zum gleichen Thema in Angriff nahm, teilte man mir
mit: "Diese Diss wird es nie geben."
Das ist schweres Geschütz.
Ich hatte schon ein paar schlaflose Nächte. Doch ich entschied
mich
dazu, weiterzuforschen. Das Thema ist historisch zu interessant.
Gab es weitere Probleme?
Meine Seminararbeit über das Villette-Quartier wurde aus einem
Buch zur
Berner Stadtentwicklung gekippt. Das war vorauseilender Gehorsam der
Her ausgeber, die von der Burgergemeinde und den Zünften
finanziell
unterstützt worden waren.
Dann ist eine direkte Machtaus übung wohl gar nicht notwendig.
In Bern weiss man intuitiv, was den Burgern gefällt und was nicht,
und
man verhält sich dementsprechend. Die Macht der Burgergemeinde ist
ein
Tabu. Nach verschiedenen ähnlichen Geschichten wurde mir klar,
dass ich
als Historikerin in Bern kaum einen Job finden würde. Ich habe
daraufhin eine Stelle in Zürich angenommen.
Sie sind also in Bern eine unerwünschte Person?
Nein, so weit geht es nicht, ich wohne ja noch immer in Bern, im Alltag
ist das überhaupt kein Thema. Aber vielleicht in jenen Bereichen,
in
denen die Burger viel Macht haben.
Und wo ist das?
In allem, was mit der Berner Geschichte zu tun hat, ganz allgemein in
der Kultur: Ihr gehören das Kultur-Casino und das Naturhistorische
Museum, am Historischen Museum ist sie zu einem Drittel beteiligt, sie
unterstützt historische Publikationen und Ausstellungen. Dabei
bevorzugte sie lange Zeit Projekte mit einer konservativen
Orientierung. Sie ist aber auch einflussreich in der Stadtentwicklung.
Man darf nicht vergessen: Die Burgergemeinde besitzt einen Drittel des
städtischen Bodens. Dazu kommen weiterer Grundbesitz und
Wälder im
Kanton Bern und anderswo. Sie ist die reichste Korporation des Landes.
Die reichste? Wie gross ist das Vermögen?
Hochrechnungen sind schwierig, aber man kann von einem
Milliardenvermögen ausgehen. Und weil die Berner Einwohnergemeinde
und
auch der Kanton relativ arm sind, können die Burger ihre Macht
sehr gut
ausspielen. Die Burger würden dann jeweils sagen: "Wenn ihr uns
jetzt
nicht helft, helfen wir euch das nächste Mal auch nicht." Insofern
erstaunt es nicht, dass es kaum je zu einer expliziten
Machtdemonstration in aller Öffentlichkeit gekommen ist. Die Dinge
werden diskret ausgehandelt.
Auch mit der rot-grünen Regierung?
Am Abhängigkeitsverhältnis hat sich in den letzten Jahren
nichts
geändert. Auch die gegenwärtige Regierung muss mit der
Burgergemeinde
zusammenarbeiten, klar.
Gibt es denn gar keine öffentlichen Auseinandersetzungen?
Nur beim Umbau des Bahnhofplatzes ist es den Burgern nicht gelungen,
ihre Interessen im Vorfeld durchzusetzen, deshalb wurden sie aktiv. In
anderen Fällen werden die burgerlichen Interessen nicht
öffentlich
gemacht oder sogar verschleiert.
Besetzen BurgerInnen politische Ämter?
Wichtige öffentliche Positionen werden durchaus angestrebt, etwa
im
Grossen Rat, in der Zentralen Steuerverwaltung oder in der
Denkmalpflege. Es gibt über 17 000 Burgerinnen und Burger, und sie
bilden eine gesellschaftliche Elite.
Weiss man denn in Bern, wer zur Burgergemeinde gehört?
Kaum jemand ist sich bewusst, wer alles zur Burgergemeinde gehört.
Man
kennt nur einige alte patrizische Geschlechter, jene mit dem "von" im
Namen. Die Burger stehen aber im Burgerbuch, inklusive Beruf,
Arbeitsort, familiären Verbindungen. Die Burger selbst kennen sich
untereinander natürlich. Wenn Besuch kommt oder wenn man
geschäftliche
Beziehungen aufnimmt, dann schaut man schon mal schnell im Burgerbuch
nach, in welchem Grad man verwandt ist.
Was steht denn sonst noch alles in diesen Burgerbüchern?
Alle fünf Jahre erscheint ein neues Buch, häufig besitzen die
Leute
mehrere Bände. Darin stehen die Verwandtschaftsbeziehungen, die
Herkunft, der Zeitpunkt der Einburgerung, die Zunftzugehörigkeit,
aber
auch, ob jemand verheiratet oder geschieden ist oder unehelich geboren
wurde. Ein hilfreiches Nachschlagewerk auch für Medienschaffende.
Und, schauen die JournalistInnen da nach?
Es ist erstaunlich, dass dieses mächtige Netzwerk von den Medien
praktisch nicht thematisiert wird. Letzthin erzählte ein Redaktor
erstaunt, der Denkmalpfleger habe ihm gar nicht mitgeteilt, dass er ein
Burger sei. Natürlich nicht!
Haben einzelne Familien besonders viel Einfluss?
Das kann man so nicht sagen. Die Gemeinde ist gross und heterogen, es
kommen alle möglichen Berufsgattungen vor, auch wenn es vielleicht
einen hohen Anteil an Juristen, Bankiers, Vermögensverwaltern oder
Architekten gibt. Generell sind Burger und Burgerinnen
überdurchschnittlich ausgebildet und vermögend. Die Berner
Historikerin
Karoline Arn hat aufgezeigt, dass Burger in vielen Berner Firmen
Führungspositionen besetzen, zum Beispiel in den achtziger Jahren
in
den Bernischen Kraftwerken, bei der Berner Versicherung oder der
Mobiliar. Auch der marktbeherrschende Medienkonzern Espace Media Groupe
war in Burgerhänden, bevor er kürzlich an die Zürcher
Tamedia verkauft
wurde. Die Burgergemeinde besitzt übrigens auch eine eigene Bank,
die
Deposito Cassa.
Gibt es denn Unterschiede zwischen den alten und den neuen Familien?
Ja, sie sind im Burgerbuch abgebildet. In den burgerlichen Räten
gibt
es eine Übervertretung patrizischer Geschlechter. Die Abgrenzung
erfolgt auch über einen patrizisch-altburgerlichen Sozio lekt, man
sagt
etwa nicht "gäub" für gelb, sondern "gälb", nicht
"Ussteuig", sondern
"Usstellung", und die Sprache ist mit französischen
Ausdrücken
durchsetzt. Allerdings verliert sich diese Dialektfärbung heute
zunehmend.
Bleibt man unter sich?
Neben der Burgergemeinde, in die auch bürgerliche Familien
aufgenommen
werden, existieren weiterhin exklusive Gesellschaften, die Grande
Société, die Bogenschützengesellschaft oder der
adelige
Johanniterorden. Da wird deutlich, dass die Aufnahme in die
Burgerschaft niemals bedeutet, dass man den alten patrizischen Familien
gleichgestellt ist. Wussten Sie, dass es in Bern noch Barone und Grafen
gibt?
Barone und Grafen?
Ja. Und das, obwohl seit der Bundesverfassung von 1848 das Prinzip der
Gleichheit gilt. Innerhalb der Burgergemeinde werden die Adelstitel
aber nicht gebraucht. Doch noch bis Ende 19. Jahrhundert hat die
Burgergemeinde den patrizischen Familien aufgrund von Reglementen aus
dem Ancien Régime die Adelspartikel "von" verliehen.
Was verbindet denn die Angehörigen der Burgergemeinde miteinander?
Verbindend ist eine konservative Wertehaltung, eine "burgerliche
Gesinnung".
Wie hilft man sich?
Das Netzwerk funktioniert sehr gut. Burger können Aufträge
erhalten von
anderen Burgern und von burgerlichen Institutionen. So war klar, dass
ein burgerlicher Architekt das Naturhistorische Museum bauen durfte.
Für einen Burger, der in der städtischen oder kantonalen
Verwaltung
sitzt, kann es schwierig sein, etwas zu unternehmen, das gegen die
Interessen der Burgergemeinde geht. "Burger gegen Burger, das geht
nicht", heisst es.
Ein richtiger Ehrenkodex?
Ja, dem könnte man so sagen.
Und interne Kritik ist wohl nicht willkommen?
Offenbar nicht. Bei Abstimmungen in der Burgergemeinde gibt es stets
zwischen neunzig und hundert Prozent Zustimmung.
Davon träumen Diktatoren!
Bei Wahlen werden die vorgeschlagenen Kandidaten gewählt, Abwahlen
gibt
es nicht. Es gibt nie Sprengkandidaten, es ist ganz klar, der
Vizepräsident wird mal Präsident und so weiter. Eigentlich
sind es
Ernennungen, die Kandidaten haben vorher eine lange innerburgliche
Karriere absolviert.
Wird man als Burger, als Burgerin geboren?
Ja, denn die Burgergemeinde hat ja die Funktion einer Heimatgemeinde.
Ob es sich um Nachfahren des Patriziats handelt oder um neu
aufgenommene Stadtbürger: Wer in eine solche Familie geboren wird,
ist
Burger oder Burgerin.
Und es gibt kein Entkommen?
Man kann nicht austreten, nein. Aber man kann aufgenommen werden.
Offenbar wollen noch immer viele zu diesen Kreisen gehören.
Was muss man mitbringen, um aufgenommen zu werden?
Den Glauben an diese Institution, an ihre informellen Hierarchien. Dann
braucht man einen guten Leumund, eine stabile Vermögensgrundlage
...
... wie teuer ist denn die Aufnahme?
Das ist von Zunft zu Zunft unterschiedlich - es gehören ja
praktisch
alle einer Zunft an -, es geht in die Zehntausende von Franken. Nicht
willkommen sind Leute, die die Burgerschaft lediglich als
Karriereinstrument sehen. Früher war zudem klar, dass man
protestantisch sein musste, und man hatte ein ärztliches Zeugnis
abzuliefern, das eine gute Gesundheit und das Fehlen von Erbkrankheiten
nachwies. Früher wie heute sind eine andere Hautfarbe, andere
kulturelle oder ethnische Hintergründe nicht beliebt. Der erste
Jude
wurde in den Neunzigerjahren aufgenommen - der Akt wurde
öffentlich
zelebriert.
Wie weit nach rechts reicht der Konservatismus?
Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es im Burgerrat Frontisten, einer war in
den dreissiger Jahren Gauleiter der Nationalen Front. Er wurde 1968 gar
Burgerratspräsident - gewählt ohne Gegenstimme, und die
Öffentlichkeit
reagierte überhaupt nicht darauf. In der Forschung wurde diese
frontistische Vergangenheit bis heute nicht thematisiert, auch im
Historischen Museum nicht. Das erstaunt wiederum wenig, wenn man weiss,
dass im Aufsichtsrat des Museums lange Zeit zwei burgerliche Vertreter
sassen, die sich selbst in der Frontenbewegung engagiert hatten.
Welche Privilegien geniessen die BurgerInnen heute?
Früher wurde jährlich ein sogenannter Burgernutzen
ausgeschüttet, das
war Bargeld und Holz. Heute profitiert man vom sozialen und
symbolischen Kapital und von sozialen Leistungen: Es gibt ein
Burgeraltersheim, eine Burgersozialfürsorge, Burgerstipendien.
BurgerInnen beziehen Sozialhilfe nicht bei der Einwohnergemeinde? Die
Burgergemeinde übernimmt also staatliche Aufgaben?
Ja. Problematisch ist, dass die entsprechenden Ämter bei den
Zünften
ehrenamtlich ausgeübt werden, nicht von Fachleuten. Auch die
familiären
Verbindungen widersprechen den Anforderungen an eine professionelle
Sozialfürsorge. Zudem kann nach wie vor ein moralischer Ton
mitschwingen, man erwartet eine gute, eine bürgerliche
Lebensführung.
Also kann sich die Angehörigkeit zur Burgerschaft für einige
sehr wohl
auch negativ auswirken.
Normalerweise wirkt sie sich aber positiv aus. Die Burgergemeinde
verleiht Status.
Genau. Das hat einen Einfluss auf das Auftreten, auf den ganzen
Habitus. Man gehört dazu und kennt wichtige Leute. Dass man so
wenig
über die Burger weiss, verleiht zudem vielleicht einen
geheimnisvollen
Nimbus.
Wurde dieser Status denn nie hinterfragt?
Doch, und wie. Im 19. Jahrhundert waren die Burgergemeinden höchst
umstritten. Die Liberalen wollten sie in der Revolution von 1831
abschaffen, die Radikalen 1846 und so weiter. Gegen Ende des 19.
Jahrhunderts reformierte sich die Burgergemeinde und formulierte ihren
Willen, der Allgemeinheit zu dienen. So verschaffte sie sich
Legitimität. Man darf nicht vergessen, dass Ende des 19.
Jahrhunderts
der bürgerliche Block enger zusammenrückte, gegen die
Sozialdemokraten.
Die Burger politisierten in der Folge gemeinsam mit ihren früheren
Gegnern, den Liberalen.
Ist das bis heute so?
Ja, das blieb im ganzen 20. Jahrhundert so. 1993 gab es eine neue
Kantonsverfassung, in der Vernehmlassung schlugen die Sozialdemokraten,
die Freie Liste und die Grünen zwar die Abschaffung der
Burgergemeinde
vor, machten dar aus aber kein Politikum. Vielerorts wird die Macht
schlicht nicht wahrgenommen, oder man hat sich einfach damit
arrangiert. Alle betonen immer wieder, dass die Burger viel Gutes
für
die Stadt tun, aber es spricht niemand über die Nachteile dieses
Systems.
Was sind die Nachteile?
Wenn es die Burgergemeinde nicht gäbe, wäre die
Einwohnergemeinde der
Stadt Bern viel reicher. Sie hätte dann zwar mehr Aufgaben, aber
auch
die Mittel dafür, und es könnte die gesamte
Stadtbevölkerung
mitbestimmen.
Wie kam denn die Burgergemeinde zu ihren Reichtümern?
Während des Ancien Régime im 18. Jahrhundert war Bern
aristokratisch
und wurde von wenigen patrizischen Burgerfamilien beherrscht. Dies
wurde durch die Helvetik gebrochen, der Kanton Bern entstand, und
1832/33 wurden die Einwohnergemeinde und die Burgergemeinde Bern
gegründet. Danach wurde das Vermögen des alten Stadtstaates
Bern
aufgeteilt: Ein Teil ging an den Kanton, der Rest wurde zwischen der
Einwohner- und der Burgergemeinde aufgeteilt. Die Burgergemeinde
landete damals einen grossen Coup, sie erhielt viel wertvollen
Grundbesitz und etliche gut dotierte Kassen. Die Verträge wurden
unterschrieben von einem, der gleichzeitig Burgerratspräsident,
Burgergemeindepräsident, Gemeindepräsident und
Gemeinderatspräsident
war.
Die Burger sind also klassische Grossgrundbesitzer.
Ja. Dahinter steht historisch gesehen das adelige
Selbstverständnis des
Patriziats, bei dem Handel und Industrie keine grosse Wertigkeit hatte.
Man war Staatsdiener oder Grundbesitzer. Deshalb ist Bern auch keine
Industriestadt.
Letzte Frage: Gibt es Witze über die BurgerInnen?
Ich kenne keine, nein. Vielleicht ist das Thema zu stark tabuisiert.
Selbst über Kriegsverbrecher gibt es Witze.
Aber nicht über Bernburger.
--
Das Brisante Buch
Sie war die berühmteste Berner Burgerin, sie kleidete sich
altmodisch
und ging nicht ohne ihr imposantes Hörrohr aus dem Haus: Madame de
Meuron. "Im Himmel obe", soll sie gerne gesagt haben, "sy mir alli
glych, aber hie uf Ärde herrscht Ordnig." Die Patrizierin, die
1980 in
hohem Alter starb, galt als Original, als Relikt aus einer vergangenen
Zeit.
Die Berner Historikerin Katrin Rieder belegt in ihrem diese Woche
erscheinenden Buch, dass die alte Aris tokratie in der Berner
Burgergemeinde durchaus noch vertreten ist - und dass sie immer noch
grossen Reichtum mit grosser Macht vereint. Eine Macht, die bis heute
kaum hinterfragt wird. Rieder, 39, studierte an der
Universität Bern
Geschichte und Soziologie. Sie promovierte 2004 in Schweizer Geschichte
mit der Dissertation "Netzwerke des Konservatismus. Berner
Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20. Jahrhundert". Ihre
umfangreiche Studie hat sie nun zu einem präzisen und
aufschlussreichen
Buch umgearbeitet.
Katrin Rieder lebt in Bern.
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Bund 14.8.08
Bernburger und die Fronten
Buch über ein dunkles Kapitel der Burger-Geschichte
Die Burgergemeinde wählte 1968 den ehemaligen Gauführer der
Nationalen
Front zu ihrem Präsidenten. Die Historikerin Katrin Rieder zeigt,
dass
die Karriere Georges Thormanns kein Einzelfall war.
In den 1930er-Jahren standen viele Bernburger rechtskonservativen und
frontistischen Gruppierungen vor: Dies zeigt die Historikerin Katrin
Rieder in ihrem eben erschienenen Buch "Netzwerke des Konservatismus.
Berner Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20. Jahrhundert". Die
Burgergemeinde Bern hat dieses düstere Kapitel ihrer Geschichte
bisher
nie aufgearbeitet. Bernburger mit nazifreundlicher Gesinnung hatten
nach dem Krieg intakte Karrierechancen. Ihre Vergangenheit in
rechtskonservativen oder frontistischen Kreisen war selbst bei Wahlen
ins höchste Amt der Institution kein Thema, wie das Beispiel
Georges
Thormann zeigt. Der Architekt wurde 1968 mit der ausserordentlich hohen
Zahl von 594 Stimmen zum Burgerratspräsidenten gewählt und
war bis 1984
im Amt. In den 30er-Jahren war er Gauführer der Nationalen Front
Bern
gewesen. Unter seiner Ägide wurde das Versammlungslokal der
Ortsgruppe
Bern im Zunfthaus zu Distelzwang an der Gerechtigkeitsgasse
untergebracht. Entgegen den bisherigen Erkenntnissen der Forschung
kommt Rieder zum Schluss, dass die Verbindungen zwischen den Fronten
und rechtskonservativen Kreisen in Bern "sehr eng" waren. Die Forderung
der autoritären Rechten hätten im Berner Patriziat "grosses
Echo"
hervorgerufen.
Burgerratspräsident Franz von Graffenried zeigt sich
"überrascht" und
"betroffen" von Rieders Recherchen. Es sei "erstaunlich", dass die
Vergangenheit Georges Thormanns bei dessen Wahl nicht thematisiert
worden sei. Aufgrund eines ersten Berichtes im "Bund" vor Jahresfrist
habe die Burgergemeinde eine externe Fachperson gesucht, um ihre
Vergangenheit in der Nazizeit aufzuarbeiten. Es gehe aber nicht an, von
einzelnen Personen "auf die Burgergemeinde als Ganzes" zu schliessen,
hält von Graffenried fest.
Seiten 2 und 3
Catherine Arber,Bernhard Ott
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Bund 14.8.08
Kommentar: Die Geschichte kommt ans Licht
Die Burgergemeinde Bern ist eine ehrwürdige Institution:
bewahrend,
umsichtig ihren reichen Besitz und das kulturelle Erbe verwaltend.
Stets hat sie, neben dem Erbe, auch ihr Image gepflegt, und die Berner
Medien haben am positiven Bild mitgezeichnet - einem geschönten
Bild,
wie wir spätestens seit der Publikation der Dissertation von
Katrin
Rieder wissen.
Das Image der Burgergemeinde muss korrigiert werden; das ist nicht
verwunderlich: So makellos, wie sie sich dargestellt hat, kann sie gar
nicht sein. Jede grosse, heterogene Institution, zumal eine an der
Schnittstelle von politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher
Macht, hat in ihrer Geschichte lichtere und dunklere Kapitel.
Dass sich Mitglieder und Exponenten dieser Institution in den 1930er-
und 1940er-Jahren totalitären Utopien hingaben und dass
Nationalsozialismus und Faschismus in gewissen "besseren" Berner
Kreisen salonfähig waren, muss aus jener Zeit heraus erklärt
werden.
Schliesslich erklärt (und akzeptiert) man auch, dass sich Teile
der
heutigen Elite in den 1960er- und 1970er-Jahren von
marxistisch-leninistischen und maoistischen Heilslehren blenden
liessen. (Und wenn der Kommunismus immer noch als kleineres Übel
erscheinen mag, dann nur, weil sich die Erklärungshoheit
weitgehend im
Besitz der Alt-Achtundsechziger befindet; auch das muss und wird
korrigiert werden.)
Doch anders als viele frühere Linke, die sich heute mit ihrer
eigenen
Geschichte vor 30 oder 40 Jahren auseinandersetzen, hat die
Burgergemeinde die faschistische Vergangenheit einiger ihrer Exponenten
vor und im Zweiten Weltkrieg systematisch ausgeblendet. Wenn noch 1968
(!) ein ehemaliger Gauleiter ohne Rückfrage und ohne Diskussion
Burgerratspräsident werden konnte, dann muss sich die
Burgergemeinde
der kollektiven Verdrängung bezichtigen lassen.
Irgendwann kommt die Geschichte ans Licht; besonders gut gehütete
Geheimnisse werden mit besonderer Vehemenz hervorgezerrt. Wenn die
Burgergemeinde jetzt, wie versprochen, die Aufarbeitung ihrer
Vergangenheit einleitet, muss daraus ein realistischeres Bild
erwachsen. Nur dieses ermöglicht den notwendigen Aufbruch in die
Zukunft, der heute noch von rückwärtsgewandter,
verklärender Fiktion
gehemmt wird.
Artur K. Vogel
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Bund 14.8.08
http://194.209.226.170/pdfdata/bund/2008/08/14/BVBU-002-1408-2.pdf
* "Wollte man es nicht mehr wissen?"
http://www.ebund.ch/artikel_556101.html
* Burgerrat möchte Nazizeit untersuchen
http://www.ebund.ch/artikel_556103.htmlv
* Zum Buch
http://www.ebund.ch/artikel_556104.html
* Gauführer, später Burgerratspräsident
http://www.ebund.ch/artikel_556100.html
* Väter und Grossväter waren informiert
http://www.ebund.ch/artikel_556099.html
* Die Zerstörung der Villette
http://www.ebund.ch/artikel_556102.html
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BZ 14.8.08
Brisante Buchpublikation
Berns Burger unter Beschuss
Die Historikerin Katrin Rieder hat ein kritisches Buch geschrieben, das
den schönen Mythos der Burgergemeinde Bern erschüttert.
An der Buchvernissage unterhielt sich gestern Abend Buchautorin Katrin
Rieder freundlich mit Burgerratspräsident Franz von Graffenried,
die
Burger sponserten gar den Apéro. Aber der harmonische Schein
trügte.
Die Berner Historikerin Katrin Rieder hat gestern ihren 700-seitigen
Wälzer "Netzwerke des Konservatismus" präsentiert, der
schonungslos das
Bild der wohltätigen und grosszügigen Burgergemeinde Bern
ankratzt.
Noch nie bisher ist die erhabene Berner Burgergemeinde so schonungslos
beschrieben worden. Nicht weiter erstaunlich, dass die Berner Burger
dem Buch die finanzielle Unterstützung versagten.
Der alarmrote Wälzer über die 200-jährige
Burgergeschichte seit 1798
beschreibt den scheinbaren Frieden zwischen Stadt- und Burgergemeinde
Bern als Stillhalteabkommen und das Burgerimage der Wohltätigkeit
als
Beschönigung, die von der historischen Tatsache ablenken soll,
dass die
Burgergemeinde ihre Privilegien und ihren Besitz auf Kosten der
Stadtgemeinde bewahren konnte. Die Burgergemeinde skizziert Rieder als
Bollwerk, in dem bis heute ein reaktionäres Patrizierbewusstsein
überlebe.
Ihr Buch gipfelt in der Enthüllung, dass burgerliche Exponenten in
den
1930er-Jahren aktive Rollen bei den nazifreundlichen Schweizer
Frontisten spielten. Der Architekt Georges Thormann war bis 1937
"Gauleiter Kanton Bern" bei der "Nationalen Front". Nach dem Krieg trat
er eine burgerliche Karriere an und wurde 1968 ohne Gegenstimme und
Frage zu seinem Vorleben als Burgerratspräsident gewählt.
Laut Rieders
Buch gab es ein ganzes Netzwerk frontistisch aktiver Bernburger. Sie
rückt aber nicht die ganze Institution Burgergemeinde in die
Nähe der
Nazifreunde.
Bevor die Burgergemeinde Rieders Buch lesen konnte, hat sie schon
beschlossen, ihre Vergangenheit zu durchleuchten.
Burgerratspräsident
Franz von Graffenried erklärt auf Anfrage, ein Historiker sei
eigens
freigestellt worden, um einen "Quellenforschungsbericht" über die
Burgergemeinde in den 1930er-Jahren zu erstellen.svbSeite 28
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BZ 14.8.08
Bequeme Symbiose
Stefan von Bergen
Auf 700 Seiten stellt das angriffige Buch der Berner Historikerin
Katrin Rieder über die Burgergemeinde Bern die eine Frage: Was hat
diese anachronistische Parallelwelt, die sich auf Kosten der
Öffentlichkeit einst Privilegien und Besitz bewahrte, in einem
modernen
Gemeinwesen verloren? Braucht es die Burgergemeinde Bern überhaupt?
Niemand fordert heute im Ernst die Abschaffung der Burgergemeinde. Denn
es ist für die Stadt Bern bequem, sich auf die grosszügige
Unterstützung der Burger bei der Sozialhilfe oder bei
spektakulären
Kulturprojekten zu verlassen. Und die Stadt kann darauf zählen,
dass
die Burgergemeinde grosszügig sein muss, wenn sie ihre
Existenzberechtigung behalten will.
Die Burgergemeinde mag auf historischem Unrecht basieren, wie Rieders
Buch nahelegt. Für Berns Zukunft aber ist sie ein Plus. Denn sie
ist
eine Institution, die nicht der kurzfristigen Konjunktur der Politik
und Wahlperioden unterworfen ist, sondern langfristig plant und
nachhaltig Kapital äufnet.
Dennoch tut Katrin Rieders Schuss vor den Bug gut. Ihr Buch
erschüttert
die träge Berner Selbstverständlichkeit und erinnert die
Stadt daran,
sich auf ihre Kräfte zu besinnen.
stefan.vonbergen@
---
BZ 14.8.08
Brisante Buchpublikation
Berner Burger im Gegenwind
Die Historikerin Katrin Rieder erschüttert mit einem
700-Seiten-Wälzer
das schöne Bild von der freigebigen Burgergemeinde Bern. Sie
verschweige die Wurzeln ihrer Finanzmacht - und überdies auch
Nazifreunde in ihren Reihen.
Vorbei die Zeiten, als der Burgergemeinde Bern der dubiose Ruf
nachhing, eine verschwiegene Geheimgesellschaft zu sein. Nicht zuletzt
die Burger selber haben mit einer Charmeoffensive dazu beigetragen,
dass Bern die Burgergemeinde gern hinnimmt. Sie tut ja Gutes. Sie hat
den Bärenpark mit einem Startbeitrag angeschoben, sie hilft, den
Botanischen Garten zu retten. Was wäre Bern ohne Burgergemeinde.
Korrigiertes Burgerimage
Das schöne Bild der Wohltäterin wird nun arg angekratzt. Von
der Berner
Historikerin Katrin Rieder, 39, die gestern an der Vernissage im Berner
Progr - an der auch Burgerratspräsident Franz von Graffenried
zugegen
war - ihr brisantes Buch "Netzwerke des Konservatismus" vorstellte.
Der alarmrote Wälzer - es ist Rieders Dissertation - beschreibt
den
Frieden zwischen der Stadt- und Burgergemeinde Bern als
Stillhalteabkommen, das Image der Wohltäterin demontiert er als
Beschönigung. Die Burgergemeinde wird als "Bollwerk" analysiert,
in dem
bis heute ein reaktionäres Machtbewusstsein von Patriziern
überlebe -
und ein auf Kosten der Öffentlichkeit erworbener Reichtum
verwaltet
werde. Das Werk gipfelt in der Enthüllung, dass Burger, die
später hohe
Burgerämter innehatten, in den 1930er-Jahren führende Rollen
bei den
nazifreundlichen Schweizer Frontisten spielten (siehe unten). Starker
Tobak.
Rieders Buch ist die erste umfassende Untersuchung über Berns
Burgergemeinde im 19. und 20. Jahrhundert. "Weil die Burger die Wurzeln
ihrer Macht und ihres Reichtums ausblenden und ihre Geschichte nicht
selber untersuchen, tue ich das jetzt halt als Aussenstehende. Ich
wollte verstehen, wie das funktionieren kann", sagt Katrin Rieder im
Gespräch. Sie verstösst mit ihrem Buch gegen den eher
nostalgischen,
burgerfreundlichen Konsens in der Berner Geschichtsschreibung. So ist
es nicht weiter erstaunlich, dass die Burger Rieders Buch die
finanzielle Unterstützung versagten - und dass Rieder keinen Job
in den
burgerlich geprägten historischen Berner Institutionen innehat.
Sie
arbeitet bei der Kulturstiftung Pro Helvetia in Zürich.
Insel aus versunkener Zeit
Glühende Alt-Patrizier könnten Rieders Buch als
antiburgerliches
Pamphlet abtun. Es leistet mehr. Zweifellos: Rieder stellt die
Existenzfrage: Braucht es die Burgergemeinde überhaupt? Die
Autorin
antwortet zwar zwischen den Zeilen mit Nein, sie durchleuchtet aber den
Gegenstand ihrer Kritik gleichzeitig seriös und minuziös. Sie
erklärt
den Bernern, was die Institution Burgergemeinde, eine der grössten
Schweizer Waldbesitzerinnen und Berner Baulandbesitzerinnen,
überhaupt
ist. Sie fragt, wie sie ihr Image be- und ihre Gewinne erwirtschaftet.
Nach dem Untergang Alt-Berns 1798 existieren im Kanton Bern
nebeneinander die neu formierten Einwohnergemeinden und die Heimat-
oder Burgergemeinden, in denen alte Besitzstände bewahrt werden.
In der
Burgergemeinde der Stadt Bern sammelten sich die gestürzten
patrizischen Machthaber des alten Stadtstaates und machten sie in
Rieders Analyse zu einem Refugium, in dem sie sich ihre verbleibende
Macht, ihr Standesbewusstsein und ihren Besitz zu erhalten versuchten.
Wie auf einer Insel aus alten Zeiten. Und das mitten in Bern, seit 1848
Hauptstadt eines fortschrittlich demokratischen Staates.
Ungerechter Landdeal?
Im Güterausscheidungsvertrag zwischen Einwohner- und
Burgergemeinde
Bern erhält die Stadt 1854 die Gebäude, die Kosten
verursachen. Die
Burgergemeinde aber behält unüberbautes Land, das 40 Jahre
später, beim
Wachstum der Stadt, zu lukrativem Bauland wird, das bis heute
Baurechtszinsen abwirft. Der historische Deal, der schon damals von
liberalen Politikern als ungerecht kritisiert wurde, ist der Grundstein
des heutigen Burgerreichtums. In der Volksabstimmung kam er auch
deshalb durch, weil damals nur Männer ab einem bestimmten
Einkommen
stimmberechtigt waren. Und weil auch in der Einwohnergemeinde Bern
Burger wichtige Posten besetzten. Das ist für Rieder ein bis heute
wirksames Muster: Die Burger üben mit ihrer Finanzkraft in der
Stadt
indirekt Macht aus.
Rieders Fazit: "Die Burger sicherten ihre alte Macht und ihr
Überleben
mit moderner ökonomischer Gewinnpolitik." Diese burgerliche
Wendigkeit
belegt Rieder auch später: In der Debatte um das Berner
Villettequartier in den 1980er-Jahren etwa habe die Burgergemeinde, der
in der Altstadt jeder Stein heilig sei, ihr Ideal verraten, indem sie
denkmalgeschützte Villen dem Abriss preisgab, um auf dem Boden
eine
Rendite zu erwirtschaften.
Grosszügigkeit als Taktik
Anders als heute war die Existenz der Burgergemeinde im 19.Jahrhundert
umstritten. In der Abstimmung über die Kantonsverfassung von 1885
entging die Burgergemeinde nur knapp ihrem Ende. In der Folge
strukturierte sie sich neu, öffnete sich für Neumitglieder
und
verpflichtete sich auf eine soziale, gemeinnützige Linie.
"Bestandessicherung durch Grosszügigkeit", kommentiert Rieder das
Image, mit dem die Burger bis heute die Wogen glätten.
Diese Grosszügigkeit ist doch gut für die Stadt. "Sie ist
aber auch ein
kalkuliertes Konzept zur Verschleierung eines Machtanspruchs", findet
Rieder. Überschätzt sie diese Macht? "Die Burgergemeinde
bleibt in Bern
ein Machtfaktor, das zeigt ihre ungebrochene Anziehungskraft. Sie
verspricht sozialen Status. Neben Bundesbern ist das Burgerbern das
andere Berner Netzwerk für den sozialen Aufstieg."
Stefan von BergenKatrin Rieder: Netzwerke des Konservatismus - Berner
Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20.Jahrhundert, Chronos-Verlag,
736 Seiten, Fr. 78.-.
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BZ 14.8.08
Burgerliche Nazifreunde
Katrin Rieder enthüllt burgerliche Frontistenkarrieren. Ohne
gleich die ganze Burgergemeinde unter Naziverdacht zu stellen.
Um ihre Existenz in einem bürgerlich-demokratischen Bern besser zu
legitimieren, machte die Burgergemeinde Bern Ende 19.Jahrhundert
Konzessionen: Sie öffnete sich und engagierte sich
sozialpolitisch. Das
hinderte eine Reihe von Burgern nicht, unter dem Eindruck des
aufkommenden Faschismus aristokratischen Eliteträumen
nachzuhängen.
Nach Katrin Rieders brisanten Archivrecherchen gab es gar ein ganzes
Netzwerk verwandter und verschwägerter Burger aus
Patrizierfamilien,
die sich in den 1930er-Jahren bei den nazifreundlichen Schweizer
Frontisten engagierten.
Gauleiter Thormann
Eine der auffälligsten Figuren dieses Netzwerks ist der Architekt
Georges Thormann-Girard (1912-1999). Als junger Mann gehört er der
Nationalen Front an, verfasst für sie rechtsnationale Aufrufe und
fällt
laut den Akten auch der Berner Polizei auf. Kein Wunder: Bis 1937 -
länger als andere, die viel früher aussteigen - wirkt er in
der
Nationalen Front als "Gauleiter Kanton Bern".
Für seine Frontistenkarriere ist Thormann selber verantwortlich.
Dass
er aber nach dem Krieg eine steile, ungehinderte Burgerkarriere machte,
das stellt auch der Burgergemeinde als Institution kein gutes Zeugnis
aus. 1968 wird Thormann mit über 500 Stimmen und ohne Gegenstimme
zum
Burgerratspräsidenten gewählt. Niemand fragt nach seinem
politischen
Vorleben.
Differenzierter Vorwurf
Rieder entgeht der Gefahr, ihr Buch mit dem verkaufsfördernden
Nazivorwurf zu promoten: Sie wirft nicht der ganzen Burgergemeinde
rechtsextreme Tendenzen vor. Für sie passt Thormanns Karriere aber
"zu
einem Konservatismus mit reaktionären Komponenten, wie er von
vielen
Burgern patrizischer Herkunft gepflegt wurde".svb
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BZ 14.8.08
Frontisten-Vorwurf
Burgergemeinde wird aktiv
Mit einem "Quellenforschungsbericht" will die Burgergemeinde ihre
Nähe zu den Frontisten in den 30er-Jahren untersuchen.
Bevor die Burgergemeinde Bern in Katrin Rieders brisantes Buch blicken
konnte, reagiert sie darauf und arbeitet ihre Vergangenheit auf. "Wir
haben einen Quellenforschungsbericht in Auftrag gegeben", sagt
Burgerratspräsident Franz von Graffenried auf Anfrage. Weil sich
kein
externer Forscher für die Aufgabe finden liess, sei nun ein
Historiker
der Burgerbibliothek für die Aufgabe freigestellt. Er soll Quellen
und
Fakten der Burgergemeinde - nicht aber einzelner Burgerfamilien -
zusammentragen, die zur brisanten Enthüllung in Rieders Buch
Auskunft
geben, dass Exponenten der Burger, die später zum Teil hohe
Burgerämter
innehatten, in den 1930er-Jahren bei den nazifreundlichen Schweizer
Frontisten mitwirkten.
Er sei "erstaunt und überrascht", dass Burger - auch aus seiner
direkten Verwandtschaft - aktive Frontisten waren, sagt von
Graffenried. Man habe in der Burgergemeinde davon nicht gewusst - oder
nicht wissen wollen. Die Quellenstudie soll klären, ob sich auch
die
Burgergemeinde als Ganzes - etwa als sie eine Frontisten-Feier des
Hitler-Geburtstags im Berner Casino tolerierte - rechtsradikal
verstrickt war. Allzu hohe Erwartungen dämpft von Graffenried: Das
knappe und zerstreute Quellenmaterial lasse vielleicht wenig
Schlüsse
zu. "In burgerlichen Dokumenten der Zeit, die ich kenne, kommt der
Weltkrieg nicht vor." Würde sich die Burgergemeinde für
erhärtete
Fehler entschuldigen? "Nein, ich kann mich nur für etwas
entschuldigen,
was ich persönlich zu verantworten habe."svbBZ vom Samstag:
Interview
mit Burgerratspräsident Franz von Graffenried, Hintergrundseiten
"Zeitpunkt".
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pdabern.ch 15.7.08
Pressecommuniqué der PdA Bern
Burgergemeinde mit Einwohnergemeinde vereinigen!
Die PdA Bern hat die ewige Diskussion über den
Sozialhilfemissbrauch
satt. Wir verurteilen es, wenn gewisse Parteien auf Kosten der
Schwächsten auf Stimmenfang gehen. Es ist genug Geld für eine
humane
Sozialfürsorge vorhanden.
In der Stadt Bern müssen wird dazu nicht einmal die grossen Firmen
heranziehen. Es reicht, wenn die Burgergemeinde mit der
Einwohnergemeinde vereinigt wird.
Die Burgergemeinde weist ein Vermögen von 800 Mio. Franken aus;
wenn
ihr Grundbesitz richtig bewertet wird, sind es weit über eine
Milliarde
Franken. Diesem Vermögen steht eine einzige gesetzliche
Verpflichtung
gegenüber: Die Burgergemeinde muss für die
Fürsorgeleistungen ihrer
Mitglieder aufkommen. Bei den Bernburgern haben im Jahr 2006 84
Menschen Fürsorgeleistungen bezogen, dies ist ein halbes Prozent
der
Bernburger. Bei der städtischen Bevölkerung sind 5 Prozent
auf
Fürsorgeleistungen angewiesen.
Die Burgergemeinde Bern ist ein Überbleibsel aus der Zeit vor der
französischen Revolution. Das Vermögen der Burgergemeinde ist
kein
Privateigentum, es ist das Vermögen der Stadt Bern vor dem
Einmarsch
der Franzosen. Die politische Macht ist auf alle Einwohnerinnen und
Einwohner der Stadt Bern übergegangen, genau gleich muss endlich
auch
das Vermögen an die Einwohnergemeinde gehen.
Alle Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Bern sollen demokratisch
entscheiden, wie das Vermögen der Burgergemeinde und seine
Erträge nach
der Vereinigung zu verwenden sind. Es spottet jeder Demokratie, wenn
nur die Nachkommen der Gnädigen Herren von Bern entscheiden
können,
welche Museen und welche Kulturveranstaltungen mit den Erträgen
aus dem
Vermögen gefördert werden sollen. Es spottet auch jeder
sozialen
Gerechtigkeit, wenn die Burgergemeinde wie bei der kommenden
Überbauung
Baumgarten Ost jede Wohnung um 50'000 Franken verbilligt. Leute mit
kleinem Einkommen, die sich eine solche Wohnung trotz Verbilligung
nicht leisten können, wären dringender auf
Mietzinsreduktionen
angewiesen.
Daher rufen wir alle fortschrittlichen Kräfte dazu auf, die
bürgerliche
Revolution endlich zu vollenden und die Berner Kantonsverfassung so zu
ändern, dass Burgergemeinden aufzulösen und mit den
jeweiligen
Einwohnergemeinden zu vereinigen sind.
Rückfragen an: vorstand@pdabern.ch
---
Bund 21.7.07
Wo die Welt noch in Ordnung ist
Historisches Relikt und unsichtbare Macht - vom Ancien Régime
bis
heute: In der Berner Burgergemeinde haben sich patrizische Familien
unter immer neuen gesellschaftlichen Bedingungen als wirtschaftliche
Stadtelite und Hort konservativen Denkens behauptet.
Einflussreiche Clans gibt es auch anderswo. In Basel spielt der "Daig"
eine bestimmende Rolle. In Zürich sammelt sich die Oberschicht in
der
Zunft zur Meisen und der Gesellschaft zur Constaffel. Was die Berner
Burgergemeinde zum weltweiten Unikum macht, ist die Kombination von
drei Faktoren: ihre gesetzlich verankerte öffentlich-rechtliche
Position, ihr aus der Zeit vor der Französischen Revolution
herübergeretteter Liegenschaftsreichtum und das über die
Jahrhunderte
gewachsene gesellschaftliche und wirtschaftliche Netzwerk, das den
führenden Patrizierfamilien in der Entwicklung der Stadt Bern
heute
noch massgeblichen Einfluss garantiert.
Die Burgerherrschaft hatte sich seit der Stadtgründung im 12.
Jahrhundert entwickelt. Im so genannten Ancien Régime des 18.
Jahrhunderts, vor der Französischen Revolution, wurde Bern von
einer
immer kleineren Zahl von Familien geführt. Zuoberst wenige
"regierende"
Patrizierfamilien, darunter "regimentsfähige" Patrizier und ins
Burgerrecht aufgenommene Altburger. Fast drei Viertel der
Stadtbevölkerung waren als Nichtburger von Macht und
einträglichen
Ämtern ausgeschlossen.
Patrizier nur kurzfristig entmachtet
In der Folge der Umwälzungen nach der Französischen
Revolution wurden
diese Patrizierprivilegien in der Schweiz 1889 formell aufgehoben.
Später hoben die meisten Kantone die alten Burgergemeinden auf und
übertrugen ihre Kompetenzen und Güter auf neue
Einwohnergemeinden.
Nicht so der Kanton Bern: Hier gelang es den Patriziern durch ihren
Einfluss in den Kantonsbehörden, die alten Burgergemeinden nach
einem
kurzen Unterbruch in einem dualistischen System neben den
Einwohnergemeinden weiterleben zu lassen. Die weitaus bedeutendste ist
die Burgergemeinde Bern. Sie zählt heute 17 500 Angehörige.
Sie besitzt
einen Drittel des städtischen Bodens und grosse Ländereien
und Wälder
im Kanton und in der ehemaligen bernischen Gebieten. Sie ist eine der
grössten Liegenschaftsbesitzerinnen der Schweiz. Der so genannte
Ausscheidungsvertrag von 1854 schuf die Basis der bis heute geltenden
Vermögens- und Aufgabenteilung zwischen der Burger- und der 1832
gegründeten Einwohnergemeinde: Die Burgergemeinde trat der
Einwohnergemeinde einen guten Drittel ihrer Besitztümer ab.
Umstrittene Güterteilung
Aus Sicht der Burgergemeinde wurden damit "die Forderungen des neuen
Gemeindegesetzes in allen Teilen erfüllt" (1). Aus Sicht des
Kantons
hat die Burgergemeinde die Einwohnergemeinde im Hinblick auf ihre
umfangreichen Aufgaben aber nur knappstens ausgestattet. Zugespitzt
formuliert, erhielt die Einwohnergemeinde vor allem Strassen,
Plätze
und Schulhäuser. Güter also, die Kosten verursachen. Die
Burgergemeinde
behielt Schlösser, Stadtliegenschaften, landwirtschaftliche
Domänen und
Waldungen, die Erträge abwarfen und über die Jahrzehnte hohen
Wert
erreichten. Die Burgergemeinde schätzt ihr
Liegenschaftsvermögen heute
auf rund eine Milliarde Franken. Zusätzlich zum Gemeingut der
alten
Burgergemeinde blieben den Burgern beträchtliche Vermögen der
Zünfte
und Gesellschaften.
Trägerin wichtiger Institutionen
Dass die Einwohnergemeinde den von der Burgergemeinde vorgeschlagenen
Verteilschlüssel akzeptierte, hat wesentlich damit zu tun, dass
die
herrschenden Familien der alten Burgerschaft in den Jahren vor 1854
auch in den Organen der neuen Einwohnergemeinde wieder eine
führende
Rolle spielten, und damit, dass sich die Burgergemeinde bereit
erklärte, nach der Gründung des Bundesstaates im Jahr 1848
sich an den
Kosten der neuen Bundesstadt Bern zu beteiligen.
Der alte Burgernutzen, mit dem Angehörige der Burgerschaft
früher durch
Holz- und Weinlieferungen oder auch durch Geldleistungen an den
Vermögenserträgen beteiligt wurden, ist abgeschafft. Aber das
reichlich
verbliebene Vermögenspolster erlaubt es der Burgergemeinde bis
heute,
für ihre Angehörigen überdurchschnittliche
Sozialleistungen zu bieten
und sich als Allein- oder Mitträgerin von wichtigen Institutionen
zum
Wohl der Allgemeinheit zu profilieren. Burgerinnen und Burger
profitieren von guter Fürsorge- und Vormundschaftsbetreuung,
Kinder von
Burgern erhalten Stipendien, im Burgerspital am Bahnhof betreibt die
Burgerschaft ein modernes Alters- und Pflegeheim, im Viererfeld das
Burgerheim. Die Burgergemeinde finanziert allein das für das
Kulturleben der Stadt wichtige Kultur-Casino und das Naturhistorische
Museum, zusammen mit der Stadt und dem Kanton das Historische Museum.
Zum Schutz der Altstadt hat die Burgergemeinde von Spekulation bedrohte
Liegenschaften aufgekauft und denkmalpflegerisch fachgerecht renovieren
lassen. Bei der Vermietung ihrer Liegenschaften verzichtet sie auf
extreme Marktmieten. Darüber hinaus kann es sich die
Burgergemeinde
leisten, Kultur- und Bildungsinstitutionen ihrer Wahl mit freiwilligen
Beiträgen zu unterstützen. Beiträge der Burgergemeinde
ermöglichen
jedes Jahr die Produktion von Publikationen, die den kulturellen Werten
der Burger entsprechen.
Leistungen zugunsten der Stadt
Die sehr eindrücklichen Leistungen zugunsten der Allgemeinheit
haben
dem historischen Relikt der Burgergemeinde in den letzten 150 Jahren in
der Berner Öffentlichkeit die für das politische
Überleben nötigen
Sympathien gesichert. Dabei wird gern vergessen, dass die finanziellen
Mittel der Burgergemeinde grösstenteils aus Gemeingut des alten
Staates
Bern bestehen. Einmal, 1883, schien die Existenz der Burgergemeinde auf
der Kippe zu stehen: 1883 präsentierte der mit der Vorbereitung
einer
neuen Kantonsverfassung beauftragte Verfassungsrat einen Entwurf, der
vorsah, die Burgergemeinden abzuschaffen. Begründung: Diese
Institution
sei eine Art Staat im Staat, ein "Anachronismus" und ein demokratisches
Ärgernis. Die Berner Burgergemeinden organisierten einen
Abwehrkampf.
Und sie gewannen: Das kantonale Stimmvolk verwarf die neue Verfassung
mit hoher Mehrheit. Die Burger betrachteten und betrachten den
grössten
Teil der Gemeindegüter als ihren Besitz. Für den Fall einer
Niederlage
in der Verfassungsabstimmung hatten sie bereits gerichtliche Schritte
zur Abwehr einer Güterübertragung an die Einwohnergemeinde
vorbereitet.
Weiterhin elitäre Organisation
Heute ist die Burgergemeinde eine gemäss Gemeindegesetz intern
demokratisch geführte und vom Staat kontrollierte
öffentlich-rechtliche
Institution. Auch die mit der Burgergemeinde verbundenen 13 Zünfte
und
Gesellschaften - rund die Hälfte der Berner Burger sind Mitglieder
einer Zunft - haben öffentlich-rechtlichen Status. In der Praxis
leben
in Burgergemeinde und Zünften aber in weiten Teilen im Ancien
Régime
vor der Französischen Revolution geltende elitäre Regeln und
Organisationsformen weiter.
Burgerratspräsidenten wurden mit einer Ausnahme männliche
Patrizier.
Die Präsidentenliste seit 1852 (2) spiegelt einen quasi
gottgegebenen
Führungsanspruch der Berner Patriziergeschlechter: v. Tavel, v.
Tscharner, v. Sinner, v. Muralt, v. Fischer (3x), Marcuard, v.
Graffenried (2x), Weyermann, Thormann, Wildbolz. Bis in die
1930er-Jahre waren nur Männer wählbar, die mit einer Berner
Burgerin
verheiratet waren.
Die praktizierten Bedingungen für Neuaufnahmen zeigen den Willen,
die
Burgergemeinde als an traditionellen, konservativen Werten
orientiertes, von Berner Interessen geprägtes exklusives Netzwerk
zu
bewahren. Ein Rechtsanspruch auf das Burgerrecht wird in keinem Fall
akzeptiert. Dabei verweist man auf die seit 1917 bestehende
Möglichkeit, bei der Einwohnergemeinde die Stadtbürgerschaft
zu
erwerben.
Wie für das kommune Bürgerrecht der Stadt verlangt die
Burgergemeinde
einen Leumundausweis über polizeiliches und strafrechtliches
Verhalten,
die Zahlungsmoral und die Fähigkeit, die Lebenskosten decken zu
können.
Über objektive Bedingungen hinaus bestehen für das
Burgerrecht in der
Praxis aber auch Voraussetzungen, die nicht transparent sind:
"Petenten" müssen in persönlichen Befragungen in
grösstem Detail über
ihren privaten Lebenswandel, ihre Familienverhältnisse,
Vereinsmitgliedschaften und über ihre finanziellen
Verhältnisse
Auskunft geben.
Finanzielle Oberschicht
Mit dem Vermögens- und Einkommensnachweis und einer substanziellen
Einkaufssumme hat die Burgergemeinde seit je dafür gesorgt, dass
ihre
Angehörigen finanziell und bezüglich Berufswahl eine Elite
der
Stadtbevölkerung bleiben. Eine Studie der Berner Historikerin
Karoline
Arn zeigt (3), dass ein weit überproportionaler Teil der Burger
als
Rechtsanwälte, Bankiers, Vermögensverwalter, Ärzte oder
Architekten
arbeitet. Der früher häufige Beruf des Pfarrers hat in der
Burgergemeinde seine Bedeutung verloren. Arbeiter gibt es in der
Burgergemeinde praktisch keine. Die Studie zeigt, dass der
durchschnittliche Vermögensertrag bei Burgern patrizischer
Abstammung
um ein Mehrfaches höher liegt als bei Nichtburgern. Die
durchschnittliche Einkaufssumme soll heute bei rund 20 000 bis 30 000
Franken pro Familie liegen. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden 6000
Franken verlangt. Nach dem damaligen Geldwert war das sogar für
angehende Bundesräte ein ernstes Beitrittshindernis.
Jahrzehntelang war reformierte Konfession eine Aufnahmebedingung. Dann
öffnete man sich für Katholiken. 1997 wurde -
erklärtermassen als
Symbol für eine neue Offenheit - erstmals ein Jude aufgenommen.
Bis vor
ganz kurzem verlangte die Burgergemeinde auch ein ärztliches
Zeugnis,
das körperliche und geistige Gesundheit und Freiheit von
Erbkrankheiten
attestieren musste. Kritiker erklären, damit habe die Burgerschaft
im
Fürsorgebereich schlechte Risiken den Einwohnergemeinden
überlassen.
Wichtiges Aufnahmekriterium ist und bleibt der Nachweis der
"Verbundenheit mit Bern". Objektiv eine längere Wohndauer,
Teilnahme am
öffentlichen und kulturellen Leben. Aber praktisch auch
Verbundenheit
zur aus dem Ancien Régime übernommenen Berner Tradition
einer durch
Autorität begrenzten Demokratie. Konkret: Akzeptanz der
etablierten
Vorherrschaft der Patrizierfamilien.
Die Burgergemeinde ist aufgrund ihrer Aufnahmebedingungen eine offene
Gemeinschaft. Im klaren Gegensatz zu Freimaurerlogen oder dem
katholischen Opus Dei. Aber die Burgergemeinde hat sich mit ihrem
Aufnahmeverfahren ihren Schwerpunkt in der wirtschaftlichen Oberschicht
und eine sehr konservative Geisteshaltung bewahrt.
Ehrenamtlich, aber rentabel
Ämter der Burgergemeinde werden weitgehend ehrenamtlich, ohne
kostendeckende Entschädigung erfüllt. Und die Burgergemeinde
betont
glaubhaft, bei der Verwendung ihres Vermögens sei Profit nicht das
zentrale Ziel. Aber die anhaltend grosse Nachfrage nach dem Berner
Burgerrecht lässt erkennen, dass Angehörige der
Burgergemeinde sich
ausser Ehre auch wesentliche wirtschaftliche Vorteile versprechen.
Die Arbeit von Karoline Arn zeigt, wie Burger in ausgewählten
Sektoren
der regionalen Wirtschaft über Jahrzehnte Führungspositionen
besetzen:
zum Beispiel bei den Bernischen Kraftwerken (BKW), bei führenden
Notariats-, Anwalts- und Vermögensverwaltungs- und
Architekturbüros.
Bei Versicherungen und Banken, zum Beispiel bei der Berner Versicherung
und Mobiliar, bei Unternehmungen der Nahrungs- und Medizinalindustrie,
zum Beispiel bei Galenica, im Elektroniksektor, zum Beispiel bei
Gfeller und Hasler.
Im Medienbereich hielt die von den Bernburgern Charles von Graffenried
und Erwin Reinhard kontrollierte und kürzlich an die Zürcher
Tamedia AG
verkaufte Espace Media Groupe in der Region eine marktbeherrschende
Position. Die in der Stadtentwicklung einflussreiche Berner
Denkmalpflege war mit Bernhard Furrer jahrelang und ist seit Anfang
Jahr mit Jean-Daniel Gross wieder in den Händen von Burgern. So
konnten
und können Burger in einem regionalen Wirtschaftsnetz für
Stellen oder
Aufträge für sich oder Nachkommen immer wieder mit
"familiärer"
Aufnahme rechnen. Konflikte um die Neuüberbauung von
Grundstücken der
Burgergemeinde (Beispiel: Villette-Quartier) und der Verkauf der Espace
Media haben gezeigt, dass das bernische Interesse auch bei Burgern oft
dort seine Grenze findet, wo viel Geld auf dem Spiel steht.
Die neueste Forschungsarbeit der Historikerin Katrin Rieder (4) zeigt,
dass die Burgergemeinde in ihrer geistigen Homogenität eine
Tendenz zur
autoritären Tabuisierung und Kritikabwehr entwickelt hat. Man
pflegte
ein Bild, wo die Welt noch in Ordnung ist. Prominente Bernburger hatten
sich schon früher in rechtskonservativen Kreisen profiliert: In
der
Auseinandersetzung mit den Liberalen in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts wurden "Radikale" (Freisinnige) zusammen mit Kommunisten,
Schriftstellern und missliebigen Journalisten als Abschaum beschimpft.
Düstere Nazizeit-Geschichte
Brisant wurde die rechtsradikale Tendenz zahlreicher Patrizier aber
erst in der Nazizeit. In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg
engagierten sich prominente Bernburger in führenden Positionen
ultrapatriotischer, direkt nazifreundlicher und frontistischer
Organisationen.
Mit dieser düsteren Phase ihrer Geschichte hat sich die
Burgergemeinde
nie auseinander gesetzt. Jahrzehnte später haben die Burger - aus
Ignoranz oder in falsch verstandener Solidarität - einen Patrizier
in
eine zentrale Position gewählt, der vor dem Krieg eine Position
innehatte, die ein öffentliches Amt eigentlich für immer
hätte
ausschliessen müssen.
Für Forscher ist das Thema Burgergemeinde eine Risikozone. Die von
der
Burgergemeinde publizierte Selbstdarstellung "Burgergemeinde Bern,
Gegenwart und Geschichte" (1) gewährt zwar bis ins 19. Jahrhundert
klaren Einblick in die Herrschaftsstruktur und den "Habitus" der
Burger. Aber für das 20. Jahrhundert werden nicht so erfreuliche
Entwicklungen und Ereignisse vollständig ausgeblendet.
Kritische Forschung unerwünscht
Vier Beispiele aus dem Umgang mit kritischen Stimmen der historischen
Wissenschaft zum Thema Burgergemeinde:
· Zwei an der Universität Bern erarbeitete historische
Lizenziatsarbeiten von Karoline Arn und Katrin Rieder (5) brachten Ende
der 1990er-Jahre neue Fakten über die neue Geschichte der
Burgergemeinde ans Licht. Mit der Folge, dass - laut Aussage des
heutigen Burgerratspräsidenten Franz von Graffenried - der
damalige
Sekretär der Burgergemeinde drohte, ein Weiterzug der
Forschungsarbeit
mit Publikation hätte Klagen zur Folge.
· Im Hinblick auf eine vom Bundesarchiv, dem Stadt- und
Staatsarchiv
für 2001 geplante Ausstellung im Käfigturm über
Bundesrat Markus
Feldmanns Tagebücher hatte das Bundesarchiv Katrin Rieder den
Auftrag
erteilt, für ein Dossier einen Artikel zu schreiben zum Thema, wie
Feldmann Bernburger wurde (6). Feldmann war im ersten Anlauf 1940
überraschend nicht zum Bundesrat gewählt worden. An seiner
Stelle
wählte das Parlament den deutschfreundlichen BGB-Parteikollegen
und
Bernburger Eduard von Steiger. Im Hinblick auf seine Wahl im zweiten
Anlauf offerierte die Burgergemeinde Feldmann 1951 das
Ehrenburgerrecht. Dem Vernehmen nach hatte der Berner Staatsarchivar -
selbst ein Bernburger - versucht, den Auftrag an die Historikerin zu
verhindern. Als ihm dies nicht gelang, machte das Berner Staatsarchiv
bei der Ausstellung nicht mehr mit.
· Der Berner Historiker Daniel Schläppi publizierte zwei
Texte in
Bänden über die Geschichte von Berner Zünften (7). Dem
Vernehmen nach
musste er dabei Zensuren akzeptieren. Heute will er sich zu dieser
Angelegenheit nicht mehr äussern. Kenner der Szene erklären,
wer in
Sachen Burgergemeinde kritisch recherchiere, müsse damit rechnen,
auf
dem Platz Bern keine Stelle als Historiker zu finden.
· Seit 2004 liegt in den Schubladen der Universität Bern
die
Dissertation von Katrin Rieder zum Thema Burgergemeinde im 19. und 20.
Jahrhundert. Aufgrund dieser Arbeit hat die Wissenschaftlerin von der
Universität Bern den Doktortitel erhalten. Aber die Arbeit ist im
Bibliothekskatalog immer noch nicht registriert und damit nicht
öffentlich einsehbar. Im Januar 2008 plant der Chronos-Verlag die
Publikation einer gekürzten Version. Wer garantiert, dass dabei
aus der
von der Universität genehmigten Fassung nicht politisch
missliebige
Fakten gestrichen werden?
Bürger statt Burger
Die Berner Burgergemeinde ist für Auswärtige offenbar ein in
der
heutigen Zeit fast unglaublich kurioses Konstrukt. Das musste der
Berner Geschichtsprofessor Albert Tanner bei der Publikation seiner
Habilitatsionsschrift (8) erfahren. Als der Korrektor des Verlags die
Passagen über die Burgergemeinde las, war ihm klar, das müsse
ein
Schreibfehler sein. Er setzte überall ü-Pünktchen drauf.
Im Sinne der
gängigen politischen Vernunft machte er für das gedruckte
Buch aus den
Berner Burgern Bürger. Aus der Burgergemeinde eine
Bürgergemeinde.
Verwendete Literatur:
1) Burgergemeinde Bern (Hrsg.). Die Burgergemeinde Bern, Gegenwart und
Geschichte. Stämpfli-Verlag, 1993.
(2) Burgerbuch. Verzeichnis der Burgerschaft der Stadt Bern.
Stämpfli Verlag, 2005.
(3) Karoline Arn. Mehr Sein als Scheinen. Die Burgerschaft der Stadt
Bern im 19. und 20. Jahrhundert. Eine städtische Elite in
ständischer
Exklusivität. Lizenziatsarbeit. Universität Bern, 1999.
(4) Katrin Rieder. Netzwerke des Konservativismus. Berner
Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20. Jahrhundert. Dissertation,
Universität Bern. Voraussichtliches Erscheinungsdatum im Verlag
Chronos, Zürich: Januar 2008.
(5) Katrin Rieder. Burgergemeinde der Stadt Bern. Hüterin der
bernischen Tradition. Lizenziatsarbeit Universität Bern, 1998.
(6) Markus Feldmann, Bundesarchiv Dossier 13. Bern 2001.
(7) Daniel Schläppi. Hochherzige Männer, edle Freunde,
strahlende
Kinder, glückliche Mütter. Die Zunftgesellschaft zu Schmieden
Bern.
Zwischen Tradition und Moderne, 1795-1995. Dissertation.
Universität
Bern, 2000.
Daniel Schläppi. Der volle Zunftbecher. Menschen, Bräuche und
Geschichten aus der Zunftgesellschaft zu Metzgern Bern. Lanius. Bern,
(8) Albert Tanner. Arbeitsame Patrioten, wohlanständige Damen.
Bürgertum und Bürgerlichkeit in der Schweiz 1830-1914.
Orell-Füssli-Verlag, 1995.
Richard Aschinger
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Bund 21.7.07
"Wir sind kein Rotary Club"
Seit der französischen Revolution haben sich die einstigen Berner
Herrscherfamilien als Förderer von Kultur und Wissenschaft einen
Namen
gemacht. Burgerpräsident Franz von Graffenried über die
Verdienste und
über dunkle Flecken in der Geschichte der Burger.
"Kleiner Bund": Herr von Graffenried, der innerste Zirkel der Macht bei
den Burgern sind von alters her die Patrizier. Sind Sie ein Patrizier?
Franz von Graffenried: Ja. Die Familie wird als patrizisch bezeichnet.
Um 1300 zog einer meiner Vorfahren von Graffenried, einem Weiler im
Westen Berns, in die Stadt und erhielt bald das Burgerrecht. In der
Zeit bis zum Fall war die Familie regelmässig im Rat vertreten.
Wir
stellten vier Schultheissen. So wurden wir eine regierungsfähige,
patrizische Familie.
Bis zum Fall . . . Sie meinen bis zum Einmarsch Napoleons in Bern?
Ja, bis 1798.
Wie wurde man damals und wie wird man heute Burger?
Damals musste man im Stadtstaat ein Haus besitzen und dauerhaft darin
wohnen. Heute ist ein Kriterium für die Aufnahme der Nachweis
einer
besonderen Verbundenheit mit Bern. Wir sind kein Kegelklub oder Rotary
Club. Idealerweise nehmen wir junge Familien mit Wohnsitz in Stadt oder
Region Bern auf.
Die finanziellen Hürden der Einburgerung sorgen dafür, dass
Leute aus unteren Schichten nicht aufgenommen werden?
Für eine Familie mit zwei Kindern und durchschnittlichem Einkommen
kostet die Einburgerung zwischen 20 000 und 30 000 Franken. Dies
"Wir kämpfen gegen das Image des ,Geheimzirkels'."
beinhaltet auch die Aufnahme in eine der Zünfte, die verschiedene
Tarife haben. Man muss dabei berücksichtigen, was damit verbunden
ist.
Wenn irgendjemand aus dieser Familie bedürftig werden sollte,
kommt die
Zunft auf. Die Summe ist als eine Art Einkauf ins Vermögen der
Zunft zu
verstehen.
Können Juden, Muslime oder Schwarze Burger werden?
Vor gut zehn Jahren wurde ein erster Burger jüdischer Herkunft
aufgenommen. Damit sollte die Offenheit der Gemeinde demonstriert
werden.
Burger wollen unter sich bleiben?
Wir kämpfen gegen das Image des "Geheimzirkels".
Religionsangehörigkeit ist kein Kriterium mehr.
Aber Einburgerungswillige müssen ihre Konfession angeben. Das
zeigt, dass primär an zwei Konfessionen gedacht wurde.
Das ist möglich. Wir haben aber auch schon Konfessionslose
aufgenommen.
Gibt es andersfarbige Burger?
Sicher. Wir haben 17 500 Angehörige.
Heute sorgt die Wohnsitzgemeinde für die Fürsorge. Wenn schon
der
Heimatort keine Bedeutung mehr hat, warum braucht es da noch die
Burgergemeinde?
Im Kanton Bern gibts 250 Burgergemeinden. Für die Vormundschaft
und Fürsorge ihrer Angehörigen sorgen noch sechs Gemeinden.
Nochmals: Wozu braucht es die Burgergemeinde noch?
Der Staat würde auch ohne uns weiter funktionieren. Aber die
Burgergemeinde existiert einfach. Die Basis sind die
Ausscheidungsverträge mit der Einwohnergemeinde von 1854. Da
wurden uns
bestimmte Aufgaben übertragen, zu deren Erledigung wir
Vermögen
erhielten. Das blieb nicht immer unbestritten. Anfang der 1990er-Jahre,
bei der letzten kantonalen Verfassungsrevision, gab es Vorstösse
zur
Abschaffung der Burgergemeinden. Das wurde abgeschmettert. Wir hatten
uns damals überlegt, was wir tun würden, wenn es so weit
käme. Das
Vermögen würde wahrscheinlich in eine Stiftung zur
Förderung von Kultur
und Wissenschaft überführt. Wenn wir nicht mehr für die
Fürsorge und
Vormundschaft bedürftiger Angehöriger sorgen könnten,
wären wir nur
mehr ein Verein wie die Zürcher Zünfte. Die Essenz der
Burgergemeinde
wäre verloren.
Mit ihren Ländereien hat die Burgergemeinde direkten Einfluss auf
die Stadtentwicklung.
Im Entwicklungsschwerpunkt Wankdorf gehört über ein Drittel
des Bodens
uns. In früheren Zeiten mussten wir für den Eisenbahnbau oder
Autobahnbau Land abgeben. Aus den Erlösen wurden Bauerngüter
in der
Region gekauft. Nach einigen Jahrzehnten wurden die einstigen
Bauerngüter zu Bauland. Dieser Zyklus ist durch das neue
bäuerliche
Bodenrecht unterbrochen worden, wonach nur noch der
Selbstbewirtschafter Agrarland kaufen kann. So haben wir in drei
Generationen keine Reserven mehr.
Die Burgergemeinde betont ihre ehrenamtliche Arbeit. Aber
Angehörige der Burgergemeinde haben auch Vorteile?
Das kann in Einzelfällen sein. Eine Rolle in dieser Hinsicht
spielt
vielleicht die bei Burgern beliebte Pfadfinderabteilung Patria. Aber
der Einfluss von Studentenverbindungen ist grösser. Helveter und
Zofinger öffnen sich landesweit Türen.
Vor dem Zweiten Weltkrieg haben sich prominente Burger bei
rechtsradikalen Gruppen bis zur Nazi-orientierten Nationalen Front
engagiert. Diese düstere Zeit hat die Burgergemeinde nie
aufgearbeitet.
Mir sind Burger - darunter auch einer aus meiner Familie - bekannt, die
sich in dieser Hinsicht engagiert haben. Diese Zeit haben wir in der
Tat nicht aufgearbeitet.
Auch ein von Graffenried wurde in diesem Zusammenhang genannt.
Das ist, wie gesagt, ein Angehöriger meiner Familie. Wir
Nachgeborenen
wollten einmal die Burger-Exponenten dieser Zeit zu einem Gespräch
einladen. Es waren aber nur zwei von fünfzehn eingeladenen
Personen
bereit, teilzunehmen. Wir wollten sie nicht anprangern, nur wissen, wie
sie die Kriegszeit erlebt haben. Die betreffenden Personen schienen
diese Zeit aber ausgeblendet zu haben.
Mit Ihrem Familienangehörigen haben Sie nie darüber geredet?
Ich muss gestehen: Nein. Damals hatte ich nicht den Mut, ihn zu fragen.
Er war eine starke Persönlichkeit.
Ein ehemaliger Frontist kam später in eine zentrale Position der
Burgergemeinde. Das ist schwer verständlich.
Seine Sympathien für rechtsradikale Strömungen waren bekannt.
Von seiner Funktion bei den Frontisten wusste ich nichts.
Noch ein Wort zum Verhältnis zur Einwohnergemeinde Bern: Das ist
ja
nicht spannungslos, wenn man an die Transparente am Burgerspital vor
der Abstimmung über den Bahnhofplatzumbau denkt.
Die Burgergemeinde äussert sich nicht zur Stadtpolitik, es sei
denn, ihre
"Der Staat würde auch ohne uns weiter funktionieren."
Interessen zum Beispiel als Grundeigentümerin werden tangiert.
Beim
Burgerspital haben wir uns gewehrt, weil die Verkehrsführung das
"Spittel" betraf. Wenn jemand am Zytglogge ein Glashaus bauen will,
nehmen wir aber nicht Stellung.
Als 1992 Rot-Grün an die Macht kam: War das für die Burger
ein Schock?
Wir fanden das nicht erfreulich.
Heute hat man den Eindruck, die Burger störe es nicht, wer unter
ihnen Stadtpräsident sei.
Was bleibt uns anderes übrig, als uns mit der Politik zu
arrangieren?
Was uns ärgert ist, dass in Bern Ruhe und Ordnung zu wenig
durchgesetzt
werden. Da fehlt es am politischen Willen.
Im Interview
Franz von Graffenried (66) ist Rechtsanwalt. Er stammt aus einer
Diplomatenfamilie. 2003 wurde er zum Burgerratspräsidenten
gewählt.
Vorher war er zwanzig Jahre lang in leitender Funktionen der
Burgergemeinde, der Zunftgesellschaft zu Pfister und im Bankrat der
burgereigenen DC-Bank tätig. Er ist Verwaltungsrat der Bern Arena
AG,
Geschäftsführer der Berner Spezialgeschäfte und im
Vorstand des Freien
Gymnasiums.
Interview: Bernhard Ott, Richard Aschinger