MEDIENSPIEGEL 11.-27.12.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo, Rössli, DS, GH, Infoladen)
- (St)Reitschule: Farbbeutel, Handtäschli-Klau + Flaschen
- Knast-Soli Billy, Costa + Silvia
- Zaffaraya: Keine Legalisierung
- Gasse BE: Offene (Heiliggeist-)Kirche; Gassenarbeit
- Centralweg: Ausstellung zu Bauprojekt
- Anti-SVP: Farbiges in Winterthur + Bern
- Kino Kunstmuseum: Licht bald aus?
- Deisswil: Kritik per Buch
- Rabe-Info 13.-23.12.10
- Drogenpolitik Thun: Abgang von Andreas Lüscher
- Rauchverbot BE: nix da Änderung
- Drogenrazzia im Sachabgabezentrum auf Brünig
- Police BE: AusländerInnen; Securitas; Thun
- Harassenlauf BL: Auflösung OK stresst Obrigkeit
- Dealszene BS: Jung, winterfest + polizeiresistent
- Rassismus: Schutz Dunkelhäutige
- Antifa: Fluchthelfer 1930er
- SS-Arzt aus Luzern
- Rechtsextrem: NPD-Flyer pro CH; Freysinger bei franz. Rechten;
Prozess Aarwangen/Wangen + Uri
- Identitätswahn: Warum es gesund ist ein Fremder zu sein
- Sans-Papiers: legale Lehre; Knastgefühle; Studie; Kontakt- +
Beratungsstelle LU
- Asyl: Härtefälle; gegen Internierung AG
- Migrationsrecht: Heiratsverbot; Rechtshilfe
- Nothilfe: Beibehalt ZH; Baucontainer SG
- Ausschaffungen: Millionen für Rückkehrprojekt; Rüge
für BfM; Sonderflüge; Ausschaffungsknastzahlen BE; Alain du
Bois-Reymond
- Sexwork: Bordell-Gesetz LU; Tag gegen Gewalt an Sexarbeitenden
- Squat FR: Widerspruch von Raie-Manta
- Freiraum SO: Illegale Pary mit Folgen
- Squat VD: VillabesetzerInnen von Clarens können bleiben
- Velodemo GE: Polizei wartet ab
- Autonome Sommeruni LU: Vorträge online
- Gassenküche: Langenthal
- Obdachlos: Winterthur; Zürich; Limmattal; Luzern, Bern, Basel
- Big Brother Sport: Benimmdiktat; Pyrounfall LU; Anti-Hool ZH;
Stadionexperten LU; Sicherheitskosten LU
- Big Brother: Fichierung VD; AFIS New Generation; Handy-Drohungen
gegen rechts; Fichen-Film
- Police CH: Contremouvments; Grenzwachtkorps;
- Anti-Feminismus: Kuhn for Nationalrat; SVP-Ausschluss;
Streitgespräch
- Homophobia: Blatters WM 2022; Bagger-Pauli; Prager Penistest
- Rote Flora erhalten
- Undercover: Tierrechte-AktivistInnen auch in Luzern ausspioniert
- Briefbomben Rom: FAI - Namensklau + grosse Worte; CH-Connections;
Strategie der Spannung
- Kopenhagen 2009: Massenverhaftungen illegal
- Schokolade: Kinderarbeit nicht süss
- Drogen: Hanfdiebe; DEA international tätig; teure
Kokainprozesse; Tierische Drogenköpfe; Koks in Zug; Drogenkartelle
Mexico; Online-Therapie; Partydrogen; Indoor-Boom
- Maras: Leben und Tod der Jugend Zentralamerikas
- Anti-Atom: Mühleberg; Tiefenlager; Stromkonzerne-Kuhhandel;
Zwischenlager; Majak-Uran; Atom-Lobby; Bautypen; Finnland; USA;
BKW-Uran; Kerntech-Zukunft; NW, OW, AG; TG, SO; Anti-AKW; Kosten
Mühleberg2; Majak; Bözberg; SBB-Absage
----------------------
REITSCHULE
----------------------
Di 28.12.10
20.00 Uhr - Rössli - Tomazobi — Ein
Wintermärchen
20.30 Uhr - Tojo - "Lustiger Dienstag 50" Mehr als
Variété. LuDi-Crew und Gäste.
Mi 29.12.10
19.00 Uhr - SousLePont - Bündner Spezialitäten
20.00 Uhr - Dachstock - BM Lotto: Hosts: ELSA FITZGERALD
&
MÜSLÜM, Showcase : Lt. SLAM & HIS MIGHTY BASSDRUM (Human
Jukebox Session !) Unglaubliches BM Lotto 4.0
20.30 Uhr - Tojo - "Lustiger Dienstag 50" Mehr als
Variété. LuDi-Crew und Gäste.
22.00 Uhr - SousLePont - Offene Bühne
Do 30.12.10
20.30 Uhr - Tojo - "Lustiger Dienstag 50" Mehr als
Variété. LuDi-Crew und Gäste.
Fr 31.12.10
22.00 Uhr - SousLePont - Bad Taste Sylvesterparty mit DJ
Set von
Copy&Paste
23.00 Uhr - Frauenraum - LesBiSchwules Bern presents:
EISSCHMELZE VOL.
3. Mit Princess P, Thalamus, Casa-Show & Auf Dauerwelle
So 02.01.11
08.00 Uhr - Grosse Halle - Flohmarkt bis 16h
13.30 Uhr - Kino - Michel in der Suppenschüssel,
Schweden/Deutschland 1971
Mi 05.01.11
19.30 Uhr - Infoladen - Welcome to Hell: Zu Besuch bei
Mumia Abu-Jamal
Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch
---
kulturstadttbern.derbund.ch 27.12.10
Kulturbeutel 52/10
Von Gisela Feuz am Montag, den 27. Dezember 2010, um 06:00 Uhr
(...)
Herr Gnos empfiehlt:
Das Konzert der Luzerner Desert-Rock-Jazzer Grey Mole, die heute
Montagabend an der Zieglerstrasse 9 in Bern das Micro-Jazzfestival "Die
letzten Tage" eröffnen. Das Quintett ist mit Howe Gelb befreundet,
hat mit dessen Sängerin Lonna Kelley schon die eine oder andere
Schweizer Tour absolviert und tritt zwischendurch immer mal wieder mit
dem Ex-Dead-Brother Pierre Omer auf. Und am Donnerstag lohnt der Besuch
im Rössli bei den Low-Fi-Cowboys Captain Moustache & Fredo
Ignazio. Die zwei Glarner verstehen es, den Western-Trash zu
zelebrieren.
(...)
---
Bund 27.12.10
Auf der anderen Seite des Christbaums
Ein gestrandeter Lette, ein Weihnachtsessen in der
Gassenküche oder im Nobelrestaurant, junge Christen am Loeb-Egge
und ein Künstler im Dunkeln: Bern schreibt die verschiedensten
Weihnachtsgeschichten.
Fiona Ziegler
Samstagabend, 25. Dezember, in Bern: Weisse Weihnachten wie im
Bilderbuch. Doch kalt ist es, "so kalt wie zu Hause", sagt Olegs
Ignatjevs aus Lettland. Er war vor einigen Tagen in die Schweiz
gereist, da ihm ein Freund aus Riga Arbeit auf einer Berner Baustelle
versprochen hatte. Beim Zwischenhalt in Zürich sei ihm in einem
Café alles gestohlen worden, erzählt er.Einzig die
Fahrkarte nach Bern blieb ihm. Und so habe er sich entschlossen, auf
gut Glück hierherzureisen.
Endstation Bern
Am Bahnhof Bern traf er auf Heilsarmisten, die Weihnachtslieder
sangen. Gestikulierend versuchte Ignatjevs, der nur russisch spricht,
ihnen klarzumachen, was ihm passiert sei - und er eine
Übernachtungsmöglichkeit suche. Die Heilsarmisten wussten
Rat, brachten den 34-jährigen Letten in ihrem Passantenheim unter,
bis ihm das lettische Konsulat nach den Feiertagen weiterhelfen
würde.Im grossen, mit einem Christbaum dekorierten Speisesaal des
Heilsarmee-Passantenheims erklärt er der russischen
Übersetzerin, was ihm widerfahren sei. Seinen Freund werde er wohl
kaum mehr auffinden können, da ihm dessen Telefonnummer und
Kontaktadresse zusammen mit seinem Geldbeutel gestohlen worden sei. Es
sei das erste Mal, dass er Weihnachten nicht zu Hause verbringe. Am
Heiligabend habe es im Passantenheim eine Weihnachtsfeier gegeben.
Schön, dass er doch noch etwas weihnachtliche Stimmung habe
erleben dürfen. Was er denn gemacht habe, seit er in Bern
gestrandet sei? Er habe sich Bern etwas angeschaut. Es sei eine
schöne Stadt, aber nicht das Ziel seiner Reise gewesen. Und sein
Wunsch zu Weihnachten? Er überlegt und meint dann ziemlich
nüchtern: "zurück nach Hause zu kommen." Irgendeinen Weg
werde er schon finden, fügt er bei, denn er sei schliesslich ein
Optimist.
Ein spezielles Weihnachtsmenü
Kein Christbaum, sondern deutsche Punkmusik bei der Essensausgabe
in der Gassenküche an der Neubrückstrasse 19: Der gelernte
Koch Mario Stegmann kocht ein Weihnachtsmenü bestehend aus Suppe,
Nüsslersalat und einem Kalbssteak an Morchelrahmsauce. Zum Dessert
gibts ein Caramelköpfli, sagt der 52-jährige Koch und zeigt
den angerichteten Dessertteller. Seit 22 Jahren koche er jedes Jahr am
25. Dezember ehrenamtlich für die Gassenküche. Das Essen an
Weihnachten sei für die jeweils zehn bis fünfzehn Leute
gratis, "weil ja Weihnachten ist". Am Tresen sitzt Roberto Gygli, der
gerade den - à la minute zubereiteten - Kalbsbraten kostet. Er
wohne seit drei Jahren in Bern und arbeite auf dem Bernermärit, wo
er südamerikanische Produkte verkaufe, sagt der 32-jährige
Peruaner. Seine Familie lebe in Peru, und so esse er jedes Jahr an
Weihnachten hier. Es gebe die konventionelle Sicht von Weihnachten,
aber hier verbringe man einen ganz normalen Abend, an dem man Freunde
treffe - und trotzdem sei es speziell.
Anders der Rahmen und das Ambiente im Bellevue-Palace: Vor dem
Eingang zu Berns Fünfsternhotel steht ein roter Ferrari mit Zuger
Nummernschild, das Eingangsportal zieren links und rechts zwei farbige
Nussknacker-Figuren, im Eingangsbereich funkeln 22 000
Weihnachtskugeln. Die Eingangshalle dominiert ein zehn Meter hoher
Weihnachtsbaum. Das Bellevue sei über die Weihnachtstage sehr gut
besucht, und es seien nicht nur Paare, die an Weihnachten hier essen
würden, sagt Direktor Urs Bührer. Auch ganze Familien
zählten zu den Gästen im Restaurant La Terrasse, die mit
einem von Küchenchef Gregor Zimmermann komponierten
6-Gang-Festmenü verwöhnt würden. Kostenpunkt: 140
Franken pro Person.
Junge Christen am Loeb-Egge
Der Kälte trotzend, verteilen elf Jugendliche am Loeb-Egge
Punsch, Schinkengipfeli, Weihnachtsgebäck und Schokolade. Es sind
freikirchliche Christen aus Frutigen, zwischen 18 und 22 Jahre alt. Man
habe am 24. Dezember mit der Familie gefeiert, um dann am
Weihnachtsabend in Bern sein zu können. Sie wollten, sagen sie,
die Liebe, welche die Geburt Jesu symbolisiere, auf diese Art
weitergeben und den Passanten eine Freude bereiten. Während am
Loeb-Egge warmer Punsch ausgeschenkt wird, tritt Boris Billaud um 20
Uhr aus dem Progr und hängt eine brennbare Maske an einen Baum.
Seine "Atmoterroristische Demonstration", wie er sie nennt, sei bewusst
am Weihnachtsabend angesetzt und sei vergleichbar mit einem
winteraustreibenden Ritual. Er wolle damit die Kritik am
gegenwärtigen Kulturdiskurs zum Ausdruck bringen, erklärt er
zwei Besuchern aus Thun.
Einige Meter weiter fragen zwei junge Frauen aus St. Gallen, wo
man denn in Bern am Weihnachtsabend ausgehe. Sie hätten dem
Weihnachtsprozedere zu Hause entfliehen wollen und seien deshalb nach
Bern gereist. Nun, wer sich ins Nachtleben stürzen wollte, hatte
die Qual der Wahl: Über 19 Clubs boten Weihnachtspartys an, wobei
das Tojo in der Reitschule schon um Mitternacht ausgebucht war. Es sei
eine Menschenmenge auf der Flucht vor Weihnachten, meint ein Besucher.
Und eine junge Frau erklärt, sie komme jedes Jahr nach dem
Familienfest hierher, denn: "Wie der Truthahn am Weihnachtsessen, so
ist das Tojo am 25. Dezember Tradition."
---
kulturstattbern.derbund.ch 27.12.10
Do the Weihnacht
Von Gisela Feuz am Sonntag, den 26. Dezember 2010, um 16:24 Uhr
Das waren noch Zeiten, als an Weihnachten jeder Club und jede Beiz
geschlossen blieb und sich die verlorenen Seelen zu Hause in den
eigenen vier Wänden die Kante geben mussten. Mittlerweile kann in
der heiligen Zeit ja praktisch an jeder Ecke gefeiert und getanzt
werden, ein Angebot, welches gestern zumindest in der Reitschule rege
genützt wurde.
Ausverkauftes Haus wurde gemeldet. In die Tojo-Disko gabs um halb Vier
kein Reinkommen mehr und auch Dachstock und Sous Le Pont platzten aus
allen Nähten. Viel lustiger war es aber sowieso draussen, genauer
an der Ecke vor dem Rössli zum Innenhof. Dort hatte sich
nämlich eine primatiptope Eisschicht gebildet, welche dem nicht
mehr ganz nüchternen Partyvolk das Leben schwer machte. Ist ja
auch schwierig an Weihnachten, wenn der Körperschwerpunkt wegen
Mamas Braten um einiges tiefer liegt als sonst. Von Papas Grappa wollen
wir erst gar nicht reden. Jedenfalls konnte auf besagter Eisschicht vom
eleganten doppelten Rittberger bis hin zum ausdrucksstarken Pinguin
(Flach auf die Wampe fallen) alles beobachtet werden, was das
Chiropraktiker-Herz erfreut.
Im Dead End gings zu noch späterer Stunde ähnlich lustig zu
und her. Auf der Bühne griffen Mission Control in die
Rockabilly-Saiten und wurden dabei kritisch-wohlwollend beäugt vom
Stillen Hasen. Wenigstens der hat diese Weihnacht offenbar auch
überlebt und ist nicht in irgendeinem Römertopf gelandet.
Hallelujah.
---
Bund 24.12.10
Bananen und andere Ausrutscher
Dichter, Komiker, Akrobaten und elektrisierende Coiffeusen haben
am Lustigen Dienstag ihre grossen Auftritte: Der
Variété-Abend im Tojo der Reitschule hat sich zum
erfolgreichen Dauerbrenner entwickelt.
Brigitta Niederhauser
Am Anfang kam manchmal eine riesige Zange zum Einsatz. Sie wurde
gebraucht, um einen Künstler von der Bühne zu schaffen, der
schlecht war, langweilig oder sich nicht an die Abmachungen hielt.
"Heute benötigen wir sie nicht mehr", sagt Markus Schrag vom Duo
Hell & Schnell. Doch hemdsärmelig geht es auch nach sieben
Jahren noch immer zu und her an den Lustigen Dienstagen (Lu-Di) im Tojo
der Berner Reitschule. Denn Schrag schaut als Herr Schnell noch immer
für Ordnung und massregelt die Dichter und Komiker, die
Akrobatinnen und Coiffeusen, die lampenfiebrig über die Bretter
stolpern, die nicht immer die Welt bedeuten.
Herr Schnell ist Abwart, ausgestattet mit jenem Berufsstolz, der
Mieter und Schulkinder fürs Leben traumatisiert. Seit er mit Herrn
Schnell ein noch rechthaberischeres Alter Ego gefunden hat, arten seine
Sturheit und sein Aufräumwahn noch mehr aus. Der Berner
Künstler Luciano Andreani sass einst im Publikum und war vom
grossen Potenzial der Abwartfigur begeistert. "Der Lustige Dienstag hat
uns zusammengebracht", heisst es bei Hell & Schnell, dem Duo mit
den schlecht sitzenden Bärten und Hüten, das mit eisernem
Besen die Tingeltangel-Show frisiert und dessen Hinterhältigkeit
immer fiesere Blüten treibt: Da wird auch mal eine Banane am
Bühnenboden festgeschraubt. Um diesem Max Havelaar Manieren
beizubringen, der sich seine Lacher holt, indem er einfach nicht
aufhört, Bananen in sich hineinzustopfen.
Liederzüchter und Schneemänner
Der Lustige Dienstag, der während der Theatersaison jeweils
am letzten Dienstag des Monats stattfindet, bringt nicht nur
Künstler zusammen, er katapultiert sie manchmal auch auf
grössere Bühnen. Als "Plattform für umwerfende
Darbietungen und Ausrutscher aller Art" erstmals im Herbst 2003
durchgeführt, entwickelte sich das Variété zur
beliebten Showbühne, sowohl für Newcomer, die ihre Kunst
erstmals Publikumsreaktionen aussetzen, als auch für arrivierte
Künstler, die neues Material austesten wollen.
Pedro Lenz hat früh den Lustigen Dienstag entdeckt, Herr
Schneemann beehrte samt Gattin mit seinem Schmelz den Anlass, der
Komiker Andreas Thiel trat dort auf, bevor er dem Charme der SVP
verfiel, der Liederzüchter Sarbach, Dottore Antonio Superbuffo,
die elektrisierende Coiffeuse Sandra oder Könu, die singende
Kamera. Drei bis sechs Minuten dauern die Nummern der Gäste, und
für den akkuraten Rahmen sorgt die Lu-Di-Crew. Deren Auftritte
werden wie kurze Kapitel einer Soap von Dienstag zu Dienstag
weiterentwickelt, Cliffhanger, Pannen und Intrigen inklusive.
Denn was die Hinterhältigkeit betrifft, so muss sich das Duo
Hell & Schnell gegen eine starke Konkurrenz durchsetzen,
gehören doch zur aktuellen Mannschaft der überaus gewiefte
Artdirector Will Lee alias Thomas Laube sowie der grimmige Hans Franz
Nägeli (Robert Stofer), zwei ausgefuchste Lu-Di-Profis, die schon
seit sieben Jahren durchhalten. Mit Judith Bach vom Duo Lunatic und der
Praktikantin Cindy Lauper (Eveline Dietrich) mischen auch zwei Damen im
Pointenpingpong mit. Sonst sind Frauen allerdings Mangelware, sowohl
bei der Crew als auch bei den Gästen. "Es melden sich weit mehr
Männer", sagt Schrag, und Andreani vermutet, dass Frauen mehr
Mühe haben, sich selber blosszustellen. Im Unterschied zum
Bösen Montag in Zürich, der oft zur Buh-Show ausartet, werden
am Lustigen Dienstag keine Künstler fertiggemacht. Kommt einer
nicht an, gibts einfach weniger Applaus.
Obwohl der Lustige Dienstag mit Dirk Vittinghoff über einen
professionellen Regisseur verfügt, hat die Show über all die
Jahre ihren Ruf und ihre Beliebtheit als unberechenbares und mitunter
auch chaotisches Happening bewahrt. "Wir kennen die Nummern unserer
Gäste nicht", sagt Schrag. Ausgewählt werden die
Künstlerinnen und Künstler an der monatlichen Sitzung der
Crew, und pro Saison liegt nur ein Auftritt drin. Geprobt wird nur
kurz, und wie der Abend ausgeht, weiss die Crew genauso wenig wie das
Publikum.
Max Havelaars Auferstehung
"Manchmal müssen wir auch ein Crew-Mitglied beerdigen, und
dann wirds für alle sehr emotional", sagt Andreani. Hat eine Figur
einmal ausgespielt, wird ihr ein würdiger Abschied beschieden. So
ist Max Havelaar, der unerschrockene Bananenfresser, mit
Gospelklängen zu Grabe getragen worden. Fürs Jubiläum,
die 50. Ausgabe des Lustigen Dienstags, wird er nun wiederbelebt. Was
Hell & Schnell nicht weiter beeindruckt. Auch ein Wiedergänger
hat sich an ihre Regeln zu halten.
Die 50. Ausgabe des Lustigen Dienstags wird dreimal gefeiert: am
28., 29., 30. 12., jeweils um 20.30 Uhr im Tojo der Reitschule. An den
drei Abenden treten immer andere Gäste auf. Infos: www.tojo.ch.
---
Bund 23.12.10
Bewegungsmelder-Lotto
Keine Rollschinkli in der Reitschule
Nichts von wegen "Karton im Säli!" oder Rollschinkli - das
Bewegungsmelder-Lotto, das zum vierten Mal stattfindet, funktioniert
anders. Das dürfte etwa an den Zeremonienmeistern Elsa Fitzgerald
und Müslüm (Bild) liegen, an den unorthodoxen Preisen, am
Showcase von Lt. Slam & His Mighty Bassdrum oder nicht zuletzt,
weil es auch Gratis-Lottokarten gibt.(reg)
Reitschule Dachstock Mittwoch, 29. Dezember, 20 Uhr.
---
BZ 23.12.10
Kunterbunte Kulturhäppchen für die Festtage
AusgehtippsMan muss nicht am Festschmaus verschmoren. Auch
kulturell läuft über die Festtage einiges. Konzerte, ob
klassisch, jazzig oder rockig, Theater, Ausstellungen, Lesungen,
Kinofilme und natürlich Partys. Die Kulturredaktion hat für
Sie einen bunt gemischten Strauss an Tipps zusammengestellt. Ein
Kulturprogramm vom 23. Dezember bis zum 2. Januar.
(...)
Tojo Theater "Völlig losgelöst - the
Real Eighties"
Die Tanznacht mit Tradition: Im Berner Tojo-Theater lässt
das Disko-Kollektiv "Völlig losgelöst" Schlimmes und
Allerschlimmstes vergangener Tage auf ein amüsierwütiges,
sentimental-williges Tanzvolk los: Neue Deutsche Welle, New Wave,
Italo, Pop und Rock der 1980er-Jahre.
25. 12., ab 23 Uhr, Tojo-Theater, Reitschule Bern.
(...)
Rössli-Bar Tomazobi auf der Suche nach
Geschenken
Es weihnächtelt sehr, auch bei den drei Musikern der
Mundartband Tomazobi. Mit ihrem Hörspiel "Uf dr Suechi nach de
verlorene Gschänkli" machen sie halt in Bern. Ein Besuch lohnt
sich: Die drei kämpfen gegen Eisköniginnen, Krokodile und
Fledermausarmeen. Und sogar Rentierschlitten stürzen ab.
28. 12., 20 Uhr, Rössli-Bar (Reitschule), Bern.
---
Kulturagenda.be 23.12.10
Weihnachtsnachfeiern mit Stephan Bodzin im Dachstock
Mit Minimal und House laden Midilux und Beam Rec. zur
Afterweihnachtsparty in den Dachstock. Ein Live-Set des Bremer
Herzblut-Techno-Produzenten Stephan Bodzin und jede Menge lokale Acts
stehen auf dem Programm. So tanzt man den vollen Bauch locker weg.
Weitere Weihnachtsparty-Tipps finden Sie unter www.kulturagenda.be.
Dachstock in der Reitschule, Bern. Sa., 25.12., 23 Uhr
---
Kulturagenda.be 23.12.10
Small Talk mit Robert Stofer,
Schauspieler und einer von vier Gastgebern in der
Tojo-Variété- Serie "Lustiger Dienstag"
Der "Lustige Dienstag" feiert Jubiläum: Die 50. Ausgabe steht vor
der Tür. Hat sich bei Ihnen nicht längst die Routine
eingeschlichen?
Die Gefahr ist natürlich da. Aber ich spiele nun schon die vierte
Figur, den Nägeli, und in der Entwicklung der Figuren passiert
immer wieder etwas. Mit jeder Folge denken wir uns ein neues
Nümmerli aus.
Was ist der Nägeli für ein Typ?
Nägeli sucht in allem das Negative. Er rühmt nichts ohne
Grund, aber auch nicht, wenn es einen gäbe. Trotzdem hat er die
Leute gern und ist nicht zynisch. Er führt als Moderator durch den
Abend, macht die Überleitungen zwischen den Auftritten unserer
Gäste. Normalerweise versprühen ja die Conferenciers nur
Heiterkeit. Für die Künstler ist es gar nicht schlecht, wenn
sie nicht überschwänglich angekündigt werden.
Die Serie ist zu einem Publikumsgaranten geworden. Was ist Ihr
Erfolgrezept?
Es gibt jedes Mal überraschende Gäste. Dabei kann auch vieles
in die Hose gehen. Ich denke, den Leuten gefällt es, dass nicht
alles durchgestylt ist. Das gibt der Veranstaltung den gewissen Charme.
Statt nur einmal wie gewohnt findet die Jubiläumsfolge dreimal
statt. Warum?
Zur 50. Folge machen wir etwas Besonderes: Es treten Gäste auf,
die den "Lustigen Dienstag" mitgeprägt haben und die unserem
Stammpublikum vertraut sind. Unter ihnen sind Künstler wie Pedro
Lenz, Matto Kämpf, Arthur Kainamé und Peter Sarbach. An den
drei Abenden gibt es dreimal verschiedene Gäste.
Interview: Michael Feller
\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \
\ \ \ \ \ \ \ \
Tojo Theater in der Reitschule, Bern
Di., 28.12., Mi., 29.12., und
Do., 30.12., 20.30 Uhr. www.tojo.ch
---
Bund 22.12.10
Ein Stromausfall und andere Offenbarungen
Andere würden sich umgehend an den Tonmeister wenden. Nicht
soGentleman: Als mitten im Konzert der Strom ausfällt und in der
Grossen Halle der Reitschule nur noch ein mutloses Scheppern des
Schlagzeugs zu vernehmen ist, lässt der Mann im weissen Leibchen
seinen Kopf ins Genick fallen, schaut hoch zum Dach und vermutlich
hindurch und deponiert seine Reklamation gleich beim grossen Meister da
oben. Dann reicht der Sänger seinen Fans in der ersten Reihe
Wasser. Erst als danach die Mikrofone immer noch tot sind, schreitet
Gentleman zum Techniker und bald geht es weiter. Mit einer Show, die so
perfekt ist, dass man ernsthaft ins Grübeln kommt, ob Gott
höchstselbst hier einen kurzen Schabernack getrieben haben
könnte.
Aber das wäre nur eine Offenbarung unter vielen an diesem
Montagabend. Erstens steht da mit Evolution eine Truppe auf der
Bühne, die trotz schwierigen Soundverhältnissen weitaus
dynamischer und präsenter agiert als ihr Vorgängermodell Far
East Band. Wie das achtköpfige Gespann knackigen Roots-Reggae mit
wuchtigem R 'n' B, schneidigem Rock und fiebrigem Dance- und Synthpop
(bis hin zu Eurythmics "Sweet Dreams") verdrahtet, das ist so virtuos,
dass der Vergleich mit The Roots sich geradezu aufdrängt. Zweitens
bringt da Side-Kick und Gastsängerknabe Christopher Martin mit
seinem glockenhellen Organ immer wieder jene zarte Gefühligkeit
auf die Bühne, die im zeitgenössischen Reggae
bedauerlicherweise weitgehend wegrationalisiert wurde.
Die Hauptattraktion bleibt jedoch der deutsche Sänger Otto
Tilmann alias Gentleman, der seit bald zehn Jahren als oberster
Wanderprediger der europäischen Reggae-Gemeinde amtet. Und zuletzt
mit dem Album "Diversity" ein durchaus riskantes Manöver vollzogen
hat: die Eingemeindung von Soul und R 'n' B. Was auf dem Album
bisweilen noch etwas gespreizt anmutete, erweist sich in der Reitschule
als fulminante Rezeptur, die geeignet ist, den Reggae auf eine neue
Intensitätsstufe zu heben. Sei es in der Erfolgssingle "To the
Top" oder im zwanzigminütigen Schlussfurioso: Bei Gentleman wird
jetzt nicht mehr nur geschaukelt, gewippt und gewackelt, sondern
lupenrein und formidabel gerockt.
Christoph Lenz
---
kulturstattbern.derbund.ch 20.12.10
Kulturbeutel 51/10
Von Gisela Feuz am Montag, den 20. Dezember 2010, um 06:00 Uhr
Frau Feuz empfiehlt:
Hören Sie am Dienstagmorgen zwischen 9 und 10 Uhr bei Berns
alternativem Kulturradio RaBe auf 95,6 MHz rein. Züri West werden
nämlich in der Morgenshow zu Besuch sein und selber das
Musikprogramm mit ihren Lieblingssong gestalten. Wer bereits im Vorfeld
seinen Weihnachts-Pfunden zu Leibe rücken möchte, der kann
dies am Donnerstag im Rössli in der Punkrock-Disco von Dannyramone
und Rawking Nick tun. Wers lieber elektronisch-experimentell-hihopig
mag, der gehe an diesem Abend in die Dampfzentrale zur Plattentaufe von
Bushwacs Zweitling "Fight! And if you can‘t fight, kick! If you can‘t
kick, bite!"
(...)
---
20 Minuten 20.12.10
Am Samstag in der Berner Reitschule
Techno-Spektakel bis zum Morgengrauen
BERN. Das Berner Techno-Highlight des Jahres ging am Samstag
über die Bühne. Auf dem Line-up: Timo Maas, Alter Ego und
Derrick May.
Ein DJ, ein Live-Act und eine Diva gaben sich am Samstag in der
Berner Reitschule ein Stelldichein. Die Berner strömten in Massen
hin, um zu Timo Maas, Alter Ego und Derrick May abzufeiern. Timo Maas
liess als Erster die Beats trommeln: Zwei Stunden vergnügte sich
der Deutsche an den Turntables, konnte aber als Einziger aus dem Trio
seinem Status als ganz Grosser des Technozirkus' nicht ganz gerecht
werden. Zwar hatte der Bückeburger um exakt ein Uhr mit einem noch
sehr abwechslungsreichen Techno-Set angefangen. Mit der Zeit driftete
er jedoch in eine zu monotone Richtung ab, so dass am Ende die grosse
Halle gar etwas leerer erschien.
Alter Ego hingegen machten im Anschluss mit ihrem Elektro-Set
dann wieder mehr Laune. Eine Stunde lang kitzelten die Darmstädter
alles aus den vordersten Reihen heraus, bis das Duo mit einer
extralangen Version seines Hits "Rocker" von der Bühne ging.
Schliesslich übernahm der als Diva verschrieene Derrick May
das Zepter. Der Detroiter hatte allerdings sichtlich Freude an seinem
Berner Gig und begleitete die letzten Gäste bis um 6 Uhr früh
mit housigen Klängen.
Pedro Codes
---
BZ 18.12.10
Techno-Pionier beehrt Bern
Grosse Halle in der Reitschule. Mit "ammonit" verbinden sich
Party-, Club- und Festivalnamen wie Boutique, Flowers &
Butterflies, Unreal und bis 2007 der Club Via Felsenau. Der
Veranstalter prägt seit 12 Jahren aktiv das Berner Party-Leben,
und das will gefeiert werden. Allen voran mit dem Mitbegründer des
Detroit Techno, der den gesamten Musik-Stil massgebend mitgeprägt
hat: Derrick May. Der Techno-Pionier selber sieht Techno zwar
längst als tot - sogar als mausetot. Der Detroiter Techno hingegen
sei eine musikalische Bewegung der Schwarzen Anfang der achtziger
Jahre. Seine Musik bezeichnet der bald Fünfzigjährige als
Hightech-Soul. Und dieser lebt mit May wie einst im Mai. pd
Heute, 22 Uhr, Grosse Halle, Reitschule, Neubrückstrasse 8,
Bern.
---
BZ 17.12.10
"Diese Musik ist ein Lapsus, genau wie Detroit auch"
Reitschule. Morgen wird die Reitschule zum Mekka der elektronischen
Musik: Derrick May, Mitbegründer der Technobewegung, wird hinter
die Plattenteller treten, um das 12-jährige Bestehen der Berner
Eventagentur Ammonit zu feiern.
Anfang der Achtzigerjahre glich die frühere Hafenmetropole
Detroit einer Geisterstadt: Hohe Arbeitslosigkeit und eine Welle der
Gewalt überrollten die Stadt nach den Schliessungen der
Autofabriken, Wut und Verzweiflung beherrschten den einstigen
Vorzeigeort. Während dieser Zeit verkroch sich der junge Derrick
May in seinem Schlafzimmer, hörte mit seinen Freunden Juan Atkins
und Kevin Saunderson nächtelang Schallplatten und träumte
sich in eine bessere Welt.
Zusammen mit seinen Kumpels reiste er seinen DJ-Idolen Hardy und
Knuckles von Club zu Club nach und beschloss schliesslich, neuartige
Sounds von New-Wave-Bands wie Depeche Mode mit Funk und Disco zu
verschmelzen und sich als DJ zu versuchen. Schnell erspielte sich May
den Ruf eines herausragenden Plattenlegers. Bald schon langweilte es
ihn aber, immer nur die Musik anderer aufzulegen, und er machte sich
daran, seine ersten eigenen Sounds zu produzieren.
Das Resultat war ein neuartiger Stil, den die "Belleville Three",
wie sich May und seine beiden Freunde nannten, als Techno bezeichneten.
Oder wie May einst erklärte: "Diese Musik ist ein Lapsus, genau
wie Detroit auch. Sie klingt, als wären der Funkmusiker George
Clinton und die Technopioniere Kraftwerk zusammen im Aufzug stecken
geblieben."
Doch genau diese Mischung machte den Techno zu einer
avantgardistischen Entdeckung. Dabei entwickelte sich besonders Derrick
Mays melancholische und bisweilen düstere Interpretation des
Techno - vom Untergang Detroits und der Hoffnung auf ein besseres
Morgen geprägt - als zukunftsweisend. Mit einer Reihe von Tracks,
die May zwischen 1987 und 1989 produzierte, revolutionierte er die
Musikwelt und wurde schon kurz darauf als lebende Legende gehandelt.
Morgen wird Derrick May in der Reitschule auftreten, um das
12-Jahr-Jubiläum der Berner Eventagentur Ammonit zu feiern. Sein
Auftritt wird nicht der einzige Leckerbissen dieser extravaganten
Geburtstagsparty sein: Der DJ und Produzent Timo Maas und das
Elektro-Duo Alter Ego sind ebenfalls Gäste des
Ammonit-Gründers Simon Ragaz.
Sarah Elena Schwerzmann
Party: Samstag, 18. Dezember, Grosse Halle der Reitschule, Bern,
ab 22 Uhr. www.starticket.ch.
---
kulturstattbern.derbund.ch 16.12.10
Pop-Göre mit Schnauz
Von Gisela Feuz am Donnerstag, den 16. Dezember 2010, um 06:04 Uhr
Man will ja nicht wissen, wie viel Geld die Schönheitsindustrie
täglich dank der Schnauzhaarbekämpfung der Damenwelt
einnimmt. Von Kaltwachs über Warmwachs, Epilationsstiften,
Bleichmitteln, Enthaarungscrèmes bis hin zur guten alten
Pinzette greift Frau zu allem, womit den ollen Stoppeln der Garaus
gemacht werden kann. Wenn nun ein berühmtes Pop-Sternchen eines
Morgens mit einem richtig schönen, dicken Schnauzer aufwacht, der
sich keinesfalls entfernen lassen will, dann ist das Chaos selbstredend
vorprogrammiert.
Die Musikerin, Filmerin und Performerin, kurz: Frau Tausendsassa Jackie
Brutsche, führt momentan ihre erste abendfüllende
One-Woman-Show "The Moustache Princess" im Tojo der Reitschule auf. Mit
viel Witz, Tempo und Einfallsreichtum wird darin die Geschichte von
Pop-Sternchen Tiffany Tears erzählt und ihrem Wandel von der Pop-
zur Schnauzprinzessin. Die selbstgebauten Kulissen unterstreichen
wunderbar die skurrile und amüsante Freak-Show. Dabei
schlüpft Madame Brutsche mal in die Rolle der verzogenen Göre
Tiffany, mal hält sie im Frack grossspurige Reden, mal rumpelt und
schrummelt sie mit Schlagzeug und Gitarre und singt dazu, was das Zeugs
hält, die grossen Glubscher weit aufgerissen.
http://www.youtube.com/v/CmGP0xyXyl4&hl=de_DE&feature=player_embedded&version=3
Auch Theatermuffel dürften bei dieser trashiger Mischung aus
Performance und Rock'n'Roll auf ihre Kosten kommen, denn sie ist
kurzweilig und macht Spass, diese wunderbare Parodie auf das
glitzernde, glattrasierte Show-Business, in welchem jede Falte
ausgebotoxt, jedes Fettpölsterchen weggesaugt und jedes Haar
ausgerissen gehört. Ein Manifest pro Schnauz wird hier verlesen
und wieso auch nicht, denn: "Everyone has a moustache somewhere!"
Ähem.
"The Moustache Princess" wird noch Freitag und Samstag jeweils um
20:30h und Sonntag um 19h im Tojo der Reitschule aufgeführt. Gehen
Sie hin!
---
WoZ 16.12.10
Minen
Im Tagebau, unter Einsatz von Chemikalien und sehr viel Wasser
und Energie werden in ganz Südamerika Metalle abgebaut. Dagegen
wächst der Widerstand. Eine Historikerin und ein Ethnologe
berichten von einer Rundreise mit Station in Andalgalá
(Argentinien), wo es im vergangenen Januar zu einem Aufstand gegen eine
geplante Mine und die Behörden gekommen ist.
Luzern ROMP, Steinenstrasse 17, Do, 16. Dezember, 19.30 Uhr. Bern
Infoladen Reitschule, Neubrückstrasse 8, Fr, 17. Dezember, 20 Uhr.
Zürich Kasama, Militärstrasse 87a (Innenhof), Mo, 20.
Dezember, 19.30 Uhr. Basel Magazin, Inselstrasse 79, Di, 21. Dezember,
19 Uhr. Bremgarten KuZeB, Ecke Zürcher-/Zuger-Strasse, Mi, 22.
Dezember, 20 Uhr (Volksküche ab 19 Uhr).
---
Bund 16.12.10
Stenchman
Generation Bass
Einmal mehr wird sich an diesem Wochenende auszahlen, dass die
Techniker des Reitschule-Dachstocks die Frequenzweiche der Hausanlage
neu justiert haben, sodass die Wiedergabe von ultratiefen Bässen
einwandfrei gewährleistet ist. Denn mit Stenchman wird eine
Dubstep-Fachkraft aus England einkehren, dessen bisherige musikalische
Hinterlassenschaft zum Knackigsten gehört, was die Generation Bass
hervorgebracht hat.(ane)
Reitschule DachstockSa, 18. Dez., 23 Uhr.
---
WoZ 16.12.10
Bollywood Bandwagon
Als Markenartikel unter der Bezeichnung "Bollywood" haben die
bunten Filme aus der florierenden indischen Filmmetropole Bombay
längst in der ganzen Welt ihr Publikum gefunden. Viele von ihnen
werden seit jeher im Ausland gedreht, besonders beliebt sind dabei auch
die Berglandschaften der Schweiz.
Was Bollywood-Filme weit über Indien hin aus so beliebt
macht, ist ihr üppiger Eskapismus: Weltflucht in Form von
grandioser Unterhaltung. Und noch etwas kennzeichnet viele Produkte aus
der Bombayer Filmindustrie: ihre Ähnlichkeit mit dem Puppentheater.
Die indische Puppentheaterregisseurin Anu rupa Roy hat sich diese
Ausgangslage auf ihre eigene Art zunutze gemacht: Klassische
Bollywood-Zutaten wie Dreiecksbeziehungen,
Familienrivalitäten, Kampfszenen, Liebeslieder und
Tanznummern dienen ihr für eine abendfüllende
Puppentheaterperformance. Roy geht aber einen Schritt weiter,
sodass daraus aufklärerisches Theater wird: Die Szenen werden von
Puppen in Richtung einer Kamera gespielt, die das Geschehen
gleichzeitig auf eine Leinwand projiziert. Auch die Vorgänge
hinter der Bühne werden gezeigt. Sichtbar werden so jene
Abgründe, die die Bombayer Filmindustrie lieber verborgen
hält: die harten ökonomischen Realitäten, Casting
Couches, gescheiterte Träume und verglühende Sterne. adr
"Bollywood Bandwagon" in: Bern Tojo-Theater Reitschule, Mi/Do,
22./23. Dezember, 20.30 Uhr, Fr, 24. Dezember, 15 Uhr. Zürich Rote
Fabrik, Fr, 31. Dezember, 22 Uhr. www.tojo.ch / www.rotefabrik.ch
---
Bund 16.12.10
Gentleman
Den Reggae im Unterbewussten
Im Jahr der Bio-Diversität nannte der deutsche
Reggae-Künstler Gentleman sein neues Album "Diversity" - darauf
anspielend, dass er selber die Mission hat, die Artenvielfalt im Reggae
zu vergrössern. Tatsächlich klingt Gentlemans Musik nicht in
erster Linie nach Jamaika oder Sonnenschein, vielmehr nach
süffigem R'n'B, gefühligem Pop und etwas zuckrigem Soul.(reg)
Reitschule Grosse HalleMo, 20. Dez., 19.30 Uhr. Support:
Christopher Martin, Jahcoustix.
---
BZ 16.12.10
Jamaika im Herzen
ReggaeGentleman lässt traditionelle Reggaebeats mit
neuartigen Klängen verschmelzen, sodass ihm selbst die Jamaikaner
nicht widerstehen können. Am Montag tritt der deutsche Sänger
in der Berner Reitschule auf.
Tilmann Otto trägt Jamaika im Herzen und das Herz auf der
Zunge. Seine Liebe zu dieser kleinen Insel und deren vielfältiger
Kultur erwachte, als ihn 1991 im Alter von 17 Jahren das Fernweh packte
und er von seinem Heimatort im deutschen Osnabrück nach Kingston
reiste. Auslöser waren Reggaeschallplatten, die Otto bei seinem
Bruders auslieh und oft stundenlang abspielte. Die Musik packte ihn,
der jamaikanisch-kreolische Dialekt faszinierte ihn, das
Lebensgefühl, das durch den Reggae ausgedrückt wurde, weckte
in ihm die Neugierde auf die Menschen in Jamaika.
Bilder aus der Wahlheimat
Heute, mit 36, gehört Tilmann Otto alias Gentleman selber zu
den gut zwei Millionen Einwohnern der Insel. Das kreolische Patois
beherrscht er nahezu perfekt. Seit seiner ersten Reise nach Jamaika
verbringt der Deutsche immer wieder Monate in seiner Wahlheimat, um das
traditionelle Kulturgut der Insel aufzusaugen und seine Impressionen
und Erfahrungen musikalisch, in seiner ganz eigenen Form des Reggae, zu
verarbeiten. So sind die meisten seiner fünf Alben über eine
Zeitspanne von zehn Jahren ganz oder teilweise auf Jamaika entstanden -
darunter auch sein jüngstes Werk "Diversity", das im April dieses
Jahres veröffentlicht wurde.
Man hört darauf einen gestandenen Künstler, der auf
eine Karriere zurückblicken kann, die es ihm erlaubt hat, sich in
seinem Genre nicht nur in Deutschland und Amerika zu etablieren,
sondern auch in seiner Wahlheimat - der Geburtsstätte des Reggae.
Fern von Klischees
Fernab von klischierten Bildern beschreiben Gentlemans Texte den
Alltag auf der Antillen-Insel, ein Alltag, der von Grossherzigkeit,
Familienbanden, aber auch massiven sozialen Problemen geprägt ist.
Eine Mischung, die berührt, aber eben auch zum Nachdenken anregt.
"Auf Jamaika herrscht vor jeder Wahl quasi Bürgerkrieg, die
Mordrate in Kingston ist höher als in Johannesburg in
Südafrika", erklärte er in einem Interview. Musikalisch geht
er von traditionellen Reggaeklängen aus, die er wie bei "The
Reason" mit Dub-Elementen und afrikanisch angehauchten Gesängen
verziert oder wie bei "No Time to Play" mit Dancehalleinschlägen
und überraschendem Tempowechsel anreichert, die einfach nur zum
Tanzen einladen.
Sarah Elena Schwerzmann
Konzert 20. 12., Grosse Halle, Reitschule Bern, 19.30 Uhr.
www.starticket.ch. CD: Gentleman, "Diversity", Universal.
---
Kulturagenda.be 16.12.10
"Chat noir, chat blanc" im Kino in der Reitschule
In Emir Kusturicas Balkanjuwel aus dem Jahr 1998 wird der
Schwarzhändler Matko (Bajram Severdzan) vom Gangster Dadan (Srdan
Todorovic) übers Ohr gehauen. Daneben gehts um eine
wunderschöne Liebesgeschichte und überzeichnete Klischees.
Eine schräge, ironische und märchenhafte Zigeunerballade mit
grossartigem Soundtrack.
Kino in der Reitschule, Bern. Fr., 17.12., und Sa., 18.12., 21 Uhr
---
kulturagenda.be 16.12.10
3 Kulturtipps von Simon Ragaz
1. "rocCHipedia" im "Zelt" auf der Allmend (Do., 16., bis Sa., 18.12.,
jeweils 20 Uhr)
Weil Massimo Rocchi ein Haudegen ist, und ich seinen Humor mag.
2. Rundgang: "Bern kulinarisch" von StattLand (Sa., 18.12., 17 Uhr)
Wo sich Gourmets und Gourmands gute Nacht sagen, steht die Kulinarik im
Mittelpunkt.
3. "12 Years Ammonit" mit Technopionier Derrick May (Sa., 18.12.,
Grosse Halle der Reitschule, Bern)
Weil gute Technomusik zur Allgemeinbildung gehört, Derrick einer
der Besten ist, und Ammonit Geburi hat.
Ich würde meine Schwester zur Technoparty überreden, …
… weil diese Nacht noch mit vielen weiteren musikalischen Highlights
aufwartet. Zudem ist die Grosse Halle eine der fantastischsten
Lokalitäten der Stadt. Und drittens könnten wir zusammen auf
das 12-Jahr-Jubiläum anstossen.
---
kulturagenda.be 16.12.10
Gentleman spielt in der Grossen Halle
"Diversity" heisst das fünfte Studioalbum des deutschen
Reggaemusikers Tillmann Otto alias Gentleman, das im Frühling
erschienen und stilistisch wohl sein vielfältigstes ist. Auf Tour
ist der zwischen Köln und Kingston wirkende Künstler mit
Evolution, seiner neu formierten Begleitband aus vielen ihm vertrauten
Musikern.
Grosse Halle in der Reitschule, Bern. Mo., 20.12., 19.30 Uhr
--
Simon Ragaz ist Gründer des Technoparty-Verantalters Ammonit.
Ausserdem ist er leidenschaftlicher Koch und Inhaber eines
Cateringunternehmens.
---
kulturagenda.be 16.12.10
Puppentheater-Persiflage auf Bollywood
Harmlose Inhalte mit düsterem Hintergrund: Die
Puppentheater-Gruppe Katkatha aus Indien entlarvt im Tojo mit ihrer
Performance "Bollywood Bandwagon " die Hindi-Filmindustrie aus Mumbai.
"Bollywood-Filme sind nicht sehr tiefgründig. Sie sind
‹Bubblegum-Entertainment›: sehr einfach zu verdauen und leicht zu
vergessen." Dieses Urteil stammt von Anurupa Roy, der Leiterin der
indischen Puppentheatergruppe Katkatha.
Das Phänomen "Bollywood" fasziniert die kritische
Puppenspieler-Compagnie, weil die Filme einen grossen Einfluss auf das
Leben und die Denkweise der Menschen in Indien haben. Die meisten Inder
sehen Bollywood als harmlosen Spass und als Flucht aus ihrer
Realität an. Selten werden dabei die darin vorkommenden
Stereotypen hinterfragt: "Die gute Frau und Heldin der Geschichte ist
immer ‹rein›, traditionell und religiös. Die schlechte Frau ist
jeweils ein rauchender, trinkender und flirtender Vamp", kritisiert
Anurupa Roy solche Gender-Stereotypen.
Politische und gesellschaftskritische Stücke
Mit spitzer Satire greift Katkatha in den Stücken
gesellschaftliche und politische Themen auf - zu den Inhalten der
älteren Inszenierungen gehören unter anderem die Krise in
Kashmir oder Aids in Indien. "Bollywood Bandwagon" widmet sich nun der
Film-Maschinerie: "In Indien ist Bollywood eins der grössten
Phänomene, direkt nach Religion und Politik. Seit über
sechzig Jahren lieben die Menschen die Musik und die Geschichten",
erklärt Roy. Erst in den 90er-Jahren habe sich Bollywood neu
erfunden und für den internationalen Markt aufgerüstet. Den
Fokus legte man auf Familiendramen und Romanzen, in die Lieder und die
Tanzchoreografien steckte man viel Geld. Damit wurden die Filme auf der
ganzen Welt populär.
Dunkle Realität hinter Bollywood-Romantik
Hinter den Kulissen ist die Bollywood- Industrie jedoch nicht so
paradiesisch, wie die leichten Inhalte der Filme es suggerieren
könnten. Genau diese andere, dunkle Realität von Bollywood
thematisieren Anurupa Roy und ihr Puppentheater im Stück.
"Tausende von jungen Männern und Frauen kommen jedes Jahr zum
Film, um ein Star zu werden. Ein Prozent von ihnen schafft es
vielleicht, Berühmtheit zu erlangen, alle andern nicht. 99 Prozent
dieser Leute werden ausgenutzt und enttäuscht ", sagt Roy. Die
meisten würden hart und zu unmöglichen Bedingungen arbeiten,
nur um in der Bollywood-Industrie überleben zu können.
Im Stück "Bollywood Bandwagon" kommen beide Seiten der
Filmindustrie Mumbais zum Zuge: die spassigen und lächerlichen
Inhalte der Filme, aber auch das "andere" Leben hinter den Kulissen. Zu
den Figuren des Stücks zählen die "kleinen" Leute wie
Spotboys und Stuntmen, aber auch die grossen Stars. Die Puppen spielen
die Szenen auf der Bühne in Richtung einer Kamera. Zeitgleich wird
das Geschehen auf eine Leinwand projiziert. Und vielleicht verhilft
eine Bollywood-typische Schweizer Bergwelt als Kulisse dem Publikum zur
Weltflucht ins Paradis.
Magadalena Nadolska
\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \
\ \ \ \ \ \ \ \
Tojo Theater in der Reitschule, Bern
Mi., 22.12., Do., 23.12., 20.30 Uhr, Fr., 24.12., 15 Uhr
www.tojo.ch
---
kulturstattbern.derbund.ch 13.12.10
Von Nicolette Kretz am Montag, den 13. Dezember 2010, um 13:00 Uhr
Samichlaus-Kult
Nach dem sie diesen Sommer mit "Die Dällebach-Macher" ein
kritisches Auge auf die Vermarktung der Berner Legende durch die Thuner
Seespiele warfen, widmeten sie sich nun - saisongerecht - dem
Samichlaus-Brauch: "Samichlaus - Das Musical". Pascal Nater, Michael
Glatthard und der Dramaturg Olivier Bachmann verweben darin auf extrem
clevere und unterhaltsame Weise ausgiebige Recherchearbeit zum Thema.
http://newsnetz-blog.ch/kulturstattbern/files/2010/12/samichlaus.jpg
Wir erfahren die ursprüngliche Geschichte vom Bischof Nikolaus von
Myra, hören, wie es in der Samichloszunft Bern und im Zürcher
Pendent zu und her geht, und was die Tücken uns Stolpersteine des
heutigen Klausendaseins sind. Einerseits kommen diese Infos ab Band in
O-Ton, andererseits werden sie von Nater und Glatthard doziert.
Dazwischen schmettern die beiden ein paar musical-mässige Songs,
was an sich zwar noch kein sonderlich originelles Mittel ist, doch sie
tun es wirklich zum Krümmen vor Lachen!
Wunderbar ist auch die Szene, wo Glatthard in einem dieser aufblasbaren
Dickenkostüm styroporenen Deko-Tannen (aka das Bühnenbild)
schreddert. Die wahre Komik daran: er tut dies ganz ohne den Klamauk,
zu dem einem diese Situation verleiten könnte. Zum Schreien!
Überhaupt ist der Abend ein ganz grosser Genuss: witzig, aber nie
doof, toll gebaut und präzise ausgearbeitet. Es ist zu hoffen,
dass dieses Team noch viele Themen findet, welche es zu solchen
Projekten verführen! Ich freu mich jedenfalls jetzt schon auf das
nächste!
---
kulturstattbern.derbund.ch 13.12.10
Von Benedikt Sartorius am Montag, den 13. Dezember 2010, um 06:03 Uhr
Kulturbeutel 50/10
(...)
Frau Feuz empfiehlt:
Besuchen Sie die One-Woman-Show von Frau Tausendsassa Jackie Brutsche.
In einer höchst unterhaltsamen Mischung aus Rock'n'Roll, Theater
und Perfomance erzählt Madame Brutsche die abstruse Geschichte der
Schnauzprinzessin und zwar am Mittwoch und Freitag bis Sonntag im Tojo
der Reitschule. Wer auf lüpfigen Balkan-Brass steht, der ist am
Freitag im ISC bestens aufgehoben. Traktorkestar taufen dort ihr Album
und es wird interessant anzusehen sein, wie sich die rund ein Dutzend
Musiker mit ihren sperrigen Instrumenten auf der kleinen ISC-Bühne
installieren.
(...)
---
BZ 11.12.10
Samichlaus in einer Welt aus Styropor
Tojo-TheaterPascal Nater und Michael Glatthard erforschen den
Samichlaus. Sie folgen den Spuren einer vielseitigen Figur, die
Türke, Werbeikone und Pädagoge zugleich ist.
Weisse aus Styropor ausgestanzte Tannenbäumchen bilden eine
Kulisse, wie sie in einem Kindergarten stehen könnte. An der Bar
kann man Mandarinen, Nüsse und Schokolade knabbern. Eine
Eselsmaske hängt einsam über einem Mikrofon. Als es dunkel
wird im Saal, hört man schwere Schritte durch den Schnee stapfen.
Kein Zweifel: Heute kommt der Samichlaus ins Tojo-Theater der
Reitschule. Doch wer im Sommer das Stück "Die
Dällebach-Macher" desselben Duos - bestehend aus Pascal Nater und
Michael Glatthard (Schauspieler) und Olivier Bachmann (Dramaturg) -
gesehen hat, vermutet, dass die idyllische Weihnachtsstimmung
torpediert werden wird.
Schräge Recherchen
Bereits im vorangehenden Stück wurde der zum Musicalgenre
gehörende Kitsch veräppelt und hinter die Fassaden von
geldgierigen Produzenten und eitlen Schauspielern geblickt. Auch
für "Samichlaus - das Musical" bedienen sich Glatthard und Nater
dokumentarischer und musikalischer Mittel. Sie lassen via
Tonbandaufnahmen Experten, wie etwa den Präsidenten der
Sankt-Nikolaus-Gesellschaft der Stadt Zürich, zu Wort kommen, oder
präsentieren ihre Recherchen, die sie zur Berner Samichlouszunft
oder gar in die Türkei führten, wo der heilige Nikolaus im
vierten Jahrhundert als Bischof gewirkt haben soll.
Wie schon bei "Die Dällebach-Macher" sind die aus dem
Kontext gerissenen Aussagen von Experten und Chläusen entlarvend.
In der Samichlouszunft witzeln die behäbigen Herren, dass ein
Besuch im Erotikmarkt lustiger wäre als etwa im Pflegeheim
Oberburg. Der Präsident der Sankt-Nikolaus-Gesellschaft antwortet
auf die Frage, ob auch Frauen die Figur darstellen könnten: "Die
sollen Christkindli und Engeli spielen."
Aufblasbar und laut
Fazit: Einmal mehr gelingt es den selbst ernannten Musicalmachern
mit amüsanten Einlagen, mal im Stil von Kraftwerk, mal
schwülstig pathetisch (Er isch angers) ein facettenreiches und
kommerziell ausgeschlachtetes Phänomen zu beleuchten. Doch die
eigentliche Schauspielerei kommt dieses Mal leider etwas zu kurz.
Während Glatthard und Nater bei "Die Dällebach-Macher" in
verschiedene Figuren schlüpften, agieren sie hier mehrheitlich als
naseweise Journalisten und können ihr Potenzial zu wenig
entfalten. Ein Höhepunkt ergibt sich, als Glatthard die
Styropordekoration in einer lautstarken Maschine zu Schnee
zerschreddert und dabei ein aufblasbares Nikolauskostüm
trägt, das ihn schier zum Stolpern bringt, während Nater
gegen den Lärm ankämpft, indem er weihnächtliche Lieder
auf dem Klavier zu klimpern versucht. Stille Nacht, guet Nacht.
Helen Lagger
Vorstellungen: Sa, 20.30 Uhr; So, 19 Uhr, im Tojo-Theater
Reitschule
------------------------------
(ST)REITSCHULE
------------------------------
reitschule.ch 16.12.10
Stellungnahme zur Berichterstattung über den 10.12.2010
Bern, 16.12.10
Sehr geehrte Medienschaffende, sehr geehrte Damen und Herren.
Wir erlauben uns, zur Medienberichterstattung über den Freitag,
10. Dezember 2010 kurz Stellung zu nehmen:
Am Abend des Freitags, 10. Dezember 2010 fand vor dem
Regionalgefängnis eine Solidaritätsaktion mit einem dort
einsitzenden linken politischen Gefangenen statt. In den Monaten zuvor
fanden schon ähnliche Aktionen statt und es gab - unabhängig
davon - Platzkundgebungen gegen den Missbrauch des
Regionalgefängnisses als Ausschaffungsgefängnis für
weibliche Gefangene.
Wir weisen darauf hin, dass diese Aktionen nicht von der Reitschule
geplant oder durchgeführt wurden. Es scheint uns jedoch
nachvollziehbar, dass Gefängnisse, in denen politische Gefangene
oder aber auch (schwangere) Frauen in Ausschaffungshaft einsitzen, mit
Protestaktionen rechnen müssen.
Mehr darüber zu erfahren ist beispielsweise unter indymedia.ch (http://ch.indymedia.org/de/2010/12/79249.shtml)
sowie unter http://bleiberechtbern.ch
und http://bleiberecht.ch.
Wie wir immer wieder betonen, ist die Reitschule nicht nur ein Kultur-
sondern auch ein Begegnungszentrum - auch für politische
interessierte Mitmenschen; darum kann es sein, dass
KundgebungsteilnehmerInnen sich bei der Reitschule besammeln.
Am gleichen Abend wurde einer Besucherin im Tojotheater die Handtasche
gestohlen. Auf der Suche nach den (drei) mutmasslichen Dieben - und
anstatt die Reitschule-Arbeitenden um Mithilfe zu bitten - informierte
die Betroffene in der Nähe der Reitschule patroullierende
Securitas-Mitarbeiter. Reitschule-BetreiberInnen schalteten sich in der
Folge in das Gespräch ein.
Während diese dann in der Reitschule nach den Dieben Ausschau
hielten, avisierten die Securitas-Mitarbeiter unabgesprochen die
Polizei. Daraufhin fuhren ungefähr fünf Polizisten auf der
Schützenmatte vor und besprachen sich unter dem linken
Brückenteil (Höhe Grosse Halle) mit der Securitas-Patrouille.
Leider wurde sie deswegen während einem kurzen Moment von einigen
Jugendlichen angepöbelt.
Wir stellen immer wieder fest, dass die Präsenz insbesondere
uniformierter Polizeikräfte in und um die Reitschule, kein
geeignetes Mittel ist, die hier allenfalls auftauchenden Probleme zu
lösen; sie schafft im Gegenteil, durch ihr hohes
Provokationspotenzial, eher neue...
Selbstverständlich ist auch die Reitschule gegen Diebstähle,
diese stellen eine Form von Selbstbereicherung dar, die auch im
Manifest der Reitschule klar verurteilt wird. Wie viele andere Clubs,
Kultur- und Begegnungszentren und andere Orte, wo sich viele Menschen
treffen, sind auch wir mit zum Teil organisierten TaschendiebInnen
konfrontiert.
Den Vorfall vom letzten Freitag wollen wir darum zum Anlass nehmen,
unsere Gäste wie in den Jahren zuvor, wieder vermehrt darauf
aufmerksam zu machen (Jingle, Dias, Flyer, Plakate), dass sie auf ihre
Wertsachen achten sollen und dass sie Diebstähle sowie
mutmassliche DiebInnen dem Bar- und Sicherheitspersonal melden sollen,
welches ihnen nach Möglichkeit weiterhilft.
Wir glauben, dass dieses Vorgehen sinnvoller und adäquater - und
nicht zuletzt verhältnismässiger ist, als - wegen einer
Handtasche - mit fünf Polizisten vor der Reitschule aufzutauchen.
Hinzu kommt, dass es nach unserer Erfahrung effektiver ist,
organisierte Diebesbanden durch Outing aus dem Schutz der
Anonymität zur reissen und blosszustellen, und ihnen damit die
"Arbeit" zu erschweren und zu verunmöglichen, sowie Hausverbote zu
erteilen. Denn Diebstahlsanzeigen scheitern oft am allzu grossen
Aufwand sowie an Beweisnot.
Als sich die Polizei weniger als eine Stunde nach dem Einsatz wegen
einer Nachfrage über das Kontakttelefon bei den
Reitschule-Abendverantwortlichen gemeldet hat, wurde übrigens der
kurze Vorfall unter der Brücke mit keinem Wort erwähnt.
Nebenbei: Die Reitschule ist über die Feiertage geöffnet. Das
vielfältige Programm finden Sie wie immer unter www.reitschule.ch.
Mit freundlichen Grüssen
Mediengruppe Reitschule Bern
---
Bund 13.12.10
Flaschen auf Polizisten, Farbbeutel auf Gefängnis
Polizisten wurden am Freitagabend bei der Reitschule mit Flaschen
beworfen. Sie waren wegen eines Handtaschen-Diebstahls ausgerückt,
wie die Kantonspolizei mitteilte. Um etwa 23 Uhr rückten die
Polizisten zum Vorplatz der Reitschule aus, um die Täter zu
ermitteln. Sie wurden laut Mitteilung beschimpft. Es sei eine
Personenkontrolle durchgeführt worden, worauf vermummte Personen
die Polizisten mit Flaschen beworfen hätten. Die Polizei war schon
kurz nach 21 Uhr wegen eines Farbanschlags auf das
Regionalgefängnis Bern ausgerückt. Als die Polizei eintraf,
waren die Täter weg. Augenzeugen beobachteten laut Polizei, wie
sich rund 20 schwarz gekleidete und vermummte Personen von der
Reitschule in Richtung Regionalgefängnis aufmachten.(sda)
---
BZ 13.12.10
Anschlag auf Knast
Regionalgefängnis Am Freitagabend kurz nach 21 Uhr haben
Unbekannte einen Farbanschlag auf das Regionalgefängnis Bern
verübt. Augenzeugen berichteten gegenüber der Polizei von
"rund 20 schwarz gekleideten und vermummten Personen". Diese seien von
der Reitschule her in Richtung Regionalgefängnis gegangen und
hätten den Anschlag verübt.
Zum Hintergrund der Tat gibt die Polizei keine Angaben bekannt.
Doch auf der Internetseite Indymedia.org ist von einem
"Knastspaziergang in Bern" zu lesen. Weiter entnimmt man der Homepage:
Seit September dieses Jahres befänden sich "vier
revolutionäre Ökoanarchist(innen) in Knästen in der
Schweiz" - einer davon sei in U-Haft im Regionalgefängnis Bern.
tob/pd
---
20 Minuten 13.12.10
Reitschule: Mit Flaschen gegen Polizei
BERN. Erneut Zoff rund um die Reitschule: In der Nacht auf
Samstag wurde auf dem Vorplatz eine Polizeipatrouille, die einen
Handtaschendieb suchte, übel beschimpft und tätlich
angegriffen. "Nachdem unsere Mitarbeitenden eine Personenkontrolle
durchgeführt hatten, bewarfen Vermummte sie mit Flaschen und
vereitelten damit die Suche nach der Täterschaft", erklärt
Kapo-Sprecher Michael Fichter.
Bereits früher am Freitagabend waren rund 20 vermummte
Extremisten von der Reitschule her vors Amtshaus gezogen. Dort schlugen
sie Radau und bewarfen die Sandsteinfassade mit Farbbeuteln. Laut einem
Bekennerschreiben wollten sie mit ihrem Anschlag einen mutmasslichen
Ökoterroristen unterstützen, der im Regionalgefängnis
einsitzt. In beiden Fällen konnten die Täter unerkannt
flüchten.
---
http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/Polizisten-vor-der-Reitschule-mit-Flaschen-attackiert/story/14583708
http://www.derbund.ch/bern/Polizisten-vor-Reitschule-mit-Flaschen-attackiert/story/10981507
---
police.be.ch 11.12.10
Stadt Bern: Polizisten bei der Reitschule angegriffen
11. Dezember 2010
pkb. Am späten Freitagabend sind Polizisten auf dem Vorplatz der
Reitschule angegriffen worden. Vermummte bewarfen sie mit Flaschen.
Am Freitag, 10. Dezember 2010, um zirka 2300 Uhr, musste die
Kantonspolizei Bern wegen dem Diebstahl einer Handtasche zum
Reithallenvorplatz ausrücken. Da davon ausgegangen werden musste,
dass sich die Täterschaft noch dort befand, hielten die
ausgerückten Polizisten zusammen mit einer weiteren Patrouille
Nachschau. Die Mitarbeitenden wurden sofort mit Schimpfwörtern
eingedeckt. Nachdem sie eine Personenkontrolle durchgeführt
hatten, bewarfen Vermummte die Polizisten mit Flaschen und vereitelten
damit die Suche nach der Täterschaft.
(mf)
-----------------------
KNAST-SOLI
-----------------------
Indymedia 24.12.10
Bericht DEMO Biel 23.12.10
AutorIn : amore
Personne n'est illegal - Liberez les tous
Rund 50 Leute besammelten sich um 19Uhr auf dem Bahnhofsplatz. Den
Passanten wurden Flyer verteilt, um auf die Anliegen aufmerksam zu
machen. Das Fronttranspi der Demo wurde gut ersichtlich beim
Eingang/Ausgang des Bahnhofs gespannt. Kurz vor Demo beginn strudelte
auch noch den kleiner Musikanhänger mit Musikboxe und MiniLaptop
ein.
Die Demoroute führte vom Bahnhofsplatz, Bahnhofsstrasse,
Zentralstrasse, Unionsgasse, Nidaugasse, Hauptstrasse (Richtung
Neuenburg), Zentralstrasse, Neuengasse, Spitalstrasse, Bahnhofsstrasse
hin zum Zentralplatz wo sich die Demo langsam auflöste.
Während der Demo wurde, mehr oder weniger lautstark, mit
Demoparolen auf das unsere Anliegen aufmerksam gemacht. Liberez tous
les prisoniers!
Während einem längerem Aufenthalt vor dem
Untersuchungsgefängnis wurde namentlich Siliva gegrüsst und
es wurde versucht mittels Megaphon kontakt mit ihr aufzunehmen.
Ausserdem wurden Parolen wie: "Freiheit für alle Gefangenen",
"Amore-Anarchia-subito", "Silvia libera" und "Liberez les prisonniers"
gerufen. Verschiedene Insassen freuten sich sichtlich über unseren
Besuch und machten sich an den Zellenfenster bemerkbar.
Während den Parolen wurden mehrere Feuerwerkskörper über
den Innenhof gezündet. Feuer und Flamme den Abschiebeknästen!
Amore&Anarchia- subito!
---
police.be.ch 11.12.10
Stadt Bern: Sachbeschädigung an Regionalgefängnis
11. Dezember 2010
pkb. Unbekannte haben am Freitagabend auf das Regionalgefängnis in
Bern einen Farbanschlag verübt.
Eine unbekannte Täterschaft hat am Freitagabend, 10. Dezember
2010, kurz nach 2100 Uhr, einen Farbanschlag auf das
Regionalgefängnis in Bern verübt. Als die sofort
ausgerückte Polizei vor Ort eintraf, konnte die Täterschaft
nicht mehr aufgefunden werden. Auch die Suche in der näheren
Umgebung blieb erfolglos.
Gemäss Augenzeugen waren zuvor rund 20 schwarz gekleidete und
vermummte Personen von der Reitschule her in Richtung
Regionalgefängnis gegangen, hätten den Anschlag verübt
und seien danach weggerannt. Die Höhe des Sachschadens ist
unbekannt.
(mf)
---
Indymedia 10.12.10
Solidarität mit Billy und allen Gefangenen! ::
AutorIn : B
Heute versammelten sich 30 Leute, um ihre Solidarität mit den
Gefangenen im Amtshaus Bern kundzutun. Hier sitzt auch Billy ein,
welcher wie Costa und Silvia seit April in einem Schweizer
Gefängnissen sitzt. Nach zahlreichen, lautstarken
Begrüssungs-Parolen, wurde das Gefängnis in bern, wo Billy
einsitzt, eingefärbt.
Billy, Costa und Silvia wurden am 15. April in der Nähe von
Zürich verhaftet. Die Bundesstaatsanwaltschaft wirft ihnen vor,
einen Sprengstoffanschlag auf das sich im Bau befindlichen
Nanotechnologie-Zentrum geplant zu haben. Die drei
ÖkonanarchistInnen setzen sich seit längerem gegen die
kapitalistischen Fortschritt unserer Gesellschaft ein. Sie kämpfen
gegen diese totale Technologiesierung, welche von den Herrschenden zur
Zementierung der bestehenden Verhältnissen eingesetzt wird. Diese
Entwicklung lässt die heutigen gesellschaftlichen
Verhältnisse so weit verkrusten, dass wir uns von ihnen nicht mehr
befreien können. Sie greifen bis tief in unsere DNS ein und machen
selbst unser Leben zum Ziel der Herrschaft. Die drei haben den Mut
gefsst und sich gegen diese Entwicklungn mit aller Kraft aufgelehnt.
Heute sind sie in Käfigen gefangen. Der Staat hat sie
eingezwängt in eine Zelle und versucht ihren revolutionären
Geist zu brechen. Doch die drei kämpfen auch im Knast weiter. Am
8. Dezember haben sie gemeinsam mit die Marco Camenisch einen
befristeten Hungerstreik beendet. Sie wehren sich gegen die
beschissenen Haftbedingungen: Ihre Kommunikation ist
eingeschränkt, sie befinden sich weiterhin in Einzellhaft und ihre
Post wird zensiert. Doch die Zellen haben nicht ihre Ideen eingesperrt.
International finden immer mehr Solidaritätsaktionen statt, welche
den Kampf der drei fortsetzten. Wir kämpfen weiter, drinnen und
draussen!
------------------------
ZAFFARAYA
-------------------------
Bund 11.12.10
Keine Legalisierung der alternativen Wohnformen à la Zaff
Keine Chance für die Forderung nach einer Legalisierung von
alternativen Wohnformen in Bern: Der Stadtrat hat am Donnerstagabend
einen Vorstoss von Jimy Hofer (SVP plus) mit 46 zu 8 Stimmen abgelehnt.
Hofer wollte den Gemeinderat verpflichten, innert zweier Jahre ein
Grundstück auszuweisen, auf dem alternatives Wohnen wie das
Zaffaraya möglich sein soll. "Wenn man es duldet, kann man es auch
legalisieren", so Hofer. Er selbst brauche für alles eine
Bewilligung. Es müsse Schluss sein mit der doppelmoralischen
Umschiffung und den Ausreden zu diesem Thema.
Die Linke betonte grundsätzlich, alternatives Wohnen
müsse Platz haben. Jacqueline Gafner (FDP) sagte, es sei nichts
als recht, wenn man die Bevölkerung noch einmal frage, ob man
diese Wohnformen auf Stadtboden wolle. Es sei erstaunlich, wie fein der
Gemeinderat die rechtliche Klinge führe, wenn es um die grosse
Mehrheit der Menschen in der Stadt gehe, die sich an die Gesetze
hielten, etwa bei Baugesuchen. Gafners Fazit: "Wer genügend
penetrant ist, erhält offenbar, was er will."(sda)
---
Blick am Abend 10.12.10
Jimy Hofer ist abgeblitzt
ENTSCHEID
Zaffaraya bleibt beim Neufeld - der Stadtrat ist gegen einen
neuen Standort.
Auch 25 Jahre nach der Entstehung von Zaffaraya beschäftigt
das Hüttendorf die Stadt. Die Zaffarayaner leben derzeit beim
Neufeld. Dort sollen sie wieder weg.
Stadtrat Jimy Hofer (parteilos) wollte den Gemeinderat
verpflichten, innerhalb von zwei Jahren ein geeignetes Grundstück
auszuweisen, auf dem alternatives Wohnen möglich sein soll. "Wenn
man es duldet, kann man es auch legalisieren", sagte Hofer gestern im
Parlament. "Ich brauche auch für alles eine Bewilligung." Es
müsse Schluss sein mit der doppelmoralischen Umschiffung und den
Ausreden zu diesem Thema.
Die Ratslinke war jedoch anderer Meinung
"Es gibt im Moment keinen Handlungsbedarf, der Gemeinderat ist in
Sachen Nutzungszonen an der Arbeit", sagte Lea Bill (Junge
Alternative). Das Parlament lehnte Hofers Vorstoss mit 46 zu 8 Stimmen
ab. SDA/ehi
----------------------------------
GASSE BE
----------------------------------
BZ 21.12.10
"Wir mussten nie ein Hausverbot aussprechen"
Heiliggeistkirche. Hansueli Egli, Pfarrer der Berner
Heiliggeistkirche, tritt von seinem Engagement in der Offenen Kirche
zurück. Aufgebaut hat er die Suppenabgabe an Drogenabhängige
und das Netz von rund 80 Freiwilligen, die täglich in der Kirche
für ein Gespräch anzutreffen sind.
Herr Egli, Sie sind seit Oktober 1998 Pfarrer in der Berner
Heiliggeistkirche. Im November 1998 sassen Sie bereits an der ersten
Sitzung jenes Gremiums, aus dem später der Verein Offene Kirche
entstand. Kam die Initiative von Ihnen?
Nein, die Idee bestand schon, aber ich war von Anfang an dabei.
Mir lag die Zusammenarbeit mit anderen Konfessionen am Herzen. Schon ab
der zweiten Sitzung mit der katholischen Kirche stand fest, dass wir
auch die christkatholische und die jüdische Gemeinde ins Boot
holen wollten.
Warum nicht auch Muslime und andere Religionen?
Die muslimischen Gemeinden sind nach Herkunftsland organisiert.
Die anderen Weltreligionen sind mit sehr kleinen Organisationen
vertreten. Wir arbeiten aber punktuell mit dem Haus der Religionen
zusammen, wo diese Gemeinschaften Räume haben.
Wie entstand die Offene Kirche?
Bis Ende der 90er-Jahre war die Heiliggeistkirche vor allem ein
Ort für Touristen. Nach der Bildung der Drogenszene auf den
Treppen vor der Kirche blieben diese fern. Auch Einheimische, die hier
noch getauft wurden, schämten sich für die Kirche und sagten,
das hier sei eine Sauerei. Wir stellten uns auf den Standpunkt, die
Junkies und Alkis polizeilich wegzuspülen, sei keine Lösung.
So begann eine Gruppe von Freiwilligen, zweimal pro Woche 40 bis 50
Portionen Suppe auszuschöpfen. Es gab eine wahnsinnige Nachfrage.
Für uns arbeiteten freiwillig ein Drogenarzt und eine
Sozialarbeiterin.
Sie haben Leute aus der Szene zum Essen in die Kirche eingeladen.
Wie kam das im Umfeld an?
Anfänglich stiessen wir natürlich in erster Linie auf
Widerstand. Vom Kirchgemeinderat kam aber die Unterstützung schon
recht früh. Die Gegner hatten zumindest auf theologischer Ebene
keine Argumente. Eine geschlossene Kirche ist keine Form von
Nächstenliebe und widerspricht der Lehre Jesu diametral. Wir
wollten keinen Unterschied machen zwischen Religion, Beruf oder
Aussehen. 2006 wurde die Offene Kirche im Leitbild der
Heiliggeistkirche als Bereicherung benannt. Anerkennung für unsere
Arbeit erhielten wir auch mit dem Berner Sozialpreis.
Wie arbeiteten Sie mit der Polizei zusammen?
Wir hatten mit der Stadtpolizei vom Bahnhofposten ein
mündliches Abkommen, also abseits der Politik des damaligen
Hardliners und Polizeidirektors Kurt Wasserfallen. Während der
Suppenzeit führten sie keine Personenkontrollen durch. Sonst
wären die Junkies nicht mehr gekommen. In all den Jahren kam es zu
keinen Zwischenfällen, und wir mussten auch nie ein Hausverbot
aussprechen.
Die Drogenszene vor der Heiliggeistkirche ist praktisch
verschwunden. Braucht es da die Offene Kirche heute noch?
Zweifellos. Rund 40 000 Menschen besuchen die Heiliggeistkirche
jährlich. Im Sommer sind da die Touristen eingerechnet. Im Winter
kommen oft psychisch Belastete, die Wärme suchen und froh sind
für ein Gespräch. Von Montag bis Freitag von 11 bis 18.30 Uhr
sind immer zwei Freiwillige als Ansprechpersonen in der Kirche. Pro
Woche kommen im Winter etwa 400 Leute zu uns.
In den kirchlichen Gremien ist die Nutzung von Räumen immer
wieder umstritten. Wo steht da die Offene Kirche?
Wir stehen vergleichsweise privilegiert da. Wir leisten es uns,
den Raum frei zu halten für jene, die ein Gespräch suchen.
Veranstaltungen, die Geld einbringen, sind relativ selten. Dazu
gehören etwa Gospelkonzerte, die Museumsnacht oder 2008 die
Einweihungsfeier des Bahnhofplatzes. Andere offene Kirchen strecken
sich mehr nach der Decke und sind auch mal bereit, den Raum für
eine Brautmodeschau zu vermieten. Das bringt zwar Geld, aber die Kirche
ist doch kein Marktplatz. Konflikte zwischen Geld und Geist
dürften zunehmen. Die Offene Kirche darf zeitweilig den ganzen
Raum der Kirche für Ausstellungen nutzen.
Sie haben in den letzten zehn Jahren das Netz von Freiwilligen
aufgebaut. Wie geht es weiter?
Über die Jahre haben sich die rund 80 Freiwilligen gut
untereinander vernetzt. Ich bin zuversichtlich, dass dies auch nach
meinem Abgang so bleibt. Wir befinden uns aber in einer
Übergangsphase zu einer jüngeren Generation. Man packt nicht
mehr gerade dort an, wo es einen braucht, sondern erwartet ein klareres
Aufgabenprofil, eine gute Einarbeitung und Arbeitszeugnisse für
ehrenamtliche Arbeit. Mit meinem Abgang und meinem jüngeren
Nachfolger oder meiner Nachfolgerin kommt es deshalb auch bei der
Offenen Kirche zu einem Generationenwechsel.
Sie stehen wenige Jahre vor der Pensionierung. Einen Teil Ihrer
Arbeit haben Sie nun abgegeben. Welche Pläne haben Sie?
Ich werde versuchen, eine Zeit lang einfach nichts zu tun und
alles auf mich zukommen zu lassen. Ich werde zwar mein berufliches Netz
verlieren, aber Freiheit gewinnen.
Worauf sind Sie besonders stolz?
Die Offene Kirche hat sich mit ihren regelmässigen Angeboten
und kulturellen Veranstaltungen zu einer gut etablierten und
anerkannten Institution entwickelt.
Interview: Hannah Einhaus
--
Zur Person
Hansueli Egli
Der Pfarrer der Heiliggeistkirche kam 1947 in Stäfa ZH zur
Welt. Er absolvierte das Lehrerseminar und studierte anschliessend
Theologie an der Universität Zürich. Er arbeitete
anfänglich als Wirtschaftspfarrer, als firmeneigener Seelsorger,
in der Seidenfadenfabrik Zwicky in Wallisellen. Nach seiner Heirat mit
einer Organistin zügelte er in die "Diaspora", wie er es nennt.
Als reformierter Pfarrer im katholischen Luzernerland war er ein Exot.
1987 zog ihn eine freie Stelle nach Laupen. Vor dort aus war der
Wechsel nach Bern im Jahr 1998 geografisch ein Katzensprung. Sein Amt
als Pfarrer in der Heiliggeistkirche wird er noch bis zu seiner
Pensionierung fortsetzen.ein
Offene Kirche
Der Verein Ende der 90er-Jahre dominierte die Drogenszene die
Eingangstreppe zur Berner Heiliggeistkirche und den Kocherpark. 1999
entschied die Kirchgemeinde, die Polizei auf der Jagd nach
Süchtigen nicht zu unterstützen, sondern stundenweise die
Tore zu öffnen, Suppe auszuschöpfen und den
Randständigen Gespräche anzubieten. Im Jahr 2002 wurde
offiziell der Verein Offene Kirche gegründet.
Der Verein führt seine Aktivitäten mehrheitlich in der
Heiliggeistkirche durch, ist aber nicht identisch mit der
Kirchgemeinde. Vielmehr gehören seit Anbeginn die katholische und
die Christkatholische Kirche sowie die Jüdische Gemeinde Bern zur
Trägerschaft des Vereins.
In den letzten Jahren hat sich die Offene Kirche zunehmend mit
kulturellen Veranstaltungen einen Namen gemacht. Die "Nacht der
Religionen" endet jeweils mit einer Suppe um Mitternacht in der
Heiliggeistkirche.
Sie nimmt teil an den Museumsnächten. Mit mehreren
Ausstellungen pro Jahr setzt der Verein Offene Kirche inhaltliche
Akzente. Soziale und interreligiöse Themen stehen im Mittelpunkt.
In diesem Jahr dominierten die Ausstellungen "Kein Kind ist illegal",
eine Ausstellung über Papierlose in der Schweiz, "Kunst aus dem
Kloster" und "Kunst trotz(t) Armut". Im Vorfeld der Minarett-Initiative
im Herbst 2009 stellte die Offene Kirche zum Thema "Kuppel, Tempel,
Minarett" aus.ein
---
http://www.kathbern.ch/pfarrblatt-angelus/pfarrblatt.html
16.12.10
Gassenarbeit
"Wir gehen überall dorthin, wo Menschen sind"
"So läufts halt", lacht Isabel Calvo, die sich gemeinsam mit
Ursula Aellen Zeit für ein Gespräch mit dem pfarrbatt nimmt.
Die Kirchliche Gassenarbeit hat ihre Räumlichkeiten in einer
umgebauten Garage im Berner Quartier Breitfeld. Dort herrscht am
Donnerstagnachmittag, eine Viertelstunde nach Schliessung des Offenen
Büros, noch immer Andrang: Ein Klient braucht Hilfe bei seiner
Korrespondenz mit dem Sozialamt. Ein anderer möchte
Unterstützung für seinen bevorstehenden Spitalbesuch.Dass die
Kirchliche Gassenarbeit in einer ehemaligen Garage untergebracht ist,
hat einerseits finanzielle Gründe. Es entspricht aber auch dem
Ansatz der Niederschwelligkeit, der für die Gassenarbeiterinnen
zentral ist: Jeden Donnerstagvon 14.00 bis 16.00 ist das Büro
für alle offen.
Die Gassenarbeiterinnen unterstützen die Klienten beim Kontakt mit
den Behörden, stellen ihnen PC, Internet und Telefon zur
Verfügung, offerieren ein Zvieri und ein offenes Ohr. In Anspruch
genommen werden die Angebote von den unterschiedlichsten Menschen,
erzählen Isabel Calvo und Ursula Aellen: zum Beispiel von
Jugendlichen, Sozialhilfeempfängern, Sans-Papiers, Suchtkranken
oder alleinerziehenden Müttern. "Es gibt immer wieder Menschen,
die aus dem sozialen Gefüge geraten ", sagt Ursula Aellen. Dann
ist die Kirchliche Gassenarbeit Bern eine institutionsunabhängige
Anlaufstelle, das Offene Büro ein Ort, wo die Klienten und
Klientinnen zwei Stunden einfach sein können.
Niemand muss einen Ausweis zeigen, jede und jeder ist willkommen. Wer
Hilfe sucht, bekommt sie. Die akzeptierende Haltung gegenüber den
Klienten und Klientinnen sei wichtig, sagen die beiden Frauen. Nebst
dem Offenen Büro leisten die Gassenarbeiterinnen auch
Einzelarbeit, d.h. auf Wunsch begleiten sie die KlientInnen auf
Ämter, helfen beim Bewerbungen schreiben und bei anderem
Papierkram. Die Gassenarbeiter arbeiten aber auch aufsuchend: sie gehen
selbst auf die Gasse - sie besuchen die Klienten in ihrem Lebensraum,
wie es Isabel Calvo ausdrückt.
Urchristliches Prinzip
Dienstagnachmittags ist das Büro ausschliesslich für Frauen
geöffnet. Viermal jährlich erscheint das von Frauen
gestaltete Magazin "Mascara" mit Texten und Informationen. Nebst der
wichtigen Plattform, welche das Magazin darstellt, ermöglicht das
Projekt Mascara den Frauen auch, sich zwei Stunden pro Woche abseits
der Hektik der Gasse zu treffen und sich auszutauschen.
Es sei ein urchristliches Prinzip, Menschen in einer Notlage zu
unterstützen, sagt Ursula Aellen. Auf die Menschen zugehen, ihnen
zuhören, ohne sie zu werten: das sei kirchliche Gassenarbeit.
Damit springe die Kirche in eine ganz wichtige Lücke, ergänzt
Isabel Calvo.
Einsamkeit und Spenden
Die Gassenarbeit sei kirchlich und somit von politischen Institutionen
unabhängig sei, die unkomplizierte Hilfe, die sie hier erhalten,
werde auch von den Klientinnen und Klienten geschätzt.
Gefragt, wie sie in ihrer Arbeit den Advent erleben, weist Aellen auf
zwei Aspekte hin: einerseits spürten KlientInnen in dieser Zeit
die Einsamkeit besonders. Andererseits sei die Bevölkerung in
dieser Zeit besonders spendenfreundlich. Der Winter sei aber auch eine
schwierige Zeit, weil es für Menschen auf der Gasse bedeute, jeden
Abend eine Übernachtungsmöglichkeit zu organisieren - in
Bern, das über keine städtische Notschlafstelle verfügt,
nicht immer einfach. Dementsprechend sei es für sie besonders
hart, jemanden über Nacht draussen lassen zu müssen, sagt
Ursula Aellen. Nebst tragischen Einzelschicksalen und Schwierigkeiten
gebe es auch viele schöne Aspekte, sagen die Frauen. Zum Beispiel,
wenn es gelingt, jemandem eine Wohnung zu beschaffen. Oder jemanden neu
einzukleiden. Es sei eine schöne Arbeit, sagt Isabel Calvo.
Sarah Seiler
------------------------
CENTRALWEG
------------------------
Bund 16.12.10
Ausstellung zum Bauprojekt am Centralweg
Die Brache am Centralweg im Lorrainequartier soll überbaut
werden (siehe "Bund" von gestern). Vorgesehen ist ein Neubau mit rund
15 Wohnungen. Für den Neubau wurde ein Architekturwettbewerb
durchgeführt. Alle Projekte und Pläne sind noch bis Mittwoch,
22. Dezember, im Kornhausforum in Bern ausgestellt. Der Ausstellungsort
befindet sich auf der Galerie im 2. Obergeschoss. Die Ausstellung ist
täglich geöffnet, auch am Wochenende. Weitere Infos: http://www.kornhausforum.ch.(pd)
---
Bund 15.12.10
Centralweg bekommt ein "Baumzimmer"-Haus
Der Architekturwettbewerb für das Neubauprojekt im
Lorrainequartier ist abgeschlossen. Gebaut werden 14 Wohnungen mit
unkonventionellem Balkon.
Marc Schiess
Etwas ganz Markantes werde am Centralweg im Lorrainequartier
entstehen: "Ellipsenförmige, offene Aussenräume, sogenannte
Baumzimmer, werden in den Hof hineinragen", beschreibt Architektin und
Jurymitglied Jris Kaufmann das Siegerprojekt des offenen und anonymen
Architekturwettbewerbs. Ausgeschrieben hatte den Wettbewerb die
Liegenschaftsverwaltung der Stadt Bern. Vorgabe der Jury war "die
Schaffung von vielfältigen innovativen Wohnungen für
verschiedene Altersgruppen und Lebensformen". Die Wohnungen sollten
zwischen zwei und sechs Zimmern gross sein und den
Nachhaltigkeitskriterien entsprechen.
Berner auf den ersten Rängen
Mit dem Projekt "Baumzimmer" der Arbeitsgemeinschaft Ursula Egger
(Bern) und Team K Architekten AG (Burgdorf) erfüllte ein Berner
Team die Anforderungen gemäss der Jury am besten. Der schlanke
Baukörper mit dem "Wäldchen" um die "Baumzimmer" passe in die
Lorraine, die als urbanes Quartier bereits ein Gesicht besitze und eine
eigene Identifikation entwickelt habe, sagt Fernand Raval. Der
Jurypräsident und Leiter der städtischen
Liegenschaftsverwaltung lobt "Baumzimmer" als "städtebaulich
intelligentes Projekt", das mit seinen insgesamt 14 Wohnungen "einen
differenzierten Beitrag zur Quartierentwicklung leistet".
Auf dem Dach sind drei zurückgesetzte Attikawohnungen mit
Terrassen geplant. Weiter soll das Haus unter anderem mit einer
Erdsonden-Wärmepumpe versehen werdenunddem strengsten
Minergie-Standard P-Eco genügen.
Günstig, aber umweltfreundlich
Trotzdem werde man den Forderungen des Stadtrats nachkommen, auch
für tiefe bis mittlere Einkommen bezahlbare Wohnungen anzubieten.
Raval will den Spagat mit "vernünftigen Mietzinsen" erreichen. Als
Richtwert nannte er für eine 4,5-Zimmerwohnung einen Mietzins von
unter 2000 Franken. Das Investitionsvolumen werde zwischen acht und
zehn Millionen Franken betragen. Wenn der Fonds für Boden- und
Wohnbaupolitik dem Siegerprojekt zustimme und der Stadtrat den Kredit
genehmige, könne im Sommer 2012 mit dem Bau begonnen werden.
Variabler Wohnraum realisiert?
Auch gestern wurde von "variablem Wohnraum" gesprochen. Michael
Häusler vom Team K relativierte aber: Die Variabilität sei
insofern gegeben, als die Zimmertrennwände keine tragende Funktion
hätten, sie seien also theoretisch verschiebbar. Ob dies in der
Realität alltagstauglich umgesetzt werden könne, sei aber
fraglich. Jedoch seien die Räume nutzungsneutral gestaltet, was
variable Nutzungen erlaube.
--
Centralweg 9 - wechselhaft genutzt
Garage, Wohnwagenplatz, Velokurier
Geplant war das Neubauprojekt schon für Ende 2009. Doch es
kam anders.
Die heutige Zwischennutzung des Areals am Centralweg
(Velokurierladen und öffentlicher Park) kann laut dem Leiter der
Liegenschaftsverwaltung der Stadt Bern, Fernand Raval, bis zum
voraussichtlichen Baubeginn im Sommer 2012 bestehen bleiben.
Nach dem Abbruch der Garage Alcadis wollte die Stadt das nun 1200
Quadratmeter grosse Areal nicht zwischennutzen. Nachdem der Boden im
Sommer 2009 von Altlasten gesäubert worden war, besetzte die
Wohnwagengruppe Stadttauben im März 2010 für kurze Zeit das
brachliegende Gelände. Um eine erneute Besetzung zu verhindern,
liess die Stadt das Areal mit schweren Maschinen umgraben,
aufschütten und einzäunen. Eine Zwischennutzung war nun
plötzlich denkbar.
Ideen gab es viele: Weidewald, Spielplatz, Brätlistelle,
Brache mit Tümpel oder eine BMX-Velorennbahn für Kinder.
Schlussendlich entschied sich die Stadtverwaltung für eine
Zwischennutzung durch einen Velokurierladen. Der Rest des Geländes
wurde mit minimalen Eingriffen zum öffentlichen Park
umfunktioniert: Ein Teil des zuvor geplanten Weidenwalds wurde
angepflanzt, dazu ein paar Sitzbänke installiert und ein
Hügel gebaut.
Ungelöst bleibt das Problem der zonenwidrigen Sex-Salons am
Lagerweg 12. Die Stadt wollte ursprünglich auch das Baurecht der
ans Centralweg-Areal angrenzenden Liegenschaft erwerben. Die
Eigentümerschaft wollte aber nicht verkaufen.(msu)
---
BZ 15.12.10
Stadt baut Wohnungen mit "Baumzimmern"
LorraineDie Stadt will am Centralweg 14 Wohnungen zu
erschwinglichen Mieten bauen. Der Weg würde beim Siegerprojekt
Baumzimmer zur Wohnstrasse ohne Durchgangsverkehr umfunktioniert.
Drei übereinanderliegende frei stehende Balkone inmitten von
Bäumen geben dem Projekt dem Namen: Jede Wohnung erhält ein
sogenanntes Baumzimmer. So sieht es das Siegerprojekt für die
freie Parzelle am Centralweg in der Lorraine vor. Gestern
präsentierte die Stadt das Resultat des Architekturwettbewerbs. Ab
dem Sommer 2012 sollen dort bis Ende 2013 14 Wohnungen im "teilweise
unteren bis mittleren Preissegment" errichtet werden.
Fernand Raval, Leiter der städtischen
Liegenschaftsverwaltung und Jurypräsident, sprach von Mieten
"unter 2000 Franken" für eine Viereinhalbzimmerwohnung. Ein Teil
der Wohnungen ist laut Raval als "günstiger Wohnraum" vorgesehen:
Das heisst, nur wer die Bedingungen dafür erfüllt, kann sie
mieten. Vorgesehen sind Zwei- bis Sechszimmerwohnungen. Die Stadt als
Grundeigentümerin baut selber. Raval ist überzeugt, dass mit
dem ausgewählten Projekt "etwas Besonderes" entsteht. "Etwas, das
dazu beitragen wird, das gesamte Quartier in seiner Art zu
bestätigen und entsprechend aufzuwerten."
Raval rechnet mit reinen Baukosten von "unter zehn Millionen
Franken", darin nicht eingerechnet sind die Kosten für den Boden.
Da dieser jedoch der Stadt gehört, muss sie nicht
marktübliche Renditen darauf erwirtschaften.
Das Beste aus 62 Projekten
Die Jury konnte aus 62 Projekten, deren Autoren aus vier
Ländern stammen, auswählen: "In einer Stadt, sozusagen
mittendrin, ein Neubauprojekt zu realisieren, ist auch für die
Liegenschaftsverwaltung etwas Besonderes", führte Raval aus.
Die Arbeitsgemeinschaft Ursula Egger Architekturbüro aus
Bern und Team K Architekten aus Burgdorf hat sich denn auch intensiv
mit der Ausgangslage auseinandergesetzt. Herausgekommen ist ein
Minergie-P-Eco-Haus mit luftigen Balkonen auf der Westseite, einem
Attikageschoss, einem Gewerberaum auf den Lagerweg hinaus und einem
Centralweg ohne Durchgangsverkehr. Raval räumt ein, dass Letzteres
durchaus auch Einsprachen zur Folge haben könnte. Seines Wissens
sei die Idee aber auch schon innerhalb des Quartiers diskutiert worden.
In der Jury war dieses ebenfalls vertreten.
Intermezzo der "Stadttauben"
Auf der Parzelle befand sich früher eine Garage. Die
Kündigung des Mietverhältnisses hatte damals ein
längeres Nachspiel zur Folge. Bis die Erb-Garage auszog, dauerte
es ziemlich lange. Nachdem das Grundstück von den Altlasten
saniert worden war, besetzten es kurzzeitig die "Stadttauben" mit ihren
Wohnwagen. Gegenwärtig wird es als Stadtbrache zwischengenutzt.
"Diese kann bis zum Baubeginn bestehen bleiben", versicherte Raval.
Wenn die Betriebskommission des Fonds für Boden- und
Wohnbaupolitik zustimmt, wird das Bauprojekt ausgearbeitet. Den Kredit
bewilligen wird laut Raval der Stadtrat.
Christoph Aebischer
Ausstellung zum Wettbewerb im zweiten Stock des Kornhauses ab
heute bis am 22. Dezember. Di/Mi/Fr von 10 bis 19 Uhr, Do 10 bis 20 Uhr
und Sa/So/Mo 11 bis 17 Uhr.
---
bern.ch 14.12.10
Ein Baumzimmer gewinnt den Architekturwettbewerb
Der offene und anonyme Projektwettbewerb für das Neubauprojekt am
Centralweg in der Lorraine ist abgeschlossen. Das Preisge-richt hat das
Projekt Baumzimmer der Berner Arbeitsgemeinschaft Ursula Egger, Bern,
und Team K Architekten AG, Burgdorf, der Betriebskommission des Fonds
für Boden- und Wohnbaupolitik (Fonds) zur Weiterbearbeitung
empfohlen.
Nachdem die zuständige Betriebskommission des Fonds entschieden
hatte, in der Lorraine am Centralweg ein Neubauprojekt für
Wohnungen zu realisieren, wurde zur Erlangung eines städtebaulich
hochstehenden Bauprojekts ein offener und anonymer Projektwettbewerb
gemäss Ordnung SIA 142 lanciert. Eine aus Sach- und
FachpreisrichterInnen zusammengesetzte Jury hat unter Beizug von
FachexpertInnen sowie einem Vertreter aus dem Quartier eine umfassende
und fachkundige Beurteilung der insgesamt 62 eingereichen Projekte
vorgenommen. Für das Siegerprojekt namens Baumzimmer zeichnet die
Berner Arbeitsgemeinschaft Ursula Egger, Bern, und Team K Architekten
AG, Burgdorf, verantwortlich. Am Projekt mitgearbeitet haben zudem die
Hänggi Basler Landschaftsarchitektur GmbH sowie die Weber Energie
und Bauphysik GmbH, beide aus Bern.
Architektur und Technik
Für die Jury handelt es sich beim Projekt Baumzimmer um ein
städtebaulich intelligentes Projekt, das mit seinen insgesamt 14
Wohnungen einen wünschenswerten und differenzierten Beitrag zur
Quartierentwicklung leistet. Die 8 Etagenwohnungen mit ihren
balkonartigen Baumzimmern schaffen identitätsstiftenden Charakter
und interessante zwischenräumliche Bezüge. Weitere 3 geplante
Attikawohnungen weisen grosszügige Terrassen auf, die 3 Wohnungen
im Erdgeschoss erhalten gedeckte Sitzplätze. Die Organisation
aller Wohnungen ist einfach und klar und lässt sich flexibel in
unterschiedlichen Grössen ausgestalten.
Das Gebäude besteht aus einem einfachen schlanken Baukörper,
der das vorhandene Geviert gegenüber dem Centralweg abschliesst.
Die Zeile bildet die etwas schlankere Fortsetzung der nördlichen
Bebauung. Mit der südlichen Kopfausbildung setzt der Neubau
volumetrisch und nutzungsmässig einen Akzent im bestehenden
Quartier. Der südliche Teil des Baukörpers erzeugt zudem
durch die gewerbliche Nutzung im Erdgeschoss einen positiven
räumlichen Bezug vom privaten zum öffentlichen Raum.
Zur Erzeugung der Raumwärme sowie des Brauchwarmwassers ist eine
Erdsonden-Wärmepumpe vorgesehen. Optional könnte für die
Stromerzeugung auf dem Flachdach zudem eine Photovoltaikanlage
installiert werden. Doch bereits ohne diese Anlage werden die
angestrebten Vorgaben des Labels Minergie-P-ECO eingehalten.
Die Aussenräume
Der öffentliche Strassenraum Centralweg soll im nördlichen
Teil verkehrsberuhigt werden und dient nach wie vor der Zufahrt
für den motorisierten Verkehr. Mit frei geformten Raumelementen
und einer Bepflanzung soll hingegen der südliche Teil zum
Quartierplatz umgestaltet werden, was dem Konzeptansatz aus der
Quartierplanung entspricht, zusätzliche öffentliche
Freiräume zu schaffen. Der westseitige Hofraum wird begrünt
und mit einem kleinen öffentlichen Verbindungsweg zwischen Lager-
und Hofweg ergänzt. Geprägt wird der ansonsten den
Bewohnerinnen und Bewohnern als Grün- und Spielbereich zur
Verfügung stehende Hofraum vor allem durch die Bäume und die
ellipsenförmigen, luftigen Balkonanbauten, die Baumzimmer.
Baubeginn voraussichtlich im Sommer 2012
Das innovative, attraktive und hindernisfreie Wohnangebot des geplanten
Neubaus kommt unterschiedlichen Lebensformen und Generationen entgegen
und fördert nachhaltig die soziale Durchmischung im Quartier.
Teilweise werden sich die Wohnungsmieten im unteren bis mittleren
Preissegment bewegen.
Dem Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik als Eigentümerin des
Grundstücks wird vorgeschlagen, das Siegerteam Ursula Egger, Bern,
und Team K Architekten AG, Burgdorf, mit der Weiterbearbeitung zu
beauftragen. Ziel ist es, das Projekt dem Stadtrat im Jahr 2011 zur
Kreditgenehmigung vorzulegen. Gemäss dem heutigen Planungsstand
kann mit einem Baubeginn im Sommer 2012 und mit dem Bezug der Wohnungen
ab Ende 2013 gerechnet werden. Die heutige Zwischennutzung endet mit
dem Baubeginn.
Ausstellung im Kornhausforum
Alle 62 Wettbewerbsprojekte werden mit Modellen und Plänen vom
15.-22. Dezember 2010 im Berner Kornhaus wie folgt ausgestellt.
Ausstellungsort: Galerie, 2. Obergeschoss
Öffnungszeiten:
Di/Mi/Fr 10.00-19.00 Uhr (22.12.2010 nur bis 17.00 Uhr)
Do 10.00-20.00 Uhr
Sa/So/Mo 11.00-17.00 Uhr
Direktion für Finanzen, Personal und Informatik
------------------
ANTI-SVP
------------------
Indymedia 27.12.10
http://ch.indymedia.org/de/2010/12/79412.shtml
(mit Links)
Spätweihnachtliche Überraschung für ranghohe
SVP-Politiker ::
AutorIn : Aktionsgruppe "Klassensolidarität"
In der Nacht auf Heute hat die Aktionsgruppe "Klassensolidarität"
(AGK) in Winterthur gleichzeitig zehn Wohnhäuser von
SVP-Exponenten mit einer Botschaft versehen. Damit will sie ihre
Solidarität mit den ausländischen Lohnabhängigen zum
Ausdruck bringen, welche immer häufiger und unverfrorener zur
Zielscheibe angstschürender SVP-Politik werden. Die Kritik der AGK
richtet sich jedoch nicht gegen eine einzelne Partei, sondern gegen die
dahinter liegende Tendenz des Kapitalismus seine Probleme auf
Randgruppen abzulenken. Mit ihrer Aktion ruft die AGK dazu auf, der
Fremdenangst den Zusammenhalt aller Arbeitnehmenden unterschiedlicher
Nationalität entgegen zu setzen.
Nathalie Rickli und Rainer Heuberger besucht!
Unter den gekennzeichneten Häusern ist auch jenes der
Nationalrätin Nathalie Rickli und die Villa des
"Siska-Immobilien"-Besitzers Rainer Heuberger. Mit Graffitis wie
"Klassenkampf statt Fremdenangst" will die AGK dafür
sensibilisieren, dass der Graben in der Weltgesellschaft nicht zwischen
den Arbeitenden unterschiedlicher Nationalität verläuft,
sondern zwischen den ArbeiterInnen und den InteressenvertreterInnen des
Kapitals im Allgemeinen.
Überall die gleichen Probleme
Egal ob in England, Island, Spanien, Frankreich, Griechenland,
Portugal, Serbien oder der Schweiz, überall spürt der
Grossteil der Gesellschaft die, durch die Krise ausgelösten,
Angriffe auf ihre Lebensbedingungen. Überall wird die breite Masse
der Bevölkerung für die Pleite der grossen
FirmenbesitzerInnen zur Kasse gebeten. Hinter all diesen
Massenentlassungen, Sparprogrammen, Reallohnkürzungen,
Arbeitszeitverlängerungen, Rentenalter-Erhöhungen etc. steht
in letzter Instanz das Interesse des Kapitals, sich wieder besser
verwerten zu können.
Nur zusammen sind wir stark!
Angesichts dieser, sich international abzeichnenden Angriffe und der
globalen Verflechtung von Kapital und Regierungen, ist es zwingend
notwendig sich als AngestellteR, ArbeiterIn, ArbeitsloseR, StudentIn
oder RentnerIn nicht mehr in nationale Gruppen spalten zu lassen,
sondern sich als Teil einer internationalen Klasse zu sehen, deren
materielle Bedürfnisse nur im gemeinsamen Kampf gegen die
Interessen des Kapitals geltend gemacht werden können.
Kein Kapitalismus ohne Rassismus!
Die Geschichte zeigt, dass die kapitalistische Gesellschaft in Krisen
dazu tendiert, die, durch die Funktionsweise des
Kapitalverhältnisses hervorgerufenen, Probleme verkürzt
anzugehen und auf Randgruppen zu proijezieren. Die aktuelle Stimmung
gegen AusländerInnen, aber auch die auftretende verkürzte
Kritik am Finanzsektor, als alleiniger Urheber für die aktuelle
Krise, fusst auf der gleichen Logik, wie das Aufkommen des Faschismus
während den dreissiger Jahren. Die Politik der SVP ist Ausdruck
dieser Tendenz. Indem sie die einheimischen Lohnabhängigen gegen
die ausländischen aufhetzt, verschleiert sie deren objektive
Gemeinsamkeit als gesellschaftliche Klasse und ist von diesem
Standpunkt anzugreifen.
Gegen das Konstrukt von Nation und Rasse - Für uns gibts nur eins:
Klasse gegen Klasse!
---
tagesanzeiger.ch 27.12.10
Farbanschlag auf Natalie Ricklis Wohnhaus
pak/hoh/fsc
In der Nacht auf heute haben unbekannte Täter im Raum
Winterthur mehrere Fassaden verschmiert. Der Anschlag richtet sich
gegen mehrere Exponenten der SVP.
"Natalie wir kriegen dich." Mit diesen Worten war der Eingang
eines Wohnhauses in Winterthur verschmiert. Mit "Natalie" meinen die
unbekannten Täter Natalie Rickli, die im Haus wohnt und für
die SVP im Nationalrat sitzt. Diese anonyme Drohgebörde war den
Tätern offenbar noch nicht genug: Sie haben eimerweise Farbe
ausgeschüttet und Ricklis Briefkasten mit Sekundenleim zugeklebt.
Vor dem Haus sprayten sie in grossen Buchstaben "Klassenkampf statt
Rassismus" an einen Zaun.
Die Attacke gegen Rickli ist nicht die einzige gegen Mitglieder
der SVP im Raum Winterhur: Auch der Nationalrat Jürg Stahl und
Alt-Kantonsrat Rainer Heuberger wurden Opfer eines Farbanschlages, wie
die Winterthurer Stadtpolizei bestätigt.
"Wir haben hier in Winterthur immer wieder Probleme"
"Das ist zutiefst antidemokratisch", sagt Rickli zur anonymen
Drohgebärde. "Die Täter sind dumm und feige. Wer in der
Schweiz etwas zu sagen hat, soll gefälligst zu seiner Meinung
stehen." Das ist, was die Politikerin Rickli zum Anschlag zu sagen hat.
Was die Drohung in ihr als Mensch auslöst, das will sie für
sich behalten.
Hinter der Attacke vermutet Rickli linkextreme Kreise. "Wir haben
hier in Winterthur immer wieder Probleme mit Leuten aus dieser Szene."
Kürzlich hätten Autonome die Scheiben des Hotels Wartmanns
eingeschlagen, als die SVP ein Treffen abhielt. An einer Veranstaltung
im Musik Club Albani hätte die Polizei vermummte Autonome davon
abhalten müssen, den Anlass zu stören.
---
Bund 17.12.10
SVP sucht Farbanschlagtäter und setzt Belohnung aus
In der Nacht auf den 25. November haben Unbekannte einen
Farbanschlag aufs Haus des Stadtberner SVP-Präsidenten Peter
Bernasconi verübt. Die SVP Stadt Bern hat nun beschlossen, eine
Prämie von 1000 Franken für Hinweise auszusetzen, die zur
Ergreifung der Täter führen. "Die Prämie würde aus
der Parteikasse bezahlt", sagt Bernasconi. Die Versicherung
übernehme nur 5000 Franken des Gesamtschadens in der Höhe von
12 400 Franken. Den Rest müsse er aus dem eigenen Sack berappen.
Er werde zudem "Vorkehrungen" zur Sicherung seiner Liegenschaft
treffen, sagt Bernasconi. (bob)
-------------------------------------
KINO KUNSTMUSEUM
--------------------------------------
kulturstattbern.derbund.ch 23.12.10
Licht aus im Kino Kunstmuseum
Von Roland Fischer am Donnerstag, den 23. Dezember 2010, um 06:00 Uhr
Wenn es ums Sparen geht in Bern, dann geht es auch immer um den Status
dieser kleinen Kapitale, um die Rolle, die sie spielen will: Haupt-,
Provinz-, Durchschnittsstadt? Bei der Diskussion rund um die drei
Theatersparten waren da rasch Schmerzgrenzen erreicht: eine Hauptstadt
ohne Stadttheater? Das geht nicht, unvorstellbar. Richtig, aber damit
hört es ja nicht auf.
kino kunstmuseum, nachtsEs ist schon ein wenig furchterregend, wie
radikal der kulturpolitische Zweihänder derzeit geschwungen wird.
"Viel kann, nichts muss" scheint das aktuelle Motto in der Berner
Kulturpolitik zu sein. Am Stadttheater steht so ziemlich alles zur
Disposition, und nun erwischt es auch das ambitionierte Kino. Das Kino
Kunstmuseum wird wohl die Tore dichtmachen müssen, ein Drittel
weniger Subventionen von der Stadt, dazu kaum noch Unterstützung
(weder finanziell noch ideell noch räumlich) vom Kunstmuseum - so
lässt sich ein Betrieb kaum mehr vernünftig aufrecht erhalten.
Während es doch einiges Geschrei und Lamento rund ums Stadttheater
gab, droht das Programmkino in Bern ganz still zu Grabe getragen zu
werden. Es muss erlaubt sein, da auch mal dazwischen zu lärmen:
Nein, eine grosse Stadt ohne vernünftiges Reprisenkino, das geht
ebenso wenig, wie - siehe oben. Man möge da bitte Kultursparten
nicht gegeneinander ausspielen, auch das Kino braucht ein schönes
Zuhause, auch in Bern.
Ja, der Status Quo ist unbefriedigend, da werken zuviele
Leinwand-Helden an zuvielen Initiativen herum: Cinématte, Kino
Reitschule, Lichtspiel, Kino Kunstmuseum. Da verzettelt sich so
einiges, was man wohl besser bündeln würde (siehe zum
Beispiel Zürich, wo es mit dem Filmpodium und dem Xenix zwei sich
wunderbar ergänzende Programmkinos gibt). Ein Vorschlag also zur
Güte: Das Kino Kunstmuseum sucht sich ein neues Zuhause, zusammen
mit dem Lichtspiel, das ja wohl ohnehin bald umziehen muss. Zusammen
bilden die beiden ein echtes Programmkino-Bijou, wie es nur wenige
Städte in der Schweiz zu bieten haben. Und zwar nicht in einem
billigen Industriebau, sondern an einem zentralen und attraktiven Ort.
Ist im Progr genug Platz für die Lichtspiel-Sammlung, vielleicht
im Dachstock? Juwelen gehören ins Schaufenster, nicht in einen
schummrigen Keller oder ins Lager.
---
Bund 20.12.10
Kino Kunstmuseum in Bern ist "akut gefährdet"
Das Kino Kunstmuseum steckt in einer desolaten Situation: Das
Kunstmuseum will es nicht mehr länger unterstützen.
Die Situation für das Kino Kunstmuseum, das ab 2012 von der
Stadt Bern nur noch mit 120 000 statt mit bisher 170 000 Franken
subventioniert wird, spitzt sich zu. Denn laut Recherchen des "Bund"
streicht nun auch das Kunstmuseum seinen jährlichen
Programmbeitrag in der Höhe von 20 000 Franken. Damit fehlen 70
000 Franken im Budget von 430 000 Franken. "Die Existenz des Kinos ist
akut gefährdet", sagt Kinoleiterin Rosa Maino. Peter Erismann, der
Präsident des Trägervereins Cinéville, kann die
Kürzungen nicht verstehen und ist enttäuscht über die
Berner Kultursekretärin Veronica Schaller, die Abmachungen nicht
eingehalten haben soll. "Wir kommen uns verraten und verschaukelt vor."
Die Situation ist umso delikater, weil unklar ist, ob und wie
lange das Kino noch im Kunstmuseum bleiben kann. Ausschlaggebend ist
der geplante Umbau für die Abteilung Gegenwart. Zeichnet sich doch
immer deutlicher ab, dass die Kinoräume wohl der Kunst weichen
müssen. Cinéville will nun politisch Druck machen. Zudem
prüft der Verein einen Neustart des Kinos im Progr, wo es mit
offenen Armen aufgenommen würde.(all) — Seite 21
--
Das Kino Kunstmuseum kämpft ums Überleben
Nach der Stadt streicht nun auch das Kunstmuseum seinen Beitrag
ans Kino.
Thomas Allenbach
Peter Erismann, Präsident des Trägervereins
Cinéville, und Rosa Maino, Leiterin des Kinos Kunstmuseum, sind
konsterniert. Am Freitag teilte ihnen das Kunstmuseum Bern mit, dass
"aus Spargründen" der jährliche Beitrag ans Kino von 20 000
Franken gestrichen werde. Mit diesem Betrag hat das Kunstmuseum bisher
die ausstellungsbegleitenden Programme abgegolten. "Das zeigt das
Desinteresse des Kunstmuseums am Kino mit aller Deutlichkeit", sagt
Erismann. Noch gravierender sind die Kürzungen der
städtischen Subventionen: In den neuen Kulturverträgen 2012
bis 2015 wird das Kino jährlich nur noch mit 120 000 statt wie
bisher 170 000 Franken unterstützt ("Bund" vom 10. Dezember).
Damit fehlen jährlich insgesamt 70 000 Franken in der Kasse, ein
massiver Betrag bei einem Budget von 430 000 Franken. Für Maino
ist klar: "Ein Programm auf bisherigem Niveau ist nicht mehr
möglich, unsere Existenz ist akut gefährdet."
"Verraten und verschaukelt"
"Wir kommen uns verraten und verschaukelt vor", sagt Erismann. Er
kritisiert nicht nur die Entscheide, er ist auch erschüttert
über die Umgangsformen: "Die städtische Kultursekretärin
Veronica Schaller und das Kunstmuseum Bern übten sich uns
gegenüber in Nicht-Kommunikation." Erismann wirft Schaller in
einem Schreiben an den Kulturdachverband Bekult zudem vor, sie habe
eine mündliche Abmachung nicht eingehalten. In dieser war eine
abgefederte Kürzung der städtischen Subventionen (zwei Jahre
145 000 Franken, zwei Jahre 120 000 Franken) vorgesehen. Schaller weist
diesen Vorwurf entschieden zurück: "Ich habe Verständnis
dafür, dass sich das Kino Kunstmuseum wehrt, aber man sollte dabei
fair bleiben. Wir haben in den Gesprächen mehrere Varianten
geprüft, dabei aber keine Zusagen gemacht." Maino vermisst bei
Schaller ein inhaltliches Interesse und Visionen für die Rolle,
die das Kino spielen könnte. "Das Kino ist mir generell sehr
wichtig, aber in Bezug auf das Kino Kunstmuseum habe ich
tatsächlich nicht dieselben Vorstellungen wie Maino", erwidert
Schaller. Erismanns Ärger über die Kürzungen der
städtischen Subventionen ist umso grösser, als das Kino
Kunstmuseum - nebst der Tanzaktiven Plattform - der einzige
Veranstalter ist, dem Gelder gestrichen werden. Insgesamt
unterstützt die Stadt die Berner Kulturveranstalter in der neuen
Subventionsperiode mit 112 Millionen Franken. Als einen "Affront"
empfinden Erismann und Maino die Begründung des Gemeinderates.
Dieser schrieb in seinem Vortrag an den Stadtrat, das Kino habe wegen
der geplanten Abteilung Gegenwart (siehe Kasten) in Zukunft keinen
Platz mehr im Kunstmuseum und wenn doch, dann wäre ab 2016 der
Kanton für dessen Subventionierung zuständig; der reduzierte
städtische Beitrag genüge, damit das Kino sich neu
positionieren oder seinen Betrieb einstellen könne.
Über 10 000 Eintritte
Erismann bezeichnet die Kürzung denn auch "als aktive
Sterbehilfe". Sparmöglichkeiten sieht er kaum, ganz sicher keine
Lösung sei es, die Zahl der Vorstellungen zu reduzieren: "Das ist
ein Teufelskreis. Denn damit verlieren wir wiederum Einnahmen. Ein
ausgedünntes Programm ist zudem alles andere als
publikumsfreundlich." Verschärft wird die Situation dadurch, dass
in den letzten Jahren die Kosten für Filmkopien und Filmrechte
deutlich gestiegen sind. Das fällt beim künstlerisch
ambitionierten Programm des Kinos Kunstmuseum mit aufwendigen
filmhistorischen Zyklen besonders ins Gewicht. Schaller wirft dem Kino
weiter vor, es erreiche zu wenige Zuschauer, das Verhältnis von
Subventionen und Eintritten stimme nicht. Dem widersprechen Erismann
und Maino vehement. Mit über 10 000 Eintritten blicke das Kino auf
eine erfolgreiche Spielzeit 2009/10 zurück, das Ergebnis lasse
sich auch im Vergleich mit andern Programmkinos sehen. Über 50
Prozent seines Budgets erwirtschafte das Kino selber, "das ist im
Vergleich mit andern Kulturinstitutionen überdurchschnittlich", so
Erismann.Der Trägerverein Cinéville ist nun an mehreren
Fronten aktiv. Einerseits will er mit politischem Druck die
Subventionskürzung verhindern. "Wir werden versuchen,
Stadträte für unser Anliegen zu gewinnen", so Erismann.
Zugleich wird der Neustart des Kinos im Progr geprüft, wo
Cinéville mit offenen Armen aufgenommen würde. Die Arbeit
am Vorprojekt soll bis März abgeschlossen sein. Die Krux dabei: Es
braucht Gelder für die Investitionen, zudem wird der Kinobetrieb
wegen der Miete im Progr teurer. Noch intensiver als bisher schon sucht
man private Geldquellen. Hoffnung gibt ein neuer Sponsoringvertrag mit
der Berner Kantonalbank über 10 000 Franken.
Maino wünscht sich zudem eine grundsätzliche Diskussion
in der Öffentlichkeit über die Stellung des Kinos in der
Kulturpolitik. "Welches Programmkino will Bern?", fragt sie. "Wenn
überhaupt?" Gerade in einer Zeit, da auch das Arthouse-Kino unter
Druck gerate, sei ein Engagement der öffentlichen Hand wichtig:
"Ohne Programmkinos stirbt die Filmkultur." Die Stadt aber will die
Verantwortung an den Kanton abgeben mit der Begründung, dieser sei
auch bei der Filmförderung federführend. Wenigstens
subsidiär sollte die Stadt das Kino weiterhin unterstützen,
erwidert Maino, immerhin handle es sich dabei um einen
Kulturveranstalter mit städtischem Profil. Für die Zukunft
setzt Cinéville nun vor allem auf den Kanton. "Zur
Filmförderung gehört auch die Filmvermittlung. Und da spielen
wir, gerade auch für das bernische Schaffen, eine zentrale Rolle",
sagt Erismann. Er habe den Eindruck, die Arbeit des Kinos Kunstmuseum
werde vom Kanton viel mehr geschätzt als von der Stadt.
--
Bleibt das Kino im Museum?
Die Situation für dasKino Kunstmuseum ist umso delikater,
als unklar ist, ob und wie lange es noch im Kunstmuseum bleiben kann.
Ausschlaggebend ist der geplante Umbau für die Abteilung
Gegenwart. Immer deutlicher zeigt sich, dass das Kino an der
Hodlerstrasse keine Zukunft hat. Im neuen Subventionsvertrag ist das
Kunstmuseum vom bisherigen Kino-Auftrag befreit. "Wir sind das Opfer
des Traumas, unter dem das Kunstmuseum durch das Scheitern seiner
bisherigen Anbaupläne leidet", sagt Peter Erismann, Präsident
des Trägervereins Cinéville. Heute wollen Kunstmuseum und
Zentrum Paul Klee informieren, wie die Kooperationsmodelle evaluiert
werden sollen - der Kanton verlangt eine engere Zusammenarbeit der
beiden Institutionen. (all)
Podium zu den Programmkinos: 28. 2. um 18.30 Uhr im Kino
Kunstmuseum.
-----------------
DEISSWIL
-----------------
BZ 17.12.10
Globalisierungsgegner kritisieren Unia und Bernapark
DeisswilIm Buch "Der geplante Tod einer Fabrik" äussern sich
ehemalige Mitarbeiter der Karton Deisswil zur Firmenschliessung. Weiter
findet man darin Berichte von Globalisierungsgegnern. Gestern wurde das
Buch den Medien vorgestellt.
Die Autoren des Buches "Der geplante Tod einer Fabrik", das sich
mit der Schliessung der Karton Deisswil befasst, legen ihre Karten im
Vorwort auf den Tisch. Das Buch beanspruche für sich weder
Objektivität noch die "absolute Wahrheit", steht geschrieben. Es
gehe den Autoren darum, Partei zu ergreifen.
Neben Berichten der Autoren bilden Interviews mit elf
Mitarbeitern der Karton Deisswil das Herzstück des 230 Seiten
langen Buches. Die Mitarbeiter reden dabei unter anderem über ihre
Enttäuschung, dass in Deisswil nicht mehr Karton produziert wird.
Gestern stellten die Autoren ihr Werk den Medien vor.
Ideologisch sind die Autoren links aussen anzusiedeln. So ist zum
Beispiel Maurizio Coppola, der mehrere Kapitel geschrieben hat,
ehemaliger Co-Generalsekretär von Attac Schweiz. Diese
globalisierungskritische Organisation hat unter anderem Demonstrationen
gegen das WEF organisiert. Entsprechend ideologisch gefärbt sind
die Berichte im Buch. Die Gewerkschaften werden als "Anhängsel der
dominierenden Bosse" bezeichnet. Der Arbeitskampf in Deisswil habe mit
einer exemplarischen Niederlage für die Mitarbeiter geendet, so
ein Autor.
Keine einzige Entlassung
Bernapark-Investor Hans-Ulrich Müller sei nicht als Retter
von Arbeitsplätzen, sondern nur als Immobilienspekulant
aufgetreten, steht in einem anderen Bericht. Die Fakten stellen sowohl
der Gewerkschaft Unia wie auch Unternehmer Müller ein anderes
Zeugnis aus. Tatsache ist, dass die 253 Mitarbeiter der Karton Deisswil
im Frühling vom Mayr-Melnhof-Konzern den blauen Brief erhielten.
Der Bernapark hat aber alle Mitarbeiter übernommen. Bis heute kam
es zu keiner Entlassung. Allerdings mussten sich die Mitarbeiter neu
orientieren. Der Bernapark hat sie dabei mit vielen Massnahmen
unterstützt. Zudem hat Hans-Ulrich Müller gemeinsam mit
seiner Frau eine Stiftung für Härtefälle gegründet.
Wie das Berner Wirtschaftsamt Beco bestätigt, waren beim Bernapark
per Ende November noch 95 Mitarbeiter angestellt. Viele ehemalige
Deisswiler haben an einem anderen Ort eine neue Stelle gefunden. Auf
dem Gelände der Kartonfabrik haben sich bereits mehrere Betriebe
eingemietet, weitere folgen. Zum ersten Quartal 2011 soll es auf dem
Areal 189 Arbeitsplätze geben, wie der Bernapark gestern
informierte.
Die Frage, was aus den 253 Mitarbeitern ohne Unia und Bernapark
geworden wäre, bleibt im Buch offen.
Ralph Heiniger
---------------------
RABE-INFO
----------------------
Do. 23. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_23._Dezember_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_23._Dezember_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2023.%20Dezember%202010
- Was verändert das Mediengesetz in Ungarn? Eine Radiojournalistin
bangt um ihren Sender
- Wirkt Wikileaks wirklich Wunder wenn's um Wahrheit geht? Ein
kritischer blick auf die Internetplattform
- Was bekommt man am Radio nicht zu hören? Versprecher und kuriose
Statements aus dem RaBe- info
---
Mi. 22. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_22._Dezember_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_22._Dezember_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2022.%20Dezember%202010
- Erinnern um zu Vergessen: der lange Schatten der argentinischen
Militärdiktatur
- Gespaltenem Land droht der Bürgerkrieg: die Ursprünge der
Auseinandersetzungen in Elfenbeinküste
- Die Rechnung kommt nach Jahrzehnten: biologische Invasionen belasten
künftige Generationen
---
Di. 21. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_21._Dezember_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_21._Dezember_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2021.%20Dezember%202010
- Nach der Wahl ist vor der Wahl: Der letzte Diktator Europas hat
Weissrussland fest in der Hand
- Konsumentenschutz bündelt Kräfte: Im Wahljahr soll die
Politik unter die Lupe genommen werden
- Bittersüsser Geburtstagskuchen: Burkina Faso wird 50
Links:
http://www.ououagadougouou.blogspot.com
---
Mo. 20. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_20._Dezember_2010_01.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_20._Dezember_2010_01.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2020.%20Dezember%202010
- Verurteilung des Polizeieinsatzes am Klimagipfel: Kopenhagener
Gericht erklärt Massenverhaftungen für illegal
- Kultuschaffende machen Politik: Der Berner Schriftsteller Guy Krneta
ist unser Kopf der Woche
Links:
http://www.kunst-und-politik.ch/pagina.php
---
Fr. 17. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_17._Dezember_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_17._Dezember_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2017.%20Dezember%202010
- Die Rechte von Migrantenkindern sollen besser geschützt werden -
das verlangen zwei Motionen im eidgenössischen Parlament
- Deutschland hebt die Wehrpflicht auf - und stärkt damit die
Streitkräfte im Ausland
- Teure Zölle und mangelnde Qualität - Online-Shopping macht
Weihnachtseinkäufe nicht unbedingt weniger stressig
---
Mi. 15. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_15._Dezember_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_15._Dezember_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2015.%20Dezember%202010
- Zu viele Suizide mit Schusswaffen: Schweizer Ärzte sehen
dringenden Handlungsbedarf
- Gespannte Ruhe vor dem Sturm: der Südsudan steht kurz vor der
Unabhängigkeit
- Internationale Reportagen aus dem Klassenzimmer: das Kinderradio Jojo
sendet mehrsprachig und weltweit
Links:
http://www.radijojo.de
---
Di. 14. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_14._Dezember_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_14._Dezember_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2014.%20Dezember%202010
- "Geld alleine macht nicht glücklich": Neue Studie zu den
Lebensbedingungen in der Schweiz
- Sozial und ökologisch investieren: 20 Jahre Alternative Bank
- Gafreh fertigt Taschen aus Abfall: Reportage aus Burkina Faso
Links:
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/publikationen.html
http://www.ououagadougouou.blogspot.com
---
Mo. 13. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_13._Dezember_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_13._Dezember_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2013.%20Dezember%202010
- Wir wollen ins SVP-Parteiprogramm - Kulturschaffende kämpfen
kreativ gegen Verunglimpfungen
- Der alternative Banker: Unser Kopf der Woche ist Thomas Bieri,
Mitbegründer der Alternativen Bank Schweiz
Links:
http://kunst-und-politik.ch/pagina.php
http://www.bas.ch
---------------------------------------
DROGENPOLITIK THUN
----------------------------------------
Thuner Tagblatt 22.12.10
Der Vermittler, der auch mal Zähne zeigt
Thun. Zwölf Jahre sind genug, sagt Andreas Lüscher: Der
SVP-Gemeinderat und Sozialvorsteher tritt auf Ende Jahr zurück. Er
hat sich in der Thuner Exekutive als Vermittler verstanden. Im
Interview blickt er zurück und nach vorne - und sagt: "Ein
Exekutivamt ist nicht dazu geeignet, mit dem Holzhammer aufeinander
loszugehen."
Sie waren zwölf Jahre im Thuner Gemeinderat - ohne einen
einzigen Skandal zu verursachen!
Andreas Lüscher: Ja, das trifft zu. Und ich bin ein wenig
stolz, dass nie grössere Spitzen gegen die Sozialpolitik gefahren
wurden. Dass man hin und wieder kritisiert wird, ist normal. Der
Gemeinderat als Kollegialbehörde bietet aber einen gewissen
Schutz. Nicht, dass man sich dahinter versteckt, aber man kann sich
darauf berufen: Der Gemeinderat hat beschlossen, nicht einfach der
Sozialvorsteher.
Waren Sie gerne der stille Schaffer im Hintergrund? Oder hatten
Sie das Gefühl, Sie erhielten zu wenig Aufmerksamkeit?
Ich arbeite gerne an den Aufgaben, die mir zugeteilt werden und
muss die Ergebnisse nicht an die grosse Glocke hängen. Das gilt
für Berufsleben wie für Politik. Höre ich keine Kritik,
gehe ich davon aus, dass das Ergebnis gut ist.
Welches war denn Ihre Rolle im Gemeinderat?
Ab der zweiten Legislatur habe ich mich vermehrt als Vermittler
verstanden. Ich habe versucht, ausgleichend zu wirken. Ich finde
ohnehin, dass ein Exekutivamt nicht dazu geeignet ist, mit Holzhammer
und schwerem Geschütz aufeinander loszugehen. Wenn man in der
Politik etwas bewegen will, muss man auch Koalitionen schmieden
können.
Hat diese Haltung auch mit dem Alter und der Erfahrung zu tun?
Ja, sehr stark. Ich denke, dass ich in einem guten Alter in die
Politik eingestiegen war und in ein Exekutivamt gewählt wurde.
Erzählen Sie doch ein bisschen aus dem
Nähkästchen: Gab es trotzdem Momente, wo Sie im Gemeinderat
laut wurden?
Ja, durchaus. In Tränen ausgebrochen bin ich im Gemeinderat
nie, und Türen habe ich auch keine zugeschlagen. Ich werde von
aussen als eher ausgeglichen wahrgenommen. Aber ich kann durchaus auch
Zähne zeigen. Die Kolleginnen und Kollegen haben gemerkt, wenn ich
wirklich hässig geworden bin.
Wann wurden Sie energisch?
Wenn ich mich unverstanden fühlte. Wenn ich Visionen
entwickelte, von denen ich überzeugt war - und die anderen
Gemeinderäte dafür wenig Musikgehör hatten. Dann habe
ich insistiert und bin in der Entwicklung von Gedanken und Ideen noch
ein Schrittchen weiter gegangen, um ein wenig zu provozieren.
Wo konnten Sie ihre Visionen umsetzen? Was schauen Sie selber als
Ihren grössten Erfolg an?
Es tönt zwar fast ein bisschen pathetisch, wenn ich vom
sozialen Frieden in dieser Stadt spreche. Aber diesen zu erhalten,
soziale Einrichtungen so etablieren zu können, dass sie nicht auf
Widerstand stossen, schaue ich als Erfolg an. Ich habe meines Wissens
alle sozialpolitischen Geschäfte durchgebracht. Ich denke, das ist
über das Ganze gesehen der Erfolg, an dem ich immer gearbeitet
habe. Das kam nicht von selber.
Können Sie Beispiele nennen?
Es gibt Dinge, auf die ich mit Befriedigung zurückblicke,
wenn ich sehe, wo wir heute stehen. Ich spreche die Drogenpolitik mit
den schadensmindernden Massnahmen an. Das ist für mich ein
Lehrstück gemeinderätlicher Zusammenarbeit: Unter den
betroffenen Direktionen Sicherheit, Bau und Soziales haben wir beraten,
was zu tun ist, damit die Situation nicht aus dem Ruder läuft.
Damals, im Jahr 2005, wurde die Aktion "Marathon" ins Leben gerufen.
Heute kann ich sagen: Wir haben unsere Aufgaben im drogenpolitischen
Bereich wahrgenommen, ohne dass die Fetzen geflogen sind.
Trotzdem: Die Aktion "Marathon" mit den Wegweisungen von
Randständigen sorgte für Aufsehen. Heute ist die Drogenszene
in Thun kaum noch ein Thema. Hat Thun kein Drogenproblem mehr?
Doch, wir haben noch ein Drogenproblem. Es ist nicht einfach
verschwunden. "Marathon" hiess ja für uns: Wir fahren auch eine
repressive Schiene und nicht nur eine präventive. Die Säulen
der Drogenpolitik sind für mich gleich stark. Die Repression
zeigte positive Wirkung. So kamen wir auf ein Niveau, das
allgemeinverträglich ist. Das versuchen wir weiterzuziehen - darum
der Begriff "Marathon". Wir haben Süchtige in Thun. Aber wir sind
soweit sensibilisiert, dass wir auf Szenenbildungen rasch reagieren
können.
Dass in Thun keine Anlaufstelle für Drogenabhängige
geschaffen wurde, sorgte für Kritik, vor allem aus Bern.
Dafür wurden die schadensmindernden Massnahmen - etwa der
Hygieneraum in der Notschlafstelle - eingeführt. Wie fällt
Ihre Bilanz dazu aus?
Ich denke, dass es damit gelungen ist, die Situation nicht
entgleisen zu lassen, und die Lage für die Randständigen
trotzdem zu verbessern.
Es gab Befürchtungen, dass sich eine neue Szene bildet, als
die Heroingestützte Behandlung HeGeBe Anfang 2010 neben die
Notschlafstelle an die Allmendstrasse zügelte. Hat sich der neue
Standort bewährt?
Ja. Man darf nicht ausser acht lassen, dass die soziale Kontrolle
an der Allmendstrasse grösser ist als zuvor an der Marktgasse. Es
ist nicht gerade ein Spiessrutenlauf für die Süchtigen, aber
sie fühlen sich durchaus beobachtet. Die Verantwortlichen der
Einrichtungen sind in der Lage sofort zu reagieren, wenn es Probleme
gibt.
Setzt die HeGeBe-Leitung die Hausordnung durch, die etwa
Drogendeals oder Ansammlungen auf dem Vorplatz verbietet?
Ja, und zwar rigoros. Da kann ich der Leitung ein Kränzchen
winden. Das sind gute Leute, die dem Druck, dem sie ausgesetzt sind, in
den zwölf Jahren immer standgehalten haben. Das ist mitunter auch
ein Zeichen guter Sozialpolitik in unserer Stadt.
Die Berner Gemeinderätin Edith Olibet hat scharf nach Thun
geschossen, weil Sie keine Anlaufstelle wollten. Haben Sie sich mit ihr
jemals ausgesprochen?
Wir haben die Klingen gekreuzt und gefochten. Als wir uns danach
bei einem Anlass der Gesundheitsdirektion trafen, grüssten wir
uns, redeten miteinander und haben das Kriegsbeil begraben. Auch wenn
es in der heissen Phase eine Zeit gab, in der ich mich in Bern nicht
blicken liess, bleibt aus diesem Konflikt nichts zurück. Und: In
Bern mussten sie die Politik in diesem Bereich ja auch überdenken.
Diese geht heute in eine ähnliche Richtung wie in Thun.
Sie ziehen eine positive Bilanz Ihrer Arbeit und hinterlassen
keine grossen Baustellen. Hat das den Abschied erleichtert?
Ich habe mir schon länger gesagt, zwölf Jahre sind
genug. Hätte ich die Wiederwahl nach vier Jahren nicht geschafft,
hätte mich das schwer getroffen. Und nach acht Jahren gab es
Themen, die brannten. Ich habe mich früh auf zwölf Jahre
eingestellt und konnte mich so auf meinen Abgang vorbereiten. Heute ist
eine andere Generation von Stadträten im Parlament. Das ist gut
so. Aber es stimmt schon: Die Situation in der Sozialpolitik
erleichtert es mir zu gehen. Ich darf eine gute Direktion mit
motivierten Leuten übergeben.
Wo haben Sie als Gemeinderat Fehler gemacht?
Vielleicht hätte ich mehr streiten müssen. Das ist wohl
die Schattenseite meiner ausgeglichenen Persönlichkeit. Das
betrifft nicht nur die Sozialpolitik, sondern ebenso die anderen
Politbereiche und Direktionen.
Konkret: Sie hätten den anderen stärker reinreden
sollen?
Ja, vielleicht. Ich habe mich immer dagegen gewehrt, mich nur als
Sozialvorsteher zu verstehen. Ich habe ebenso Interesse an Bildung und
Entwicklung, Bau und Liegenschaften oder den Finanzen gezeigt.
Blicken wir auf die Wahlen zurück: Ihre Partei ist wieder
mit zwei Vertretern im Gemeinderat präsent. Was sagen Sie zum
Wahlerfolg der SVP?
Dass mit Raphael Lanz jemand kommt, der mich im Gemeinderat mehr
als nur ersetzt, hat mir das Aufhören natürlich erleichtert.
Der Wahlerfolg ist für mich ein Zeichen, dass die SVP in Thun zwar
kritisch ist, aber konstruktiv politisiert und nicht polarisiert wie in
anderen Sektionen. Ein anderer Grund könnte eine gewisse
Staatsverdrossenheit der Bürger sein. Die Leute wollen klare
Botschaften hören und Taten sehen. Ich denke, die SVP leistet da
gute Arbeit.
Dafür legte der Gemeinderat mit dem Rücktritt von Carlo
Kilchherr einen Fehlstart hin.
Das ist sicher kein optimaler Start. Ich habe Verständnis
dafür, dass Carlo Kilchherr seinen Familienbetrieb nur ungern
aufgeben wollte. Andererseits habe ich in den Diskusionen um die
Pensenverteilung immer Wert darauf gelegt, dass man den Status Quo mit
Nebenämtern nicht aus den Augen verlieren darf. Ich war mir aber
auch bewusst, dass ich mit dem Beruf neben dem Gemeinderatsamt wohl
auch ein Auslaufmodell sein könnte. Roman Gimmel ist ein guter
Mann, der einer anderen Generation angehört. Er akzentuiert den
Generationenwechsel im Gemeinderat. Ich finde das gut.
Zu reden gab die Empfehlung des "alten" Gemeinderats, eine
gleichmässige Pensenverteilung einzuführen. Haben Sie
darüber in der SVP zu wenig informiert?
Wir haben das kommuniziert - auch von der Stadt an die Parteien.
Parteiintern war das bekannt. Wenn ich gefragt wurde, habe ich immer
gesagt: Man muss mit allem rechnen. Für mich wäre auch der
Status Quo denkbar gewesen.
Welches sind die grössten Herausforderungen, die auf den
Gemeinderat zukommen?
Der Finanzhaushalt. Die Richtschnur ist eine ausgeglichene
Rechnung. Das zu schaffen, wird schwierig aber nicht unmöglich
sein. Wir sind soweit, dass jeder Franken zweimal umgedreht werden
muss, bevor er ausgegeben werden kann. Zur Zerreissprobe für den
Gemeinderat könnte die Frage werden, ob die Steuern rauf oder
runter sollen. Ich bin nach wie vor der Meinung, man sollte nicht
zuviel an der Steueranlage "schrüble". Beständigkeit schafft
auch in dieser Hinsicht Vertrauen.
Und welchen Rat geben Sie ihrem Nachfolger?
Ich möchte mich nicht einmischen und Empfehlungen abgeben.
Einzig vielleicht die, dass er eine gesunde Distanz zur Verwaltung
bewahrt, und dass er sich nicht zu stark vereinnahmen lässt - aber
auch nicht den Feuerteufel spielt. Er sollte die Verwaltung als
Instrument nützen - und das ist überhaupt nicht
despektierlich gemeint. Das Instrument wird sehr gut klingen, wenn
harmonische Töne angeschlagen werden.
Und wie sieht Ihre Zukunft aus?
Ich bin als Verwalter der reformierten Gesamtkirchgemeinde Thun
eigentlich CEO einer Non-Profit-Organisation mit etwa 27 000
Mitgliedern und 130 Mitarbeitenden. Das fordert mich stark, und ich
freue mich, dass ich in Zukunft 100-prozentig für die
Kirchgemeinden zur Verfügung stehen darf.
Trotzdem werden Sie an den Wochenenden mehr Zeit haben. Wie
wollen Sie diese nutzen?
Ich will nicht sagen, das Gemeinderatsamt sei
gesundheitsschädigend. Aber es ist auch nicht
gesundheitsfördernd. Viele Sitzungen, wenig Bewegung, gutes Essen
sind der Gesundheit eher abträglich. Ich bin kein Bewegungstalent,
bin aber gern in der freien Natur und werde vermehrt mit dem Bike
ausfahren, joggen und wandern. Das werde ich sehr geniessen.
Und die Politik hängen Sie definitiv an den Nagel?
Nein. Aber es ist klar, dass ich den Schnitt auch hier vollziehe.
Werde ich um meine Meinung gefragt, sage ich die auch. Aber ich sehe
meine Rolle eher als Seniorpartner der jungen Politiker und werde mich
nicht aufdrängen.
Was werden Sie vermissen?
Das Vormundschaftswesen. Den direkten Bezug zu Menschen, die
Hilfe brauchen, werde ich nicht mehr haben. Auch die Kontakte zu
anderen Gemeinden werde ich vermissen, das Gespräch mit den
Leuten, oder das Gemeinderatsamt an sich, das jetzt wegfällt - ich
weiss noch nicht, wie ich das verkraften werde! (lacht)
Um den Bogen zum Beginn des Interviews zu schlagen: Ein Skandal
ist von Ihnen auch in nächster Zeit nicht zu erwarten?
Ich wüsste nicht wo! Es gibt bei der Direktion Soziales
keine Leichen im Keller, und ich habe den Eindruck, dass wir die
Aufgaben auch intern gut gemacht haben. Ich erwarte nicht, dass Peter
Siegenthaler am 5. Januar an die Öffentlichkeit tritt und
verlauten lässt, ich hätte ein Chaos hinterlassen!
Michael Gurtner
--
Zur Person
Andreas Lüscher Der SVP-Vertreter stieg 1995 in den Thuner
Stadtrat ein und wurde drei Jahre später in die Exekutive
gewählt, wo er als nebenamtlicher Gemeinderat die Direktion
Soziales übernahm. Zuletzt führte er diese in einem
40-Prozent-Pensum. Der ehemalige Regierungsstatthalter-Stellvertreter
ist seit 2001 Verwalter der Reformierten Gesamtkirchgemeinde Thun.
Lüscher ist 62 Jahre alt, verheiratet mit Erika
Lüscher-Rupp und Vater von zwei erwachsenen Töchtern.mik
---------------------------
RAUCHVERBOT
---------------------------
BZ 15.12.10
Regierung hält an Rauchverbot fest
Rauchverbot. Das nationale Rauchverbot sei genügend, findet
SVP-Grossrat Erich Hess und fordert die Aufhebung des kantonalen
Gesetzes. Dies lehnt die Regierung ab.
Seit diesem Mai ist das nationale Rauchverbot in Kraft. Dieses
ist liberaler als einige kantonale Gesetze und erlaubt beispielsweise
das Führen reiner Raucherlokale, sofern diese nicht grösser
als 80 Quadratmeter sind. Dass im Kanton Bern trotz nationaler Regelung
das strengere Verbot angewendet wird, stört den SVP-Grossrat Erich
Hess (Bern). Denn dieses habe im Berner Gastgewerbe zu
Umsatzrückgängen von bis zu 60 Prozent geführt. "Stellen
im Service mussten abgebaut und sogar Restaurants geschlossen werden",
schreibt Hess in einer Motion. Er verlangt nun vom Regierungsrat, das
kantonale Rauchverbot und die dazugehörige Verordnung aufzuheben
und das nationale Gesetz anzuwenden.
Andere Kantone gehen weiter
Davon will die Regierung nichts wissen. Sie verweist in ihrer
Antwort darauf, dass der Grosse Rat das Gesetz zum Schutz vor
Passivrauchen 2008 mit 97 zu 41 Stimmen angenommen hat. Ein Referendum
gegen das Gesetz sei nicht zustande gekommen. Zudem, so schreibt die
Regierung weiter, gehöre der Kanton Bern zur Mehrheit der Kantone,
die sich nicht mit der Minimallösung des Bundes
zufriedengäben. So seien fünfzehn Kantone und Halbkantone
strenger als der Bund; acht Kantone gingen mit ihren Bestimmungen sogar
noch weiter als Bern. Denn hier seien zwar reine Raucherlokale
verboten, die Bedienung in Fumoirs dagegen sei erlaubt.
"Sowohl das Gesetz als auch die Ausführungsbestimmungen sind
mit dem übergeordneten Recht vereinbar, greifen nicht in die
Wirtschaftsfreiheit ein und sind verhältnismässig", so der
Regierungsrat. "Dies hat das Bundesgericht im November 2009 in zwei
Urteilen bestätigt." Auch verweist die Kantonsregierung auf die
betroffenen Gastrobetriebe: "Der bernische Wirteverband hat sich in den
Medien für das kantonale Rauchverbot und gegen das nationale
Gesetz ausgesprochen."
Hess will weiter kämpfen
Zudem sei die politische Diskussion um den Schutz vor
Passivrauchen nach wie vor im Gang, so die Regierung. So habe die
Lungenliga eine Volksinitiative für eine einheitliche
verschärfte Regelung eingereicht, und die Interessengemeinschaft
"Freie Schweizer Wirte" sammle seit Februar Unterschriften für
eine Initiative. Aus diesen Gründen empfiehlt die Regierung dem
Grossen Rat die Motion zur Ablehnung.
Erich Hess ist mit dieser Antwort nicht einverstanden. Er will
sich in der nächsten Session dafür einsetzen, dass das
Parlament die Motion trotzdem überweist. Er kämpfe gegen
überflüssige Gesetze und Vorschriften. "Das nationale
Rauchverbot reicht und wäre eine einheitliche Lösung für
das ganze Land."
Andrea Sommer
---
gr.be.ch 8.12.10
Das kantonale Rauchverbot ist überflüssig
http://www.gr.be.ch/etc/designs/gr/media.cdwsbinary.acq/3e6e9ebc0f72475190ef9f4d85a187f5-332/2/PDF/2010-8976-Vorstossantwort-D-33417.pdf
---------------------------
RAZZIA BRÜNIG
----------------------------
Berner Oberländer 16.12.10
Nach der Razzia: Schliessung kein Thema
Asylzentrum. Trotz Drogenfunden und sieben Verhaftungen - eine
Schliessung des Sachabgabezentrums Casa Alpina auf dem Brünigpass
ist für den Kanton Bern kein Thema. Das Bleiberechtkollektiv Bern
kritisiert den Polizeieinsatz.
"Eine Schliessung des Nothilfezentrums auf dem Brünigpass
ist kein Thema": Markus Aeschlimann, Amtsvorsteher des
kantonal-bernischen Amtes für Migration und Personenstand, ist
sich bewusst, "dass eigentlich keine Gemeinde ein solches
Sachabgabezentrum will. Alle wehren sich gegen eine solche Institution.
Und wir haben die undankbare Aufgabe, die Vorgaben des dem
Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement unterstehenden
Bundesamtes für Migration umzusetzen."
Sieben Verhaftungen
Am Dienstagmorgen hat die Sondereinheit Enzian der Kantonspolizei
Bern im Rahmen einer koordinierten Hausdurchsuchung im Casa Alpina
Drogen und Bargeld sichergestellt. Dabei nahm sie sechs Asylanten in
Ausschaffungshaft. Eine zur Verhaftung ausgeschriebene Person wurde
zwecks Strafvollzug inhaftiert (siehe gestrige Ausgabe).
"Unhaltbare Zustände"
Markus Aeschlimann ist das Problem bekannt: "Nach dem
Wegweisungsentscheid haben die Asylanten jeweils die Möglichkeit,
unbefristet in einem Durchgangszentrum zu wohnen, wo sie ein Dach, ein
Bett und Nahrung erhalten. Sehr viele von ihnen haben so aber ein
wesentlich besseres Leben, als wenn sie in ihre Heimat
zurückkehren würden." In den Schweizer Städten halten
sich laut Aeschlimann mehrfach so viele Asylanten auf, die in den
Durchgangszentren beherbergt werden: "Wenn diese dann aufgegriffen und
in Ausschaffungshaft versetzt werden, dauert diese Haft in der Regel
mehrere Monate an." Der Chef des kantonalen Migrationsamtes spricht
selbst von "bundesweit unhaltbaren Zuständen" und ist dankbar,
"dass uns die Polizei mit solchen Säuberungsaktionen wie diese
Woche am Brünig unterstützt".
"Kanton finanziert Handel"
Susanne Huber, Gemeindepräsidentin von Meiringen, gibt sich
kämpferisch: "Ich habe diese Reaktion des Kantons erwartet. Wir
werden mit unserem Anliegen direkt bei Regierungsrat Hans-Jürg
Käser vorsprechen. Es kann einfach nicht sein, dass der Kanton auf
Kosten der Steuerzahler auch noch den Drogenhandel finanziert, wie dies
auf dem Brünig der Fall ist." Anlässlich der
Gemeinderatssitzung von gestern Abend hat Susanne Huber mit ihrem
Gremium das weitere Vorgehen in dieser Sache besprochen. Das Resultat
dieser Debatte lag zum Redaktionsschluss nicht vor.
Polizeieinsatz wird kritisiert
In einer Medienmitteilung von gestern Dienstagabend schreibt die
Kantonspolizei Bern, dass das Bleiberechtkollektiv Bern an ihrem
Einsatz vom Dienstag Kritik übt. Sie weist die Vorwürfe aber
entschieden zurück. Die Kantonspolizei stellt klar: "Aufgrund von
verschiedenen Hinweisen und eigenen Ermittlungen musste davon
ausgegangen werden, dass ein Teil der dort anwesenden Bewohner im
Handel mit Betäubungsmitteln aktiv ist." Da nicht habe
ausgeschlossen werden können, dass sich Personen der Verhaftung
entziehen würden, sei die Sondereinheit Enzian zum Einsatz
gekommen: "Zu Beginn der Aktion wurden allen Männern Handschellen
angelegt. In einer ersten Phase wurde ihnen vorübergehend die
Sicht mit einer Schlafmaske verdeckt. Diese wurde aber anschliessend
wieder abgenommen", teilt die Kapo weiter mit. Bei der Razzia fand die
Polizei übrigens Kokain im Verkaufswert von 18 000 Franken,
Streckmittel und mehrere Tausend Franken: "Die sechs in
Ausschaffungshaft versetzten Asylanten haben sich wegen Verstosses
gegen das Betäubungsmittelgesetz zu verantworten."
Bruno Petroni
---
police.be.ch 15.12.10
Polizeiaktion in Sachabgabezentrum: Kantonspolizei Bern nimmt Stellung
zu Vorwürfen
15. Dezember 2010
pkb. Das "Bleiberechtkollektiv Bern" hat in einer Medienmitteilung
Kritik am Polizeieinsatz vom Dienstag, 14. Dezember 2010, im
Sachabgabezentrum "Casa Alpina" auf dem Brünig geübt. Die
Kantonspolizei Bern weist die Vorwürfe entschieden zurück.
Die Kantonspolizei Bern hat am Dienstag, 14. Dezember 2010, im
Sachabgabezentrum (SAZ) Casa Alpina auf dem Brünigpass eine
grossangelegte Kontrolle durchgeführt. Aufgrund von verschiedenen
Hinweisen und eigenen Ermittlungen musste davon ausgegangen werden,
dass ein Teil der dort anwesenden Bewohner im Handel mit
Betäubungsmitteln aktiv ist. In den letzten Monaten sind im SAZ
bereits mehrmals Betäubungsmittel sichergestellt worden.
Die polizeiliche Aktion startete kurz nach 0800 Uhr. Es waren mehrere
Dutzend Mitarbeitende aus verschiedenen Spezialdiensten im Einsatz, um
einerseits den Einsatz und andererseits die damit verbundene
Bearbeitung der Dossiers möglichst rasch durchführen zu
können. Das Dispositiv ist vergleichbar mit anderen koordinierten
Aktionen gegen den Drogenhandel. Da aufgrund der Lagebeurteilung nicht
ausgeschlossen werden konnte, dass sich Personen der Anhaltung
entziehen würden, kamen auch Angehörige der Sondereinheit
Enzian zum Einsatz, welche speziell für solche Aufgaben geschult
sind. Damit wurde die Sicherheit sowohl der Einsatzkräfte wie auch
der Bewohner gewährleistet.
Zu Beginn der Aktion wurden allen Männern Handschellen angelegt.
In einer ersten Phase wurde ihnen vorübergehend die Sicht mit
einer Schlafmaske verdeckt, diese wurde aber anschliessend wieder
abgenommen. Während der Hausdurchsuchung und der Personenkontrolle
wurden die Anwesenden angewiesen, sich auf die vorhandenen
Sitzgelegenheiten zu setzen. Mehrmals kam es auch zu Etagen- oder
Zimmerwechseln, die Aussage, es habe sich niemand bewegen dürfen,
ist falsch. Auf Anfrage wurde den Anwesenden Wasser verteilt. Der Gang
zur Toilette war erlaubt, hingegen war das Rauchen untersagt.
Die Kantonspolizei Bern ist sich bewusst, dass die Aktion für alle
Anwesenden eine Belastung darstellte. Die Bewohner haben sich aber
generell kooperativ gezeigt und sich nicht gegen das Vorgehen der
Polizei gewehrt. Der Zentrumsleiter sowie die Betreuer waren
während der Aktion vor Ort. Ziel war, die öffentliche
Sicherheit wiederherzustellen. Festzuhalten ist zudem, dass unter
anderem Kokain im Verkaufswert von ca. 18'000 Franken, Streckmittel und
mehrere Tausend Franken sichergestellt wurden. Die sechs Personen, die
dem Migrationsdienst des Kantons Bern zugeführt und in
Ausschaffungshaft versetzt wurden, hatten gegen das
Betäubungsmittelgesetz verstossen.
Untersuchungsrichteramt IV Berner Oberland
(cm/mf)
---
Bleiberechtkollektiv Bern 15.12.10
http://bleiberechtbern.ch
Rassistisches Vorgehen der Polizei bei Grossrazia im Nothilfezentrum
"Casa Alpina"
Das Bleiberechtkollektiv Bern verurteilt das rassistische und
menschenunwürdige Vorgehen der Kantonspolizei Bern im
Sachabgabezentrum "Casa Alpina" von gestern Dienstag, dem 14. Dezember
aufs Schärfste. Ein Augenzeugenbericht soll Aufschluss
darüber geben, was sich auf dem Brünig abgespielt hat.
Am Dienstag 14.12.2010 führte die Spezialeinheit Enzian der
Kantonspolizei Bern eine Grossrazzia im Sachabgabezentrum Casa Alpina
auf dem Brünig, Kanton Bern durch. In dem Zentrum leben zurzeit
gegen 60 abgewiesene männliche Asylsuchende. Laut Berner Zeitung
war Ziel und Zweck dieser Razzia die Aufdeckung von Drogenhandel. Ein
Augenzeuge berichtet: "Um 08:00 Uhr morgens, die meisten
Flüchtlinge haben noch geschlafen, ist die Spezialeinheit ins
Zentrum eingedrungen. Die schwer bewaffneten Polizisten haben die
schlafenden Männer aus den Betten getrieben, ihnen die Augen
verbunden und sie geheissen sich im Korridor mit den Händen
über dem Kopf auf den Boden zu legen. Geschlagene vier Stunden
mussten sie mit verbundenen Augen und Hände über dem Kopf
sitzen bleiben und durften weder Nahrung noch Wasser zu sich nehmen
oder ihre Notdurft verrichten. Auf die grob durchgeführte
Leibesvisite ist eine eingehende Durchsuchung der Zimmer gefolgt,
während der die Männer mit verbundenen Augen auf dem Boden
liegend sich noch immer nicht haben bewegen dürfen. Um ca. 15:00
Uhr ist die Spezialeinheit wieder abgezogen. Dabei haben sie sechs
Asylsuchende mitgenommen, zwei von ihnen, weil man sie einmal beim
Schwarzfahren erwischt hat, die anderen sehr wahrscheinlich aufgrund
dessen, dass sie sich illegal in der Schweiz aufhalten."
Das Bleiberechtkollektiv Bern verurteilt diesen Einsatz auf
Schärfste. Die Grösse der Polizeieinheit, das grobe und
unmenschliche Vorgehen ist unverhältnismässig. 60 Menschen
werden unter einen Kollektivverdacht der Kriminalität gestellt,
ihnen werden die Augen verbunden, sie werden auf den Boden
gedrückt und haben keine Möglichkeit ihre Rechte geltend zu
machen. Dieses Vorgehen ist eine generelle Abwertung einer bestimmten
Menschengruppe, welche der gleichen Logik folgt wie die
Abstimmungsresultate vom Sonntag vor zwei Wochen. Es ist anzunehmen,
dass die sechs Verhaftungen zum Zwecke einer Ausschaffung absolut
willkürlich erfolgten und keinen Zusammenhang aufweisen mit einem
Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz, sondern vielmehr dazu
benutzt werden, diesen Grosseinsatz zu rechtfertigen.
Diese menschenunwürdige Politik liefert den Nährboden
für einen Repressionsapparat und rassistische Handlungen gegen
gewisse Menschengruppen. Dies gilt es aufs Gröbste zu verurteilen
und zu bekämpfen. Bleiberecht Bern fordert einen sofortigen Stopp
dieser rassistischen Politik.
---
Bund 15.12.10
Drogenrazzia im Sachabgabezentrum
Die Kantonspolizei hat gestern auf dem Brünigpass bei einer
Razzia in einem Zentrum für abgewiesene Asylsuchende rund 40
Personen kontrolliert. Die Polizisten fanden im Haus Betäubungs-
und Streckmittel sowie Bargeld. 13 Personen wurden wegen
Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittel- und das
Ausländergesetz angezeigt, wie das zuständige
Untersuchungsrichteramt und die Kantonspolizei Bern mitteilten. 6
weitere wurden in Ausschaffungshaft genommen. Ausserdem ging der
Polizei eine zur Verhaftung ausgeschriebene Person ins Netz. Sie wurde
inhaftiert. In der Unterkunft Casa Alpina auf dem Brünigpass wird
ein sogenanntes Sachabgabezentrum für abgewiesene Asylsuchende
betrieben, wo diese vorübergehend Nothilfe erhalten.(sda)
---
Thuner Tagblatt 15.12.10
7 Asylanten verhaftet
Brünigpass. Im Durchgangszentrum "Casa Alpina" führte
die Sondereinheit Enzian der Kantonspolizei eine Razzia durch. Zum
Vorschein kamen Drogen, Bargeld und Delinquenten.
In einer untersuchungsrichterlich angeordneten Hausdurchsuchung
mit Personenkontrollen verzeigte die Kantonspolizei gestern 13 Personen
wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz und das
Ausländergesetz. 6 Asylanten wurden dem Migrationsdienst des
Kantons Bern zugeführt und in Ausschaffungshaft versetzt. Eine zur
Verhaftung ausgeschriebene Per son wurde zwecks Strafvollzug
inhaftiert. bpm Seite 8
--
Elite-Einheit stellte Drogen sicher
BrünigpassGross angelegte Drogenrazzia auf dem
Brünigpass, 1000 Meter über Meer: Im Durchgangszentrum "Casa
Alpina" fand das Sonderkommando "Enzian" der Kantonspolizei Bern
Betäubungsmittel. Sieben Insassen wurde verhaftet.
Das vor zweieinhalb Jahren eröffnete Sachabgabezentrum
für ausreisepflichtige Personen erhielt gestern Morgen Besuch. "Zu
Gast" war die Spezialeinheit "Enzian" der Kantonspolizei Bern. In einer
koordinierten Aktion führte diese eine Hausdurchsuchung mit
Personenkontrollen durch. In der Unterkunft erhalten
abgewiesene, ehemalige Asylsuchende vorübergehend Nothilfe.
13 Anzeigen, 7 Verhaftungen
Von den 40 kontrollierten Asylsuchenden wurden deren 13 wegen
Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittel- und
Ausländergesetz zur Anzeige gebracht. Sechs weitere Personen
wurden in Ausschaffungshaft versetzt, und eine zur Verhaftung
ausgeschriebene Person wurde zwecks Strafvollzug inhaftiert.
Bei der untersuchungsrichterlich angeordneten Hausdurchsuchung
wurden in mehreren Räumen Betäubungsmittel, Streckmittel und
Bargeld sichergestellt.
Rolf Habegger, der Leiter des Asylzentrums, reagierte auf die
Durchsuchung positiv: "Wir begrüssen solche Aktionen und
unterstützen die Polizei gerne, denn auf diese Weise können
wir den Rechtsraum gewährleisten."
Nicht aussergewöhnlich...
Dasselbe sagt Philipp Rentsch, Geschäftsleiter des Vereins
Asyl Biel und Region, und damit Chef über zehn Durchgangszentren:
"Solche Durchsuchungen sind nicht aussergewöhnlich. Die
Kontrollorgane sind bei uns immer willkommen."
Anders tönt es auf der Strasse. So ein einheimischer
Passant, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will: "Man hat ja
schon lange gesehen, dass da etwas am Laufen ist. Oder wie kommt es
sonst, dass die Herren Asylanten nobel mit dem Taxi in die Stadt
chauffiert werden?" Meiringens Gemeindepräsidentin Susanne Huber
ist entrüstet und spricht Klartext: "Wir waren von Anfang an
unglücklich darüber, dass dieses Zentrum eingerichtet wird.
Jetzt erwarten ich und weite Teile der Bevölkerung vom Kanton
Konsequenzen, was nichts anderes als die sofortige Schliessung
bedeutet."
Bruno Petroni
---
Telebärn 14.12.10
Razzia in Asylheim auf dem Brünig
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/razzia-in-asylheim-auf-dem-brunig/c=84713&s=1109486
---
bernerzeitung.ch 14.12.10
Meiringen
Spezialeinheit stürmt Asylhaus - Sechs Bewohner werden ausgeschafft
Von Pascal Schwendener.
Die Gemeinde Meiringen hat immer wieder kritisiert, im Zentrum für
abgewiesene Asylbewerber auf dem Brünig werde massiv mit Drogen
gehandelt. Am Dienstag führte die Polizei eine Grossrazzia durch.
Am Dienstagmorgen hat die Kantonspolizei Bern das "Casa Alpina" auf dem
Brünig ins Visier genommen, wo rund 60 abgewiesene Asylbewerber
untergebracht sind, die nur noch Nothilfe erhalten.
Wie die Kantonspolizei Bern am späten Dienstagnachmittag
mitteilte, wurden bei der Razzia 40 Personen kontrolliert. 13 Personen
werden wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz und
das Ausländergesetz angezeigt. Sechs weitere Personen wurden in
Ausschaffungshaft versetzt.
Zudem sei bei der Kontrolle eine zur Verhaftung ausgeschriebene Person
angehalten und inhaftiert worden. Bei der Hausdurchsuchung wurden in
mehreren Räumlichkeiten Betäubungsmittel, Streckmittel und
Bargeld sichergestellt.
Clan kontrolliert das Haus
Weitere Informationen lieferte die Kantonspolizei Bern nicht. Gut
informierte Kreise aus Meiringen wissen aber: Die Spezialeinheit
"Enzian" kam zum Einsatz. Im Zentrum sei nämlich "jeder vierte
Bewohner" in Drogengeschäfte involviert. Die Sozialarbeiter vor
Ort sprächen von schwer kontrollierbaren, "Clan-artigen"
Zuständen. Immer wieder komme es zu wüsten
Auseinandersetzungen und Schlägereien.
Die Gemeinde Meiringen hatte sich von Anfang an gegen die
Wiedereröffnung des Zentrums auf dem Brünigpass 2008 gewehrt.
"Wir sind nicht glücklich über den Entscheid des Kantons",
erklärte die Meiringer Gemeindepräsidentin Susanne Huber
seinerzeit und wiederholte in der Folge ihre Forderung für die
Schliessung des Sachabgabezentrums. Doch ihr Protest nützte bisher
nichts. Nach der Razzia vom Dienstag steht für sie fest: "der
Kanton muss jetzt über die Bücher".
Wie eine Festung
Der Migrationsdienst habe aufgrund objektiver Kriterien wie Lage,
Grösse und Einrichtung entschieden, das ehemalige
Durchgangszentrum "Casa Alpina" auf dem Brünig als
Sachabgabezentrum wieder in Betrieb zu nehmen, begründete der
Kanton. Das Haus steht gegenüber des Bahnhofs Brünig,
eingeklemmt zwischen Berg und Passstrasse. Es wird vom Verein Asyl Biel
und Region geführt.
Die Meiringer sahen der Polizeiaktion nicht ohne Skepsis zu. Das
Gebäude gleiche einer "Festung", heisst es. Vor allem aber
sähen die Bewohner in der Regel schon lange zum voraus, wenn sich
Polizisten dem Haus näherten und könnten sich so auf die
Razzien einstellen. (Bernerzeitung.ch/Newsnetz)
---
police.be 14.12.10
Brünig: Polizeiaktion in Sachabgabezentrum
14. Dezember 2010
pkb. Die Kantonspolizei Bern hat am Dienstag in einer koordinierten
Aktion in einem Sachabgabezentrum für ausreisepflichtige Personen
auf dem Brünigpass eine Personenkontrolle und eine
Hausdurchsuchung durchgeführt. Insgesamt wurden 40 Personen
kontrolliert.
Anlässlich einer koordinierten Aktion kontrollierte die
Kantonspolizei Bern am Dienstagmorgen, 14. Dezember 2010, im
Sachabgabezentrum Casa Alpina auf dem Brünigpass insgesamt 40
Personen. 13 Personen werden wegen Widerhandlungen gegen das
Betäubungsmittelgesetz und das Ausländergesetz zur Anzeige
gebracht. Sechs weitere Personen wurden dem Migrationsdienst des
Kantons Bern zugeführt und in Ausschaffungshaft versetzt. Eine zur
Verhaftung ausgeschriebene Person konnte angehalten und zwecks
Strafvollzug inhaftiert werden.
Bei der untersuchungsrichterlich angeordneten Hausdurchsuchung wurden
in mehreren Räumlichkeiten Betäubungsmittel, Streckmittel und
Bargeld sichergestellt.
Die Unterkunft Casa Alpina wird als Sachabgabezentrum geführt, in
dem rechtskräftig abgewiesene, ehemalige Asylsuchende
vorübergehend Nothilfe erhalten.
Untersuchungsrichteramt IV Berner Oberland
(cm)
--------------------
POLICE BE
--------------------
20 Minuten 21.12.10
Patrouillieren in Bern bald Ausländer als Polizisten?
BERN. Geht es nach der Kapo Bern, könnten bald auch
Ausländer als Polizisten arbeiten. Dies sorgt für rote
Köpfe.
Dass die Berner Kapo mit Rekrutierungsproblemen kämpft, ist
ein offenes Geheimnis. Tiefe Löhne und häufige
Wochenendeinsätze sind für viele eine Hemmschwelle, den
Polizistenberuf anzutreten. Besserung könnte aber bald in Sicht
sein: Kapo-Personalchef Christian Brenzikofer erwägt, die
Polizeischule für Ausländer mit C-Bewilligung zu öffnen.
Wichtiger als der Ausweis sei die individuelle Eignung der Bewerber.
Diese würde weiterhin mit einer anspruchsvollen
Aufnahmeprüfung getestet, sagte er gegenüber der BZ.
FDP-Stadtrat Philippe Müller ist skeptisch: "Es ist
problematisch, wenn Ausländer Gesetze durchsetzen, über die
sie selbst nicht abstimmen können." Völlig daneben findet die
junge SVP den Vorschlag: "Es kann nicht sein, dass wir uns von
Ausländern kontrollieren lassen müssen", poltert Grossrat
Erich Hess. Für SP-Kollege Markus Meyer ist der rote Pass kein
massgebendes Kriterium: "Wenn sie mit Land und Leuten vertraut sind und
Deutsch und Französisch sprechen, sind ausländische
Polizisten denkbar."
Bigna Silberschmidt
--
Sollen Ausländer bei der Kapo Bern Polizist werden
können?
"Es wäre einfach unlogisch - grundsätzlich sollten doch
Schweizer das Schweizer Gesetz vertreten."
Emmanuel Halter (28), Bern
"Die Idee ist nicht schlecht. Fraglich ist, ob Ausländer
gegen ihre Landsmänner neutral vorgehen würden."
Susanne Marti (50), Bern
"Wenn sie ihre Arbeit gut und korrekt machen, dann gibt es keinen
Grund, Ausländer nicht als Polizisten einzustellen."
Ahmed Oukaddou (25), Bern
"Sind sie gut integriert, sollte es kein Problem sein. Ich bin
mir aber sicher, dass sich einige Leute daran stören werden."
Melanie Biehl (22), Thun
---
Blick am Abend 20.12.10
Polizist nur mit rotem Pass
KONTRA
Die Kantonspolizei Bern hat ein Personalproblem. Um mehr
Nachwuchs zu rekrutieren, will sie das Schweizer Bürgerrecht als
Kriterium für die Aufnahme in die Polizeischule abschaffen. Das
passt der Jungen SVP nicht. "Es kommt nicht in Frage, dass
ausländische Staatsbürger in den Polizeidienst der Kapo Bern
eintreten dürfen. Der Grundsatz, dass nur Polizisten mit rotem
Pass schweizerisches Recht durchsetzen, muss unbedingt beibehalten
bleiben", sagt Grossrat Erich Hess. Die Junge SVP fordert eine
Aufwertung des Polizeiberufs: bessere Besoldung und eine Verbesserung
der Arbeitsbedingungen. ehi
---
BZ 18.12.10
Polizisten ohne Schweizer Pass
StaatspersonalMuss ein Polizist einen Schweizer Pass besitzen?
Nein, sagt man bei der Kantonspolizei Bern.
Ausländer dürfen heute im Kanton Bern nicht Polizisten
werden. Das könnte sich nun ändern: Die Kantonspolizei macht
den Vorschlag, die sogenannte Passhürde abzuschaffen, um so
künftig auf bessere Aspiranten zurückgreifen zu können.
Wie sehr das Thema polarisiert, zeigen die unterschiedlichen
Haltungen von schweizerischem und kantonalem Polizistenverband.
Für Ersteren ist klar: "Nur Polizisten mit dem roten Pass
dürfen schweizerisches Recht durchsetzen", während der Berner
Verbandspräsident meint, "dass der Pass kein geeignetes Mittel
ist, um die fähigsten Leute zu finden".
Die Frage des Passes stellt sich auch bei der Bundesanwaltschaft:
Diese sistierte gestern nach Kritik die geplante Beförderung von
drei Ausländern zu Staatsanwälten. pas Seite 14
--
Bürgerrecht von Staatspersonal
Auch Ausländer sollen in Bern den Polizisten-Eid leisten
können
Immer mehr Kantone engagieren Polizisten ohne roten Pass. Nun
prüft auch die Kantonspolizei Bern, Ausländer in ihre Dienste
zu nehmen.
Jung, gross und Schweizer muss sein, wer Polizist werden will.
Das galt bisher. Die ersten beiden Kriterien wurden in Bern im letzten
Jahr aus dem Anforderungsprofil gestrichen. Das Höchstalter von 35
Jahren für den Eintritt in die Polizeischule sowie die
Mindestgrösse von 1,70 für Männer und 1,60 für
Frauen wurden abgeschafft. Und jetzt steht auch die letzte
Spezialhürde zur Diskussion: das Schweizer Bürgerrecht. Der
fehlende Schweizer Pass sollte nach Ansicht des Chefs der
Kapo-Personalabteilung Christian Brenzikofer künftig kein
Ausschlussgrund mehr sein. Wichtiger als der Ausweis sei die
individuelle Eignung der Bewerber, sagt er. Die werde weiterhin mittels
einer anspruchsvollen Aufnahmeprüfung festgestellt. Neben einem
Intelligenztest, einem Sporttest, und einer medizinischen Untersuchung
werden die Interessenten auch auf sprachliche Fähigkeiten in
Deutsch und Französisch sowie auf Allgemeinwissen,
Kommunikationsfähigkeit und Sozialkompetenz hin getestet. Und an
diesen messbaren Fähigkeiten will Brenzikofer keinerlei Abstriche
machen. "Gar keine."
Regierung zeigt sich offen
Stellen, die Spezialwissen erfordern, konnten schon bisher mit
Mitarbeitenden ohne Schweizer Pass besetzt werden: Übersetzer
beispielsweise oder Experten aus den Bereichen Computer- und
Wirtschaftskriminalität. Neu möchte die Kantonspolizei aber
auch Ausländer mit Niederlassungsbewilligung C für den
Uniformdienst ausbilden können. "Der Vorschlag wird derzeit intern
diskutiert", sagt Kommandant Stefan Blättler. Er persönlich
sehe den Vorschlag "als Chance, um im Einzelfall fähige Personen
für die Polizei gewinnen zu können". Stösst der
Vorschlag auch bei Polizeidirektor Hans-Jürg Käser auf ein
positives Echo, kommt er voraussichtlich im nächsten Jahr auf die
politische Traktandenliste. 2013 würde er zur Anwendung kommen.
Der Regierungsrat zumindest zeigte sich in der Vergangenheit
gegenüber dem Thema offen. Er sei bereit, die Abschaffung der
Passhürde zu prüfen, antwortete er auf ein entsprechendes
Postulat des Bieler Nationalrats Ricardo Lumengo, das vor drei Jahren
überwiesen wurde.
Gute Erfahrungen in Basel
In Basel-Stadt ist die Staatsangehörigkeit schon seit 1996
kein Aufnahmekriterium mehr für die Polizeischule. "Seither haben
wir im Korps jeweils zwischen 15 und 20 Kollegen, die über keinen
Schweizer Pass verfügen", sagt Polizeisprecher Klaus Mannhart:
Deutsche, Italiener, Franzosen, Engländer, Türken, Ghanaer
und Vietnamesen - in aller Regel Ausländer der zweiten Generation.
Der Polizeisprecher findet nichts dabei. In Basel sei es nie ein
grosses Thema gewesen, als niedergelassene Ausländer zum Dienst
zugelassen wurden. Und wenn, dann sei vor allem der positive Effekt
gewürdigt worden. "Sie können sprach- und kulturbedingte
Besonderheiten von gewissen Bevölkerungsgruppen einfach besser
verstehen und in ihre tägliche Arbeit mit einbeziehen."
Transkulturelle Kompetenz heisst das Zauberwort, auf das mittlerweile
die Polizeien in zahlreichen europäischen Städten bauen. Die
Idee: So vielfältig die gesellschaftlichen Probleme, so
vielfältig muss auch ein Polizeikorps sein.
Auch in der Schweiz blieb Basel mit dieser Politik nicht lange
allein. Genf folgte dem Beispiel und öffnete seine Polizeischule
für Ausländer. Dann folgten sogar Kantone, die nicht eben
für ihre Progressivität bekannt sind: Appenzell und Schwyz.
Grösserer Rekrutierungspool
In Bern dagegen war das Thema bis heute nicht opportun. Zwar
äusserte der Ausbildungschef bei der Kantonspolizei, Rudolf
Camichel, schon vor zehn Jahren den "Wunsch", auch Ausländer
anwerben zu dürfen. Doch dabei blieb es. Dass sein Nachfolger "das
Thema nicht länger auf die lange Bank schieben, sondern nun einen
politischen Entscheid herbeiführen will", hängt nicht zuletzt
mit den akuten Rekrutierungsproblemen bei der Kantonspolizei zusammen.
Oder wie Brenzikofer sagt: "Es wäre wünschenswert, die Anzahl
an guten und für den Polizeiberuf geeigneten Bewerbungen erweitern
zu können."
Zwar ist es für sämtliche grossen Korps schwierig,
geeignete Leute zu finden. Doch im Kanton Bern ist das Problem
besonders ausgeprägt. Mehrere Gründe sind dafür
verantwortlich: Erstens liegt das hiesige Lohnniveau rund zehn Prozent
unter dem Schweizer Mittel. Zweitens haben Berner Polizisten mehr
Wochenendeinsätze zu leisten, weil in der Bundesstadt neben
Sportveranstaltungen auch zahlreiche Demonstrationen zu überwachen
sind. Und drittens ist die Stimmung im Korps seit Jahren konstant
schlecht.
Auch Militär ist kein Muss
Für Max Hofmann vom Verband Schweizer Polizeibeamter (VSPB)
ist der vorskizzierte Weg allerdings nicht zielführend. Statt das
Anforderungsprofil zusammenzustreichen, sollte die Polizei ihre Jobs
attraktiver machen, meint er. Hofmann ist grundsätzlich "sehr
skeptisch" gegenüber der Idee, Ausländer in die Polizei
aufzunehmen. Hoheitliche Aufgaben gehören für ihn in die Hand
von Staatsbürgern. "Nur Polizistinnen und Polizisten mit dem roten
Pass dürfen schweizerisches Recht durchsetzen", sagt er.
Sein Berner Kollege Markus Meyer sieht das freilich anders.
"Sicher muss jeder Polizist ein gutes Verhältnis zum Staat haben",
sagt er. Aber das hänge nicht vom Pass oder sonst einem amtlichen
Stempel ab. Auch Zivildienstleistende könnten mittlerweile in der
Polizei Dienst tun. Zwar gilt noch immer der Grundsatz, dass Polizisten
eine RS absolviert haben müssen. Doch bei der
Einzelfall-Prüfung habe man auch schon bei diesem Kriterium
Ausnahmen gemacht, um die besten für den Job zu bekommen.
Pascal Schwendener
--
Passhürde für Polizisten
Eine Schweizer Bastion fällt
Fünf Kantone nehmen heute schon Ausländer in den
Polizeidienst auf: Appenzell Innerrhoden, Basel-Stadt, Jura, Neuenburg
und Schwyz. Mit Einschränkungen: In Basel etwa schreibt das Gesetz
Ausländern die "nötige Beziehungsnähe" zur einheimischen
Bevölkerung vor. In Schwyz müssen Anwärter "assimiliert"
sein. In Neuenburg wiederum sind Ausländer zum Dienst zugelassen,
die mindestens fünf Jahre im Kanton niedergelassen sind. Im Jura
schliesslich werden ausländische Polizisten nur akzeptiert, wenn
sie im Kanton eine Niederlassung haben. Die ausländischen
Mitarbeiter machen gemessen am Personalbestand aber nur einen kleinen
Prozentsatz aus:
Appenzell IR: 0,0 %
Basel-Stadt1,3 %
Jura 1,0 %
Neuenburg0,0 %
Schwyz 0,5 %
In weiteren fünf Kantonen können sich ausländische
Kandidaten für die Polizeischule bewerben. Sie müssen
allerdings vor dem Abschluss der Ausbildung eingebürgert sein: In
Appenzell Ausserrhoden, Freiburg, Nidwalden und Waadt haben bislang
keine ausländische Personen von dieser Möglichkeit Gebrauch
gemacht. In Genf dagegen sind jeweils zwischen 8 und 20 Prozent aller
Polizeischüler Ausländer. pas
--
Gegen fremde Staatsanwälte
Der Bund wollte drei Ausländer zu Staatsanwälten
machen. Das gehe nicht, monierten bürgerliche Parlamentarier. Mit
Erfolg: Die Beförderungen werden auf Eis gelegt.
Ein Deutscher, eine Holländerin und eine Italienerin sollten
im neuen Jahr Staatsanwälte des Bundes werden. Doch gestern
machten Parlamentarier gegen die Pläne von Bundesanwalt Erwin
Beyeler mobil. FDP-Nationalrätin Doris Fiala forderte in einer
Motion, dass Kaderstellen bei der Bundesanwaltschaft ausschliesslich
mit Personen besetzt werden, die das Schweizer Bürgerrecht
besitzen. Dasselbe müsse für die eidgenössischen
Gerichte gelten. Noch einen Schritt weiter ging SVP-Nationalrat J.
Alexander Baumann: Er kündigte eine Motion an, die fordert, dass
sämtliche Träger hoheitlicher Gewalt einen Schweizer Pass
haben müssen - also auch Mitarbeiter der Bundeskriminalpolizei.
Diese beschäftigt derzeit fünf ausländische Personen,
die eigentliche Polizeiarbeit leisten und im Besitz eines
Polizeiausweises sind. Aufgrund der beiden Vorstösse legte
Bundesanwalt Erwin Beyeler die geplanten Beförderungen noch am
gleichen Tag auf Eis. Er wolle erst das Ergebnis der parlamentarischen
Debatte abwarten, teilte er mit.
Die drei betroffenen Personen sind bislang stellvertretende
Staatsanwälte. In ihrer neuen Funktion könnten sie vor
Gericht die Plädoyers für die Bundesanwaltschaft halten.
sda/pas
---
Bund 18.12.10
Meiringen setzt auf Securitas statt auf die Polizei
Die Gemeinde Meiringen setzt für den Sicherheitsdienst
künftig auf die Securitas und kündigt den Vertrag mit der
Kantonspolizei. Grund: Die Polizei konnte die zusätzliche
Präsenz wegen mangelnder Ressourcen nicht im gewünschten Mass
leisten. Die Gemeinde hatte zum ordentlichen Grundangebot der Polizei
noch zusätzliche Leistungsstunden bestellt. Diese Stunden sollten
nach Möglichkeit an den Wochenenden als Sicherheitsdienst
geleistet werden. Bedarf bestand vor allem, seit in den Lokalen nicht
mehr geraucht werden darf; Lärm und Vandalismus rund um die
Nachtlokale haben deutlich zugenommen. Von den zusätzlichen
Polizeistunden erhoffte man sich in Meiringen nicht zuletzt auch eine
präventive Wirkung. Die Polizei habe zwar stets vorzügliche
Arbeit geleistet, doch gerade an Wochenenden seien die Polizisten oft
anderweitig benötigt worden, etwa für Sportanlässe oder
Kundgebungen in Bern, schreibt die Gemeinde in ihrer Mitteilung.
Deshalb setzt sie nun auf die Securitas. Das Unternehmen war in
Meiringen bisher bereits bei Parkplatzkontrollen im Einsatz. Die
Polizei wird jedoch auch weiterhin ihr normales Grundangebot in
Meiringen leisten. (sda)
---
Thuner Tagblatt 15.12.10
Ordnungsdienst jetzt auch im Winter
Thun. Was Anwohner und Polizei forderten, setzt der Gemeinderat
jetzt um: Der Ordnungsdienst patrouilliert neu übers ganze Jahr an
den Wochenenden in der Thuner Innenstadt. Das kostet 225 000 Franken -
41 000 Franken übernehmen die Wirte.
"Das wird nun diskutiert", sagte SP-Gemeinderat Peter
Siegenthaler am 9. November zur von Polizei und Anwohnern angeregten
Ausdehnung des Ordnungsdienstes in der Altstadt aufs ganze Jahr. Damals
zog der Sicherheitsvorsteher vor den Medien Bilanz zu den Massnahmen
der Stadt für mehr Sicherheit und Ruhe. Jetzt, rund einen Monat
später, ist klar: Die Sicherheitsleute sind künftig nicht
mehr nur in den Sommermonaten unterwegs. "Gestützt auf die
positiven Rückmeldungen aus dem Altstadt-Stamm, der
Innenstadt-Genossenschaft, des Komitees ‹thun rockt›, der Wirtenden,
der Kantonspolizei und der stadtinternen Stellen, hat der Gemeinderat
nun entschieden, den Ordnungsdienst Innenstadt 2011 während des
ganzen Jahres patrouillieren zu lassen", teilte die Stadt gestern mit.
Die Fahrverbote Obere Hauptgasse und Marktgasse/Gerberngasse werden
ebenfalls das ganze Jahr überwacht. Jene Gastgewerbebetriebe, die
im Besitz einer Bewilligung für verlängerte
Öffnungszeiten sind, beteiligen sich an den jährlichen Kosten
von 225 000 Franken mit 41 000 Franken. Die Fahrverbotsüberwachung
wird über Parkinggebühren finanziert.
Gleiche Nächte und Perimeter
Der Ordnungsdienst-Auftrag galt bisher nur von Mai bis Oktober.
Sonst ändert sich der Auftrag laut Gemeinderat nicht: Er wird
weiterhin durch die Berner Hunde Security GmbH und die GSD Gayret
Security GmbH in den Nächten von Donnerstag auf Freitag, Freitag
auf Samstag und Samstag auf Sonntag zwischen 0.30 und 4.30 Uhr
wahrge-nommen. Auch der Perimeter Aarequai ab Thunerhof, Obere/Untere
Hauptgasse (Lauitor bis Berntorplatz), Schlosstreppen, Hauptgasse und
Rathausplatz, Freienhofgasse, Waisenhausplatz, Bälliz,
Mühleplatz, Gerberngasse, Marktgasse, Grabenstrasse,
Schwäbisgasse und Berntorgasse gilt weiterhin.
Mit dem ganzjährigen Sicherheitsdienst signalisiere der
Gemeinderat, "dass ihm eine lebenswerte und florierende Innenstadt sehr
am Herzen liegt". Gleichzeitig hat er die Direktion Sicherheit
beauftragt abzuklären, inwieweit die Fahrverbotsüberwachung
durch bauliche Massnahmen abgelöst werden könnte, um Kosten
zu sparen. Denkbar seien beispiels-weise versenkbare Poller oder
Barrieren.
Fehlbare werden gebüsst
Der Ordnungsdienst Innenstadt bildet eine Ergänzung zur
Kantonspolizei. Sicherheitsvorsteher Peter Siegenthaler hat die
Kantonspolizei beauftragt, in der Innenstadt weiterhin eine
möglichst starke sichtbare Präsenz zu leisten. Der
Gemeinderat weist weiter darauf hin, dass weiterhin zur Rechenschaft
gezogen werde, wer sich in der Stadt Thun nicht korrekt verhält.
Fehlbare Personen würden gebüsst und zu Gesprächen zum
Gewerbeinspektor eingeladen.
pd/mik
--
Analyse zu den Veränderungen
Thuner Altstadt
Städteverband Wie sich die Thuner Altstadt
bevölkerungsmässig und wirtschaftlich entwickelt und wie sich
die bisher getroffenen Massnahmen zur Erhöhung der
Lebensqualität auswirken - dazu haben Stadtverwaltung und
Gemeinderat bisher keine genauen Angaben oder Beurteilungskriterien.
"Dennoch möchte der Gemeinderat gemäss seiner
Stadtentwicklungs-Strategie die Obere Hauptgasse als Wohnort in
Zusammenarbeit mit den Grundeigentümern aufwerten, das
Erscheinungsbild der Innenstadt verbessern und lärmige
Freizeitnutzungen besser regeln", schreibt die Stadt in einer
Medienmitteilung. Um konkrete Grundlagen zu erhalten, hat der
Gemeinderat beim Netzwerk Altstadt des Schweizerischen
Städteverbandes eine standardisierte Stadtanalyse in Auftrag
gegeben. Sie soll im Frühjahr 2011 vorliegen und
aussagekräftige, spezifische Erkenntnisse darüber liefern,
was sich in der Thuner Altstadt verändert hat, sich
voraussichtlich noch verändern wird und was unternommen werden
kann. Es geht um die Art der Geschäftsnutzungen, die Konflikte,
die einer Wohnnutzung entgegen stehen, die Möglichkeiten, die
Nutzung des öffentlichen Raumes zu regeln, mögliche
Partnerschaften mit Privaten und zu prüfende flankierende
Massnahmen ausserhalb der Altstadt. Der Gemeinderat hat für diese
Analyse einen Kredit von 6500 Franken bewilligt.pd/mik
----------------------------------
HARASSENLAUF BS
----------------------------------
Basler Zeitung 21.12.10
Am Bierlauf droht erneut ein Chaos
Das Organisationskomitee für den Harassenlauf hat sich
aufgelöst
Alan Cassidy
Die potenziellen Organisatoren des nächsten 1.-Mai-Laufs
haben das Handtuch geworfen. Nun wartet auf die Bierläufer wohl
ein weiteres Grossaufgebot der Polizei.
Es war als elegante Lösung gedacht: Eine Gruppe von jungen
Leuten sollte als offizielles Organisationskomitee dafür sorgen,
dass der von den Baselbieter Behörden als illegal erklärte
und von Tausenden Jugendlichen besuchte Harassenlauf legal
durchgeführt werden kann. So bliebe dem Kanton ein weiteres
massives Polizeiaufgebot erspart.
Aus dem Plan von Regierungsrätin Sabine Pegoraro (FDP) ist
nun aber nichts geworden. Ihr Sprecher Dieter Leutwyler gab gestern
bekannt, dass sich das im Sommer gegründete Organisationskomitee
für den Bierlauf bereits wieder aufgelöst hat. Gegenüber
den Behörden hatten die vier Mitglieder des Komitees den grossen
zeitlichen Aufwand sowie den Auslandaufenthalt eines der Mitglieder als
Grund für den Ausstieg angegeben.
Kanton bedauert
"Wir bedauern diesen Rückzug", sagt Leutwyler. Mit den
potenziellen Organisatoren sei der Kanton in "regelmässigem
Kontakt" gestanden. Viermal hatten sich Behördenvertreter,
darunter auch Pegoraro, mit den OK-Mitgliedern getroffen. Diese
hätten ein "brauchbares Konzept" vorgelegt, mit dem sie den
Umweltschutz und die Sicherheit der Teilnehmer garantieren wollten.
"Falls sich nun andere Organisatoren melden, werden wir ihnen das
Konzept zur Verfügung stellen", sagt Leutwyler.
Mitorganisator Jonas Rotzler bestätigt, dass sich das
Komitee aufgelöst hat. Zwei der ursprünglich vier Mitglieder
hätten sich schon früher zurückgezogen, die dritte
Person gehe aus beruflichen Gründen ins Ausland. Als Einzelperson
sei ihm die Belastung und Verantwortung zu gross, sagt Rotzler.
Für die Behörden ist klar: Ohne eine geordnete
Organisation und ohne Bewilligung ist auch der nächste 1.-Mai-Lauf
illegal. "Dann könnte das Sicherheitsregime wieder in grossem
Umfang ausfallen", sagte Pegoraro bereits nach der vergangenen Ausgabe
des Bierlaufs. Damals hatte der Kanton 400 Polizisten, Dutzende
Kastenwägen sowie einen Armeehubschrauber aufgeboten. Kostenpunkt:
eine halbe Million Franken.
---
Basellandschaftliche Zeitung 21.12.10
Organisatoren des Bierlaufs geben auf
Der Kanton Baselland hofft auf neues Komitee
Andreas Maurer
Eigentlich hätte das Organisationskomitee Ende Jahr sein
Konzept für einen geordneten Harassenlauf präsentieren
wollen. Stattdessen gibt es seine Kapitulation bekannt. Somit scheitert
der erste Versuch, die Idee der Baselbieter Sicherheitsdirektorin
Sabine Pegoraro umzusetzen: das Massenbesäufnis in Reinach und
Münchenstein legal durchzuführen.
"Wir haben den Aufwand teilweise überschätzt", gesteht
Jonas Rotzler. Er hätte aber dennoch nicht aufgeben wollen. Als
Grund für das Aus gibt er die Rücktritte seiner beiden
Mitstreiter an. Diesen fehle wegen eines Auslandaufenthalts und einer
neuen Ausbildung die Zeit. Dem Kanton macht Rotzler keinen Vorwurf:
"Der Dialog ist aus unserer Sicht recht erfreulich verlaufen."
Wie es nun weitergeht, ist offen. Die Sicherheitsdirektion ruft
motivierte Harassenläufer nochmals dazu auf, ein
Bewilligungsgesuch zu erarbeiten. Sie könnten das schon fast
fertige Konzept des aufgelösten OK übernehmen. Dieses sei auf
gutem Weg gewesen, heisst es vom Kanton. SP-Politikerinnen halten
Pegoraros Vorgehen hingegen für naiv und machen neue
Vorschläge.
Seite 17, Kommentar rechts
--
Jonas Rotzler: "Werde teilnehmen"
Der Wortführer des aufgelösten Harassenlauf-OK ist
schwer enttäuscht. "Ich mache aber niemandem einen Vorwurf", sagt
Jonas Rotzler. Der Dialog mit dem Kanton sei aus seiner Sicht recht
erfreulich verlaufen. Hat der Kanton nicht zu viel Verantwortung auf
das Komitee geschoben? "Das war eine Diskussion, konkret haben wir uns
aber noch nicht festgelegt", antwortet Rotzler. Er hat neue Mitstreiter
für einen neuen Anlauf gesucht, aber nicht gefunden. Für den
Harassenlauf 2012 könnte er sich vorstellen, in einem neuen
Komitee mitzuarbeiten. Wie der Harassenlauf am 1. Mai 2011 wird, kann
er nicht sagen: "Ich werde aber teilnehmen, wenn ich es zeitlich
hinkriege und das Wetter stimmt." (öpf)
--
Kommentar
Weniger Bier, weniger Polizei?
Thomas Dähler
Das Patentrezept ist gescheitert: Der jugendliche Spontianlass am
1. Mai lässt sich nicht so einfach in eine etablierte
Veranstaltung mit Organisationskomitee umwandeln. Die drei
Jugendlichen, die dem Aufruf von Sicherheitsdirektorin Sabine Pegoraro
gefolgt sind, haben aufgegeben. Das erstaunt nicht: Zu gross wäre
die Verantwortung, die auf den Schultern der jugendlichen Idealisten
lastete. Zu gross auch das Risiko, dass der Harassenlauf trotz
Organisationskomitee aus den Fugen geriete und die selbst ernannten
Organisatoren die Zeche zu bezahlen hätten.
Mit dem Nein steht die Sicherheitsdirektion wieder vor dem
gleichen Problem wie zuvor: Tut sie nichts, droht das Seilziehen
zwischen jugendlichen Protestlern und dem politischen Establishment zu
eskalieren. Und ob Regierungsrätin Sabine Pegoraro es nach der
Schelte im vergangenen Jahr nochmals mit einer Strategie der
Abschreckung durch ein gewaltiges und teures Polizeiaufgebot samt
Super-Puma versucht, ist fraglich.
Am Harassenlauf nahmen in den letzten Jahren weder Hooligans noch
politische Chaoten mit Zerstörungswut teil, sondern normale
Jugendliche. Jugendliche, die sich in der heutigen Verbotsgesellschaft
an einem Tag etwas mehr Freiheiten herausnahmen. Auch wenn sich die
Verantwortung jetzt nicht wie gehofft auf drei Vorzeige-Jugendliche
abwälzen lässt: Am Gespräch mit potenziellen
Harassenläufern führt dennoch kein Weg vorbei. Unter diesen
sind die wenigsten an Polzeiaktionen interessiert, die den Spass Jahr
für Jahr verderben. Aber vielleicht an einem vernünftigen
Kompromiss - mit etwas weniger Bier und etwas weniger Polizei.
thomas.daehler@azmedien.ch
--------------------------
DEALSZENE BS
--------------------------
Blick am Abend 20.12.10
Hier dealt der Nachwuchs
KOKS
Kügelidealer vom Claraplatz sind kaum 20 - aber schlau
genug, um billig anzureisen.
ronny.wittenwiler@ringier.ch
Sie verticken jeden Abend Kokain und nutzen dazu das spezielle
Angebot der SBB - die Drogendealer vom Claraplatz. "Mit dem "Gleis 7"
reisen sie aus der ganzen Schweiz an, um hier ihre Geschäfte
abzuwickeln", sagte Klaus Mannhart von der Polizei Basel-Stadt zur
"Basellandschaftlichen Zeitung." Das "Gleis 7" ist die Bahnkarte der
SBB mit günstigeren Konditionen für Jugendliche vom 16. bis
zum 25. Altersjahr. Gültig jeweils ab 19 Uhr. In der Tat sind die
sogenannten Kügelidealer vom Claraplatz jung. "Fast alle sind
unter 25 Jahre alt", sagt Mannhart zu Blick am Abend. Die jüngsten
sind sogar erst knapp 18-jährig.
Die meisten Dealer sind afrikanischer Abstammung, kommen aus
Nigeria. Dass derzeit der Weihnachtsmarkt auf dem Claraplatz
stattfindet, stört die "Baby-Dealer" aber wenig. Sie gehen
unverfroren ihren Geschäften nach. "An jeder Ecke steht ein
Kügelidealer,", sagte bereits am Freitag eine Standbetreiberin.
Einige Dealer sollten aber nicht mehr kommen. In den letzten Tagen
sprach die Polizei mehrere Betretungsverbote aus.
---
Blick am Abend 17.12.10
"Der Umsatz hat sich halbiert"
Von Philipp Schrämmli und Ronny
Wittenwiler
KOKS
Der Weihnachtsmarkt am Claraplatz ist ein Flop. Sind die
Drogenverkäufer schuld?
Nach vielen Jahren findet auf dem Claraplatz wieder ein
Weihnachtsmarkt statt. Doch die Standbetreiber sind unglücklich.
"Es läuft nicht viel hier", sagt Theres Bossert. "Zuvor waren wir
mit dem Weihnachtsmarkt beim Bahnhof, der wurde wegen Platzmangels aber
nicht mehr bewilligt." Im Vergleich zum Vorjahr habe sich der Umsatz um
mindestens die Hälfte reduziert.
Meiden die Basler den Claraplatz wegen der vielen Drogendealer?
"Sobald es dunkel wird, kommen sie", sagt ein Standbetreiber. "Es
sind fast alles Afrikaner." Feierliche Stimmung kommt so keine auf. Nur
der Schnee rieselt leise. Bossert bestätigt: "An jeder Ecke steht
ein Kügeli-Dealer. Um das zu merken, muss man kein Polizist sein.
Es sind immer die gleichen Gesichter, etwa zehn bis zwölf
Stück". Man kenne sie mittlerweile. "Fehlt nur noch, dass man sich
Grüezi sagt."
Bossert glaubt jedoch nicht, dass die Dealer am miesen
Geschäft schuld sind. "Mir haben schon Leute gesagt, seit der
Markt hier ist, habe es weniger Dealer."
Sie vermutet vielmehr, dass sich die Kunden erst an den neuen
Standort im Kleinbasel gewöhnen müssen. "Wir geben nach dem
ersten Jahr am Claraplatz aber sicher nicht auf - sonst wären wir
keine richtigen Marktfahrer."
---
Basellandschaftliche Zeitung 17.12.10
Koksdealer trotzen dem Winter
Razzien Das Drogenproblem hat sich nach den Razzien im Kleinbasel
nicht entschärft
LEIF SIMONSEN
Die Umgebung des Claraplatzes hat sich zu einem Zentrum für
afrikanische, so genannte "Kügelidealer" entwickelt. "Mit dem
Gleis 7 reisen sie aus der ganzen Schweiz an, um hier ihre
Geschäfte abzuwickeln", erklärt Klaus Mannhart, Sprecher der
Kantonspolizei Basel-Stadt. Die Problemzone hat sich im Verlauf der
letzten Monate verschoben. "Dank intensiven Kontrollen und
Durchsuchungen wurde die Situation am Rheinbord entschärft", so
Mannhart.
Die afrikanischen Drogendealer, in knapp 90 Prozent der
Fälle Nigerianer, haben ihren Standort nun aber auf den Claraplatz
verlagert. Wurde im Sommer noch über einen saisonal bedingten
Anstieg spekuliert, ist nun auch für Mannhart zur Gewissheit
geworden: "Es werden stetig mehr". Die Zahlen sprechen für sich:
Allein bei zwei grösseren Polizeiaktionen in den letzten neun
Tagen konnten 45 Delinquenten aus dem Verkehr gezogen werden, und beim
Amt für Migration wurden 37 Anträge zur Ausgrenzung
eingereicht.
Diese Asylbewerber aus anderen Kantonen dürften demnach die
Stadt-Basler Kantonsgrenze nicht mehr betreten. Die Ausgrenzung ist
derzeit das erfolgversprechendste Instrument der Basler Polizei - auch
wenn diese im Gegensatz zu einer Festnahme lediglich das Problem in
andere Kantone verlagert. Die Festnahme der Kleinkriminellen gestaltet
sich indes schwierig. Das Gesetz stellt dem Strafvollzug hohe
Hürden in den Weg. Nicht nur müssen der Täter und die
Droge gefasst werden, sondern auch der Drogenkäufer zu einer
Zeugenaussage bewogen werden, was naturgemäss schwierig ist. Die
Statistik belegt dies: Vom April bis Oktober führte die Basler
Polizei 440 Kontrollen durch. 180-mal wurde Rauschgift gefunden, 144
Täter wurden ausgegrenzt. Nur in 39 Fällen konnte eine
Festnahme durchgeführt werden. Obwohl der Polizei juristisch die
Hände gebunden sind, verspricht Mannhart: "Wir werden versuchen,
die Szene am Claraplatz mit noch strengeren Kontrollen zu zerschlagen."
Anwohner fühlen sich bedroht
Das Problem wird jedoch nicht nur von der Polizei, sondern auch
von der Kleinbasler Bevölkerung wahrgenommen. Das
Stadtteilsekretariat Kleinbasel hat in letzter Zeit häufiger
Beschwerden aus der Bevölkerung entgegengenommen. Leiterin Therese
Wernli will jedoch die Kleinbasler Drogenproblematik nicht als neues
Phänomen bezeichnen. Die zunehmende Unsicherheit - vor allem auch
von Frauen, die angemacht werden - habe primär andere Gründe.
Mit dem Winter sei die soziale Kon-trolle viel schwächer,
weil die Menschen sich nicht draussen aufhalten und die Dunkelheit
früher einbricht. Wernli spricht neben der statistischen auch noch
von einer gefühlten Anhäufung von Drogendealern im Bereich
Claraplatz-Feldbergstrasse-Klybeckstrasse. "Durch die Hautfarbe fallen
die Schwarzafrikaner viel mehr auf", findet sie. Darüber hinaus
sei deren Verkaufsstrategie relativ indiskret.
"Sie fragen einfach alle Passanten, ob sie Kokain wollen",
erklärt Wernli, der ebenfalls täglich Drogen angeboten
würden. "Sie wählen ihre Kunden nicht gut aus",
schlussfolgert sie. Das Stadtteilsekretariat Kleinbasel rät
derweil den belästigten Passanten, die Angebote kurz und dezidiert
zurückzuweisen. In den allermeisten Fällen habe sich dies
bewährt. "Von tätlichen Übergriffen habe ich bis jetzt
nichts gehört", erzählt Wernli.
Vom April bis Oktober führte die Kantonspolizei Basel-Stadt
440 Kontrollen durch.
---
20 Minuten 16.12.10
Aggressive "Kügeli-Dealer" machen der Polizei Sorgen
BASEL. Der Claraplatz gilt derzeit als bevorzugter Umschlagplatz
für "Kügeli-Dealer". Die Polizei macht fast jeden Abend
Kontrollen - die Verkäufer werden immer rabiater.
So etwa in der Nacht auf gestern. Ein Asylbewerber aus Angola bot
einer Polizistin in zivil beim Rappoltshof Kokain an, worauf sie ihm
ihren Ausweis zeigte. Der 32-Jährige rannte davon, wurde kurz
darauf jedoch von mehreren Polizisten eingeholt. "Als sie ihn
festnehmen wollten, rastete der Mann, der 1,72 Promille intus hatte,
aus und biss einen Beamten in den Daumen und den Ringfinger", sagt der
Basler Polizeisprecher Klaus Mannhart. Der Polizist musste sich in der
Notfallstation behandeln lassen.
Rund um den Claraplatz kontrollierte die Polizei in derselben
Nacht 14 weitere Personen wegen Verdachts auf Drogenhandel, darunter 12
Asylsuchende - zehn von ihnen aus anderen Kantonen. "Für sie haben
wir beim Migrationsamt beantragt, dass sie den Kanton nicht mehr
betreten dürfen", so Mannhart.
Im Kampf gegen den Drogenhandel führt die Polizei in den
letzten zwei Monaten "energische" Kontrollen beim Claraplatz durch. So
auch bei Razzien am 5. und am 10. Dezember: 67 Asylsuchende erhielten
ein Zutrittsverbot, acht Personen wurden festgenommen. Die meist
schwarzafrikanischen Dealer, die aus Asylzentren aus der ganzen Schweiz
anreisen, sind laut Mannhart "sehr penetrant".
Denise Dollinger
---
Basellandschaftliche Zeitung 16.12.10
Kontrolle Drogendealer beisst Polizisten
Die Basler Polizei hat in der Nacht auf Mittwoch erneut rund um
den Claraplatz 14 Personen wegen Verdacht auf Drogenhandel
kontrolliert. Unter ihnen befanden sich 12 Asylsuchende - 10 davon aus
anderen Kantonen. Für diese beantragte die Polizei beim
Migrationsamt eine Ausgrenzung - sie dürfen das Gebiet des Kantons
Basel-Stadt demnach nicht mehr betreten. Ein Asylbewerber aus Angola
wurde festgenommen. Der 32-Jährige hatte beim Rappoltshof einer
Polizistin in Zivil Kokain angeboten. Bei seiner Festnahme leistete er
heftigen Widerstand und biss einen Polizisten derart massiv in Daumen
und Ringfinger, sodass dieser in die Notfallstation musste. Der
Festgenommene hatte laut Mitteilung des Justiz- und
Sicherheitsdepartements einen Alkoholpegel von 1,72 Promille. In
letzter Zeit führt die Polizei rund um den Claraplatz intensiv
Kontrollen wegen Verdacht auf Drogenhandel durch. So wurden vor einer
Woche 40 Ausgrenzungen ausgesprochen und 4 Personen verhaftet. (BZ)
---
Basler Zeitung 16.12.10
Kokaindealer beisst Polizisten
Basel. Bei einer Kontrolle auf dem Claraplatz wurde ein
32-jähriger Asylbewerber aus Angola festgenommen, der zuvor beim
Rappoltshof einer Zivilpolizistin Kokain angeboten hatte. Als der Mann
mit einem Alkoholpegel von 1,72 Promille festgenommen wurde, biss er
einen Polizisten massiv in zwei Finger, sodass dieser die
Notfallstation aufsuchen musste.
---
Basler Zeitung 11.12.10
40 Asylbewerber aus dem Kanton gewiesen
basel. Nach einer Kontrolle rund um den Claraplatz hat die
Kantonspolizei gestern 40 Asylbewerbern aus andern Kantonen verboten,
den Kanton Basel-Stadt wieder zu betreten, teilt das Justiz- und
Sicherheitsdepartement mit. 58 Personen wurden wegen Verdachts auf
Drogenhandel kontrolliert. Vier Personen wurden festgenommen, weil sie
sich rechtswidrig im Kanton aufhielten. Schon vor einer Woche wurden
Asylbewerber weggewiesen.
-----------------------
RASSISMUS
-----------------------
NLZ 18.12.10
Schwarze gesetzlich schützen
Rassismus
Kari Kälin
Schwarze fühlen sich einem "Generalverdacht" ausgesetzt,
sagt die Kommission gegen Rassismus. Sie fordert gesetzliche
Grundlagen, die Diskriminierung explizit verbieten.
Kari Kälin
kari.kaelin@luzernerzeitung.ch
Derou Geroges Blezon stammt aus der Elfenbeinküste, studiert
an der Universität Lausanne und arbeitet im Service. In den
letzten sechs Jahren wurde er 21 Mal von der Polizei kontrolliert. Ein
Ordnungshüter habe ihm gesagt: "Alle Schwarzen sind Drogendealer."
Eine Geschichte, wie sie Doris Angst, Geschäftsführerin der
Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, häufig zu Ohren
kommt. "Immer wieder erhalten wir Nachrichten von Menschen mit dunkler
Hautfarbe, dass sie von der Polizei nur wegen äusserer Merkmale
kontrolliert werden." Selbst wenn sich rasch herausstelle, dass sie
nichts auf dem Kerbholz hätten, würden sie nicht immer rasch
wieder laufen gelassen. Und: "Eine Entschuldigung von der Polizei
für den falschen Verdacht wird häufig nicht ausgesprochen.
Oft reagieren Polizeibehörden bei eingereichten Klagen mit
Gegenklagen, was einer gütlichen Beilegung nicht dienlich ist."
Diskriminierungs-Prävention
Gestern hat die Kommission gegen Rassismus eine neue Publikation
zum Thema Sicherheit veröffentlicht. Sie fordert darin explizit
gesetzliche Grundlagen gegen das so genannte Racial profiling. Mit
anderen Worten: Die Polizei solle das Verhalten von Menschen
untersuchen und ihr Handeln nicht allein auf äusserliche Merkmale
abstellen. "Racial profiling als eine Methode, spezifisch nach
Hautfarbe, Sprache, Religion oder Nationalität zu fahnden oder
andere polizeiliche Verhandlungen vorzunehmen, soll verboten werden",
verlangt die Kommission.
Konkret denkt sie etwa an Situationen, in denen schwarze Menschen
allein ihrer Hautfarbe wegen kontrolliert würden, ob sie Dealer
seien. "Es darf nicht sein, dass zum Beispiel in einem Zug nur eine
Person mit dunkler Hautfarbe gefilzt wird, die anderen Passagiere aber
nicht durchleuchtet werden", sagt Doris Angst. Dass an Hotspots und
Drogenumschlagplätzen wie der Langstrasse in Zürich
spezifisch nach Mitgliedern von Banden gefahndet werde, dafür
bringt sie Verständnis auf. Denn: Tatsache ist, dass heute vor
allem auch Menschen aus Westafrika den Strassenhandel mit Drogen
bestreiten, lässt sich im jüngsten Bericht des Bundesamtes
für Polizei zur inneren Sicherheit der Schweiz nachlesen.
Thema in Polizeiausbildung
Beat Hensler, Kommandant der Luzerner Polizei, schreibt in der
Publikation, er könne zwar nicht ausschliessen, dass einzelne
Polizisten willkürlich vermehrt Schwarze kontrollieren.
"Häufig liegt der Grund für ein solches Vorgehen aber nicht
in einer diskriminierenden Absicht, sondern in der Tatsache, dass der
Kokain-Kleinhandel fest in der Hand von Nordafrikanern ist. Wenn die
Polizei also Strassendealer sucht, dann wird sie vor allem bei
Schwarzen fündig, was wiederum dazu führt, dass vermehrt
Schwarze kontrolliert werden." Hensler wehrt sich nicht gegen Gesetze,
die Racial profiling untersagen. Schliesslich schreite die Polizei
schon heute ein, wenn sich jemand verdächtig verhalte - und nicht
wegen äusserer Merkmale. Zudem würden die Polizisten auf
solche Fragen sensibilisiert. Den Vorschlag von Doris Angst, die
Polizei solle beispielsweise in Zügen eine "gemischte Wahl von
Personen" kontrollieren, um bei den Schwarzen nicht den Eindruck zu
erwecken, sie würden diskriminiert, hält er indes nicht
für praxistauglich: "Wir stoppen auch nicht einen blauen Porsche,
wenn wir nach einem roten Ferrari fahnden."
---
admin.ch 17.12.10
Bulletin TANGRAM Nr. 26 der EKR zum Thema "Sicherheit"
Bern, 17.12.2010 - Unter dem Titel "Sicherheit - Sicherheiten" kommen
in der neusten Ausgabe 26 des Bulletins TANGRAM der
Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR sowohl
Sicherheitsbehörden zu Wort als auch Minderheiten, die sich als zu
wenig geschützt empfinden. In ihren Empfehlungen fordert die EKR,
das "racial profiling" sei zu verbieten. Sie unterstützt die
Sicherheitsbehörden dabei, ein Selbstverständnis als
Hüterin des Schutzes vor Diskriminierung zu entwickeln.
Jede Sicherheitspolitik muss den Bedürfnissen unterschiedlicher
Bevölkerungsgruppen gerecht werden, um so zum sozialen Frieden
beizutragen. Die Sicherheitsbehörde soll von allen
Bevölkerungsteilen als "unsere Behörde, die uns
schützt", wahrgenommen werden. Dies ist eine grosse
Herausforderung für Politik und Sicherheitsbehörden. Es darf
keine Sicherheit der Mehrheit auf Kosten der Sicherheit von
Minderheiten geben.
Reflektierenden und analytischen Beiträgen stellt TANGRAM 26
Aussagen und Einschätzungen von Minderheitsangehörigen
entgegen, die sich als zu wenig geschützt empfinden. Es sind dies
insbesondere Menschen dunkler Hautfarbe und fahrende Jenische, die sich
als "unter Generalverdacht stehend" fühlen. Die Polizei kann
Vertrauen aufbauen, indem sie gegen unberechtigte Vorwürfe antritt
und allfällige Verfehlungen sanktioniert. Kompetenzen von
Sicherheitsbeamtinnen und Sicherheitsbeamten in Menschenrechtsfragen
sollen weiter gefördert werden. Die EKR anerkennt die
diesbezüglichen Bemühungen der Sicherheitsbehörden.
Erstmals veröffentlicht die EKR in einem TANGRAM Empfehlungen. Die
Praxis des racial profiling - wie anlass- und verdachtsunabhängige
Personenkontrollen, die sich an Hautfarbe oder Aussehen orientieren -
ist menschenrechtswidrig und zu verbieten. Die EKR ermutigt die
Sicherheitsbehörden, ein Selbstverständnis als Hüterin
des Schutzes vor Diskriminierung zu entwickeln.
Adresse für Rückfragen:
Doris Angst, Geschäftsführerin der EKR, Tel. 031 324 12 83,
E-Mail: doris.angst@gs-edi.admin.ch.
Herausgeber:
Kommissionen des EDI
---
ekr.admin.ch 8.12.10
http://www.ekr.admin.ch/shop/00008/00075/index.html?lang=de
TANGRAM 26 - Sicherheit - Sicherheiten
Sicherheit für alle
Die Sicherheitsproblematik ist zu einem wichtigen Teil vom
Militärischen ins Zivile gerutscht und betrifft eine Vielzahl von
Sicherheitsvarianten. Hier geht es aber nicht um Verkehrs-, Arbeits-
oder Kundensicherheit, hier geht es um die innergesellschaftliche
Sicherheit von Gruppen beziehungsweise Gruppenangehörigen vor
Diskriminierungen unterschiedlichster Art. Es geht um Bedrohungsformen
und um den Preis, den man für Sicherheit bezahlen muss oder andere
bezahlen lässt.
Darum ist es richtig, gegen Exklusivansprüche eine "Sicherheit
für alle" zu postulieren. Sicherheit so verstanden bedeutet zum
einen Sicherheit auch für Sicherheitsbeauftragte.
Mit diesen Inhalten will TANGRAM 26 zu einer offenen und
vorurteilsfreien Sicherheitsdiskussion beitragen, welche die Anliegen
der Nichtdiskriminierung berücksichtigt und die
diesbezüglichen Herausforderungen in einer pluralistischen
Gesellschaft ernst nimmt.
http://www.ekr.admin.ch/shop/00008/00075/index.html?lang=de&download=NHzLpZeg7t,lnp6I0NTU042l2Z6ln1acy4Zn4Z2qZpnO2Yuq2Z6gpJCDdIJ6fGym162epYbg2c_JjKbNoKSn6A--
(PDF)
--------------
ANTIFA
--------------
WoZ 23.12.10
Niklaus Wagner (1919-2010)
Als Fluchthelfer unterwegs
Der St.Galler Niklaus Wagner war in den dreissiger Jahren im
antifaschistischen Widerstand tätig. Am 30. November starb er
91-jährig.
Von Ralph Hug
Als Niklaus Wagner aufwuchs, war der Kampf gegen den Faschismus
das Gebot der Stunde. Hitler war im Norden, Mussolini im Süden
und, seit 1934, das austrofaschistische Regime im Osten. Zahllosen
Linken blieb in diesen Ländern nichts als die Flucht ins Exil. Von
der Schweiz aus wurde der antifaschistische Widerstand organisiert. Das
grenznahe St. Gallen war ein Brennpunkt. Hier versammelten sich in
geheimen Treffen der Prager Exilvorstand der SPD sowie spätere
kommunistische Grössen wie Walter Ulbricht, Franz Dahlem oder Edo
Fimmen. Ein Stützpunkt in diesem klandestinen Netzwerk war Wagners
Elternhaus im St. Galler Arbeiterquartier Linsebühl. Sein Vater
Niklaus senior war ein bekannter Gewerkschaftsaktivist, sein Bruder
Walter hielt die lokale Sektion der Kommunistischen Partei der Schweiz
(KPS) am Leben. Niklaus junior machte bei den Jungsozialisten mit und
trug am 1. Mai die rote Fahne.
Wagners Karriere als heimlicher Kurier in der organisierten
Fluchthilfe begann im Sommer 1936, als es galt, Spanienkämpfer aus
Osteuropa auf festgelegten Routen durch die Schweiz zu schleusen. Der
17-Jährige nahm die von Wien kommenden Freiwilligen in Empfang,
dirigierte sie zum Hauptbahnhof und setzte sie dann in den Zug nach
Basel, wo sie über die Grenze nach Paris geführt wurden.
Dabei musste er sowohl die Fahnder der Stadtpolizei als auch die
Spitzel des Vaterländischen Verbands austricksen. Ein reger
antifaschistischer Grenzverkehr fand im Rheintal statt. Im katholischen
Vorarlberg waren die "Revolutionären Sozialisten"
unterdrückt. Sie mussten ihre Schriften bei der
sozialdemokratischen "Volksstimme" in St. Gallen drucken und über
die Grenze schmuggeln. Nach dem Anschluss Österreichs ans "Dritte
Reich" im Frühjahr 1938 wurde dieser Transit schwierig. Als der
Präsident der St. Galler Jungsozialisten, Karl Zürcher, bei
einem Botengang in Bregenz geschnappt wurde, musste Niklaus Wagner als
Ersatz einspringen.
Als unauffälliger Jugendlicher war er der ideale Kurier. Er
brachte unerkannt Druckschriften, Flugblätter, Dokumente und
Informationen über Treffpunkte nach Bregenz. Im Papier waren
Tagesscheine versteckt, mit denen sich der Grenzübertritt von
GenossInnen ins Exil organisieren liess. Rund ein Dutzend Mal sei er in
Bregenz gewesen, erinnerte sich Wagner, zweimal in Lindau und einmal
sogar in Innsbruck. Nie flog er auf, nicht einmal, als er im Ruderboot
in Altenrhein auf Mission war. Allerdings wurde es brenzlig, als ihn
SA-Leute anhielten, weil er die Hakenkreuzfahne nicht gegrüsst
hatte, und als bei einer Kontrolle in seinem Jackett ein Maibändel
gefunden wurde. Mit knapper Not entkam er einer Razzia bei der
kommunistischen Aktivistin Franziska Vobr in Bregenz. Dort hatte er in
der Dachmansarde übernachten können. Er hörte noch, wie
SA-Leute die Wohnung stürmten und weitgehend zerstört
hinterliessen. Fraglich, ob er eine Festnahme durch die Nazi-Schergen
überlebt hätte.
Mit seinem "Aktivdienst im Antifaschismus" zählt Wagner zu
einer Generation lange vergessener ziviler HelferInnen, die durch ihren
Ungehorsam zahllosen Flüchtlingen und politisch Verfolgten das
Leben retteten und so den Ruf der humanitären Schweiz gegen die
Demontage durch bürgerliches Anpassertum retteten. Erst mit der
Rehabilitierung von Polizeihauptmann Paul Grüninger im Jahr 1993
drangen sie ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Mathias Knauer und
Jürg Frischknecht hatten sie bereits 1983 mit dem Film "Die
unterbrochene Spur", in dem auch Niklaus Wagner vorkommt, dem Vergessen
entrissen. Auf einen formellen Dank des Staates und eine
öffentliche Würdigung ihres Wirkens warteten Leute wie Wagner
allerdings vergeblich.
Als Linker und im VPOD aktiver Gewerkschafter hatte es Wagner in
der konservativen Ostschweiz nicht leicht. Als Hilfsarbeiter - er hatte
keinen Beruf erlernen können - und später als
Zählerableser fand er bei den St. Gallisch-Appenzellischen
Kraftwerken (SAK) ein Unterkommen. Noch im vorgerückten Alter
wurde er Opfer einer politisch motivierten Entlassung. Nur dank einer
Intervention des einflussreichen VPOD-Exponenten Max Arnold wurde er
wieder eingestellt. Auch beruflich blieb ihm also nichts erspart. Die
letzten Jahre verbrachte Niklaus Wagner im Kreis seiner Familie und
dann allein in seiner Wohnung im St. Galler Vorort Mörschwil. Dort
starb er am 30. November im Alter von 91 Jahren.
----------------
SS-ARZT
----------------
swissinfo.ch 20.12.10
Architekt der SS als Elite des "neuen Europa"
swissinfo
Franz Riedweg, Arzt aus Luzern, war der einflussreichste
Schweizer in Nazi-Deutschland. Der SS-Obersturmbannführer hatte
als Architekt einer "germanischen SS" als Elite eines neuen Europa
unter Führung der germanischen Rasse grosse Vollmachten, zeigt der
Historiker Marco Wyss in einem Buch.
Lange galt Riedweg in der Schweiz in erster Linie als
Landesverräter Nummer 1, der während des Zweiten Weltkrieges
von Berlin aus die Fäden zur - gescheiterten - Gründung einer
Schweizer SS gezogen hatte. In seinem jüngst
erschienen Buch "Un Suisse au Service de la SS - Franz Riedweg
1907-2005" zeigt der Historiker Marco Wyss, dass Riedweg, der in der
SS-Zentrale nur zwei Stufen unter Heinrich Himmler stand,
von seinem Chef mit grossen Vollmachten ausgestattet war.
So organisierte Riedweg, der bis an sein Lebensende überzeugter
Nazi blieb, unter anderem die Rekrutierung und politische "Schulung"
von Waffen-SS-Freiwilligen in den "germanischen" Ländern
Dänemark, Norwegen, Schweden, Holland, Belgien, Frankreich, dem
Baltikum, Kroatien, Ungarn und der Schweiz.
swissinfo.ch: Als Frontist unterhielt er sehr enge Beziehungen
mit Vertretern der bürgerlichen Rechten in der Schweiz, namentlich
Jean-Marie Musy, Rudolf Minger, Giuseppe Motta oder Heinrich Walther ,
dem langjährigen "Königsmacher" der Schweizer Politik. Waren
diese auf dem rechten Auge blind?
M.W.: Einerseits waren viele bürgerliche Politiker stark
rechts und antikommunistisch eingestellt und konnten Riedwegs Gesinnung
verstehen. Andererseits waren sich gewisse Politiker vor 1938 nicht
bewusst, wie weit er zu gehen bereit war. Nach 1938 galt
diese Entschuldigung natürlich nicht mehr. Die
Bürgerlichen haben Frontisten auch verwendet, um politische
Mehrheiten zu erreichen, insbesondere bei Volksabstimmungen.
swissinfo.ch: Riedweg war Architekt der "germanischen SS" und
Waffen-SS-Freiwilligenverbände als soldatisch-politische Elite
eines neuen Europas unter deutscher Führung. Was war
ausschlaggebend für seinen steilen Aufstieg innerhalb der SS?
M.W.: Die These, er sei wegen seiner Heirat mit der Tochter von
Generalfeldmarschall von Blomberg rasch aufgestiegen, ist falsch, denn
von Blomberg hatte seine Funktion als Reichskriegsminister 1938
verloren. Dass Riedweg so rasch zum Protegée Himmlers aufstieg,
verdankte er in erster Linie den antikommunistischen Kreisen, erst um
Musy in der Schweiz, danach um das Büro Ribbentrop in
Deutschland. Voraussetzung war auch, dass er ein
nicht-deutscher, 'germanischer' Studierter war. Mit seiner starken
politischen Motivation konnte er in der SS sehr schnell sehr viel Macht
erlangen.
swissinfo.ch: Als Leiter der "germanischen SS" war er sehr nahe
bei Himmler. Wie einflussreich war Riedweg 1942/Anfang 1943 auf dem
'Höhepunkt'?
M.W.: Sein Einfluss war ziemlich gross. Er resultierte daraus,
dass er sich mit den führenden Personen aus verschiedenen Kreisen
zu vernetzen wusste. Nicht nur bezüglich der SS, sondern auch mit
der preussischen Aristokratie, der NSDAP und der
Wehrmacht. Er dehnte die Rekrutierung von
Freiwilligen für die SS und die Waffen-SS von den germanischen
auch auf die nicht-germanischen, besetzten Länder aus und
erweiterte diese Aufgabe um politische Inhalte. Sein direkter Zugang zu
Himmler ermöglichte es Riedweg, seine Initiativen stärker
durchzusetzen. Gleichzeitig war aber seine Macht limitiert.
Obwohl er die Germanische Leitstelle führte, war er von seinem
direkten Vorgesetzten, Obergruppenführer Berger, abhängig.
Deshalb war es ihm nicht immer möglich, direkt an Himmler zu
rapportieren.
swissinfo.ch: Was wusste Riedweg als "Persona grata" Himmlers von
den Judenvernichtungen?
M.W.: Er wusste vielleicht nicht alles, aber 99% musste er
wissen. Erstens bewegte er sich in den höchsten SS-Kreisen,
zweitens verfassten die Verbindungsstellen seiner Germanischen
Leitstelle in den besetzten Ländern regelmässig Berichte,
unter anderem auch über die Verfolgung und Deportation von Juden
aus Westeuropa in Richtung Osten. Die Konzentrationslager
wurden von den Totenkopf-Divisionen bewacht, die teilweise in der
Waffen-SS eingegliedert waren. Riedweg hatte auch mehrfach die im Osten
kämpfenden SS-Truppen besucht. Er musste vom Holocaust, welchen
Himmler einmal vor ihm indirekt erwähnte, wissen. Er war eindeutig
ein Mitwisser, den diese und andere Greueltaten der Nazis nicht zu
stören schienen.
swissinfo.ch: Zu seiner Ausbootung: 1943 realisierte er, dass
Hitler die Ideen eines gleichberechtigten Europas unter deutscher
Führung, wie es Riedweg vorschwebte, nicht teilt. Darauf liess er
sich an die Ostfront versetzen. Wollte er für seine Ideale sterben?
M.W.: Nein, denn für einen Märtyrertod war er
sicherlich zu selbstverliebt. Zwar wollte ihn Himmler direkt an die
Front schicken, aber Riedweg liess sich in eine Waffen-SS-Einheit
versetzen, deren Kommandant er sehr gut kannte. Dieser veranlasste,
dass Riedweg als Arzt hinter den Frontlinien tätig sein konnte, wo
er keiner direkten Gefahr ausgesetzt war. Eine Rolle
spielten auch sein Pragmatismus und sein Opportunismus, denn Riedweg
hatte sicherlich erkannt, dass der Krieg wohl verloren war. Deshalb
wollte er nicht unbedingt in einer Führungsfunktion in Berlin
bleiben.
swissinfo.ch: Bei Riedweg gab es nach der Niederlage
Nazi-Deutschlands weder einen Bruch in seinen Idealen, noch hatte er je
Reue über die Judenvernichtung geäussert. Sie sind als
Historiker und Autor des Buches eine Art Profiler Riedwegs - wie
würden Sie ihn charakterisieren?
M.W.: Er hatte als junger Mann Ideale, seine Teilnahme an der
Coudenhove-Bewegung belegt das. Diese wird übrigens immer noch als
eine der Grundbewegungen für ein vereintes Europa
angesehen. Danach rückte er immer mehr nach rechts,
sein starker Antikommunismus brachte ihn immer näher an
Nazi-Deutschland. Dort fand er einen gewissen Glauben, der immer
extremere Formen annahm, bis er zu einem richtigen Nazi wurde, dessen
Verhalten man nicht entschuldigen kann. Noch schlimmer ist,
dass er nach dem Krieg seinen Idealen nie abgeschworen hatte. Vielmehr
versuchte er, in der neuen Mächtekonstellation des Kalten Krieges,
die seitens des Westens ja auch sehr stark antikommunistisch
geprägt war, eine neue Heimat zu finden. Er hat seine
Taten nie in Frage gestellt und nicht einmal den rassistischen Aspekt
der Nazi-Ideologie hinterfragt. In der Schlussfolgerung titulierte ich
ihn deshalb als unverbesserlichen Nazi.
swissinfo.ch: Riedweg wurde 1948 in der Schweiz in Abwesenheit zu
16 Jahren Gefängnis verurteilt. Weshalb stellte die Schweiz aber
nie ein Auslieferungsgesuch? Spielte der Einfluss seiner "Gönner"
wie Heinrich Walther eine Rolle?
M.W.: Es gab einerseits Einflüsse, nicht nur von Walther,
sondern auch von Riedwegs Bruder, einem Rechtsanwalt. Sie versuchten
noch in den 1950er-Jahren, die Begnadigung Riedwegs zu
erreichen. Andererseits hatten Politiker und Beamte in
Bern, oder auch der Gesandte Frölicher in Berlin, wohl ein
gewisses Interesse, dass Riedweg nicht an den Prozess in die Schweiz
kommt und sie oder andere belasten könnte. Das ist
zwar nur eine Vermutung. Aber die Indizien lassen darauf schliessen.
Denn nach dem Krieg, als Riedweg Gefangener der Briten war, hätten
diese ihn ausgeliefert, wenn die Schweiz dies verlangt
hätte. Bern aber stellte kein Auslieferungsgesuch. Das
lässt den Schluss zu, dass es im Interesse gewisser hoher
Persönlichkeiten lag, nicht durch ihre Beziehungen zu Riedweg
während oder vor dem Krieg belastet zu werden.
Renat Kuenzi,swissinfo.ch
------------------------------------
RECHTSEXTREM
------------------------------------
20min.ch 25.12.10
Rechtsradikale Werbung: NPD-Flyer gerät ins Visier der Juristen
Die rechtsradikale NPD wirbt mit dem Schweizer Kreuz. Das
könnte Konsequenzen haben. Der Bund prüft, ob die deutsche
Partei ein Gesetz verletzt.
Die Schweiz ist hoch im Ansehen bei den Rechtsradikalen in
Deutschland. Seit der Annahme der Ausschaffungsinitiative wirbt die
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) mit dem Slogan "Vorbild
Schweiz" für eine harte Haltung gegenüber kriminellen
Ausländern. Die Botschaft auf der Postkarte steht vor einer
idyllischen Landschaft mit dem Matterhorn zusammen mit einem Schweizer
Kreuz. Dieses könnte der Partei Ärger einbringen. Denn die
Verwendung des Schweizer Kreuzes ist unter gewissen Umständen
rechtlich reglementiert.
Der Bund ist inzwischen aktiv geworden und prüft die
rechtliche Situation. "Es muss abgeklärt werden, ob die Verwendung
des Schweizerkreuzes im vorliegenden Fall widerrechtlich ist", sagt
Adrian Sollberger, Sprecher des Aussendepartements EDA, auf Anfrage von
20 Minuten Online. Es sei nicht klar, welche Stelle des Bundes
zuständig und welche Regelung anzuwenden sei. Die rechtliche
Situation ist laut Sollberger kompliziert. Ob die Schweiz schliesslich
gegen die NPD vorgehen wird, ist noch völlig offen, wie Sollberger
sagt. Erst wenn eine juristische Beurteilung vorliege, könne der
Bund prüfen, ob er überhaupt rechtliche Schritte unternehmen
will.
Bund fehlt gesetzliche Grundlage
Die Frage der missbräuchlichen Verwendung des Schweizer
Kreuzes stellt sich meist im Zusammenhang mit kommerziellen Produkten
und deren Herkunft. In diesem Bereich ist die sogenannte
Swissness-Vorlage in Arbeit, die klare rechtliche Rahmenbedingungen
schaffen soll. Derzeit darf laut dem Institut für Geistiges
Eigentum die Benutzung des Schweizer Kreuzes nicht gegen die guten
Sitten verstossen. In der Schweiz müssen die Kantone eine
missbräuchliche Verwendung verfolgen. Im Ausland geht das Institut
für Geistiges Eigentum in Zusammenarbeit mit den schweizerischen
Botschaften dagegen vor, wie der Bundesrat 2005 schrieb. Gleichzeitig
wies er damals auf seine beschränkten Kompetenzen hin: "Dem Bund
fehlt die gesetzliche Grundlage zur selbstständigen Ahndung
solcher Missbräuche." (mdr/rn)
---
Bund 24.12.10
Wanderprediger gegen Islamisierung
In Frankreich und Belgien kennt man Oskar Freysinger als "den
Mann hinter dem Minarettverbot". Als Gastredner obskurer Gruppen
bekräftigt der Walliser SVP-Nationalrat das Feindbild Islam.
Richard Diethelm, Sitten
Die französischen Medien interessieren sich normalerweise
nicht für Schweizer Politik. Ausnahmen von dieser Regel waren vor
einem Jahr das Ja des Schweizervolkes zu einem Bauverbot für
Minarette und im November die Annahme der SVP-Ausschaffungsinitiative.
Um dieses helvetische Phänomen zu erklären, richteten
frankofone Medien ihre Scheinwerfer auf den eloquentesten Verfechter
der zwei Volksbegehren in der Westschweiz: den Walliser SVP-Nationalrat
Oskar Freysinger.
In Frankreich porträtierte der bürgerliche "Figaro" den
"scharfen Kritiker der Minarette". Der TV-Sender France 2 lud
Freysinger in die stark beachtete Sendung "L'objet du scandale" ein.
Wegen der Ausschaffungsinitiative besuchte eine Equipe von France 2 den
SVP-Nationalrat auch in Sitten, wo er an einer Mittelschule Deutsch
unterrichtet. Seit der Genfer Soziologe und ehemalige SP-Nationalrat
Jean Ziegler vor Jahren in französischen Medien über die
"Gnomen von Zürich" und die Helfershelfer von
Steuerflüchtlingen herzog, hat im Nachbarland kein anderer
Schweizer Politiker mehr so viel Bekanntheit erlangt.
E-Mail von Brigitte Bardot
Der Walliser geniesst die Aufmerksamkeit, die ihm im Ausland
zuteilwird. Nach seinem Auftritt in der Sendung über Skandale habe
er 500 Mails erhalten, "darunter eines von Brigitte Bardot", sagt
Freysinger im Gespräch in einem Sittener Café. Als er
letzten Samstag in Paris an der Internationalen Tagung gegen die
Islamisierung Europas auftrat, hätten 400 000 die
Live-Übertragung via Internet angeklickt und danach 50 000 auf
Youtube seine Rede über die "Benutzung des Islam zu politischen
Zwecken" angehört.
Freysinger ärgert sich, dass er in Medienberichten wegen
dieses Auftritts mit der rechtsextremen Szene in Verbindung gebracht
wurde: "Die Tagung wurde von 15 Organisationen aus der
Zivilgesellschaft organisiert, das Spektrum reichte von Homosexuellen,
Feministinnen, jüdischen Organisationen bis zum Bloc identitaire."
So harmlos, wie Freysinger es darstellt, war die provokativ in einen
Stadtbezirk mit vielen muslimischen Bewohnern verlegte Tagung
allerdings nicht.
Eingeladen hatte den SVP-Nationalrat eine obskure Gruppe namens
Riposte laïque (säkularer Widerstand). Seit die von
ehemaligen Trotzkisten gebildete Gruppe sich dem Kampf gegen die
Einwanderung von Muslimen verschrieben hat, knüpfte sie
gemäss französischen Medien Bande zum Bloc identitaire.
Dieser war 2002 aus der rechtsextremen Unité radicale
hervorgegangen.
Im Ausland kennt der Walliser keine Berührungsängste
gegenüber Rechtsextremen, wie auch ein Auftritt Mitte Oktober in
Brüssel belegt. Auf Einladung einer katholischen Bewegung, die in
den muslimischen Gemeinden Europas eine Bedrohung "unserer Werte"
sieht, sollte Freysinger zum Thema "Der Islam, eine Gefahr?" reden. Die
Behörden verboten den in einem Quartier mit vielen Muslimen
geplanten Auftritt. Darauf öffnete Filip de Winter, der
Führer des rechtsextremen Vlams Belange, dem Schweizer das
flämische Parlamentsgebäude.
Islam statt Kommunismus
Warum tritt Freysinger als Abgeordneter der grössten
Schweizer Partei im Ausland nicht vor unverdächtigen rechten
Parteien auf? "Die politisch Korrekten laden mich nicht ein. Ich nutze
die mir angebotenen Plattformen, meide jedoch Neonazis und
Revisionisten", sagt er. Liest man seine auf der Webseite des Bloc
identitaire publizierte Pariser Rede, versteht man, weshalb etablierte
Parteien den Walliser nicht als Starreferenten einladen. Rhetorisch
meisterhaft bestärkt er seine Zuhörer in ihren Ängsten
vor einer Islamisierung Europas.
Nach dem Ende des Kommunismus besetze der Islam mit seiner
Überfülle an Dogmen und Regeln "ohne Zögern und ohne in
Zweifel gezogen zu werden" die Leere an Werten in den modernen
Gesellschaften, rief Freysinger in Paris in den Saal. "Sein
Glaubenssystem basiert notwendigerweise darauf, die Macht über
alle Lebensbereiche und alle verfügbaren Gebiete und nicht nur die
Weltanschauungen zu erlangen."
Eine knappe Woche nach dem Auftritt in Paris weist Freysinger den
Vorwurf, er schüre durch solche Reden eine allgemeine Angst vor
Muslimen, als "lächerlich" zurück. "Das Volk spürt
instinktiv, dass sich da eine Weltanschauung breitmacht, die unseren
Werten total zuwiderläuft", sagt er.
---
Beobachter 24.12.10
BLAMAGE
Das Sendungsbewusstsein des SVP-Nationalrats Oskar Freysinger ist
gross. Er singt und dichtet, und für das Recht, die Waffe zu Hause
haben zu dürfen, lässt er sich auch mal im Bademantel mit
Gewehr ablichten. Sein jüngster Auftritt: in Paris an einem
Anti-Islam-Treffen, an dem er sich als "Mann, der in der Schweiz die
Minarette stoppte" feiern liess. Eingeladen hatten ihn die
Organisatoren des Treffens, die ultrarechten Gruppierungen Bloc
identitaire und Riposte laïque. Er habe den Anwesenden die direkte
Demokratie näherbringen wollen, erklärte er hinterher seinen
Auftritt vor den rund 800 Rechtsradikalen.
---
20 Minutes 24.12.10
Un "ami" antisémite qui embarrasse Freysinger
genève. Un auteur français, sorti de l'ombre
grâce à des affiches racistes, se réclame de
l'élu UDC. La rançon de liaisons dangereuses?
"Racket, pornographie, meurtres sous contrat, traite des blanches
(...). La mafia juive." Placardé cette semaine au centre de
Genève, ce texte a suscité un vif émoi. Il
s'agissait de reproductions de la couverture d'un livre écrit en
2008. Son auteur, Hervé Ryssen, est un militant français
farouchement antisémite. Il s'est réjoui, sur son blog,
des réactions indignées des Genevois.
Annonçant des suites à sa "tournée" (des
affiches avaient déjà été placardées
à Paris), le nationaliste s'est aussi plu à remercier
Oskar Freysinger pour sa "collaboration" et sa "gentillesse". A quel
propos? Contactée, cette figure d'extrême droite n'en dit
rien. Reste que cette déclaration d'amour ne fait guère
plaisir au chantre de la lutte contre les minarets: "Je n'ai jamais
rencontré ce monsieur. Même son nom m'était
inconnu." Il menace de poursuivre l'auteur au tribunal s'il persiste
à abuser de son nom. "Les antisémites sont une race que
je ne supporte pas." De retour des Assises de l'islamisation, à
Paris, le conseiller national paie-t-il ses liaisons dangereuses avec
la droite très dure française? Il ne le pense pas, car
l'événement réunissait aussi des juifs et gens de
gauche.
Spécialiste de l'extrême droite, Jean-Yves Camus
estime qu'Hervé Ryssen se venge d'anciens camarades de lutte,
devenus plus modérés que lui depuis quelques
années, et désormais amis avec Freysinger. Selon lui, le
Saviésan est pris au centre d'un règlement de comptes.
"Reste à savoir qui, à Genève, a accueilli Ryssen
lors de son passage ou a posé ses affiches." Cela reste, pour
l'instant, une énigme.
-Raphaël Pomey
---
Le Temps 24.12.10
Oskar et le long couteau
Jean-Claude Péclet
Oskar Freysinger a-t-il échappé de justesse
à une agression au couteau lors de son passage triomphal aux
"assises sur l'islamisation de l'Europe" organisées le week-end
dernier à Paris? C'est ce que déclarait le conseiller
national valaisan à Radio Rhône, ajoutant avoir eu entre
les mains l'arme effilée, "typiquement faite pour tuer", ce qui
l'a "refroidi". La nouvelle a été largement
diffusée sur Internet, un lecteur reprochant même au Temps
de censurer cette "tentative de meurtre d'un élu du peuple
suisse". D'où enquête.
Habituellement prompt à répondre aux demandes des
médias, Oskar Freysinger se fait prier. "Ils ont
intercepté une personne à l'entrée qui essayait
d'introduire un couteau affilé à la meule. Je ne sais
rien de plus", répond-il succinctement par courriel. Dans ce
cas, l'agresseur a probablement été
dénoncé, au moins identifié, l'arme
conservée? "On m'a bien montré le couteau et ça
m'a effectivement fait froid dans le dos. A vous de voir avec les
organisateurs…", tranche un second courriel plus sec du conseiller
national.
Voici ce que répond, dans un premier temps, Fabrice
Robert, président du Bloc identitaire, co-organisateur des
assises: "Un spectateur du 3e âge bien connu de l'organisation
était venu assister aux Assises internationales. Il avait dans
sa poche un petit couteau de cuisine, au bout émoussé,
destiné à couper le saucisson qui était
proposé à la buvette. A l'entrée de la salle, le
service de sécurité (appliquant les consignes rigoureuses
qui avaient été édictées) s'est saisi de
l'objet et l'a rangé dans le PC de sécurité. Lors
de son arrivée, Oskar Freysinger et son escorte sont venus dans
ce même local. C'est à ce moment-là que divers
accompagnateurs ont évoqué, sur le ton de l'humour, la
"taille et la dangerosité" du couteau. Ces propos mal
interprétés sont à l'origine du malentendu".
De l'attentat au saucisson, il y a comme une divergence.
Nous envoyons cette explication à Oskar Freysinger qui,
cette fois, réagit au quart de tour: "Je m'érige en faux
contre cette version", écrit-il, précisant (par
téléphone cette fois) que le "couteau de dix
centimètres était pour planter dans le bide". Mais qui
donc était l'agresseur? Mystère. Comment sait-on que le
député suisse était visé? "Personne n'a
jamais prétendu que l'on voulait m'agresser", nuance le
Valaisan. Ah bon, mais alors pourquoi l'avoir dit? "J'ai reçu
des menaces de mort." Lesquelles, sous quelle forme? Mystère,
là encore.
Cette fois, Oskar Freysinger nous donne le numéro de
portable du chef des six (!) gardes du corps venus le chercher à
la gare. Au bout du fil, un homme qui se fait appeler Ivanov raconte
qu'un individu "un peu âgé, qui n'avait pas l'air net", a
laissé tomber un couteau alors qu'il se dirigeait vers la salle
où le conseiller national signait des dédicaces. La lame
"faisait 10 à 12 centimètres, elle était
aiguisée de frais". A-t-on dénoncé, ou simplement
interrogé le quidam? Ivanov n'en sait rien.
Retour vers Fabrice Robert, qu'on devine embêté.
Apparemment, le téléphone a chauffé entre le
Valais et Paris. Le président du Bloc identitaire
reconnaît qu'il n'était pas sur place au moment de
l'incident et que sa première version était
peut-être hâtive. Laquelle est la bonne, alors? On ne le
saura probablement jamais, "l'agresseur" ayant été
expulsé sans que personne ne songe à lui demander la
moindre explication…
Quant à Oskar Freysinger, que les organisateurs avaient
également revêtu d'un gilet pare-balles, il admet avoir
été un peu surpris par ce déploiement de
sécurité, déclarant sur le moment: "On n'est quand
même pas à Beyrouth!"
A Beyrouth, non, mais peut-être un peu du côté
de Marseille et de sa légendaire sardine bouchant le port?
---
Le Nouvelliste 23.12.10
Un couteau dans la salle
MENACE Une arme blanche a été confisquée
dimanche à Paris, à l'entrée du colloque sur les
"Assises contre l'islamisation de l'Europe". Oskar Freysinger,
invité à la manifestation, n'a pas été
surpris.
Les menaces de mort ne l'ont pas dissuadé. Malgré
tout, Oskar Freysinger a bel et bien décidé de participer
aux "Assises contre l'islamisation de l'Europe", thème du
colloque organisé par "Riposte Laïque" dimanche dernier
à Paris. "En y allant, j'avais une appréhension, mais je
ne voulais pas me laisser paralyser par la peur. Je défends
l'idée de débattre librement de tous les sujets", lance
le conseiller national valaisan. Tout s'est finalement bien
déroulé. Ou presque. Un couteau a en effet
été découvert sur un participant à
l'entrée de la salle. "Le service d'ordre l'a confisqué.
J'avoue que je n'aurais pas voulu être arrêté pour
port d'arme prohibée en raison d'un couteau dans le dos!", lance
ironiquement Oskar Freysinger.
Sans regret. Le politicien observe cela avec recul aujourd'hui.
Il ne regrette pas de s'être rendu à Paris pour ce
colloque. "C'était une expérience incroyable. Il y avait
plus de mille personnes dans la salle. C'était une
réunion de chapelles diversifiées, avec des gens de tous
bords politiques, des pro et des anti-avortement, des
féministes, etc. C'est pour ça que j'y suis allé
d'ailleurs. Même si certains continuent à me traiter de
facho."
Le Saviésan n'a pas constaté de mouvements de
violence particuliers, hormis la menace du couteau confisqué.
"On nous avait dit qu'il y aurait de nombreux manifestants, et en fait,
on a compté, ils étaient une cinquantaine, contrairement
à ce que certains médias ont annoncé". Quant
à sa sécurité, Oskar Freysinger ne veut pas se
laisser intimider. "En plus, aujourd'hui, en Suis- se, la situation
s'est totalement inversée à mon égard. A part les
extrémistes de gauche qui continuent à me traiter de
facho, la plupart de la population est positive envers moi. Je
reçois de nombreux courriels me remerciant pour ce que nous
faisons. Il y a une évolution au sein de la population. Nous
répondons à l'inquiétude croissante des gens par
rapport à l'islamisation notamment."
CHRISTINE SAVIOZ
---
20min.ch 23.12.10
Werbung für NPD: Schweiz als Vorbild der Rechtsextremen
Für einmal gibt es aus dem Ausland Lob - aus zweifelhafter
Ecke: Die rechtsradikale NPD verteilt derzeit Postkarten, die die
Schweiz als Vorbild preisen.
Ronny Nicolussi
Seit das Schweizer Stimmvolk Ende November die
Ausschaffungsinitiative der SVP angenommen hat, wirbt die
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) mit dem "Vorbild
Schweiz". Das Naturpanorama mit Blick auf das Matterhorn auf einer
Postkarte wird begleitet durch das Logo der rechtsextremen Partei und
dem Wahlspruch "Mit kriminellen Ausländern kurzen Prozess machen".
"Seit Anfang Dezember haben wir bereits einige Hunderttausend
Postkarten in ganz Deutschland verteilt", sagt NPD-Sprecher Klaus Beier
auf Anfrage von 20 Minuten Online. Nochmals so viele sollen folgen. Mit
der Postkartenaktion soll den deutschen Stimmbürgerinnen und
Stimmbürgern aufgezeigt werden, dass in Deutschland jeden Tag von
Demokratie gesprochen - in der Schweiz hingegen Demokratie praktiziert
werde. Gleichzeitig kann mit der Postkarte der NPD beigetreten werden.
Auf der Rückseite ist die Adresse der NPD in Berlin vorgedruckt.
"Die Einführung der direkten Demokratie nach Schweizer Art
ist seit Jahrzehnten ein Schwerpunkt unserer Politik", erklärt
Beier. Zudem setze sich die NPD seit langem für die Ausschaffung
krimineller Ausländer ein. Aus diesem Grund habe man auch ein
Fünf-Punkte-Programm zur "Rückführung" von
Ausländern erstellt.
Kein Kommentar aus Bern
Mit der SVP hat die NPD keinen Kontakt, wie Beier sagt, obschon
die Deutschen wiederholt auf Symbole und Themensetzungen der Schweizer
zurückgreifen. So kamen beispielsweise abgewandelte
Schäfchen-Plakate der SVP 2008 bei den Landtagswahlen in Hessen
zum Einsatz. In der Folge diskutierte die SVP über rechtliche
Schritte gegen die NPD. Es blieb jedoch beim Geplänkel, sagt der
NPD-Sprecher: "Rechtliche Konsequenzen gab es keine."
Inwiefern die Postkartenaktion der NPD Konsequenzen haben wird,
war zunächst nicht absehbar. Immerhin wirbt eine rechtsextreme
Partei mit Schweizer Werten und verwendet dabei auch das Schweizer
Kreuz. Weder das Eidgenössischen Departement für
auswärtige Angelegenheiten (EDA) noch die dem EDA angegliederte
Stelle "Präsenz Schweiz", die für die Pflege des
schweizerischen Erscheinungsbildes im Ausland verantwortlich ist,
wollten bis am Donnerstagmorgen zu entsprechende Anfragen von 20
Minuten Online Stellung nehmen.
---
WoZ 23.12.10
Anti-Muslim-Kongress
Freysingers europäische Freunde
Tausend TeilnehmerInnen trafen sich letzten Samstag in Paris zum
"Kongress gegen die Islamisierung unserer Länder". Mit dabei war
auch ein bekanntes Gesicht aus der Schweiz.
Von Bernhard Schmid, Paris
Es geht nichts über einen gemeinsamen Feind. Damit lassen
sich Menschen zusammenbringen, die sonst nichts gemeinsam haben. So
trafen sich letzten Samstag unter anderem Berber aus Algerien, rechte
Juden, rechtsradikale Fussballhooligans vom Pariser Club PSG, eine
Feministin und ein Schweizer SVPler in Paris. Sie alle zeigten sich
vereint im Kampf gegen die Muslime, die angeblich Europa
überschwemmen, den Einheimischen die Arbeitsplätze wegnehmen,
an der Kriminalität schuld sind - und die jeweiligen
Länder letztendlich überfremden würden.
Rund tausend Leute fanden zum "Kongress gegen die Islamisierung
unserer Länder" in einem grossen Saal im zwölften Pariser
Arrondissement zusammen. Geladen hatte eine französische
neofaschistische Organisation: Der "Bloc identitaire". Die
TeilnehmerInnen waren nicht nur aus halb Europa angereist. Es waren
auch Gastredner aus Russland und den USA dabei. So rief der
US-amerikanische anti-muslimische Aktivist Tom Trento kurz vor der
Mittagspause in den Saal: Die von den Muslimen ausgehende Bedrohung sei
viel "perfider und tödlicher" als jene, die damals von Hitler
ausgegangen sei.
Freysingers Heimspiel
Anne Zelensky, eine ehemalige Weggefährtin der
französischen feministischen Schriftstellerin Simone de Beauvoir,
ergriff am Kongress die Gelegenheit, Marine Le Pen ihre
Unterstützung für die umstrittenen Äusserungen
zuzusichern, die die stellvertretende Vorsitzende des rechtsextremen
Front National (FN) Anfang Dezember gemacht hatte: Vor rund 300
Parteianhängerinnen hatte die Tochter des FN-Chefs Jean-Marie Le
Pen in Lyon erklärt, statt "dauernd vom Zweiten Weltkrieg" und der
Besatzung durch Nazideutschland zu reden, sollten sich die
PolitikerInnen doch lieber um die aktuelle "Besatzung" von "Teilen" des
französischen Territoriums kümmern. Jene durch die Muslime.
Am Kongress nahm Marine Le Pen selber nicht persönlich teil.
Sie sei mit dem innerparteilichen Wahlkampf im Ringen um den
Parteivorsitz des FN beschäftigt, liess sie ausrichten. Auf dem
französischen Nachrichtensender LCI lobte sie jedoch die
"bemerkenswerte Rede", die Oskar Freysinger am Kongress gehalten hatte.
Der Schweizer SVP-Parlamentarier war der Stargast am Kongress.
Gegen Mittag war er mit einem stattlichen Trupp von Leibwächtern
in Sonnenbrille auf dem Kongress aufgetaucht. Als "helvetischen
Asterix" stellte er sich bei den Anwesenden vor, bevor er zum verbalen
Zweihänder griff: Voller Bedrohungen sei die Welt, doch die kleine
Schweiz widerstehe ihnen wacker, führte der Walliser aus. "Islam
und Kommunismus" seien beides "kollektivistische Totalitarismen".
Deswegen stünden die Linken ja auch in einer Front geeint mit den
Muslimen.
Doch das Hauptproblem diagnostizierte Freysinger bei den
EuropäerInnen selber. Auf eine "geistige und spirituelle
Wüste" würden die muslimischen EinwanderInnen hier
treffen - weil sich die EuropäerInnen ihrer "eigenen
Identität" nicht mehr sicher seien.
Aufklärung oder Christentum?
Weniger gut als Freysingers Rede kam jene der Feministin Anne
Zelensky an. Als sie erwähnte, wie sie im Jahr 1970 am Kampf um
die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen teilnahm, wurde
sie von einer Mehrheit der Anwesenden kurzerhand ausgepfiffen. Auch
wenn sich viele der Anwesenden gerne auf die Aufklärung inklusive
Laizismus berufen: Für die meisten von ihnen ist sie vor allem ein
bequemes Argument, um gegen den Islam zu hetzen, der mit der
Aufklärung angeblich unvereinbar ist.
Das Sagen hatten am Kongress die christlichen Konservativen: Als
Überraschungsgast hatten die KongressorganisatorInnen denn auch
Xavier Lemoine vorgesehen, den Bürgermeister der Pariser Vorstadt
Montfermei. Und ein Verfechter des Laizismus ist dieser fanatische
abendländische Kreuzzügler gegen den Islam wahrlich nicht. Im
Gegenteil. Der Rechtskatholik, der am Rande der konservativen
französischen Regierungspartei UMP steht, ist ein
Abtreibungsgegner und hat ein nostalgisches Verhältnis zum
Vichy-Regime.
Letztlich tauchte Lemoine vergangenen Samstag nicht auf. Die
Parteiführung der UMP habe ihren Abgeordneten einen Maulkorb
verpasst, greinten die Organisatoren.
---
Newsnetz 21.12.10
Der Walliser Messias von Europas radikalen Islam-Gegnern
Claudia Blumer
Nationalrat Oskar Freysinger geht mit der SVP-Politik auf
Europatournee und lässt sich feiern wie ein Pop-Star. Seine
Heimatpartei allerdings mag nicht klatschen.
Oskar Freysinger ist schon mehrmals aufgefallen als
internationales Aushängeschild seiner Partei. So gab er nach
Annahme der Anti-Minarett-Initiative auf al-Jazeera ein Interview, und
häufig tritt er in französischen Talkshows auf.
Dieses Wochenende war Freysinger zu Gast in Paris, wo er an einer
Veranstaltung zur "Islamisierung unserer Länder" eine Rede hielt.
Veranstalter waren der Bloc identitaire und Riposte laïque,
Vereinigungen der extremen Rechten in Frankreich (siehe Box).
"Oskar, Oskar!"
Der Walliser, der als einer von rund 30 Rednern auftrat, geniesst
unter den Islam-Gegner offenbar eine grosse Fangemeinde. Bevor ihn der
Moderator ankündigen konnte, ertönten im Publikum "Oskar,
Oskar"-Rufe, und als Freysinger die Bühne betrat wurde er
empfangen wie ein Popstar, oder, wie er selber sagt, "wie ein Messias".
Seine Rede wurde immer wieder von lang anhaltendem Applaus unterbrochen.
"Sie haben die Schnauze voll", sagt Freysinger, "von der
Islamisierung in den Vororten und der politischen Elite, die das nicht
beachtet." Freysinger erklärt sein Messias-Image so: "Die
bewundern das direktdemokratische System der Schweiz." Freysinger gilt
bei der extremen Rechten im Ausland als Kopf der
Ausschaffungsinitiative und als "Mann, der die Minarette gestoppt hat".
"Volksrechte stärken"
Oskar Freysinger plant bereits seinen nächsten Auftritt im
Ausland, ihm liegt eine Einladung einer Dresdner Bürgerbewegung
vor. Ja, er werde die SVP-Ideologie nach Kräften in Europa
verbreiten, bestätigt er. "Mit gutem Grund. Die Volksrechte
müssen gestärkt werden." Er macht einen Bogen zu den
rhetorischen Differenzen zwischen der Schweiz und der EU: "Gerade
jetzt, wo sich die EU wie ein heiliges Reich gebärdet, braucht es
Gegensteuer."
Die Europa-Mission behagt der SVP nicht unbedingt. "Die SVP ist
da sehr zurückhaltend", sagt Generalsekretär Martin Baltisser
auf Anfrage. "Aber den Volksvertretern schreiben wir nicht vor, wann
sie wo auftreten dürfen. Sie müssen selber beurteilen, ob ein
Auftritt sinnvoll ist oder nicht." SVP-Vizepräsident Yvan Perrin
sagte vor wenigen Wochen gegenüber den Medien, er würde die
Einladung für ein solches Treffen ausschlagen.
---
Basler Zeitung 20.12.10
Zu Gast bei Rechtsextremen
Der Walliser SVP-Nationalrat Oskar Freysinger tritt an einem
Anti-Islam-Treffen in Paris auf
Rudolf Balmer, Paris
Der Walliser SVP-Nationalrat Oskar Freysinger hat am Wochenende
in Paris viel Applaus an einem Kolloquium gegen die "Islamisierung
Europas" geerntet.
Es war nicht das erste Mal, dass der Walliser SVP-Nationalrat
Oskar Freysinger von Frankreichs rechtsextremer Kleinpartei Bloc
Identitaire eingeladen worden war. Deren Anhänger halten den Front
National von Jean-Marie Le Pen für zu weich. Vergangenes
Wochenende war Freysinger in Paris der Stargast an einem Treffen gegen
die "Islamisierung Europas", das die radikalen Nationalisten zusammen
mit der Gruppe Riposte Laïque organisiert hatten.
800 Zuhörer empfingen Freysinger, den "Mann, der die
Minarette in der Schweiz gestoppt hat", mit einer Ovation. Der Islam
generell und das als Aggression empfundene religiöse
Selbstbewusstsein eines Teils der aus dem Maghreb stammenden Jugend in
der Banlieue stellen das neue Feindbild für Frankreichs
fremdenfeindliche extreme Rechte dar.
SVP-Abstimmungsplakate wie jenes mit dem herausgeworfenen
schwarzen Schaf, mit den wie Raketen in den Himmel ragenden Minaretten
oder zuletzt jenes mit dem "Vergewaltiger Ivan S." haben bei
Frankreichs nationalistischer Rechter begeisterte Zustimmung und
Nachahmung gefunden.
Attacken
Wenn Freysinger mit seinem Look, namentlich seinem
Langhaar-Pferdeschwanz, vielleicht zuerst einige Ältere oder
Kahlrasierte im dicht gedrängten Saal im 12. Bezirk der Hauptstadt
irritiert hat, so fand er schnell die Worte, die zu hören sie
gekommen waren.
Seine mit Ironie gewürzten Attacken gegen die Toleranz
predigenden Eliten und ihr "Dogma des Multikulti" sprachen ihnen aus
dem Herzen: "Das gibt es nur in Europa, dass man meint, wenn man mit
allen nett ist, sei jedermann auch mit uns nett. Anderswo in der Welt
gilt das einfach als Zeichen der Schwäche."
Dass die Meinungsmacher aber auch ausgerechnet jene
"diabolisieren", die vor dieser von ihm in allen bedrohlichen Farben
beschworenen Gefahr der Islamisierung warnen, stellt für
Freysinger den Gipfel dar. "Sie liefern damit den fanatischen
Islamisten einen Freibrief zur Eliminierung der entschiedensten Gegner
wie Pim Fortuyn."
Unterhaltsam
Dass dieser holländische Rechtspopulist nicht von muslimischen
Extremisten, sondern von einem radikalen niederländischen
Tierschutzaktivisten ermordet wurde, liess er unerwähnt. Dagegen
warnte er Deutschland vor den Folgen einer verantwortungslosen
"Hexenjagd gegen den Bankier Thilo Sarrazin". Während "hier alle
nur an ihre Rente, an die Ferien und Versicherungen denken, produziert
die muslimische Welt Armeen von Kämpfern, Frauen und Männern,
die bereit sind, als menschliche Bomben in einem Krieg ihr Leben zu
opfern", sagte Freysinger.
Im amüsanten Tonfall eines Alleinunterhalters auf der
Bühne gab der SVP-Nationalrat sodann eine kurze Nachhilfestunde
zur Geschichte der Eidgenossen, die sich seit dem Rütlischwur
gegen fremde Einflüsse und Bevormundung wehrten und nicht von
ungefähr heute nicht Mitglied der Europäischen Union seien.
Die institutionellen Instrumente des Initiativrechts hätten es
ermöglicht, dass "die schweizerische Elite gleich zweimal in einem
Jahr vom Volk desavouiert wurde".
Freysinger rät darum den Franzosen, deren revolutionäre
Traditionen er in allen Tönen lobte, dringend, bei sich "die
Spielregeln zu ändern".
---
Landbote 20.12.10
Aufgefallen
Oskar "la star de la journée"
Stefan Brändle
Paris - Er nannte sich froh, "Voltaires Frankreich" zu besuchen,
und stellte sich als "Asterix der Helveten" vor. Doch Oskar Freysinger
hätte es gar nicht nötig gehabt, das Publikum mit so viel
Ehrerbietung zu grüssen: "Oskar, Oskar" skandierend, bedachten ihn
die mehreren Hundert Zuhörer der "Internationalen Tagung zur
Islamisierung unserer Länder" mit Ovationen im Stehen, noch bevor
der SVP-Nationalrat das Rednerpodest betreten hatte.
"La star de la journée", wie sich ein Organisator
ausdrückte, staunte wohl selbst über den frenetischen Empfang
bei seinem ersten Auftritt in Frankreich. Zu verdanken hatte er ihn
seiner Führungsrolle in der Schweizer Anti-Minarett-Initiative.
Einzelne Vorredner lobten sie als Modell für den "Volkswiderstand
gegen die Islamisierung Europas". Darüber hinaus warnte die
österreichische Islamgegnerin Elisabeth Wolff, die islamische
Scharia werde dazu führen, dass Christen und Juden aus Europa
ausgewiesen würden. Verglichen mit diesen Tiraden, wirkte
Freysingers halbstündige Rede geradezu moderat. Der Walliser
Freigeist warnte vor der "demografischen, soziologischen und
psychologischen Islamisierung Europas". Ansonsten pries er aber vor
allem die Vorzüge des Schweizer Föderalismus und der direkten
Demokratie.
Scharf war dafür die Bewachung Freysingers durch mehrere
Leibwächter in kugelsicheren Westen. Linksparteien und Grüne
hatten im Vorfeld zu Protesten gegen den vom rechtsextremen "Bloc
identitaire" organisierten Anlass aufgerufen. Vor dem Tagungszentrum
demonstrierten einige Hundert Gegner mit Spruchbändern wie
"Faschisten raus aus dem Viertel!" lSTEFAN BRÄNDLE
---
Sonntag 19.12.10
Anti-Islamisten bejubeln Freysinger
Auftritt an umstrittenem Treffen in Paris
Er stellte sich zum Gaudi des Publikums als "Asterix der
Helveten" vor. Doch Oskar Freysinger hatte die Teilnehmer der
"internationalen Tagung zur Islami-sierung unserer Länder" in
Paris schon vor dem Beginn seiner Rede erobert: "Oskar, Oskar"
skandierend, begrüssten die mehreren hundert Anwesenden "la star
de la journée" - so ein Organisator.
Der SVP-Nationalrat staunte wohl selbst, welcher Empfang ihm beim
ersten Auftritt in Frankreich zuteil wurde. Zu verdanken hatte er ihn
seiner Führungsrolle in der Schweizer Anti-Minarett-Initiative.
Die islamische Scharia werde dazu führen, dass Christen und Juden
aus Europa ausgewiesen, Behinderte und Homosexuelle getötet
würden, warnte die österreichische Islam-Gegnerin Elisabeth
Wolff; der aus der deutschen CDU ausgeschlossene Politiker René
Stadtkewitz deklamierte, die Europäer würden durch die "von
Islamisten gesteuerten Islam-Organisationen aus dem Land gejagt".
Verglichen mit diesen Tiraden wirkte Freysingers
halbstündige Rede geradezu moderat. Der Walliser Rechtspolitiker
warnte wohl vor der "demografischen, soziologischen und psychologischen
Islamisierung Europas" und "dem Tag, an dem sie explodieren wird".
Ansonsten pries er aber vor allem die Vorzüge des Schweizer
Föderalismus und der direkten Demokratie. "Der Schweizer stimmt in
einem Jahr mehr ab als Sie in ihrem ganzen Leben." Scharf war hingegen
die Bewachung Freysingers durch mehrere Leibwächter in dunklen
Brillen. Linksparteien und Grüne hatten im Vorfeld zu Protesten
gegen den Anlass aufgerufen.
Stefan Brändle
---
Zentralschweiz am Sonntag 19.12.10
Frankreich
Islam-Gegner feiern SVP-Nationalrat
Stefan Brändle, Paris
Er war der Star des Anti- Islamisten-Treffens in Paris:
SVP-Nationalrat Oskar Freysinger pries unter Beifall die direkte
Demokratie.
Er grüsste "das Frankreich von Voltaire" und stellte sich
zum Gaudi des Publikums als "Asterix der Helveten" vor. Doch
SVP-Nationalrat Oskar Freysinger hatte die Teilnehmer der
"internationalen Tagung zur Islamisierung unserer Länder" schon
vor dem Beginn seiner Rede erobert: "Oskar, Oskar" skandierend,
begrüssten die mehreren hundert Anwesenden "le star de la
journée", wie sich ein Organisator ausdrückte.
Lob für Schweizer Modell
Der SVP-Nationalrat staunte wohl selbst, welcher Empfang ihm bei
seinem ersten Auftritt in Frankreich zuteil wurde. Zu verdanken hatte
er ihn seiner Führungsrolle in der Schweizer
Anti-Minarett-Initiative. Einzelne Vorredner lobten sie als Modell
für den "Volkswiderstand gegen die Islamisierung Europas". Die
islamische Scharia werde dazu führen, dass Christen und Juden aus
Europa ausgewiesen, Behinderte und Homosexuelle getötet
würden, warnte die österreichische Islam-Gegnerin Elisabeth
Wolff. Der aus der deutschen CDU ausgeschlossene Politiker René
Stadtkewitz deklamierte, die Europäer würden durch die "von
Islamisten gesteuerten Islam-Organisationen aus dem Land gejagt".
"Psychologische Islamisierung"
Verglichen mit diesen Tiraden wirkte Freysingers
halbstündige Rede geradezu moderat. Der Walliser Rechtspolitiker
warnte wohl vor der "demografischen, soziologischen und psychologischen
Islamisierung Europas" und "dem Tag, an dem sie explodieren wird".
Ansonsten pries er aber vor allem die Vorzüge des Schweizer
Föderalismus und der direkten Demokratie. "Der Schweizer stimmt in
einem Jahr mehr ab als Sie in ihrem ganzen Leben", klärte er die
begeisterten Zuhörer auf, die sich indes offensichtlich
schärfere Worte zum Tagungsthema gewünscht hätten.
Scharf war hingegen die Bewachung Freysingers durch mehrere
Leibwächter mit dunklen Brillen. Linksparteien und Grüne
hatten im Vorfeld zu Protesten gegen den vom rechtsextremen "Bloc
identitaire" organisierten Anlass aufgerufen. Freysinger scherzte in
seiner Rede, die Schläger aus der Banlieue sollten nur
vorbeikommen, wenn sie einen warmen Ort suchten.
Schliesslich blieb es aber bei Internet-Appellen, die
festhielten, dass Laizismus nicht mit Rassismus zu verwechseln sei. Das
war auf die ehemals linke Vereinigung "Riposte Laïque"
gemünzt, die an der Anti-Islamisten-Tagung teilnahm. Auch die
feministische "Frauenliga" Frankreichs war vertreten.
nachrichten@neue-lz.ch
---
sv.tv 18.12.10
Freysinger nimmt an Anti-Islam-Treffen teil
Der Walliser SVP-Nationalrat Oskar Freysinger ist an einer Tagung
der rechtsnationalen französischen Bewegung "Bloc Identitaire" in
Paris als Redner aufgetreten. Beim Treffen ging es um "Massnahmen gegen
den Islam und seine Gefahren".
sda/widb
Freysinger, einer der Fahnenträger der Schweizerischen
Volkspartei und Kämpfer für die beiden Initiativen für
ein Minarettverbot und die Ausschaffung ausländischer
Straffälliger, wurde unter stürmischem Beifall wie ein Held
empfangen.
Freysinger erklärte, er werde weniger über den Islam
als viel mehr über die direkte Demokratie reden.
Skinheads auch vor Ort
Eingeladen worden war er nach eigenen Worten nicht vom "Bloc"
sondern von der Organisation "Riposte laïque", einer Gruppierung
für den Säkularismus. Bevor er die Einladung angenommen habe,
habe er sich versichert, dass es sich bei den Teilnehmenden nicht um
Holocaust-Leugner, Neo-Nazis oder Faschisten handle.
Der Veranstaltungssaal in Paris war mit Menschen aller
Altersklassen gefüllt. Auch einige Skinheads waren präsent.
Tom Trento, ein Redner aus den USA, stellte in seinem auf
französisch vorliegenden Redetext den politischen Islam als gleich
gefährlich wie Adolf Hitler dar.
800 Teilnehmer in Paris
Die Anti-Islam-Konferenz sorgte in Frankreich bereits im Vorfeld
für Auseinandersetzungen. Betrand Delanoë, der
Bürgermeister von Paris, wollte den Anlass verbieten. Die Polizei
zog ein erhöhtes Sicherheitsdispositiv auf. 200 Personen
protestierten gegen die Veranstaltung. An der Tagung nahmen mehrere
hundert Menschen teil, die Veranstalter sprachen von bis zu 800
Teilnehmern.
---
Langenthaler Tagblatt 14.12.10
Mit Kette und Messer Weihnachten "gefeiert"
Kreisgericht Aarwangen/Wangen Brüderpaar, das in der
rechtsextremen Szene verkehrte, wegen Schlägereien verurteilt
Urs Byland
In ihren Jugendjahren sind sie vor allem durch gute sportliche
Leistungen aufgefallen. Gestern stand das Brüderpaar in Aarwangen
aber vor dem Richter. Sie sollen es sich zum Sport gemacht haben,
andere zu verprügeln. Drohung, Raufhandel und
Körperverletzung: Die Vorwürfe an die beiden einschlägig
bekannten Geschwister, die der rechtsextremen Szene zugerechnet werden,
sind happig. Gewütet haben sie, so die Anklage vor dem
Kreisgericht IV unter Einzelrichter Fritz Aebi, zwischen Sommer 2007
und Weihnachten 2008 im Oberaargau und Kanton Solothurn.
Es war nicht einfach, bei dieser Serie von Delikten die
Übersicht zu bewahren, zumal die Zeugenaussagen zu den
Vorkommnissen gerade bei den Schlägereien an Anlässen oft
auch ungenau waren. Mitschuldig daran dürfte der Alkoholkonsum
gewesen sein, wie Gerichtspräsident Aebi festhielt. Im März
dieses Jahres fand bereits ein erster Verhandlungstag statt. Gestern
Morgen folgten noch die Aussagen des letzten von der Verteidigung
aufgebotenen Zeugen.
Opfer in Täter verwandeln
In den Plädoyers beklagte der Verteidiger des einen
Angeklagten den Ruf, der den Brüdern vorauseile: "Bei
Vorfällen im Oberaargau stehen die Brüder schnell mal unter
Generalverdacht", so der Vorhalt des Verteidigers. Das würde die
Strafverfolgungsbehörden dazu verleiten, vorschnell zu handeln.
Der Verteidiger des zweiten Angeklagten unterstützte in seinem
Plädoyer seinen Kollegen. Fall für Fall versuchten beide,
ihre Klienten von den Vorwürfen reinzuwaschen. Die Strategie der
Verteidiger zielte auf die teilweise ungenauen, manchmal auch
widersprüchlichen Zeugenaussagen. Diese versuchten aus den Opfern
Täter zu machen, indem sie die Opfer als Auslöser der
Aggressionen hinstellten. Die beiden Verteidiger forderten in allen
Fällen Freisprüche für das Brüderpaar.
Kein Freispruch, sondern Strafe
Der Richter wollte jedoch nichts von Freisprüchen wissen.
Exemplarisch verurteilte er die Brüder nicht einfach zu
Geldbussen, sondern zu 8 (den Jüngeren) und 6 Monaten
Freiheitsstrafen bei einer Probezeit von 3 Jahren. Auf zusätzliche
Geldbussen verzichtete er, da die Brüder sich in den letzten zwei
Jahren nichts mehr zuschulden haben kommen lassen, und die
Verfahrenskosten bereits eine erkleckliche Summe ausmachen.
Nicht beweisen konnte das Gericht die Teilnahme der Brüder
an einer Schlägerei am Waldrock-Open-Air 2007 in Röthenbach.
Damals verprügelte eine Gruppe aus der rechtsextremen Ecke mehrere
Personen. Die Teilnahme der Brüder konnte nicht zweifelsfrei
festgestellt werden: "Dieses Verfahren hat weite Kreise gezogen, und
ja, es war ein genereller Verdacht gegen die Brüder, dem keine
konkreten Aussagen zugrunde lagen", so Aebi. Dennoch sei es nicht von
der Hand zu weisen, dass die Brüder öfters in
gefährliche Situationen verwickelt seien und sich ihren
zweifelhaften Ruf auch "verdient" hätten.
Schlägerei am Weihnachtstag
Verurteilt wurde der Jüngere wegen einfacher
Körperverletzung, begangen am Weihnachtstag 2007 in Oberbipp.
Dieser Vorfall vor dem Anwesen des Opfers sei bewusst provoziert worden
und die Kette, mit der das Opfer traktiert wurde und die klar Spuren
hinterlassen hatte, sei keine in Notwehr eingesetzte Hundeleine,
sondern extra mitgenommen worden: "Ich habe die Abdrücke der Kette
auf den Beweisfotos gesehen", so der Richter. Der ältere Bruder
war auch da und habe, das Messer in der Hand, Drohungen ausgestossen.
"Sie provozierten und suchten die Konfrontation. Als das Opfer
bedrohlich auf sie zukam, hätten sie einfach wegrennen
können. Aber das wollten sie ja nicht", so Aebi. Später seien
die Brüder erneut am Domizil des Opfers aufgetaucht und haben
randaliert.
Auch bei einer Schlägerei am 6. Juli 2008 in Niederwil SO
seien beide Brüder zugegen gewesen. Zum Einsatz kamen dort erneut
Ketten. Fünf Personen wurden verletzt: "Es liegt nicht am Staat
herauszufinden, wer was genau gemacht hatte. Beim Vorwurf des
Raufhandels genügt die Beteiligung", klärte Aebi auf. Der
Jüngere wurde zusätzlich wegen eines Raufhandels, begangen am
18. November in Derendingen SO, verurteilt.
Die Oberaargauer Brüder können das Urteil vor
Obergericht anfechten.
---
NLZ 14.12.10
Rütli-Extremist ist abgeblitzt
Obergericht
MZ. Das Obergericht Uri stützt das Urteil des Landgerichts.
Es verurteilt einen 31-jährigen Berner zu einer bedingten
Geldstrafe von acht Tagessätzen à 100 Franken sowie zu
einer Busse von 200 Franken. Das führende Mitglied der
rechtsextremen Szene sei der Rassendiskriminierung und der
Nachtruhestörung schuldig, befindet die höchste Urner
Gerichtsinstanz. Die Verfahrenskosten von 4580 Franken gehen ebenfalls
zu seinen Lasten.
Applaus für Holocaust-Leugner
Der Berner hatte am 5. August 2007 auf dem Rütli vor 300
Gleichgesinnten eine Rede gehalten. "Wir leben in einer Zeit, in der
die Lüge regiert", so der Berner. Und weiter: "Das
Antirassismusgesetz wurde installiert, um eine geschichtliche Lüge
zu stützen." Zudem nahm er Bezug auf einen vor ihm sprechenden
Westschweizer, der bereits als Holocaust-Leugner verurteilt worden ist.
"Wenn man bedenkt, was er alles durchmachen musste, um für die
Wahrheit zu kämpfen, danken wir ihm mit Applaus", forderte er die
Menge auf. Zudem wird der Berner vom Gericht schuldig gesprochen, weil
er am 28. Dezember 2007 in Burgdorf Lärm verursacht und die
Nachtruhe gestört hat.
--------------------------------
IDENTITÄTSWAHN
--------------------------------
Landbote 11.12.10
Warum es gesund ist, ein Fremder zu sein
Helmut Dworschak
Wie sich die Annahme der Ausschaffungsinitiative in der Praxis
auswirkt, bleibt abzuwarten. Sie und ähnliche Volksbegehren
dürften Teil einer Entwicklung sein, die der Orientalist Navid
Kermani als "Identitätswahn" bezeichnet.
Ich bin ein Secondo. Kein italienischer, spanischer,
afrikanischer, portugiesischer oder türkischer, sondern ein
österreichischer. Wer jetzt erwartet, dass ich zur
Bestätigung ein wenig Wiener Schmäh auftische, den muss ich
enttäuschen; ausser meinem Pass erinnert bei mir nichts an meine
ausländische Herkunft, an der ich übrigens berechtigte
Zweifel hege. Denn bei Licht besehen, komme ich aus einem kleinen
Landspital in der Schweiz. Einem Land, in dem mir vieles Freude
bereitet. Die Berge, die Seen, die pünktlich abfahrenden
Züge, die gefüllten Regale, die Sparkassen. Ja, ich mag auch
die Banken, denn sie stehen für den Wohlstand, in dem wir leben.
Wer genau ist "wir"? Wir sind zum Beispiel Manager auf der einen
und alle übrigen Steuerzahler auf der anderen Seite. Falls normale
Steuerzahler sich einfallen liessen, eine Bank auszurauben, würden
sie möglicherweise kurzerhand "ausgeschafft". Im Gegensatz zu den
Managern, die sich ein Steuerparadies in ihrem Wunschkanton aussuchen
dürfen, nachdem sie die Bank mit ihren Bonusbezügen
ausgeraubt haben. Egal, ob sie Schweizer oder Ausländer sind.
Rechtsgleichheit aufgehoben
Wie sich die Annahme der Ausschaffungsinitiative auf die
behördliche Praxis auswirkt, bleibt abzuwarten. Was die Initiative
verlangt, war ja auch bisher schon möglich, weshalb sie von
manchen als unnötig bezeichnet wurde. Doch sie setzt ein Signal,
indem sie das grundlegende Prinzip der Rechtsgleichheit aufhebt und
Ausländer per Verfassungsartikel zu zweitklassigen Menschen
stempelt. Damit stellt sie eine Errungenschaft in Frage, die sie doch
gerade zu schützen vorgibt. Der Volksentscheid erschreckt umso
mehr, als er Teil einer konsequent gegen Fremde gerichteten Strategie
ist; vorangegangen war die Annahme der Minarett-Initiative, bereits
angekündigt ist eine Initiative zur Beschränkung der
Zuwanderung.
Darauf kann man mit Humor reagieren wie der 30-jährige
Berner Musiker Semih Yavsaner aka Müslüm, der in seinem Song
"Samichlaus" den in der Initiative zutage tretenden Ordnungssinn
verulkt und in einem Zeitungsbericht zu Protokoll gibt: "Theoretisch
gesehen hat mein C-Ausweis an Wert gewonnen. Nun ist er Identität
und eventuelles Flugticket nach Istanbul zugleich."
Identitätswahn
Es deutet jedoch einiges darauf hin, dass für die
Abstimmungsergebnisse eine grössere, weltweit zu beobachtende
Entwicklung verantwortlich ist. Der deutsch-iranische Orientalist und
Schriftsteller Navid Kermani bezeichnet sie als "Identitätswahn".
In seinem Buch "Wer ist Wir?" behandelt Kermani Fragen um die
Integration der Muslime in Deutschland und kommt zum Schluss, dass die
soziale Herkunft - nicht die geografische oder ethnische oder die
Zugehörigkeit zu einer Religion - entscheidend ist für das
Gelingen der Integration. Kermani hält die Integration islamischer
Einwanderer in Deutschland für erfolgreich. Er berichtet auch von
Konflikten, die sich ergeben, wenn an Schulen die Mehrzahl der Kinder
aus türkischen Familien stammen; für solche Probleme hat die
Regierung 2006 die Deutsche Islamkonferenz ins Leben gerufen.
Die von Kermani beobachteten sozialen Vorgänge lassen sich
so zusammenfassen: Um sich auf das Eigene zu besinnen, wird das Fremde
dingfest gemacht, am wirksamsten anhand sichtbarer Symbole wie
Kopftücher, Burkas und Bärte. Beide, eigene wie fremde
Identität, erfahren dabei eine gefährliche Verengung. Denn
niemand ist nur Muslim, nur Christ, nur Deutscher oder nur Türke -
jeder hat viele Identitäten, je nachdem, welchen Lebensbereich man
betrachtet. Im Westen hat die Religion ihren prägenden Einfluss
auf den Lebensstil längst verloren. Auch der Islam ist nur ein
Faktor unter vielen. So wenig es ferner "das" Christentum gibt, sondern
de facto ganz unterschiedliche Glaubensrichtungen, so wenig gibt es
"den" Islam; der "Dialog der Kulturen" ist genauso eine Karikatur wie
der viel zitierte "clash of civilisations", weil die vorausgesetzten
einheitlichen Gebilde Fiktionen sind.
Manchmal ist es schwierig, die Reduktion auf ein Merkmal - die
immer eine Vereinfachung darstellt und daher der menschlichen
Bequemlichkeit entgegenkommt - zu erkennen: Die Aussage "Wir
müssen mit den Muslimen reden" konstruiert zum Beispiel eine
"Wir"-Identität, welche die Muslime ausschliesst.
Welche Widersprüche mit realen Identitäten einhergehen,
veranschaulicht der 1967 geborene, zweisprachig aufgewachsene Kermani
etwa plastisch am Vielvölkerstaat Indien, dem "Mutterland des
Multikulturalismus", vor allem aber an zahlreichen eigenen Beispielen:
"Die geschriebene deutsche Sprache ist meine Heimat; nur sie atme ich,
nur in ihr kann ich sagen, was ich zu sagen habe. Aber nur die
geschriebene Sprache. Mit meinen Kindern sprach ich vom ersten
Augenblick an, ohne darüber nachgedacht zu haben, persisch."
Das sehr gut lesbare Buch, das zum Teil auf Vorträge
zurückgeht, mündet in ein "Lob der Differenz". Wer viele
Identitäten in sich hat, muss sich nicht auf Gedeih und Verderb
mit einer einzigen identifizieren. Oder anders gesagt: "Fremdsein ist
keine Krankheit."
Genau hinsehen, abwägen
Fundamentalistische Ideen, so Kermanis bedenkenswerte These,
entstehen vor allem in einem Milieu, das sich durch eine hohe Anpassung
auszeichnet. Dies gilt sowohl für die Herkunft islamistischer
Terroristen wie für die Konjunktur eines rechtsgerichteten, das
Fremde abwehrenden Diskurses in Italien, Holland, Dänemark und der
Schweiz. Wo eine enge Identifizierung stattfindet, scheint die Gefahr
eines Vakuums grösser als dort, wo eine distanziertere Haltung
vorherrscht. Anstelle der Polarisierung, welche die politischen
Debatten in der Schweiz beherrscht - und die nicht zuletzt von den
Medien gefördert wird -, wäre es nötig, immer wieder zu
differenzieren, genau hinzusehen, abzuwägen. Und bereit zu sein,
das eigene Urteil zu revidieren.lHELMUT DWORSCHAK
Buchtipp
Navid Kermani: Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime.
C.-H.-Beck-Verlag, München 2009. 176 Seiten, Fr. 28.90.
-----------------------------
SANS-PAPIERS
-----------------------------
Rundschau 22.12.10
Jugendliche Papierlose
Der 17jährige Erick stammt aus Ecuador, ist als Kind mit seiner
Familie illegal eingereist und sieht die Schweiz als seine Heimat.
Kürzlich hat sich das Parlament dafür ausgesprochen, dass
Papierlose eine Lehre machen können. Für Erick und die
jährlich rund 400 Betroffenen nicht mehr als ein
Hoffnungsschimmer: Ihr Aufenthalt bleibt ungeregelt, ihre Zukunft
ungewiss. Die "Rundschau" über das Ringen des Rechtsstaats mit den
Rechtlosen.
http://videoportal.sf.tv/video?id=28b718e2-8d89-4e60-8822-1eb3a2bea4a1
--
Dossier Einwanderung und Integration
http://www.sf.tv/sfwissen/dossier.php?docid=17303&navpath=pol/inl
---
L'Express/L'Impartial 22.12.10
Sans-papiers, elle témoigne
Il y aurait entre 70 000 et 180 000 sans-papiers en Suisse. Ayant
exceptionnellement pu obtenir une autorisation de séjour pour
"cas de rigueur", une Colombienne qui a vécu 14 ans dans
l'illégalité témoigne. S'étant
élevée toute seule et sans formation, cette femme s'est
juré que sa fille aurait la vie plus facile. Mais elle a
payé le prix fort puisque sa fille, restée chez sa
mère en Colombie, n'a pu venir que trois fois en Suisse pendant
toutes ces années. >>> PAGE 14
--
TÉMOIGNAGE
"Sans papiers, on vit comme en prison"
CORINNE BUCHSER SWISSINFO.CH
Il y aurait entre 70 000 et 180 000 sans-papiers en Suisse.
Annalilia Sanchez*, Colombienne qui a vécu quatorze ans dans
l'illégalité, a pu exceptionnellement obtenir une
autorisation de séjour pour "cas de rigueur".
"Le permis de séjour est mon plus beau cadeau, je n'arrive
pas encore à y croire", lance Annalilia Sanchez*, 41 ans, avec
les yeux qui brillent. La peur d'être découverte et
expulsée qui l'a accompagnée pendant toutes ces
années, et avec laquelle elle a dû apprendre à
vivre, lui colle toujours à la peau. "Le fait de croiser un
policier ou que quelqu'un presse la sonnette me fait encore à
chaque fois un choc."
"Sans papiers, on vit comme en prison", ajoute cette femme
gracieuse, avec de petites boucles d'oreille en or et ses boucles
noires attachées en queue-de-cheval. Elle est vêtue d'un
jeans et d'un sweat-shirt gris. Et raconte qu'on ne peut ni louer un
appartement, ni utiliser de téléphone portable et qu'il
faut aller chez le médecin incognito. Une de ses amies s'est
cassé la jambe mais n'a jamais osé aller à
l'hôpital. Annalilia Sanchez, elle, a pu s'affilier à une
caisse-maladie grâce à l'association de défense des
sans-papiers, précise-t-elle en très bon allemand.
Elle n'y connaît pas grand-chose à la politique mais
elle sait bien qu'il est difficile de légaliser tous les
migrants. Mais, à son avis, il faudrait examiner chaque cas
particulier. "Nous ne sommes pas que sans papiers, nous sommes des
êtres humains avec un cœur et une famille." Elle ne comprend pas
non plus pourquoi les étrangers n'ont pas le droit de travailler
comme personnel de maison ou comme jardinier, puisqu'il n'y a de toute
façon pas beaucoup de Suisses qui veulent le faire. Car c'est
pour travailler qu'Annalilia Sanchez est venue en Suisse, il y a
quatorze ans. Quand sa cousine, qui avait une place de femme de
ménage, est tombée enceinte, elle a sauté sur
l'occasion. Elle s'est ainsi retrouvée dans une mansarde sans
cuisine ni douche, sans famille et sans pouvoir parler sa langue.
Pour parler avec ceux restés au pays, elle ne pouvait,
à ses débuts, s'acheter qu'une taxcard à 10
francs. De quoi échanger trois ou quatre mots avec sa
mère et sa fille, avant le bip. "Au début, j'ai beaucoup
pleuré, mais cela m'a aussi rendue plus forte."
Annalilia Sanchez vient d'un milieu pauvre. Sa mère
travaillait comme lessiveuse - pas avec une machine mais avec une
pierre et du savon - lorsqu'elle est tombée malade. Elle a donc
dû abandonner l'école pour aller travailler. Son
père s'est tué à 49 ans dans un accident. La
mère et ses six enfants se sont retrouvés sans argent ni
perspectives. S'étant élevée toute seule et sans
formation, Annalilia Sanchez s'est juré que sa fille aurait la
vie plus facile. Mais elle a payé le prix fort puisque sa fille,
restée chez sa mère en Colombie, n'a pu venir que trois
fois en Suisse pendant toutes ces années. "Je pensais sans cesse
à elle et cela m'a donné de la force."
Grâce à son travail comme femme de ménage
dans la famille d'un médecin, elle a pu aider
financièrement sa mère et payer l'éducation de sa
fille. "Si j'étais restée, je n'aurais pas pu les aider."
/CBU
*Nom connu de la rédaction de swissinfo.ch
--
"La Suisse n'est pas faite pour tout le monde"
Annalilia Sanchez le sait bien: "La Suisse n'est pas faite pour
tout le monde." Elle connaît beaucoup d'étrangers qui
n'arrivent pas à s'adapter à la mentalité et au
climat, qui ont fait des dépressions. "Comparée à
la Colombie, la Suisse est plutôt triste." Les gens ne rient pas
beaucoup ici, il n'y a pas beaucoup de soleil et les rues sont souvent
désertes.
"Beaucoup de gens ont beaucoup d'argent, mais peu de désir
de faire quelque chose de leur vie", constate Annalilia Sanchez. "Et
pourtant, pourquoi ne pourrais-je pas rire dans ma vie? Je suis en
bonne santé, j'ai un travail, un lit chaud et une bonne soupe.
Tout le monde n'a pas cette chance."
Quand on lui demande si elle a été
discriminée ou exploitée en tant que sans-papiers, elle
répond que non. Mais, après avoir gardé le silence
si longtemps, elle peut parler de ces gens qui ont travaillé au
noir pour un employeur qui ne les payait pas toujours. Cela a
été le cas d'une amie couturière, qui a
travaillé jour et nuit pour confectionner des vêtements
d'une valeur de 6000 francs pour une cliente.
La fille d'Annalilia Sanchez a maintenant grandi et elle est
aujourd'hui en mesure de gagner sa vie comme hôtesse de l'air.
Mais notre interlocutrice voit son avenir en Suisse plutôt
qu'en Colombie. Maintenant qu'elle a son autorisation de séjour,
elle espère pouvoir trouver un emploi dans un hôpital ou
dans une usine. Son rêve? Avoir sa propre maison à
l'extérieur de Berne, sa "deuxième patrie". /cbu
---
Bund 21.12.10
Junge Sans-Papiers sollen Lehre in der Schweiz machen können
Die eidgenössische Migrationskommission schlägt vor,
auch die papierlosen Eltern hierzubehalten.
Verena Vonarburg
Kinder von Sans-Papiers dürfen neun Jahre lang die Schule in
der Schweiz besuchen. Die Schulpflicht respektive das Schulrecht gilt
für alle. Ins Gymnasium können sie in der Regel auch, die
höheren Schulen zeigen sich recht grosszügig. Eine
Berufslehre oder ein Praktikum zu machen, ist Jugendlichen ohne
Aufenthaltsbewilligung hingegen von Gesetzes wegen nicht erlaubt.
Ist das ungerecht? Wie soll der Staat überhaupt mit Personen
umgehen, die hier leben, hier möglicherweise sogar geboren sind,
aber nicht hier sein dürften? Die Frage der Sans-Papiers -
besonders der jungen - ist in der Schweiz, aber auch international ein
Dauerthema. In den USA haben die Republikaner im Senat unlängst
den Dream-Act verhindert, ein Gesetz, das jungen illegal Eingewanderten
unter bestimmten Voraussetzungen die amerikanische
Staatsbürgerschaft ermöglichen wollte.
Bundesrat verweist auf Kantone
In der Schweiz wird nicht über ein Bürgerrecht
debattiert, sondern über die Möglichkeit, dass junge
Sans-Papiers eine Berufslehre hierzulande machen dürfen. Die
eidgenössische Kommission für Migration, ein vom Bundesrat
eingesetztes Gremium, empfiehlt, Jungen ein Aufenthaltsrecht zu
gewähren, damit sie eine Lehre absolvieren können. Konkret:
Wer hier geboren ist oder mindestens fünf Jahre obligatorische
Schulzeit hinter sich hat, soll für die Lehre oder eine andere
Ausbildung bleiben dürfen. Die Eltern dieser Jugendlichen sollten
ebenfalls ein befristetes Aufenthaltsrecht bekommen. Diese Empfehlungen
hat die Kommission gestern öffentlich abgegeben.
Der Bundesrat dagegen will keine Ausnahme für die
Berufslehre von Sans-Papiers schaffen. Er verweist in dieser Frage
jeweils auf die Kantone: Diese könnten in Härtefällen
beim Bund ein Bleiberecht für illegale Aufenthalter beantragen.
Bei gut integrierten Jugendlichen, die hier die Schule besucht
hätten, werde praktisch immer die Härtefallklausel
angewendet, sagte Eveline Widmer-Schlumpf im Herbst vor dem
Ständerat.
Das eidgenössische Parlament tut sich schwer mit der
Berufslehre für Sans-Papiers. Zwar haben National- wie
Ständerat einen Vorstoss überwiesen, der vom Bundesrat
verlangt, Sans-Papiers zur Berufslehre zuzulassen. Doch das ist
möglicherweise nicht das letzte Wort, hat die staatspolitische
Kommission des Nationalrats doch Ende Oktober alle weiteren
Vorstösse abgelehnt, die in dieselbe Richtung zielten. Erlaube man
die Lehre, so führe das zu einer generellen Legalisierung der
Papierlosen, findet die Mehrheit der staatspolitischen
Kommissionsmehrheit.
Die eidgenössische Migrationskommission ihrerseits verlangt
neben einer grosszügigeren Berufslehren-Regelung auch, es
müssten mehr Papierlose als Härtefälle in den Genuss
einer Amnestie kommen. Die Kantone hätten einen grossen Spielraum,
die Unterschiede seien in der Praxis beträchtlich, je nachdem, in
welchem Kanton der Papierlose wohne. Am meisten Härtefallgesuche
senden Genf und die Waadt nach Bern. Die Deutschschweizer sind
restriktiver. Die Kommission wünscht sich, dass neu
Härtefallgesuche direkt beim Bund eingereicht werden können,
damit sie nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden.
Keine kollektive Aufnahme
Eine kollektive Amnestie für Papierlose hingegen sei nicht
realistisch, bilanzierte Migrationskommissions-Präsident Francis
Matthey gestern.
Wie viele Sans-Papiers in der Schweiz leben, ist umstritten. Die
Zahl von 90 000 dürfte realistisch sein, glaubt Denise Efionayi,
die im Auftrag der Migrationskommission gestern eine Studie über
die Papierlosen in der Schweiz vorstellte. Die illegal Eingewanderten
seien tendenziell eher jung. In den letzten Jahren seien immer mehr
Frauen zugewandert. Arbeit fänden die Sans-Papiers vor allem in
der Gastronomie, in Privathaushalten, im Sexgewerbe, in der
Landwirtschaft und auf dem Bau. Da sie illegal in der Schweiz weilten
und schwarzarbeiteten, lebten sie aber oft in prekären
Verhältnissen, mehrheitlich in Städten, heisst es in der
Studie. Die meisten derzeit in der Schweiz Lebenden kämen aus
Lateinamerika.
---
NZZ 21.12.10
Rechte ohne Aufenthaltsrecht
Migrationskommission fordert pragmatische Verbesserungen für
Sans-Papiers
Ausländer ohne Aufenthaltsrecht haben gleichwohl
Grundrechte, speziell etwa in der Bildung. Die Kommission für
Migrationsfragen rät zu konkreten Verbesserungen und vermehrten
Legalisierungen.
C. W. · Ausländer, die sich illegal in der Schweiz
aufhalten, wurden lange etwa als "clandestins" bezeichnet oder unter
die Schwarzarbeit subsumiert, die auch die Missachtung von
Abgabepflichten und anderen Vorschriften durch Inländer umfasst.
Unter dem aus Frankreich stammenden, bagatellisierenden Namen
"Sans-Papiers" gingen einige von ihnen 2001 in die Offensive, besetzten
Kirchengebäude und forderten, unterstützt von
Solidaritätsgruppen, eine Regularisierung ihres Status. Seither
ist das Problem öfter ein politisches Thema, ohne dass sich aber
eine Lösung ergeben hätte. Die Eidgenössische Kommission
für Migrationsfragen (EKM) hat nun untersuchen lassen, wie sich
die Lage seither entwickelt hat.
Zunehmend für Hausarbeiten
Die Autorinnen vom Forum für Migrationsstudien hatten
für ihren Bericht kaum statistische Informationen; sie
stützen sich auf andere Studien und auf Gespräche mit
Fachleuten, die in Kontakt mit Sans-Papiers stehen. Ihre Aussagen
formulieren sie vorsichtig, von einer weiteren Schätzung der
Gesamtzahl sehen sie ab. Die Sans-Papiers sind eine heterogene Gruppe.
Teils haben sie ihr Aufenthaltsrecht verloren, teils waren sie von
Anfang an illegal im Land; einige leben hier nur kurz, andere über
Jahrzehnte. Viele stammen aus Lateinamerika, ferner aus dem Balkan oder
aus Ostasien. Seit Einführung der Personenfreizügigkeit gibt
es kaum mehr Sans-Papiers aus der EU.
Dazugekommen sind hingegen die abgewiesenen Asylsuchenden, die
nicht mehr in den Strukturen der Sozialhilfe toleriert werden. Ihre
Lage ist erheblich schwieriger als die der erwerbstätigen
Sans-Papiers. Vermehrt scheint einem Asylgesuch der direkte Weg in die
Klandestinität vorgezogen zu werden. Beschäftigung findet
sich vor allem im Gastgewerbe und in der Bauwirtschaft - mit sinkender
Tendenz - sowie zunehmend in Privathaushalten (auch für
Kinderbetreuung und Pflege), unter anderem wegen der
Frauenerwerbstätigkeit und der demografischen Alterung. Auch im
Sexgewerbe sind mehr als früher Ausländerinnen ohne Status
tätig.
Die prekäre Stellung der illegalen Aufenthalter, die den
Kontakt mit Behörden vermeiden müssen, kann für niedrige
Löhne und fristlose Entlassungen ausgenützt werden; andere
Arbeitgeber verhalten sich arbeitsrechtlich korrekt oder zahlen sogar
Sozialabgaben und Quellensteuer. In diesem Fall spricht man von
Grauarbeit. Das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, das seit
2008 den Informationsaustausch unter den Behörden erleichtert,
führte zusammen mit einer offiziellen Kampagne paradoxerweise
dazu, dass statt Grau- mehr Schwarzarbeit geleistet wird. Aber auch die
Schwarzarbeit nahm, eher nur vorübergehend, ab. Spürbar war
ferner die Wirtschaftskrise.
Verbesserungen werden im Bereich von Bildung und Gesundheit
registriert. Der Zugang zur obligatorischen Schule - nicht aber zu
einer Lehre - sei im Allgemeinen gewährleistet, dank Ambulatorien
und privaten Anlaufstellen besteht eine gewisse medizinische
Versorgung. Meistens fehlt es aber an der - obligatorischen -
Krankenversicherung. Eine restriktivere Haltung konstatieren die
Autorinnen bei der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen in
Härtefällen. Die Praxis sei intransparent und kantonal sehr
unterschiedlich, so dass die Betroffenen oft das Risiko scheuten.
Für gezielte Regularisierung
Forderungen nach einer kollektiven Regularisierung sind politisch
aussichtslos. Die EKM sieht aber in blosser Repression keine
Lösung für ein Problem, das durch die Nachfrage nach
Arbeitskräften bedingt sei. Perspektiven zeigten sich in
pragmatischen Schritten. Ähnlich wie das Parlament in einer Motion
tritt die EKM dafür ein, dass Jugendliche, die in der Schweiz
fünf Schuljahre absolviert haben, für eine Berufs- oder
Mittelschulausbildung ein Aufenthaltsrecht "beantragen" können.
Den Eltern soll für diese Zeit ebenfalls ein Bleiben erlaubt
werden. Personen mit Berufserfahrung sollten einen Abschluss nachholen
können. Generell seien Härtefallgesuche, die allenfalls
zuerst vom Bund beurteilt werden sollten, grosszügiger und mit
besonderer Beachtung der Kinderrechte zu behandeln.
Zur Frage, wie mit "neuen" Sans-Papiers umzugehen sei,
äussert sich die Kommission nicht. Auch bleibt offen, wie weit die
Nachfrage nur wegen "Einsparungen" bei Löhnen und Abgaben besteht
oder auch etwa durch Personen aus Ostmitteleuropa gedeckt werden
könnte, für die im kommenden Juni die Kontingentierung
aufgehoben wird.
---
20 Minuten 21.12.10
Mehr Sans-Papiers im Sexgewerbe
BERN. Die Zahl der Papierlosen in der Schweiz hat seit 2000
insbesondere im Haushalts- und Pflegesektor sowie im Sexgewerbe
zugenommen. Zu diesem Schluss kommen drei Expertinnen, die für die
Eidg. Kommission für Migrationsfragen die Lage der Sans-Papiers
untersuchten. Sie fordern, dass jugendliche Sans-Papiers eine
Ausbildung machen dürfen. In der Schweiz leben zwischen 70 000 und
180 000 Menschen ohne Aufenthaltspapiere.
---
Le Temps 21.12.10
"Les sans-papiers doivent être égaux devant les chances
d'être régularisés"
La Commission fédérale pour les questions de
migration vient de publier une nouvelle étude sur les
sans-papiers, qu'elle assortit de propositions
Propos recueillis parValérie de Graffenried
"Visage des sans-papiers en Suisse. Evolution 2000-2010". C'est
sous ce titre que la Commission fédérale pour les
questions de migration (CFM) vient de publier une étude sur la
situation des personnes sans autorisation de séjour en Suisse.
La commission l'assortit de propositions. Dont celle d'accorder un
statut de séjour indépendant aux jeunes sans-papiers qui
souhaitent effectuer un apprentissage, proposition immédiatement
critiquée par l'UDC. Autre revendication: modifier la
procédure sur les cas de rigueur (LT du 17.12.10), jugée
arbitraire. Denise Efionayi-Mäder, à qui l'étude a
été commandée, précise ces enjeux.
Le Temps: En dix ans, quelle est la principale évolution
qui a caractérisé le monde des sans-papiers?
Denise Efionayi: Grâce à une certaine prise de
conscience, ils sont plus présents dans l'opinion publique. Et
des améliorations ont notamment été
constatées concernant l'accès au système de
santé ou la scolarisation des enfants, dont le nombre semble
être en augmentation. L'accès à l'école
obligatoire est dans l'ensemble garanti partout; seules quelques
communes se montrent réticentes par rapport aux jeunes
frappés d'une décision de non-entrée en
matière et menacés d'expulsion.
- Vous renoncez à entrer dans le débat sur les
chiffres, les estimations du nombre de sans-papiers en Suisse allant de
70 000 à 300 000. Pourquoi
tant de prudence? Le phénomène reste-t-il non
quantifiable?
- Soyons honnêtes: il n'existe aucune statistique fiable.
Pour ma part, j'estime que le chiffre oscille plutôt autour des
100 000 à 150 000.
- La CFM prône un statut de séjour
indépendant pour ceux qui souhaitent effectuer un apprentissage.
Le parlement a accepté des motions en ce sens. Mais n'est-ce pas
hypocrite de leur ouvrir la voie à l'apprentissage alors qu'ils
ne pourront ensuite pas travailler légalement?
- Non. S'ils peuvent fréquenter l'école et
l'université sans être inquiétés, les
clandestins qui veulent effectuer un apprentissage ne peuvent
aujourd'hui pas le faire. Il faut y remédier, pour les
encourager à se former au lieu de les laisser traîner dans
la rue. Surtout, cela devrait faciliter leur régularisation. Je
conviens qu'il s'agit d'une politique des petits pas. Mais dans le
climat politique actuel, c'est peut-être une des seules solutions
envisageables.
- La CFM est très critique concernant le système
des "cas de rigueur". Quelles solutions prônez-vous? La Suisse
devrait-elle réévaluer l'idée d'une amnistie
générale?
- Le système des régularisations individuelles
fonctionne mal: les disparités cantonales sont immenses. Un
sans-papiers a par exemple nettement plus de chances d'être
régularisé à Lausanne ou à Genève
qu'à Zurich ou à Lucerne. Certains cantons ne
transmettent carrément jamais de dossier à Berne pour
demander des permis de séjour. Il est vraiment urgent
d'établir une égalité des chances dans ce domaine.
La solution de la commission, qui revendique d'inverser l'ordre de la
procédure, est intéressante. Les demandes ne devraient
plus être déposées auprès des cantons mais
directement auprès de la Confédération, qui
demanderait ensuite aux cantons d'agir. Une amnistie
générale pour tous les sans-papiers n'est pas une
solution. Mais je ne serai pas contre l'instauration d'une durée
de séjour minimale à partir de laquelle un clandestin
pourrait être régularisé.
- Faudrait-il aussi régulariser automatiquement les
enfants de sans-papiers nés en Suisse?
- Ce serait une idée. Ils ne sont pas responsables du
choix de leurs parents. Mais que ferait-on des parents? Une idée
serait de leur accorder un permis provisoire.
---
Tagesschau sf.tv 20.12.10
Jugendliche Sans Papiers sollen Aufenthaltsbewilligung bekommen
Jugendliche Sans Papiers sollen eine Berufslehre absolvieren und eine
Aufenthaltsbewilligung bekommen. Dies fordert die Eidgenössische
Kommission für Migrationsfragen in einer Studie.
http://videoportal.sf.tv/video?id=b3e6bc07-4552-4555-891b-40ccf5eeb2af
---
admin.ch 20.12.10
Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für jugendliche
Sans-Papiers
Bern, 20.12.2010 - Die Eidgenössische Kommission für
Migrationsfragen EKM macht neue Vorschläge zum Thema Sans-Papiers.
Die wohl wichtigsten betreffen die Situation der Jugendlichen, die eine
Berufslehre machen möchten. Ihnen könnte ein
eigenständiges Aufenthaltsrecht erteilt werden. Zudem müsste
das Härtefallverfahren so geändert werden, dass es allen, die
sich regularisieren lassen möchten, Chancengleichheit
gewährt, unabhängig vom Kanton, in dem sie leben und arbeiten.
Die EKM und ihre Vorgängerkommission, die
Ausländerkommission, haben sich immer wieder mit Fragen der
Sans-Papiers beschäftigt. Zu Beginn des Jahres 2010 hat die EKM
dem Schweizerischen Forum für Migrations- und
Bevölkerungsstudien SFM der Universität Neuchâtel den
Auftrag erteilt, die aktuelle Situation der Sans-Papiers in der Schweiz
zu untersuchen. Als die Forscherinnen unter der Leitung von Denise
Efionayi die Entwicklungen von 2000 bis 2010 genauer untersuchten,
stellten sie fest, dass die Sans-Papiers heute in der
Öffentlichkeit mehr präsent sind. Zudem kann man davon
ausgehen, dass sich immer mehr Personen immer länger ohne
Erlaubnis hier aufhalten und arbeiten. Die Zahl heranwachsender Kinder
nimmt zu. Ebenso scheint es mehr Jobs (vor allem in der Hausarbeit und
im Pflegesektor) für papierlose Frauen zu geben. Verbesserungen
für die Sans-Papiers ergaben sich in den letzten zehn Jahren
namentlich in der Gesundheitsversorgung, aber auch im Umgang der
Behörden mit Kindern. Als problematisch erweist sich immer wieder
die Lage der Familien, die Nothilfe beziehen.
Die Studie "Leben als Sans-Papiers in der Schweiz. Entwicklungen 2000
bis 2010" dient der EKM als Basis für eine Reihe von Empfehlungen.
Sie hält zunächst fest, dass irreguläre
Migrationssituationen zu einer globalisierten Welt gehören und
dass sie bestehen bleiben, solange die Nachfrage nach solchen
Arbeitskräften vorhanden ist. Insofern gehören die
"Sans-Papiers" zur schweizerischen Realität, und die Gesellschaft
muss sich damit beschäftigen. Besondere Aufmerksamkeit schenkt die
Kommission den jugendlichen Sans-Papiers, die in der Schweiz geboren
sind oder einen grossen Teil der Schulzeit hier verbracht haben.
Während Kinder aus Familien ohne Aufenthaltsrecht in aller Regel
die Schule besuchen können, stehen Jugendliche, die eine Lehre
beginnen wollen, vor dem Nichts. Damit auch diese Jugendlichen, die ja
nicht schuld an ihrer Papierlosigkeit sind, wieder Perspektiven
erhalten, sollen sie die Möglichkeit erhalten, ein
eigenständiges Aufenthaltsrecht zu beantragen, das ihnen eine
Berufslehre oder eine andere Ausbildung ermöglicht. Die EKM
fordert die Behörden auf, nach Lösungen zu suchen, damit auch
die Eltern dieser Jugendlichen zumindest während der Zeit der
Lehre eine wenn auch befristete Bewilligung erhalten. Nach dem
Lehrabschluss sind diese jungen, meist sehr gut integrierten
Berufsleute bestens gerüstet für den Schweizer Arbeitsmarkt.
Auch beim Härtefallverfahren braucht es nach Ansicht der EKM
dringend eine neue Lösung. Wer ein Härtefallgesuch deponiere,
müsse überall die gleichen Chancen bei der Beurteilung durch
die Behörden haben. Ein möglicher Weg könnte die
Umkehrung des Verfahrens sein: Demnach müssten die Gesuche nicht,
wie bisher, bei den Kantonen eingereicht werden, sondern beim Bund, der
dann die Meinung der Kantone einholen würde.
Adresse für Rückfragen:
Elsbeth Steiner, Informationsverantwortliche EKM
031 324 52 61, 079 292 34 79, elsbeth.steiner@bfm.admin.ch
Herausgeber:
Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen
Internet: http://www.ekm.admin.ch
--
Studie "Leben als Sans-Papiers in der Schweiz"
http://www.ekm.admin.ch/de/dokumentation/doku/mat_sanspap_d.pdf
EKM-Empfehlungen: Sans-Papiers in der Schweiz
http://www.ekm.admin.ch/de/dokumentation/doku/empf_sapa_d.pdf
---
swissinfo.ch 19.12.10
"Ohne Papiere lebt man wie in einem Gefängnis"
swissinfo
In der Schweiz gibt es laut Schätzungen zwischen 70'000 und
180'000 Sans-Papiers. Eine davon ist Annalilia Sanchez. Im Rahmen eines
Härtefallgesuchs hat die Kolumbianerin als eine der ganz wenigen
Papierlosen nach 14 Jahren eine Aufenthaltsbewilligung erhalten.
"Die Aufenthaltsbewilligung ist das beste Geschenk, ich kann es
immer noch nicht glauben", sagt die 41-jährige Annalilia Sanchez*
und ihre Augen strahlen. Die Angst entdeckt und
ausgeschafft zu werden, die sie all die Jahre begleitete und mit der
sie zu leben gelernt hatte, stecke noch immer in ihren Knochen.
"Begegne ich Polizisten oder klingelt es unerwartet an der
Haustür, durchfährt mich noch immer ein Schock."
"Ohne Papiere lebt man wie in einem Gefängnis", sagt die zierliche
Frau mit den kleinen goldenen Ohrringen und den dunklen
zusammengebundenen Locken in Jeans und grauer Trainerjacke. Man
könne weder eine Wohnung mieten, noch ein Handy lösen,
geschweige denn zum Arzt gehen. Sie erzählt von einer
Kollegin, die einen Beinbruch erlitt und sich nicht traute, ins Spital
zu gehen. Dank der Unterstützung der Beratungsstelle für
Sans-Papiers sei sie seit ein paar Jahren bei einer Krankenkasse
versichert, sagt Annalilia Sanchez sagt in sehr gutem Deutsch, das sie
in den Jahren in der Schweiz "erarbeitet" hat.
"10 Franken für vier Worte"
Sie habe nicht viel Ahnung von Politik, und ihr sei klar, dass es
schwierig sei, alle Einwanderer zu "legalisieren". Doch ihrer Ansicht
nach müsste man jeden Fall einzeln untersuchen. "Wir sind nicht
Sans-Papiers, wir sind Menschen mit einem Herz und einer Familie."
Sanchez versteht auch nicht, weshalb Ausländer nicht im Haushalt
oder im Garten aushelfen dürfen, für diese Arbeiten
würden sich ja sowieso kaum Schweizer finden. Der
Arbeit wegen kam Annalilia Sanchez vor 14 Jahren denn auch in die
Schweiz. Als ihre Cousine, die in der Schweiz eine Putzstelle hatte,
ein Kind erwartete, sprang sie für diese ein. So habe sie sich
allein in einer kleinen Mansarde ohne Küche und Dusche
wiedergefunden, ohne Familie und ohne die Sprache des Landes zu
sprechen. Für ein Gespräch in die Heimat konnte
sie sich in der ersten Zeit höchstens eine Taxcard im Wert von 10
Franken leisten, wobei nach drei, vier Worten mit Mutter und Tochter
bereits das Piepen des Telefons ertönte. "Ich habe anfangs viel
geweint, doch das auf mich selbst gestellt sein hat mich auch stark
gemacht", so Annalilia Sanchez.
Hohen Preis bezahlt
Annalilia Sanchez kommt aus armen Verhältnissen. Als die
Mutter, die als Wäscherin arbeitete - nicht mit der Waschmaschine,
sondern mit Stein und Seife - erkrankte, musste Annalilia Sanchez die
Schule abbrechen und arbeiten. Ihr Vater verunfallte mit 49 Jahren
tödlich. Die Mutter und ihre sechs Kinder waren ohne Geld und
Perspektiven. Annalilia Sanchez, alleinerziehend und ohne
Ausbildung, wollte, dass es ihrer Tochter einmal besser geht als ihr.
Der Preis, den sie dafür bezahlte, war hoch, konnte die Tochter,
die bei ihrer Mutter in Kolumbien blieb, sie in alle den Jahren doch
nur drei Mal in der Schweiz besuchen. "Ich dachte all die Zeit immer an
sie. Das gab mir Kraft", sagt Annalilia Sanchez. Dank ihrer
Arbeit als Putzfrau bei einer Arztfamilie konnte sie ihre Mutter
finanziell unterstützen und die Schule für ihre Tochter
bezahlen. "Wenn ich in Kolumbien geblieben wäre, hätte ich
meiner Familie nicht helfen können."
Schweiz ist ein eher trauriges Land"
Doch für Annalilia Sanchez ist klar: "Die Schweiz ist nicht
für alle gemacht." Sie kenne viele Ausländer, die mit dem
Mentalitäts- und Klimawechsel nicht zurechtkämen, die
Depressionen hätten. "Die Schweiz ist im Gegensatz etwa zu
Kolumbien eher ein trauriges Land". Die Leute hier würden nicht
viel lachen, die Sonne scheine wenig und die Strassen seien häufig
menschenleer. "Viele Leute in der Schweiz haben viel Geld,
aber wenig Motivation, etwas aus ihrem Leben zu machen", so Annalilia
Sanchez. "Doch weshalb soll ich nicht mit einem Lächeln durchs
Leben gehen? Ich bin gesund, habe eine Arbeit, ein warmes Bett und eine
warme Suppe - das haben nicht alle." Die Frage, ob sie
selbst als Papierlose mit Diskriminierungen konfrontiert oder
ausgenutzt worden sei, verneint sie. Nach langem Schweigen erzählt
sie aber von Sans-Papiers, die schwarz gearbeitet hätten und
dafür von ihren Auftraggebern nicht bezahlt worden seien. So sei
es auch einer Kollegin von ihr ergangen, einer Schneiderin, die
für eine Kundin in Tag- und Nachtarbeit Kleider und Vorhänge
im Wert von rund 6000 Franken gefertigt habe.
Traum vom eigenen Haus in "zweiter Heimat"
Annalilia Sanchez' Tochter ist mittlerweile erwachsen, sie kann
ihr Leben als Flight Attendant selbst verdienen. Doch
Annalilia Sanchez sieht ihre Zukunft in der Schweiz und nicht in
Kolumbien. Sie hofft, dass sie mit der Aufenthaltsbewilligung
vielleicht eine Stelle in einem Spital oder in einer Fabrik finden
kann. Ihr Traum ist ein eigenes Haus ausserhalb von Bern, ihrer
"zweiten Heimat".
Corinne Buchser,swissinfo.ch*Name der Redaktion bekannt
---
Zentralschweiz am Sonntag 19.12.10
Katholische Kirche Luzern
Kritik an Hilfe für Sans-Papiers
Ernst Meier
Sans-Papiers müssten die Schweiz eigentlich verlassen. Doch
die katholische Kirche und die Gewerkschaft Unia geben ihnen Tipps, wie
sie im Land bleiben können.
Sie müssten ausreisen, weil sie ohne Aufenthaltsbewilligung
in der Schweiz leben oder ihr Asylgesuch abgelehnt worden ist. Aus zum
Teil unterschiedlichen Gründen bleiben sie aber trotzdem: die
"Sans-Papiers" (siehe Kasten). Der Verein "Kontakt- und Beratungsstelle
für Sans-Papiers Luzern" wurde am 12. November gegründet und
soll eine Anlaufstelle für sie sein. Initiiert wurde der Verein
von der Katholischen Kirche Luzern, Präsidentin ist Nicola Neider
von der Kirchgemeinde.
Politik kritisiert Verein
Noch bevor der Verein seine Arbeit richtig aufgenommen hat, wird
er von der Politik scharf beobachtet und zum Teil auch heftig
kritisierte. Guido Müller, Fraktionschef der SVP im Luzerner
Kantonsrat: "Sans-Papiers müssen so schnell als möglich
ausgeschafft werden. Je länger die Ausschaffung
hinausgezögert wird, desto schwieriger wird ein Vollzug
später." Zudem schaffe der Verein falsche Anreize, ist er
überzeugt: "Die zuvorkommende Behandlung von Sans-Papiers durch
solche Beratungsstellen macht die Schweiz für Asylsuchende noch
attraktiver".
Nicola Neider betont, dass es nicht das Ziel des Vereins sei,
solche Anreize zu schaffen: "Es geht lediglich darum, Sans-Papiers von
neutraler, nichtstaatlicher Stelle aus zu helfen und sie zu beraten -
dies in Ergänzung zu den vorhandenen staatlichen Leistungen wie
der Nothilfe." Zudem richte sich die Beratungsstelle auch an
Arbeitgeber, die Sans-Papiers beschäftigen. "Hier wollen wir
Unterstützung und Beratung anbieten, um eine richtige
Arbeitsbewilligung für diese Beschäftigung zu erhalten und
damit dem Phänomen der Schwarzarbeit entgegenzuwirken. Denn es
bestehen oft Unklarheiten über die rechtlichen und
versicherungstechnischen Bestimmungen bei einer Arbeitstätigkeit
von Sans-Papiers", sagt Nicola Neider.
Rechtsprofessorin Martina Caroni von der Universität Luzern,
die den Verein als Gründungspatin unterstützt, betont, dass
sowohl Bundesverfassung als auch Gesetze Sans-Papiers Rechte
garantierten, die jedem Menschen zustünden, unabhängig vom
Aufenthaltsstatus: "Die Einhaltung dieser Rechte sowie das Angebot der
entsprechenden Beratung verstösst gegen keine Gesetze."
Vorstoss im Kantonsrat
Fast gleichzeitig mit der Gründung des Vereins "Kontakt- und
Beratungsstelle für Sans-Papiers Luzern" wurde im Luzerner
Kantonsrat ein politischer Vorstoss eingereicht. Das Postulat,
unterschrieben von der SVP-Fraktion und vier CVP-Vertretern, will
erreichen, dass staatliche Gelder an Organisationen gestrichen werden,
wenn diese illegal anwesenden Ausländern helfen.
Nadia Britschgi, Kantonsrätin der SVP, hat den Vorstoss auch
aus finanziellen Gründen eingereicht: "Wir hatten im letzten Jahr
eine Budgetüberschreitung von 15 Millionen Franken, die auf
Mehrausgaben für Heim- und Asylwesen zurückzuführen
sind." Deshalb fordere man vom Regierungsrat, dass dieser
sämtliche im Asyl- und Flüchtlingsbereich gesprochenen
Staatsbeiträge überprüfe. "Falls Organisationen illegal
anwesenden Ausländern behilflich sind und diese beraten oder gar
Integrationsprogramme anbieten, müssen die staatlichen Zahlungen
eingestellt werden. Aktive Untergrabungen unserer Rechtsnormen
können und dürfen nicht mit staatlichen Geldern
unterstützt werden."
Unia gibt Sans-Papiers Tipps
Im Postulat wird namentlich die Gewerkschaft Unia erwähnt
und kritisiert, da diese eine Ratgeber-Broschüre für
Sans-Papiers herausgibt. Darin gibt die Unia Tipps wie im folgenden
Beispiel: "Am einfachsten funktioniert die Wohnungssuche, wenn eine
legal hier lebende Person für dich eine Wohnung mietet. Diese
Person macht sich allerdings dadurch strafbar." Bei der Unia
Zentralschweiz wehrt man sich gegen den Vorwurf. "Die Broschüre
wird in der ganzen Deutschschweiz verteilt. Der Inhalt verstösst
gegen keine Gesetze", erklärt Giuseppe Reo, Sekretär Unia
Zentralschweiz. "Zudem erhalten wir gar keine Gelder vom Kanton Luzern."
Caritas wird kontrolliert
Kantonale Gelder für Dienstleistungen im Asylbereich
erhält hingegen die Caritas Luzern, wie Regierungsrat Guido Graf
bestätigt: "Caritas Luzern hat vom Gesundheits- und
Sozialdepartement einen Leistungsauftrag für die Unterbringung und
Betreuung von Asylsuchenden." Seit November ist die Caritas auch
Mitglied im Verein "Kontakt- und Beratungsstelle für Sans-Papiers
Luzern". Eine Zweckentfremdung der Mittel, zum Beispiel für die
Finanzierung des Vereins, sei nicht möglich, betont Graf: "Ich
garantiere, dass wir dies genau kontrollieren." Auch
Caritas-Luzern-Geschäftsleiter Thomas Thali bekräftigt:
"Caritas Luzern unterstützt keine illegale Aktivitäten." Die
Mitarbeit beim Verein sei mit dem Auftrag des Kantons im Asylwesen
vereinbar. Kommentar Seite 43
redaktion@zentralschweizamsonntag.ch
--
Sans-Papiers
Bis 5000 in Luzern
Als "Sans-Papiers" (Papierlose) werden vor allem Personen ohne
Aufenthaltsbewilligung in Westeuropa bezeichnet. Die Definition bezieht
sich in der Schweiz auf Migranten ohne geregelten Aufenthaltsstatus,
und es sind Personen, deren Asylgesuch abgelehnt worden ist. Oft
vernichten Sans-Papiers ihre Papiere absichtlich, um so die
Rückschaffung ins Ursprungsland zu erschweren. Wie viele
Sans-Papiers in der Schweiz wohnen, ist nicht offiziell erfasst. Laut
Schätzungen handelt es sich schweizweit um 100 000 bis 300 000
Personen. Im Kanton Luzern sollen zwischen 2000 bis 5000 Sans-Papiers
leben.
--
Beratungsstelle
3 Jahre Pilotphase
Nach dem Vorbild anderer Orte gründete ein Bündnis
verschiedener Organisationen unter der Federführung der
Katholischen Kirche Luzern den Verein "Kontakt- und Beratungsstelle
für Sans-Papiers Luzern". Die Katholische Kirchgemeinde finanziert
den Start mit 20 000 Franken. Das Budget für die 3-jährige
Pilotphase beträgt 180 000 Franken. Die Beratungsstelle wird mit
einem 50-Prozent-Pensum besetzt. Gründungsmitglieder sind unter
anderem Caritas Luzern, Asylnetz, Schweizerisches Arbeiterhilfswerk,
Gewerkschaftsbund, Katholischer Frauenbund und Verband des Personals
Öffentlicher Dienste (VPOD).
--
Nachgefragt
Sabotiert der Verein Ihre Arbeit?
Guido Graf, Sie sind als Regierungsrat für das Asylwesen im
Kanton Luzern zuständig. Wie stehen Sie zum Verein "Kontakt- und
Beratungsstelle für Sans-Papiers"?
Guido Graf: Ich habe von der Gründung Kenntnis genommen und
möchte dazu keine Wertung abgeben. Entscheidend ist für mich,
dass sich der Verein bei seinen Tätigkeiten an die gesetzlichen
Bestimmungen hält, was er in seinen Statuten auch
ausdrücklich festhält.
Wie beurteilen Sie den Einfluss der Beratungsstelle auf die
Sans-Papiers?
Graf: Ich kann mir vorstellen, dass es schwieriger sein wird,
Leute, die eine rechtskräftige Wegweisung erhalten haben, oder
Leute, die sich illegal bei uns aufhalten, auszuschaffen. Wenn dabei
Gesuche für Härtefälle eingereicht werden, ist das im
Rahmen des Gesetzes. Werden Sans-Papiers Wege aufgezeigt, wieder eine
Existenz in ihrem Land aufzubauen, ist das sehr positiv. Wird die
Behördenarbeit aber behindert, erachte ich eine solche Beratung
als problematisch.
Sehen Sie einen Widerspruch zwischen den Bemühungen von Bund
und Kanton im Asylwesen und den Aktivitäten des Vereins?
Graf: Ich gehe davon aus, dass der Verein mit den Behörden
zusammenarbeiten und Gespräche mit der Politik führen wird -
wie er es in seinen Statuten schreibt - um konstruktive und legale
Lösungen zu finden. Grundsätzlich handelt es sich bei den
Sans-Papiers um ein ausländerrechtliches Problem, für das das
Bundesamt für Migration zuständig ist.
---------------
ASYL
---------------
Zentralschweiz am Sonntag 12.12.10
Asylentscheide
Einheitlicher Umgang mit Härtefällen
Jürg Auf der Maur
Je nach Kanton können abgewiesene Asylbewerber mehr oder
weniger einfach in der Schweiz bleiben. Diese Lotterie wollen
Parlamentarier nun stoppen.
Das Problem ist seit Jahren bekannt, nun soll es endlich geregelt
werden. In der Schweiz können Personen, die sich in einem Asyl-
oder Beschwerdeverfahren befinden oder deren Asylgesuch abgewiesen
wurde, nur dann verbleiben, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind.
So müssten sie mindestens seit fünf Jahren in der Schweiz
wohnen, die Behörden müssten den Aufenthaltsort kennen oder
eine Ausweisung müsste wegen fortgeschrittener Integration
problematisch sein.
Kinder als Leidtragende
Diese so genannte Härtefallregelung sorgt deshalb immer
wieder für Probleme, weil sie jeder Kanton unterschiedlich
handhabt. Während der eine Kanton relativ milde ist und auf die
Härtefallgesuche wohlwollend eintritt, kennen andere kein Pardon
und weisen schnell aus. Leidtragende dieser Situation sind vor allem
Kinder- und Jugendliche. Das soll nun ändern, hofft der Schwyzer
SP-Nationalrat Andy Tschümperlin. Er kündigt gleich mehrere
Vorstösse an, die aus verschiedenen Parteien nächste Woche
eingereicht werden sollen.
Tschümperlin: "Stossend"
Mit einer Motion verlangt Tschümperlin, dass bei
Härtefallgesuchen die Integration der betroffenen Kinder auch dann
zu prüfen und zu gewichten seien, wenn davon ausgegangen werde,
dass die Eltern die Härtefallkriterien nicht erfüllen.
Tschümperlin: "Kinderrechte dürfen nicht weiter hinter
migrationspolitische Interessen zurückgestellt werden." Die
Garantien der UNO-Kinderrechtskonvention gelte es konsequent anzuwenden.
Es sei, so der Schwyzer Integrationsfachmann, besonders stossend,
wenn die betroffenen Kinder und Jugendlichen seit vielen Jahren in der
Schweiz leben, eine Landessprache fliessend sprechen, hier bestens
integriert sind und gute berufliche Aussichten hätten, aber bei
der Härtefallprüfung nur die Situation der Eltern beurteilt
werde. Für Tschümperlin ist klar: "Eine Wegweisung steht in
solchen Fällen im Widerspruch zu Garantien der
UNO-Kinderrechtskonvention."
Auch die Zürcher CVP-Nationalrätin Barbara
Schmid-Federer setzt sich für dieses Anliegen ein. Sie will den
Bund mittels Motion beauftragen, dass die Kantone Kinder und
Jugendliche in Härtefallverfahren immer anzuhören haben,
obwohl es sich hierbei eigentlich nur um ein schriftliches Verfahren
handelt. Bei der Anhörung handle es sich um ein "elementares
Kinderrecht".
Beschwerden ermöglichen
Darüber hinaus soll, so das Ziel weiterer Vorstösse,
der Bundesrat ein Beschwerderecht ermöglichen, damit kantonale
Härtefallentscheide angefochten werden können. Nur so sei es
möglich, dass die heutige unerfreuliche Situation für die
Betroffenen verbessert und die "Lotterie" zwischen den Kantonen beendet
werden könne. Schliesslich soll das Bundesamt für Migration
zeigen, welche Schritte unternommen wurden, um die Praxis unter den
Kantonen zu harmonisieren.
juerg.aufdermaur@zentralschweizamsonntag.ch
--
Einwanderung
Estermann will Punktesystem
adm
Immigranten sollen künftig bewertet werden. Das fordert die
Luzerner SVP-Politikerin Yvette Estermann. Sie will nächste Woche
einen Vorstoss einreichen. "Das Ziel ist, dass nur gut qualifizierte
Arbeitskräfte einwandern", sagt sie. Konkret wünscht sich
Estermann ein Punktesystem.
Solche gibt es bereits in Ländern wie Österreich oder
Dänemark. In Österreich etwa wurde die Rot-Weiss-Rot-Card als
Eintrittskarte in den Arbeitsmarkt lanciert. Je mehr Punkte ein
Ausländer vorweisen kann, desto willkommener ist er. Punkte gibt
es unter anderem für das Alter, die berufliche Qualifikation,
Sprachkenntnisse oder Einkommen.
Vorstellen kann sich Estermann auch eine Kaution. Wer hier
arbeiten und mit seiner Familie leben wolle, soll ein Pfand
hinterlegen, damit der Steuerzahler nicht zur Kasse gebeten werden
müsse, "falls etwas schiefläuft". Bei der Höhe dieses
Betrages ist Estermann unschlüssig; vorstellbar seien etwa 15 000
Franken pro Person.
---
Aargauer Zeitung 11.12.10
Internierung kommt nicht infrage
Asylbewerber Der Regierungsrat hält gar nichts von der Idee,
ein grosses Aargauer "Flüchtlingslager" einzurichten. Neben
rechtlichen sprechen auch ganz praktische Gründe gegen die
zentrale Unterbringung von Asylbewerbern: Es müsste eine
Infrastruktur für über 2300 Personen errichtet werden, welche
"die Grösse zahlreicher Aargauer Gemeinden um ein Vielfaches
übertreffen würde", wie die Regierung in der Antwort auf ein
SVP-Postulat schreibt.
Die SVP fordert eine zentrale Anlage "möglichst ausserhalb
des Siedlungsgebietes bei minimalstem Angebot". Begründet wird der
Vorschlag mit dem kriminellen Verhalten mancher Asylbewerber. In
praktisch allen Asylunterkünften finde sich Deliktgut aus
Raubzügen und Einbrüchen, die Unterkunft in Holderbank zum
Beispiel habe sich zu einem eigentlichen Mekka des Drogenhandels
entwickelt. In einer zentralen Unterkunft liessen sich die Asylbewerber
besser und billiger kontrollieren, findet die SVP. Ihr schwebt ein
eigentliches Internierungslager vor: Ausflüge ins Siedlungsgebiet
seien nicht notwendig und somit zu unterbinden.
Das würde dem Völkerrecht widersprechen, gibt der
Regierungsrat zu bedenken, insbesondere der europäischen
Menschenrechtskonvention. Ein zentrales Internierungslager, wie es sich
die SVP vorstellt, sei aber nicht nur widerrechtlich, sondern auch
nicht sachgerecht. Zum einen hält der Regierungsrat den im
Postulat zum Ausdruck kommenden Generalverdacht gegenüber
Asylbewerbern nicht für angezeigt. Zum anderen weist er aber auch
auf praktische Probleme hin, die sich bei der Errichtung einer
zentralen Asylunterkunft stellen würden.
Im Aargau werden derzeit über 2300 Personen in den
Asylstrukturen betreut: Asylbewerber mit laufendem Verfahren, Personen
mit Nichteintretensentscheid, Ausreisepflichtige und Personen mit
humanitärer Aufenthaltsbewilligung. Mit Baracken und Feldbetten
wäre es nicht gemacht. Es gibt gesetzliche Bestimmungen. Die
Einrichtungen für das tägliche Leben, Aufenthalts- und
Verpflegungsmöglichkeiten, sanitäre und medizinische
Einrichtungen für weit über 2000 Menschen, da nähme ein
zentrales Flüchtlingslager einigermassen gigantische Ausmasse an.
Für den Regierungsrat stellt sich die Frage, ob sich ein solches
Projekt überhaupt mit den raumplanerischen Grundsätzen des
Kantons vereinbaren liesse und realisierbar wäre beziehungsweise
ob es dazu Anpassungen von Raum- und Zonenplanung brauchte.
Keine einzige zentrale, aber eine zentralere Unterbringung von
Asylbewerbern in grösseren Unterkünften will allerdings auch
die Regierung prüfen. Die Unterbringung und Betreuung in Klein-
und Kleinstunterkünften gestalte sich nämlich
tatsächlich "zunehmend aufwändig und schwierig". (mou)
--------------------------------------
MIGRATIONSRECHT
--------------------------------------
20min.ch 27.12.10
Scheinehen: Standesbeamte werden zu Detektiven
Im Kampf gegen Scheinehen gilt ab 1. Januar 2011 ein strengeres
Regime: Neu darf nur noch heiraten, wer in der Schweiz ein Bleiberecht
hat.
Nicole Meier, SDA
Als die Kantonspolizei Zürich letztes Jahr einen
41-jährigen Türken kontrollierte, ahnte sie nicht, worauf sie
stossen würde. Sein abgelaufenes Visum führte die Polizisten
zu einem ganzen Schneeballsystem von Scheinehen: Insgesamt acht Frauen
und Männer hatten Schweizer und Schweizerinnen geheiratet, um eine
Aufenthaltsbewilligung zu ergattern.
Damit soll nun Schluss sein. Ab 1. Januar 2011 darf nur noch
heiraten, wer sich rechtmässig in der Schweiz aufhält.
Beweisen kann er das schriftlich - je nach Fall etwa durch Vorweisen
des Ausländerausweises oder des gültigen Visums. Die
Vorschriften gelten auch für hängige Verfahren.
Die entsprechende Änderung des Zivilgesetzbuchs geht auf
eine parlamentarische Initiative von SVP-Präsident und Nationalrat
Toni Brunner zurück.
Eine gesamtschweizerische Statistik zur Anzahl aufgedeckter
Scheinehen gibt es nicht. Einen Eindruck vermitteln aber die Zahlen aus
dem Kanton Zürich: Von 3500 Ehen, die 2008 unter die Lupe genommen
wurden, stellten sich 500 als Scheinehen heraus.
Eine "komplexe" Sache
Eine zentrale Rolle im Kampf gegen solche Fälle kommt ab
Januar den Zivilstandsbeamten in den Kantonen zu. Sie sind von Gesetzes
wegen dazu verpflichtet zu überprüfen, ob der
rechtmässige Aufenthalt nachgewiesen ist. Dazu können sie
unter anderem auf ZEMIS, das Zentrale Migrationsinformationssystem,
zugreifen.
Kann ein Ehewilliger nicht beweisen, dass er sich legal in der
Schweiz aufhält, muss das Standesamt die Trauung verweigern - und
die Identität des oder der Betroffenen der zuständigen
Ausländerbehörde melden.
"Wir können noch nicht abschätzen, wie viel Zeit die
Abklärungen in Anspruch nehmen werden", sagt Roland Peterhans,
Präsident des Schweizerischen Verbands für Zivilstandswesen,
der Nachrichtenagentur SDA. "Sind es fünf Minuten oder zwei
Stunden am Tag?" Die Sache sei äusserst "komplex", sagt Peterhans,
Leiter des Stadtzürcher Zivilstandsamts.
Nicht immer sei die Abklärung einfach. Liegt ein
gültiger Ausländerausweis oder ein gültiges Visum vor,
ist die Sache eindeutig. Doch in anderen Fällen werde man
recherchieren und rechnen müssen, ob jemand den richtigen
Visumstyp hat oder ob das Visum zum fraglichen Zeitpunkt noch
gültig ist. Zumindest in Zürich wird das Personal dafür
nicht aufgestockt.
Dschungel von Merkblättern
Vorschriften gilt es allerdings unzählige zu beachten:
Allein zu den Visumsvorschriften finden sich auf der Website des
Bundesamts für Migration über 70 Dokumente - von den
Vorschriften nach Staatsangehörigkeit bis zur Liste der
konsultationspflichtigen Länder.
Fachleute des Eidgenössischen Amts für Zivilstandswesen
haben daher die Verantwortlichen der Kantone geschult, und diese
wiederum geben ihr Wissen an die Zivilstandsämter weiter.
Allerdings ist laut Roland Peterhans auch denkbar, dass sich
illegal Anwesende von der drohenden Meldung an die
Ausländerbehörde abschrecken lassen und gar nicht erst
auftauchen. Bereits heute würden sich die meisten Ehewilligen vor
der Trauung nach den Bedingungen erkundigen.
Andere Länder, gleiche Sitten
Die Schweiz ist mit der neuen Regelung in Europa nicht allein:
Auch Dänemark, Norwegen, die Niederlande und Grossbritannien haben
ähnliche Gesetze.
Laut Bundesamt für Statistik waren von den rund 42 000 Ehen,
die 2009 in der Schweiz geschlossen wurden, knapp 36 Prozent
binationale Ehen.
---
NZZ 22.12.10
Ausländer im Recht
Hilfsmittel und Fachliteratur
Christoph Wehrli (CW)
C. W. · Die Aufenthaltsbedingungen von 1,7 Millionen
Bewohnern der Schweiz sind durch das neue Ausländergesetz, das
laufend revidierte Asylrecht und das Freizügigkeitsabkommen mit
der EU in allerdings unterschiedlicher Weise verrechtlicht worden.
Dementsprechend hat sich das Migrationsrecht als Disziplin etabliert,
und dies wiederum zeigt sich auch in Publikationen.
Das einschlägige Jahrbuch beruht einerseits auf Referaten,
die an den von Beamten, Anwälten und Wissenschaftern rege
besuchten Migrationsrechtstagen gehalten worden sind; anderseits
enthält es umfangreiche Übersichten über die
Rechtsprechung und die Rechtsentwicklung. Schwerpunktthema des neuen
Bandes ist die Personenfreizügigkeit. Bei aller Spezialisierung
geht es oft um allgemein interessierende Fragen. So legt eine Autorin
dar, wie die Prostitution geregelt werden könnte (durch
Insistieren auf selbständiger Erwerbstätigkeit und eine
Meldepflicht für In- und Ausländerinnen). Eine andere
Verwaltungspraktikerin weist auf Faktoren eines Kontrollverlustes hin:
Eine geringe Erwerbstätigkeit begründet ein Aufenthaltsrecht,
kann aber Sozialhilfe nötig machen; Personalvermittler schliessen
für befristete Einsätze unbefristete Arbeitsverträge ab;
bilaterale Niederlassungsverträge dürften einer
Nichtverlängerung der EU-Aufenthaltsbewilligung entgegenstehen.
An Juristen und Nichtjuristen wendet sich das Handbuch, das Marc
Spescha zusammen mit Antonia Kerland und Peter Bolzli verfasst hat. Es
informiert präzis und gut verständlich, auch anhand von
Beispielen, über die rechtlichen Grundlagen, die Verfahren von der
Einreise bis zu den ausserordentlichen Rechtsmitteln, über die
verschiedenen Wege zu einem Aufenthaltsrecht, über Asyl und
Einbürgerung. In einem Rück- und einem Ausblick, einem
Kapitel über die Integration sowie zwischendurch äussern sich
die Autoren zur Politik, die ihnen zu wenig humanitär ausgerichtet
und auch unrealistisch erscheint.
Sie sind im beruflichen und im übertragenen Sinn
Anwälte von Migranten, halten aber bei den juristischen
Erläuterungen Ist- und Soll-Zustand einigermassen auseinander.
Während sie die Zulassung zur Erwerbstätigkeit aus
Nicht-EU-Staaten als "Eliteimmigration" eher kurz abhandeln,
erläutern sie die Möglichkeiten zum Familiennachzug auf 40
Seiten. Als praktische Hilfe sind besonders die Kapitel über
Zuständigkeiten und Verfahren angelegt. Daher und dank seiner
umfassenden Konzeption ist das Handbuch sicher auch Lesern
nützlich, die den Standpunkt der Verfasser nicht teilen.
Zum Asylrecht liegt schon länger ein spezielles, seinerseits
über 300-seitiges Handbuch vor, das die Schweizerische
Flüchtlingshilfe herausgegeben hat. Trotz einzelnen kritischen
Bemerkungen ist der Text nüchtern gehalten und eng an den
geltenden Normen und der Rechtsprechung orientiert. Dass der
grössere Teil dem Verfahren gilt, spiegelt die Bedeutung einer
sorgfältigen Prüfung der Asylgesuche, die selten anhand
eigentlicher Beweise beurteilt werden können, aber auch die
Komplizierung unter dem Titel der Missbrauchsbekämpfung, die zum
Beispiel echte und unechte Nichteintretensentscheide oder eine
Unterscheidung von Abklärungen und zusätzlichen
Abklärungen hervorgebracht hat.
Der Gewichtsverteilung in der Praxis und der Diskussion
entspricht ferner, dass der Flüchtlingsbegriff weniger Platz
einnimmt als die Hindernisse für den Vollzug negativer
Asylentscheide. Nichtfachleute könnten sich allenfalls
wünschen, noch ausführlicher und konkreter darüber
informiert zu werden, wer aufgenommen wird und wer nicht.
Alberto Achermann u. a. (Hrsg.): Jahrbuch für
Migrationsrecht. 2009/2010. Stämpfli, Bern. 458 S., Fr. 98.-. Marc
Spescha u. a.: Handbuch zum Migrationsrecht. Orell Füssli,
Zürich 2010. 344 S., Fr. 65.-. Schweizerische
Flüchtlingshilfe (Hrsg.): Handbuch zum Asyl- und
Wegweisungsverfahren. Haupt, Bern 2009. 330 S., Fr. 66.-.
---------------------
NOTHILFE
---------------------
NZZ 27.12.10
Regierungsrat für Sozialhilfegesetz
SVP-Gegenvorschlag abgelehnt
vö. · Gemäss Bundesrecht werden vorläufig
aufgenommene Asylbewerber nicht mehr bloss in der Schweiz geduldet,
sondern müssen beruflich und sozial integriert werden. Der
Zürcher Kantonsrat hat deshalb eine Teilrevision des
Sozialhilfegesetzes verabschiedet, das diesem Systemwechsel Rechnung
trägt: Vorläufig Aufgenommenen, die bis jetzt wie abgewiesene
Asylbewerber nur Nothilfe erhalten, soll das Recht auf Sozialhilfe
gewährt werden, sofern sie wie die anderen Anspruchsgruppen das
Prinzip von Leistung und Gegenleistung erfüllen.
Gegen diesen Passus ergriff ein Komitee der SVP das konstruktive
Referendum mit dem Gegenvorschlag "Keine Sozialhilfe für
abgewiesene Asylbewerber". Wie der Regierungsrat mitteilt, beantragt er
dem Kantonsrat, den Stimmberechtigten dessen Ablehnung zu empfehlen.
Laut dem Zürcher Regierungsrat werden abgewiesene
Asylbewerber vorläufig aufgenommen, wenn sie in ihrem Heimatland
wegen Krieg, allgemeiner Gewalt oder medizinischer Notlage an Leib und
Leben gefährdet sind. Wer hingegen straffällig sei oder seine
Identität verschleiere, könne nicht vorläufig
aufgenommen werden.
Vor dem Hintergrund des Bundesrechts sei eine Unterstellung der
vorläufig Aufgenommenen unter die Regeln der Sozialhilfe geboten.
Dank den gesetzlichen Grundlagen könne diese Gruppe - wenn
nötig auch mit Sanktionen - zur beruflichen und zur sozialen
Integration angehalten werden, schreibt der Regierungsrat weiter.
Dadurch lasse sich die Erwerbsquote der rund 5000 vorläufig
Aufgenommenen im Kanton Zürich, die Ende 2009 47,5 Prozent betrug,
langfristig an die Erwerbsquote der anderen Ausländer anpassen.
---
Südostschweiz 18.12.10
Eggenberger im Baucontainer
Ein Baucontainer in St. Gallen zeigt bis zum 22. Dezember, wie
abgewiesene Asylbewerber in der Ostschweiz zum Teil leben müssen.
St. Gallen. - In der Weihnachtszeit haben es Herr und Frau
Schweizer gerne behaglich und warm. Mit der Container-Aktion beim
Broderbrunnen wollen das Solidaritätsnetz Ostschweiz und Amnesty
International aber vor Augen führen, dass auch das krasse
Gegenteil zum Beispiel im Kanton St. Gallen Realität ist.
"Wir wollen zeigen, wie verschissen es die abgewiesenen
Asylbewerber zum Teil haben", sagte TV-Journalist Walter Eggenberger,
als er am Freitag Medienvertreter im (noch) kalten Container
begrüsste. Bis zum nächsten Mittwoch steht hier ein
Treffpunkt für Begegnungen und Gespräche offen.
Petition gegen Nothilfe
Die Aktion "Solidarische Weihnachten" will mit dem Container zum
Nachdenken und Umdenken anregen, zum Beispiel über die 8 Franken
Nothilfe im Tag, mit denen die Flüchtlinge zurechtkommen
müssen - "eine Katastrophe", wie Eggenberger sagte. Das sei ein
Drittel des Existenzminimums. Diese Nothilfe funktioniere nicht.
Mit einer Petition sammeln das Solidaritätsnetz und
"Amnesty" Unterschriften für die Abschaffung der Nothilfe. Diese
dränge Kinder und Erwachsene in Armut, isoliere die Menschen und
mache sie krank. "Die Nothilfe ist der Schweiz unwürdig", mahnen
die Petitionäre.
Beschämendes Beispiel Mels
Als Beispiele für einen besonders harten Umgang mit
abgewiesenen Asylbewerbern gelten die Gemeinden Mels und Landquart.
Dort würden Menschen gezielt schikaniert, berichteten Maya Leu und
Anita Rohner, die Betroffene in ihren Wohncontainern besuchen und sie
in ihrem schwierigen Alltag unterstützen.
Zum Teil dürften die Asylbewerber nicht einmal kochen.
Heizungen würden nur alle zwei Stunden für kurze Zeit
eingeschaltet und Steckdosen abgeschaltet, erzählten Leu und
Rohner. (sda)
---
St. Galler Tagblatt 18.12.10
Trotz Kälte im Baucontainer leben
Mit einem Baucontainer machen Helfer der Aktion "Solidarische
Weihnachten" in St. Gallen auf die Lebensumstände abgewiesener
Asylbewerber aufmerksam.
Nina Rudnicki
St. Gallen. Es ist eiskalt an diesem Freitagmorgen, eine dicke
Schneedecke liegt auf den Strassen. Doch das hält die Helfer der
Aktion "Solidarische Weihnachten" nicht davon ab, beim St. Galler
Broderbrunnen einen Container - wie er für die Unterbringung
abgewiesener Asylbewerber eingesetzt wird - einzurichten.
"Mit der Aktion wollen wir darauf aufmerksam machen, dass die
Nothilfelösung für abgewiesene Asylbewerber eine Katastrophe
ist", sagt der Radio- und TV-Journalist Walter Eggenberger und zeigt
die spärliche Innenausstattung des Containers. Viel mehr als zwei
Stockbetten, einige Wolldecken und ein Tisch hat hier drin nicht Platz.
Harte Bedingungen in Mels
Besonders hart hätten es die abgewiesenen Asylbewerber in
Mels, berichtet Anita Rohner von Amnesty International.
Kochgelegenheiten seien dort verboten, geheizt werde nur alle zwei
Stunden während fünf Minuten und es gebe kein Anrecht auf
Privatsphäre. Die abgewiesenen Asylbewerber dürfen nicht
arbeiten und leben isoliert - dies mache sie depressiv und krank.
Meist könnten sich die Betroffenen nicht einmal
untereinander verständigen, da sie verschiedenen
Nationalitäten angehörten. Dies führe zu Misstrauen und
Streit. Zudem treibe die Nothilfe von nur acht Franken pro Tag in eine
Bettelexistenz.
Petition gegen die Nothilfe
"Wir haben keine Demonstration geplant, sondern wollen durch
unsere Aktion mit der Bevölkerung ins Gespräch kommen", sagt
Eggenberger. Seit dem Jahr 2004 werden Asylsuchende, auf deren Gesuch
nicht eingetreten wird, von der Sozialhilfe ausgeschlossen und
können nur noch das in der Bundesverfassung festgeschriebene Recht
auf Hilfe in Notlagen geltend machen.
Mitglieder des Solidaritätsnetzes Ostschweiz und von Amnesty
International sammeln Petitionsunterschriften für die Abschaffung
der Nothilfelösung und weisen mit Gesprächen und Diskussionen
auf die Situation der betroffenen Menschen hin. Der Container bleibt
noch bis zum 22. Dezember aufgebaut.
---
Blick am Abend 17.12.10
Ein Schlaf-Container als Mahnmal
daniel.steiner@ringier.ch
SCHLAFPLATZ
Freiwillig geht da niemand rein. Flüchtlingshelfer
protestieren gegen die Nothilfe.
Beim Broderbrunnen in St. Gallen steht seit heute ein Container.
Darin stehen sechs Betten. "Wer will, kann für einige Stunden,
einen Tag oder eine Nacht hier einziehen", sagt Marina Widmer vom
Solidaritätsnetz Ostschweiz.
Mit der Aktion protestieren die Verantwortlichen gegen "das
unwürdige Leben in der Nothilfe". In der Gemeinde Mels würden
abgewiesene Asylbewerber und solche mit einem Nichteintretensentscheid
in einem Container leben. "Die Lebensbedingungen dieser Menschen sind
menschenunwürdig und verstossen gegen die Bundesverfassung", sagt
Marina Widmer. Mit der minimalen Sozialhilfe sollen abgewiesene
Asylsuchende, die keine Papiere haben und sich illegal in der Schweiz
aufhalten, seit Anfang 2008 rasch zur Rückreise in ihr
Herkunftsland gezwungen werden. Beim Solidaritätsnetz Ostschweiz
zweifelt man an der Wirksamkeit dieser Nothilfe-Strategie. "Wir fordern
neue Lösungen und die Abschaffung der Nothilfe", sagt Widmer. Bis
am Mittwoch sammelt das Solidaritätsnetz beim Broderbrunnen
Unterschriften dafür.
-----------------------------------
AUSSCHAFFUNGEN
------------------------------------
La Liberté 27.12.10
Renvoi des Nigérians: Berne cassera sa tirelire
Migrations ● Chiasso attire de moins en moins les requérants
d'asile nigérians. Depuis trois semaines, ils sont toujours
moins nombreux à tenter le passage en Suisse par la
frontière sud. Cela n'empêche pas la
Confédération de mettre le paquet: les personnes
renvoyées vers le Nigeria pourraient recevoir jusqu'à
7000 francs sous forme d'aide au retour. Ces prochains mois, 1600
requérants devraient théoriquement pouvoir en
bénéficier. Au final, l'opération pourrait
coûter plusieurs millions à la Suisse. > 3
--
Migrations. Depuis trois semaines, l'afflux de requérants
nigérians s'est tari à la frontière de Chiasso.
Leur expulsion va coûter des millions de francs à la
Suisse.
Ce que coûte le renvoi des Nigérians
Nicole della Pietra, Chiasso
Voici près de trois semaines que le flux de
requérants d'asile nigérians à la frontière
sud s'est soudainement tari. Alors qu'il arrivait parfois
jusqu'à 80 personnes en un seul week-end, ils ne sont plus
désormais que quelques-uns sur l'ensemble de la semaine.
Les explications de cette inversion de tendance? Elles varient
selon les analyses des diverses autorités concernées par
le contrôle des flux migratoires. Du côté des
gardes-frontières, on espère que les contrôles
systématiques opérés par les agents de la
Région IV, en gare de Chiasso et aux divers points de passage au
sud du Tessin, "ont eu un effet décourageant sur les
requérants", estime Davides Bassi, porte-parole des
gardes-frontières au Tessin. Il n'exclut pas non plus que
l'approche des fêtes de fin d'année offre davantage
d'opportunités de petits gains aux migrants, qui resteraient
ainsi de manière prolongée côté italien.
Bouche-à-oreille
C'est aussi vers la Péninsule, première terre
d'accueil de l'espace Schengen, que la grande majorité d'entre
eux seront renvoyés par l'Office des migrations (ODM),
après le refus quasi systématique de l'asile
décrété par celui-ci envers les ressortissants du
Nigeria. Mais jusqu'ici, cela n'a pas empêché ces derniers
de tenter leur chance: "La vente de boulettes de cocaïne dans la
rue est suffisamment lucrative pour venir, ne serait-ce que quelques
mois dans notre pays, en attendant d'en être expulsé",
suggère ce spécialiste de la migration, sous couvert de
l'anonymat, qui est convaincu qu'une organisation nigériane
articule ce flux de jeunes hommes (de 18 à 35 ans), avides d'un
bien-être matériel auquel ils n'ont pas accès chez
eux.
Du côté de l'ODM, on préfère rester
prudent. La baisse drastique du nombre d'arrivées aurait
plusieurs causes. "C'est un recul du flux saisonnier qui n'est pas
nouveau pour les mois de novembre et décembre", explique Marie
Avet, porte-parole de l'ODM, qui espère néanmoins que le
bouche-à-oreille fonctionne entre candidats
déboutés en attente de renvoi. "Bien sûr, nous
espérons que les mesures prises ces derniers mois pour assurer
la réadmission des demandeurs dans leur pays ait un effet
dissuasif", espère-t-elle.
Délégation nigériane
Une note d'espoir qui témoigne de l'importance que l'ODM
accorde à la "question nigériane". A tel point que les
autorités suisses s'apprêtent à débourser
une somme qui pourrait dépasser le million de francs pour
rapatrier dans leur pays 126 personnes (tous des hommes). Ces candidats
déboutés ont été interrogés durant
deux semaines par une délégation des services de
l'immigration du Nigeria, invitée en Suisse par les
autorités fédérales. Les fonctionnaires africains,
dont l'ODM n'a pas pu indiquer le nombre, ont séjourné
deux semaines en Suisse, durant lesquelles ils ont
procédé à des interrogatoires sur 135 personnes
dépourvues de documents d'identité et niant ou masquant
leurs origines. Langue, accent, dialecte et autres
spécificités culturelles ont permis d'établir que
126 d'entre elles sont d'origine nigériane.
"Un taux excellent", se réjouit Marie Avet. En vertu d'un
accord de partenariat, signé le mois dernier entre les
autorités helvétiques et nigérianes à
Lagos, la procédure de réadmission de ces 126
Nigérians doit débuter sous peu.
Pour cela, l'ODM s'est doté de moyens exceptionnels: les
personnes renvoyées au Nigeria pourraient recevoir
jusqu'à 7000 francs sous forme d'aide au retour. Le versement de
cette somme (1000 fr. accordés dès leur arrivée au
pays et jusqu'à 6000 fr. par la suite) est lié à
la présentation - et acceptation - d'un projet. "Cette aide est
octroyée aux personnes qui souhaitent par exemple lancer une
petit activité économique à leur retour ou
bénéficier d'une formation professionnelle, par exemple",
explique Marie Avet. Et de préciser que l'aide est
examinée au cas par cas, et qu'elle peut même être
attribuée pour des soins médicaux. La manne
helvétique est uniquement réservée aux candidats
qui ne peuvent être renvoyés vers un autre Etat de
l'espace Schengen, assure-t-on à l'ODM.
Cela signifierait-il que les 126 requérants qui
s'apprêtent à quitter la Suisse, n'ont pas transité
par l'Italie, par exemple? Difficile à croire. "Nous sommes
obligés de nous baser sur des indices et des
déclarations. Il est effectivement possible que des candidats
qui n'auraient pas droit à cette aide passent entre les mailles
du filet", admet Marie Avet.
L'addition est salée
Pour le seul mois de novembre, quelque 1800 ressortissants
nigérians ont déposé une demande d'asile en
Suisse; 1600 d'entre eux devraient théoriquement être
renvoyés vers un pays Schengen, et 684 procédures d'asile
sont ouvertes. Le calcul est vite fait: l'aide au retour (à
destination du Nigeria uniquement) pourrait bien coûter des
millions de francs à la Suisse, ces prochains mois. Sommes
auxquelles vont s'ajouter les coûts des vols de retour et les
frais annexes, de même que les séjours, tous frais
payés, des délégations nigérianes qui se
succéderont dans notre pays. I
--
Aide au retour, mode d'emploi
L'aide au retour est un système de prestations visant
à promouvoir le retour volontaire des requérants d'asile
dans les délais impartis. L'Office fédéral des
migrations (ODM) met en œuvre cet instrument en collaboration avec la
Direction du développement et de la coopération (DDC),
l'Organisation internationale pour les migrations (OIM), les services
cantonaux compétents et diverses œuvres d'entraide.
L'aide au retour est assurée par le Groupe directeur
interdépartemental d'aide au retour, et dirigée par l'ODM
et la DDC. Toutes les personnes relevant du domaine de l'asile peuvent
déposer une demande auprès de services-conseils
situés dans les cantons, les centres d'enregistrement ou les
aéroports de transit. Les réfugiés reconnus
désireux de rentrer dans leur pays d'origine peuvent aussi
bénéficier de l'aide au retour. En sont exclus: les
délinquants et les personnes dont le comportement a
été manifestement abusif pendant ou après la
procédure.
D'autres personnes ont accès à l'aide au retour:
les victimes ou les témoins de la traite d'êtres humains
et les artistes de cabaret qui se trouvent en situation d'exploitation.
Accessoirement, dans les pays de provenance, la section Aide au retour
de l'ODM (avec la participation de la DDC) met en œuvre des projets
d'aide structurelle qui profitent aussi bien aux rapatriés
qu'à la population locale. La priorité est donnée
à la création de possibilités de retour pour des
groupes de personnes plus restreints, comme ceux dont le renvoi de
Suisse s'avère difficile. En l'occurrence les Nigérians,
qui représentent 85 à 90% des candidats à l'asile
arrivant au Tessin. NdP
---
Bund 23.12.10
Zu streng bei Wegweisungen?
Das Bundesamt für Migration wird gerügt. Es schicke
abgewiesene Asylbewerber in gefährliche Gegenden zurück, sagt
das Bundesverwaltungsgericht.
Verena Vonarburg
Wer kein Asyl erhält in der Schweiz, kann unter
Umständen trotzdem hierbleiben. Er wird vorläufig
aufgenommen, falls ihm die Rückreise nicht zugemutet werden kann,
weil die Lage in seinem Heimatland zu gefährlich ist, wenn Krieg
herrscht oder Gewalt oder wenn die medizinische Versorgung nicht
gewährleistet ist.
Der Bundesrat legt fest, welche Länder oder welche Gegenden
in einem Land als sicher gelten. Wer aus einer solchen Region kommt,
hat kein Bleiberecht in der Schweiz und muss zurück.
Nun kritisiert das Bundesverwaltungsgericht das Bundesamt
für Migration (BFM) scharf: Das Amt sei zu streng in der Frage
vorläufiger Aufnahme, finden die Richter. Mehr noch: Das BFM halte
sich "des Öfteren nicht an die publizierte Länderpraxis" des
Bundesverwaltungsgerichts als höherer Instanz. Das steht in einem
gestern publizierten Grundsatzentscheid. Konkret geht es um einen
Afghanen, den das BFM zurückschicken wollte. Mit der
Begründung, die Bevölkerung in Afghanistan sei nicht konkret
gefährdet. Das Bundesverwaltungsgericht sieht das anders,
hält eine Ausweisung dorthin für unzumutbar.
"Belastung der Bundeskasse"
Auch in anderen Fällen, bei der Wegweisung von Kurden in die
türkischen Ostprovinzen und von ethnischen Minderheiten nach
Kosovo, weiche das Bundesamt für Migration bewusst von der Praxis
des Bundesverwaltungsgerichts ab, moniert dieses. Dem BFM komme
allerdings kein Ermessensspielraum zu. Beim BFM stellt man sich
demgegenüber auf den Standpunkt, die Länderliste und die
Lageanalysen des Gerichts seien nicht verbindlich. Das Gericht sei
Beschwerdeinstanz, nicht aber Aufsichtsorgan des BFM.
Das Bundesverwaltungsgericht wiederum kritisiert, die Praxis des
BFM sei "unhaltbar", gerade auch, was die Rechtsgleichheit betreffe. Ob
jemand in ein möglicherweise gefährliches Land abgeschoben
werde, hänge einzig und allein davon ab, ob er Beschwerde
einreiche. Zudem provoziere das BFM "eine Vielzahl unnötiger
Rechtsmittelverfahren", die alle mit dem Gutheissen der Beschwerde
endeten. Das sei auch eine "sachlich nicht zu rechtfertigende Belastung
der Bundeskasse".
Das Bundesverwaltungsgericht verweist in seinem Urteil auch auf
eine Untersuchung des BFM, wonach etwa die Hälfte der
Asylbeschwerden sich auf eine bewusst unterschiedliche Praxis zwischen
Amt und Beschwerdestelle beziehe. Im Klartext: Das BFM ist offenbar
viel strenger als das Bundesverwaltungsgericht.
Im Fall des Afghanen heisst das Bundesverwaltungsgericht die
Beschwerde gut. Das BFM wird angewiesen, den Mann vorläufig
aufzunehmen und ihm eine Entschädigung von 1600 Franken zu zahlen.
Asyl bekommt er aber so oder so nicht: Seine Geschichte gilt als nicht
glaubwürdig. Er hatte 2006 geltend gemacht, er habe in Afghanistan
heimlich Sex mit einem Mädchen gehabt. Als die Familie davon
erfahren habe, sei er geflüchtet. Die Angehörigen des
Mädchens hätten ihm mit dem Tod gedroht.
Künftig mehr Aufnahmen
Eveline Gugger, Vizedirektorin im BFM, sagt auf Anfrage, dem Amt
liege der Entscheid noch nicht vollständig vor. "Aber die
Feststellungen, die das Bundesverwaltungsgericht hier macht und die in
dieser Massierung gravierend sind, müssen wir ganz genau
prüfen und unsere Schlüsse daraus ziehen." Tendenziell
töne das "nach mehr vorläufigen Aufnahmen in Zukunft". Denn
in gleich gelagerten Fällen wie jenem des Afghanen würden die
Betreffenden künftig vorläufig aufgenommen.
Im Übrigen, hält Gugger fest, würden 80 Prozent
der Entscheide des BFM vom Bundesverwaltungsgericht gestützt. "Wir
haben sicher keine flächendeckende Differenz."
---
BZ 23.12.10
Gericht übt Kritik am Bundesamt für Migration
Wegweisungspraxis Das Bundesamt für Migration (BFM) muss
sich für seine Praxis bei Wegweisungen in Risikoländer vom
Bundesverwaltungsgericht harsche Kritik gefallen lassen.
Das BFM wird aufgefordert, bei der Gefahrenbeurteilung
künftig den Vorgaben des Gerichts zu folgen. Das
Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise die frühere
Asylrekurskommission erachten die Wegweisung abgewiesener Asylbewerber
in bestimmte Länder oder Regionen als unzumutbar. Im Widerspruch
zu dieser sogenannten Länderpraxis hat das BFM auf Basis eigener
Analysen mehrfach trotzdem Wegweisungen verfügt. So unter anderem
auch gegenüber einem Afghanen aus der Bergregion Hazarajat im
Zentrum des Landes. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Beschwerde des
Mannes nun gutgeheissen und seine Wegweisung als unzumutbar aufgehoben.
Das Gericht hat den Fall zum Anlass genommen, um das BFM in die
Schranken zu weisen.
Die Richter in Bern fordern das BFM im Urteil in ungewohnt
deutlicher Art und Weise auf, bei der Länderbeurteilung
künftig nicht mehr aus der Reihe zu tanzen und sich den Vorgaben
des Gerichts zu fügen. Das BFM halte sich des Öftern bewusst
nicht an die publizierte Länderpraxis des gerichtsinternen
Expertenteams. Neben Afghanistan betreffe dies etwa die Wegweisung von
Kurden in die türkischen Ostprovinzen oder von Angehörigen
ethnischer Minderheiten nach Kosovo. Für eine eigene Beurteilung
der Zumutbarkeit von Wegweisungen durch das BFM, die der Praxis des
Gerichts widerspreche, sei aber kein Raum.
sda
---
NZZ 23.12.10
Migrationsamt schwer gerügt
Gerichtliche Länderbeurteilung für Asylentscheide
verbindlich
Das Bundesamt für Migration hält sich bei
Asylentscheiden öfters nicht an die Beurteilung der Lage im
Herkunftsgebiet durch das Bundesverwaltungsgericht. Dieses hält
nun dezidiert fest, dass solche Abweichungen widerrechtlich sind.
C. W. · Die Frage, ob die Rückkehr eines abgewiesenen
afghanischen Asylsuchenden in die Region Hazarajat zumutbar sei, hat
das Bundesverwaltungsgericht zu einem Grundsatzurteil veranlasst, das
nicht nur die konkrete Praxis des Bundesamts für Migration (BfM),
sondern auch dessen Haltung zu rechtsstaatlichen Grundregeln klar
kritisiert.
Wie früher die Asylrekurskommission hat das
Bundesverwaltungsgericht in zahlreichen Entscheiden festgehalten, in
jener Region herrsche eine Situation allgemeiner Gewalt, der Vollzug
von Wegweisungen sei nicht zumutbar. Das BfM teilt zwar heute offenbar
diese Sicht der Dinge, hatte die Lage aber in vielen Fällen anders
beurteilt. Auch die Wegweisung von Kurden in die Osttürkei und von
Angehörigen ethnischer Minderheiten nach Kosovo wurde teilweise in
bewusster Abweichung von der Praxis der übergeordneten Instanz als
zumutbar erachtet. Das Bundesamt bezeichnet die Länderbeurteilung
der Beschwerdeinstanz als wichtigen Orientierungspunkt ohne bindende
Wirkung.
Das Bundesverwaltungsgericht hält fest, dass ihm die
Befugnis, sogar die Pflicht zukommt, die Fälle umfassend zu
prüfen. Es könne der Vorinstanz die Wahl unter mehreren
angemessenen Lösungen überlassen und solle nicht ohne
Notwendigkeit von der Auffassung einer Stelle abweichen, die ein ganz
spezifisches Fachwissen besitze. Die auf Asylfragen spezialisierten
Abteilungen des Gerichts verfügten aber, auch dank seiner
Dienststelle "Länderexpertisen" und der mit dem BfM gemeinsam
betriebenen Datenbank, über eine Fachkompetenz, die mit jener der
Verwaltung vergleichbar sei.
Die Meinung des Bundesamts, Rekursentscheide gälten nur
für den Einzelfall, führt laut Urteilsbegründung
zwangsläufig zu Ergebnissen, "die - im Kontext höchster
betroffener Rechtsgüter - unter dem Gesichtspunkt der
Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit als
offensichtlich unhaltbar bezeichnet werden müssen"; denn der
Schutz vor Wegweisung in eine potenziell gefährliche Situation
hänge allenfalls nur davon ab, ob die Betroffenen Beschwerde
erheben. Gleichzeitig werde eine Vielzahl unnötiger
Rechtsmittelverfahren provoziert. Rund die Hälfte aller
erfolgreichen Rekurse gehe darauf zurück, dass das BfM bewusst von
der Praxis des Gerichts abweiche.
Relativierend schreibt das Bundesverwaltungsgericht, das BfM
könne seine Praxis mit einlässlicher Begründung
ändern, wenn es mittelfristig die Lage in einem Land neu
beurteile. Auch auf eine dramatische Verschlechterung der Sicherheit
könne es reagieren. Zum Schluss heisst es aber, wenn das Bundesamt
die Praxis des Gerichts in Zukunft missachten sollte, könnten
solche Entscheide im vereinfachten Verfahren aufgehoben werden.
Vorbehalten bleibe auch eine Aufsichtsbeschwerde.
Die vorliegende Beschwerde und die gerügte Stellungnahme des
BfM stammen aus dem Jahr 2006. Das Bundesverwaltungsgericht liess sich
also Zeit, um auf das als alarmierend dargestellte Verhalten zu
reagieren.
Urteil E-5929/2006, 20. 12. 10. Publikation vorgesehen.
---
NLZ 23.12.10
Richter kanzeln Bundesamt ab
Migration
Das zuständige Amt foutiere sich um die Lage in
Risikoländern und setze sich über Empfehlungen hinweg. Diese
happigen Vorwürfe kommen von Bundesrichtern.
Karl Fischer
karl.fischer@luzernerzeitung.ch
Alard du Bois-Reymond, seit Anfang Jahr Chef des Bundesamtes
für Migration, ist eine umstrittene Persönlichkeit. Der
frühere Chef der Invalidenversicherung und einst Delegierter des
Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), steht im Fadenkreuz
der Kritik. Im linken Lager hat er den Ruf, als "Hardliner" die
Asylpolitik des Bundes mit harter Hand umzusetzen. Bürgerliche
wiederum halten ihm vor, er handle zu nachsichtig, ja manchmal sogar
naiv. Für Unmut sorgte dieser Tage seine Idee,
rückkehrwilligen Nigerianern eine Heimkehrprämie von 6000
Franken zu geben. Das sei "die Dummheit des Jahres", zitierte das
Online-Portal des "Blicks" dazu beispielsweise den Aargauer
FDP-Nationalrat Philipp Müller.
Jetzt hat der Chefbeamte seinen Ruf als "Hardliner" sozusagen mit
juristischem Gütesiegel bestätigt erhalten. Das Bundesamt
für Migration wird nämlich vom Bundesverwaltungsgericht
heftig kritisiert. Es setze sich über verbindliche Vorgaben
hinweg, lautet der happige Vorwurf.
"Unzumutbarer Entscheid"
Konkret ging es um die Beurteilung des Falles eines Afghanen aus
der Bergregion Hazarajat, dessen Asylgesuch vom Bundesamt für
Migration im Jahre 2006 abgelehnt und zugleich dessen Wegweisung
verfügt wurde. Der Abgewiesene war damit nicht einverstanden und
gelangte an die damalige Asylrekurskommission, die 2007 im
Bundesverwaltungsgericht aufgegangen ist. Das nun zuständige
Gericht hat jetzt die Beschwerde des Mannes gutgeheissen und die
angeordnete Wegweisung aufgehoben. Ein solcher Entscheid sei
"unzumutbar", argumentieren die Richter. Und sie machen aus ihrem
Ärger keinen Hehl, das Bundesamt für Migration habe wider
besseres Wissen so gehandelt.
Empfehlungen missachtet
Im Verlauf des Verfahrens hatte der Instruktionsrichter der
Asylrekurskommission das Bundesamt nämlich darauf hingewiesen,
dass gemäss der Länderpraxis Wegweisungen in die fragliche
Region Hazarajat grundsätzlich unzumutbar seien. Doch das Amt
stellte sich auf den Standpunkt, solche Hinweise seien zwar wichtige
Orientierungspunkte, hätten aber keinen verbindlichen Charakter.
Das sehen die Bundesrichter völlig anders. Die in der
sogenannten Länderpraxis des Bundesverwaltungsgerichtes
enthaltenen Vorbehalte seien keine unverbindliche Orientierungshilfe,
sie seien vielmehr zu berücksichtigen. Es gebe keinen
Ermessensspielraum, was zumutbar sei oder nicht. Unzumutbar findet das
Bundesverwaltungsgericht beispielsweise derzeit die Rückschaffung
von Kurden in die türkischen Ostprovinzen oder die Wegweisung
ethnischer Minderheiten in den Kosovo.
Gericht greift korrigierend ein
Weiter kritisieren die Bundesrichter, weil sich das Bundesamt die
Freiheit eigener Beurteilungen herausgenommen habe, provoziere es eine
Vielzahl von Rekursen, die angesichts der klaren Lage sehr oft
gutgeheissen würden. Dies bringe dem Gericht nicht nur Mehrarbeit,
sondern dem Staat auch zusätzliche Kosten.
Zudem widerspreche die Praxis auch elementaren Grundsätzen
der Rechtsgleichheit, betonen die Richter: Ob ein abgewiesener
Asylbewerber letztlich in eine lebensgefährliche Situation
ausgewiesen werde, hänge einzig davon ab, ob die betreffende
Person gegen den Entscheid Beschwerde einreiche. Das aber sei aus
Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit unhaltbar.
Letzte Mahnung erlassen
Für eigene Beurteilungen der Zumutbarkeit einer Wegweisung
durch Beamte gebe es somit keinen Spielraum, lautet das Fazit des
Gerichts. Sollte das Bundesamt die Länderpraxis weiterhin
missachten, werde das Gericht solche Verfügungen nicht nur
aufheben, es behalte sich auch eine Aufsichtsbeschwerde gegen das
Bundesamt vor.
Gegenüber der Nachrichtenagentur SDA erklärte Eveline
Gugger Bruckdorfer, Vizedirektorin des Bundesamtes, man werde das
Urteil "eingehend prüfen". Jeder Fall sei aber ein Einzelfall. Es
sei daher nicht auszuschliessen, dass man in einem bestimmten Fall
wieder zu einer anderen Lagebeurteilung kommen werde als das Gericht.
---
Südostschweiz 23.12.10
Richter rüffeln das BFM
Das Bundesamt für Migration (BFM) muss sich künftig
strikt an die Länderpraxis des Bundesverwaltungsgerichts halten.
Dieses duldet nicht mehr, dass Asylsuchende weggewiesen werden, wenn
sie in ihrem Heimatland gefährdet sind.
Von Urs-Peter Inderbitzin
Bern. - Lehnt das BFM ein Asylgesuch ab, verfügt es in der
Regel die Wegweisung des Betroffenen aus der Schweiz. Ist ein
Asylsuchender jedoch konkret gefährdet, weil in seinem Heimat-
oder Herkunftsland Krieg, Bürgerkrieg oder Gewalt herrscht oder
eine medizinische Notlage besteht, ordnet das Amt die vorläufige
Aufnahme an. Dazu haben die frühere Asylrekurskommission und das
Bundesverwaltungsgericht eine sogenannte Länderpraxis erarbeitet,
die Länder bezeichnet, in die eine Wegweisung nicht zulässig
ist.
Länderpraxis bewusst missachtet
In letzter Zeit hat sich das BFM immer wieder nicht an diese
Länderpraxis gehalten und Asylbewerber in Länder
zurückschickt, die eigentlich tabu sind. Zuletzt im Fall eines
Afghanen aus der Provinz Ghazni der Ethnie Hazara. Das Bundesamt
befand, die Rückkehr des Mannes sei zumutbar, weil dieser in
seiner Heimatre- gion über ein Beziehungsnetz ver- füge und
die Region Hazarajat im afghanischen Vergleich zu den sicheren Gebieten
gehöre.
Unnötige Kosten
Diese erneute Missachtung der Länderpraxis hat das
Bundesverwaltungsgericht nun massiv verärgert. Die Richter in Bern
werfen dem Bundesamt vor, mit ihrem Vorgehen eine Vielzahl
unnötiger Rechtsmittelverfahren zu provozieren. Diese Verfahren,
die allesamt mit einer Gutheissung der Beschwerde endeten, würden
die Bundeskasse erheblich und unnötig belasten. Deshalb verlangen
die Richter nun, dass das BFM die Länderpraxis künftig strikt
beachtet.
Nur dann, wenn sich die Lage "massgeblich und dauerhaft"
verändert hat, kann das Bundesamt ein Pilotverfahren anstrengen
und eine Praxisänderung beantragen. Auch wenn sich die
Sicherheitslage in einem Herkunftsland schnell und dramatisch
verschlechtert, ist ein Abweichen von der Länderpraxis
zulässig. Im konkreten Fall hat das Bundesverwaltungsgericht die
Beschwerde des Afghanen gutgeheissen. Er wird nicht in sein Heimatland
weggewiesen. Das Gericht ordnete seine vorläufige Aufnahme an.
Urteil E_5929/2006 vom 20. Dezember
---
Le Temps 23.12.10
"On les traitait comme des sacs de patates"
Valérie de Graffenried
Isabelle a participé à un vol spécial
chargé de l'expulsion de force de quatre requérants
déboutés vers le Nigeria. Choquée par le manque de
transparence qui entoure ces opérations, elle a choisi de
témoigner. Les requérants sont ficelés durant
toute la durée du vol à leur siège, raconte-t-elle
"On les traite comme des sacs de patates, pas comme des
êtres humains." Isabelle*, la trentaine, a fait partie de
l'équipage d'un vol spécial chargé d'expulser de
force des requérants d'asile déboutés.
C'était vers le Nigeria, en 2006. Elle a aussi assisté
à plusieurs scènes d'embarquement, où les
requérants, pieds et poings liés, et donc totalement
immobilisés, sont hissés dans les avions, tant bien
que mal. Choquée, Isabelle a décidé de ne plus
exécuter ce genre de mission. Elle accepte aujourd'hui de
témoigner "pour que la transparence soit faite sur ces vols
controversés".
"Le vol, avec quatre Nigérians et trois à quatre
policiers par requérant, s'est en soi plutôt bien
passé. Les requérants étaient calmes. Dès
que l'un d'eux criait, le "chef" - il y avait une sorte de
hiérarchie entre eux - leur demandait de se taire. Mais la
manière dont ils sont attachés est horrible: ils ont des
liens aux pieds et aux mains et sont, pendant toute la durée du
vol, ficelés à leur siège, les bras bloqués
derrière. On leur met aussi un casque de boxeur sur la
tête. Pour qu'ils ne se blessent pas.
"Ils sont déjà "préparés" ainsi
à la prison. Il arrive qu'aux toilettes de la prison, ils
s'enduisent de leurs excréments, pour ne pas être
expulsés. Là, ce n'était pas le cas. Sur le
tarmac, la montée des escaliers est dure à voir. Comme
ils sont immobilisés par leurs entraves, on les tire, on les
pousse comme des sacs de pommes de terre, pour les faire monter dans
l'avion.
"Le nôtre, un petit appareil de moins de 50 places, a
dû, avant Lagos, faire escale à Tamanrasset
(Algérie), pour le carburant. Au retour, nous avons passé
une nuit au Bénin. La compagnie aérienne pour laquelle je
travaillais transportait souvent des équipes de football avec
des "stars africaines" que les Européens courtisent. Là,
le contraste était saisissant. J'ai eu le sentiment d'assister
à des scènes de déportations, qui
réveillent de tristes souvenirs.
"Bien sûr, ces personnes doivent quitter la Suisse car
elles sont en situation illégale. Mais c'est la méthode
qui me dérange. Et surtout le fait que les autorités
cachent ce qui se passe à l'opinion publique. Au moins, avec les
experts indépendants promis par l'Office fédéral
des migrations (ODM), il devrait y avoir une certaine surveillance.
"Ces vols engendrent beaucoup de stress. On doit s'attendre
à tout jusqu'au dernier moment: les requérants arrachent
parfois les tablettes des sièges pour se rebeller; et le pays de
destination peut au dernier moment refuser de reprendre ses
ressortissants. Les autorisations d'atterrissage fournies ne
garantissent rien.
"Dans notre avion, en plus des Nigérians, des policiers et
des trois membres de l'équipage, il y avait un
représentant de l'ODM, un des Affaires étrangères
et trois de l'ambassade du Nigeria. Le diplomate suisse m'a dit que le
vol aurait probablement été annulé si, la veille,
une partie des fonds Abacha n'avait pas été
restituée au Nigeria. Ces vols sont non seulement chers - le
nôtre a coûté environ 100 000 francs, salaires non
compris - et inhumains mais ils cachent parfois aussi des arrangements
politiques. J'ai aussi vu une grosse chaîne Hifi. Un "cadeau",
m'a-t-on dit. Pour qui? Je n'ai pas vraiment compris. Autre chose
bizarre: tous les policiers avaient des visas nigérians. Ils
n'en avaient pourtant pas besoin: nous, comme membres
d'équipage, n'en avions pas.
"Stressés, les quatre Nigérians n'ont rien
mangé pendant le vol. Ils transpiraient à grosses gouttes
sous leur casque, et l'un d'eux a même refusé de boire
pendant les neuf heures qu'a duré de trajet. Nous ne leur
donnons rien automatiquement: s'ils veulent quelque chose - des
boissons froides et un plateau-repas sans couverts -, ils doivent
d'abord passer par les policiers. Un médecin? Il n'y en avait
pas. Cela m'aurait pourtant rassurée. J'étais vraiment
inquiète pour la sécurité: qu'aurions-nous fait en
cas de problème avec des personnes attachées de la sorte?
Comment aurions-nous pu leur mettre des gilets de sauvetage et masques
à oxygène? Ils auraient grillé comme des poulets
sur leur broche.
"Les toilettes? Ils peuvent en général y aller.
Mais on ne leur desserre pas les liens. Et un policier les accompagne.
Il leur défait le pantalon; la porte reste à
moitié ouverte. C'est humiliant.
"A Lagos, des fonctionnaires nigérians attendaient
à la descente de l'avion. Ils ont contrôlé tous les
papiers et les quatre Nigérians sont sortis en "hommes libres"
de l'appareil: on leur a enlevé les liens à
l'intérieur. Ils n'ont opposé aucune résistance.
Mais tout ne se passe pas toujours aussi bien. Au retour - les
représentants de l'ambassade du Nigeria ne sont pas
rentrés avec nous -, les policiers ont
décompressé; le vol a pris un air de vacances. Je sais
que dans certains avions, ils trinquent au champagne. Mais dans le
mien, il n'y avait pas d'alcool. Cette attitude peut paraître
malsaine pourtant je la comprends: je n'aime pas
particulièrement les policiers, mais là, je dois admettre
qu'ils ont agi en professionnels pendant leur mission. Une fois qu'elle
est accomplie, ils ont besoin d'évacuer le stress
accumulé, ravis que tout ce soit déroulé sans
dérapages. Et les dérapages, comme l'a montré la
mort d'un Nigérian sur le tarmac de l'aéroport de Zurich
en mars dernier, peuvent arriver très vite."
*Prénom fictif.
---
Tagesschau 22.12.10
Bundesverwaltungsgericht rügt Bundesamt für Migration
Das Bundesamt für Migration wurde wegen seiner Praxis bei
Wegweisungen in Risikoländer gerügt. 2006 wurde ein Afghane
abgewiesen, obwohl die Ausschaffung nach Afghanistan als unzumutbar
gilt.
http://videoportal.sf.tv/video?id=0437bffd-708e-405b-96d2-f81406326311
---
Blick am Abend 22.12.10
"Nicht alle kriegen Geld"
RÜCKSCHAFFUNG
Die Hilfe von 6000 Franken für Nigerianer ist an harte
Auflagen geknüpft .
Bis zu 6000 Franken kann ein abgewiesener Asylbewerber aus
Nigeria beim Bund abholen, wenn er freiwillig zurückkehrt. Diese
Regelung des Bundesamts für Migration sorgte für
Empörung (Blick am Abend berichtete).
Das Bundesamt will nun die Wogen glätten und
präzisiert, dass insbesondere rechtskräftig Verurteilte oder
auch solche in Ausschaffungshaft kein Geld erhielten. "Jedes Dossier
wird einzeln geprüft", sagt Marie Avet zu Blick am Abend.
Ob sich unter den rückkehrwilligen Nigerianern auch solche
befinden, die Drogenhandel betrieben, müsste aus den jeweiligen
Dossiers hervorgehen. Wer keinen Vermerk hat, kann einen Antrag
stellen. 1000 Franken Grundbetrag erhält jeder freiwillige
Rückkehrer. "Nicht jeder aber erhält 6000 Franken
zusätzlich, das ist einfach der Maximalbetrag", erklärt Avet.
Die Rückkehrer müssen glaubhaft nachweisen, dass sie
mit dem Geld in ihrer Heimat eine Ausbildung starten oder zum Beispiel
ein eigenes Geschäft. "Dafür müssten sie mindestens
einen Businessplan vorweisen können."
Zu Hause in Nigeria würden die ehemaligen Asylbewerber von
einer internationalen Organisation in Empfang genommen. Diese
überwache, so Avet, ob sie das Geld entsprechend der Abmachung
einsetzen würden. 1800 Nigerianer stellten 2009 ein Asylgesuch in
der Schweiz; im selben Jahr wurde nur gerade eines bewilligt. mip
---
BZ 21.12.10
Ausschaffung: Zahl der Häftlinge hat sich verdoppelt
Kanton BernInnert drei Jahren hat sich in Berner
Gefängnissen die Zahl jener Ausländer, die zur
Rückführung oder Identitätsabklärung inhaftiert
sind, verdoppelt.
Die Zahl der zur Rückführung oder zur
Identitätsabklärung inhaftierten Ausländerinnen und
Ausländer hat sich in den letzten drei Jahren im Kanton Bern mehr
als verdoppelt - von 330 im Jahr 2007 auf 668 im laufenden Jahr. Dies
geht aus der Erhebung des kantonalen Migrationsdienstes hervor.
Verdoppelt hat sich zwischen 2007 und 2009 auch die Zahl der
Verpflegungstage: Damit ist die Summe aller Tage gemeint, die jene
Personen in Haft verbringen mussten. In dieser Erhebung sind nur jene
Personen mitgerechnet, welche einst als Asylsuchende dem Kanton Bern
zugewiesen wurden. Diese Verteilung der Asylsuchenden durch den Bund
erfolgt nach seit Jahren unverändertem Verteilschlüssel.
Die Verdoppelung der Ausschaffungshafttage im Kanton Bern ist in
Anbetracht dieses für alle Kantone geltenden
Verteilschlüssels erstaunlich: Die massive Zunahme fand nur in
Bern statt.
Schweizweit und explizit auch im Kanton Zürich stagnieren
die Zahlen. Im Kanton Zürich ist die Zahl der Verpflegungstage
bezogen auf jene Ausländergruppe gar rückläufig. Die
für diese Zahlen zuständigen Behörden haben keine
schlüssige Erklärung für das Berner Phänomen
gefunden.
Der massive Anstieg der Zahlen in Bern sagt nichts aus über
die Qualität der Ausschaffungspraxis der kantonalen Behörde.
Der Anstieg ist hingegen brisant vor dem Hintergrund, dass die Berner
Gefängnisse seit einiger Zeit heillos überfüllt sind. So
sind etwa im Berner Regionalgefängnis seit Monaten zehn Notbetten
im Dauereinsatz (wir haben berichtetet).
Der Ausländeranteil in den Haftinstitutionen ist generell
gross: Zurzeit sind zum Beispiel in den Berner
Regionalgefängnissen im Durchschnitt insgesamt 17 Prozent aller
Insassen Ausländer, die inhaftiert sind zwecks Ausschaffung oder
einfach weil sie ihre Identität nicht preisgeben. ma Seite 15
--
Mehr illegale Einwanderer
Kanton BernIn ihrer Antwort auf eine Interpellation stellt die
Berner Regierung eine Zunahme der illegalen Einwanderer im Kanton Bern
fest.
Der Berner Grossrat Lars Guggisberg (SVP, Ittigen) macht sich
Sorgen wegen illegaler Einwanderung im Kanton Bern. In einer
Interpellation stellte er dem Regierungsrat eine ganze Reihe von
Fragen. In ihrer Antwort bestätigt die Polizeidirektion (POM),
dass die Zahl der im Kanton Bern illegal anwesenden Ausländer
stark zugenommen hat. Im Jahr 2008 hat das Bundesamt für Statistik
in diesem Zusammenhang 901 Straftatbestände registriert, 2009
waren es mit 1190 Fällen 32 Prozent mehr. Im ersten halben Jahr
2010 wurden 692 gezählt. In jenen Bereichen, in denen sich illegal
eingewanderte Personen erfahrungsgemäss vermehrt aufhielten, bilde
die Polizei deshalb "operative Schwerpunkte", schreibt die POM. Und
"soweit möglich" würden die illegal Anwesenden im Rahmen des
Dublin-Verfahrens "konsequent in ihre Erstasylländer"
zurückgeführt.
Kampf gegen Scheinehen
In "mehreren Dutzend Fällen jährlich" wird im Kanton
Bern vertieft abgeklärt, ob eine Scheinehe vorliegen könnte.
Im ersten Halbjahr 2010 hat das Amt für Migration und
Personenstand 45 Befragungen durchgeführt. Doch nur gerade "in
einem halben Dutzend Fällen pro Jahr" werde in diesem Zusammenhang
eine ausländische Person aus der Schweiz weggewiesen, schreibt die
Regierung in ihrer Antwort.
Auch den missbräuchlichen Familiennachzug thematisierte
Guggisberg in seiner Interpellation. Nun erfährt er von der
Polizeidirektion, dass das Amt für Migration und Personenstand im
letzten Jahr 26 Familiennachzugsgesuche formell abgewiesen hat, weil
die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt waren oder weil die
Berufung auf den grundsätzlichen Rechtsanspruch
"missbräuchlich erfolgt" sei. Laut der POM kommt es seit der
Visumsbefreiung immer wieder vor, dass serbische, mazedonische und
montenegrinische Staatsangehörige "scheinbar nur für einen
vorübergehenden Aufenthalt in den Schengen-Raum einreisen und dann
in der Schweiz ein Gesuch zum dauerhaften Verbleib beim Ehepartner oder
bei den Eltern stellen". Laut Gesetz müssten solche Gesuche aber
im Ausland gestellt werden.
Milde Verwaltungsjustiz
In den ersten sechs Monaten dieses Jahres habe das Amt 14 Gesuche
abgewiesen. Doch ein relativ hoher Anteil der Beschwerden werde jeweils
von der nächsthöheren Instanz gutgeheissen. Dies führt
die POM darauf zurück, dass die Verwaltungsjustiz bei
Rechtsfragen, die sich auf die Verhältnismässigkeit
stützen, "einen milderen Massstab ansetzt als die erste
Verwaltungsinstanz".
Susanne Graf
--
Ausschaffungshaft: Ein Grund, weshalb Berner Gefängnisse heillos
überfüllt sind
Kanton Bern Innert drei Jahren hat sich die Zahl der
Ausländer, die in Haftzellen im Kanton auf die Wegweisung warten,
verdoppelt. Merkwürdigerweise ist das in Zürich und auch
schweizweit anders. Ebenfalls merkwürdig: Keine Behörde kann
das Berner Phänomen erklären.
Massiv habe in den letzten drei Jahren die Zahl der
Ausländer zugenommen, die in Berner Gefängnissen auf die
Rückführung in ihre Heimat oder die Abklärung ihrer
Identität warten, sagt Beat Jost, stellvertretender Vorsteher des
kantonalen Amtes für Freiheitsentzug.
Die Erhebung des kantonalen Migrationsdienstes zeigt, dass Jost
nicht übertreibt: 2007 warteten im Kanton Bern insgesamt gerade
mal 330 Ausländer hinter Gittern auf die Ausschaffung oder
Abklärung der Identität. Letztes Jahr waren es schon fast
doppelt so viele, nämlich 645. Und im laufenden Jahr stieg die
Zahl gar auf 668 an. Auch die durchschnittliche Haftdauer hat
zugenommen (siehe Text rechts). Mitgerechnet hat der kantonale
Migrationsdienst nur Asylsuchende, die vom Bund nach einem seit vielen
Jahren unveränderten Verteilschlüssel dem Kanton Bern
zugeteilt wurden. Die Verdoppelung der Zahlen ist problematisch: Denn
in Berns Gefängnissen herrscht akute Platznot. Notbetten stehen im
Dauereinsatz.
Warum nur in Bern?
Die Ursache für diese Zunahme in Bern ist merkwürdig:
Sie ist nämlich gesamtschweizerisch nicht feststellbar. Das zeigt
die Erhebung des Bundesamtes für Statistik (BfS). Das BfS erhebt
sie nur einmal jährlich an einem Stichtag. Sie sind deshalb mit
Vorsicht zu geniessen. Doch auch die Vollerhebung des Kantons
Zürich zeigt: Im selben Zeitraum, in dem sich die Zahlen in Bern
verdoppelt haben, sind sie in Zürich kaum gestiegen. Die Summe der
Gefängnisverpflegungstage der zur Rückführung oder
Identitätsabklärung inhaftierten Ausländer ist in
Zürich sogar rückläufig . Immerhin sind in Zürich -
in absoluten Zahlen gesehen - mehr Personen in Ausschaffungshaft als in
Bern.
Behörden fehlt die Übersicht
Die Angelegenheit noch merkwürdiger macht folgender Umstand:
Keine Behörde, die in irgendeiner Form mit Zahlen zu
Ausschaffungen zu tun hat, findet eine plausible Erklärung
für die Zunahme der Ausschaffungshafttage in Bern - weder das
kantonale Amt für Freiheitsentzug noch das Bundesamt für
Statistik. Einen Erklärungsansatz haben zwar der kantonale
Migrationsdienst und Berner Polizeidirektor Hans-Jürg Käser.
Auch Käsers Vermutung ist aber nicht schlüssig. Man
verzeichne mehr Personen in Ausschaffungshaft wegen der sogenannten
Dublin-Fälle, glaubt der Polizeidirektor. Diese Erklärung
bezieht sich auf das EU-Abkommen von Dublin, das 2008 in Kraft getreten
ist. Das Abkommen besagt, dass die Schweiz Asylsuchende, die bereits in
einem anderen europäischen Land einen Asylantrag stellten, direkt
wieder in dieses Land zurückführen darf. Gemäss
Käser kann das zu mehr Ausschaffungshafttagen führen. Dass
sich das Rätsel aber nicht so einfach beantworten lässt,
zeigen schon seine eigenen Worte: "Dies müsste aber auch in andern
Kantonen der Fall sein." Das ist aber eben gerade nicht der Fall, wie
die Zahlen aus Zürich zeigen.
Ein weiterer Erklärungsversuch des Polizeidirektors: Die
Zahl der tatsächlich erfolgten Ausschaffungen im Kanton Bern sei
auch stark gestiegen. Und: "Der Stopp der Sonderflüge hat uns im
Vollzug gebremst, noch immer warten wir auf die Wiederaufnahme der
Sonderflüge nach Nigeria." Auch hier fehlt die Begründung,
weshalb dies nur in Bern, nicht aber in Zürich zu einer massiven
Zunahme der Ausschaffungshaft führt.
Unterschiedliche Praxis
Käser hält überdies fest, dass Berner
Regionalgefängnisse aus verschiedenen Gründen viele
Auszuschaffende aus anderen Kantonen beherbergen müssen.
Allerdings: All diese auswärtigen Fälle sind in der Erhebung
des Migratonsdienstes gar nicht miteingerechnet. Am ehesten trifft wohl
noch der vieles offen lassende Erklärungsansatz Käsers zu:
"Die Kantone haben im Vollzug der Wegweisungen unterschiedliche Praxen,
unterschiedliche Bedingungen und Möglichkeiten, Personen in Haft
zu nehmen."
Mischa Aebi
--
17 Prozent Ausländer
17 Prozent der Insassen in Berner Regionalgefängnissen sind
Ausländer, die im Zusammenhang mit der Ausschaffung oder wegen der
Abklärung ihrer Identität inhaftiert sind.
Im Schnitt waren die Berner Regionalgefängnisse im Jahr 2009
zu 17 Prozent mit Ausländern belegt, die ausgeschafft werden
sollen oder die ihre Identität nicht preisgeben wollen.
In dieser Prozentzahl sind allerdings auch jene zur Ausschaffung
stehenden Ausländer mitgezählt, welche zwar in Berner
Regionalgefängnissen untergebracht, aber eigentlich anderen
Kantonen zugeteilt sind.
Auch Belegung verdoppelt
Nicht nur die Zahl der im Kanton Bern zwecks Ausschaffung oder
Abklärung der Identität inhaftierten Ausländer hat sich
in den letzten drei Jahren verdoppelt (siehe Haupttext). Auch die
Gesamtzahl der Tage, welche diese Personen in Berner Gefängnissen
absitzen mussten, ist sprunghaft angestiegen - von 12 400 (im Jahr
2007) auf 30 100 (2009).
Die drei Haftarten
Nach Gesetz gibt es drei Haftarten, die direkt oder indirekt zur
Rückführung von Ausländern dienen. In den Zahlen im
Haupttext sind alle aufaddiert.
Ausschaffungshaft: Wurde einer Person ein erstinstanzlicher
Ausweisungsentscheid eröffnet, kann die Behörde die Person in
Ausschaffungshaft setzen, falls Gefahr besteht, dass die Person
untertauchen würde.
Durchsetzungshaft: Hat eine Person ihre Pflicht zur Ausreise
innerhalb der ihr angesetzten Frist nicht erfüllt, so kann sie die
Behörde in Durchsetzungshaft setzen, um "der Ausreisepflicht
Nachhaltigkeit zur verschaffen". So steht es im Gesetz.
Vorbereitungshaft: Sie kann unter anderem dann angeordnet werden,
wenn eine asylsuchende Person sich weigert, ihre Identität
offenzulegen.
---
Bund 21.12.10
Im Kanton Bern werden mehr illegale Einwanderer gefasst
Seit die Schweiz zum Schengen-Raum gehört, hat die illegale
Einwanderung offenbar stark zugenommen.
Mit dem Beitritt zum Schengen-Abkommen sind auch an der Schweizer
Grenze Ende 2008 die Personenkontrollen weggefallen. Nach knapp zwei
Jahren interessierten nun SVP-Grossrat Lars Guggisberg aus Ittigen die
Auswirkungen auf den Kanton Bern. In einer Interpellation stellte er
dem Regierungsrat zahlreiche Fragen dazu. Gestern wurden die Antworten
publiziert.
Deutlich wird daraus, dass die Zahl der illegalen Einwanderer
offenbar stark zunimmt. Das Bundesamt für Statistik hat im Jahr
2008 für den Kanton Bern noch 901 illegale Einreisen, Ausreisen
und Aufenthalte registriert. 2009 ist diese Zahl bereits auf 1190
gestiegen, was einer Zunahme von 32 Prozent entspricht. Im ersten
Halbjahr 2010 wurden bereits 692 derartige Straftatbestände
festgestellt. Geht es in diesem Tempo weiter, verzeichnet der Kanton
Bern bis Ende dieses Jahres eine Zunahme von 54 Prozent seit Umsetzung
des Schengen-Abkommens.
Konsequente Ausschaffung
Ob der starke Anstieg auf vermehrte Kontrollen oder auf eine
tatsächliche Zunahme der illegalen Einwanderung in die Schweiz
zurückzuführen ist, geht aus der Interpellationsantwort nicht
hervor. Der Regierungsrat schreibt dazu lediglich: "Die Polizei bildet
Schwerpunkte in Bereichen, in denen sich illegal eingewanderte Personen
erfahrungsgemäss vermehrt aufhalten." Fasst die Kantonspolizei
illegale Einwanderer, so werden diese im Rahmen des Dublin-Verfahrens
"soweit möglich" konsequent in ihre "Erstasylländer"
ausgeschafft.(rw)
---
Bund 21.12.10
Ausschaffungen
200 Bewerbungen für Überwachungsmandat
Das Interesse an einem Auftrag für die Überwachung von
Ausschaffungsflügen ist gross: Auf ein Inserat des Bundesamtes
für Migration (BFM) gingen bis Ablauf der Frist Ende letzter Woche
rund 200 Bewerbungen ein. Aus Datenschutzgründen würden keine
Einzelheiten zu den Bewerbungen bekannt gegeben, sagte BFM-Sprecherin
Marie Avet. Wer den Auftrag erhält, werde nicht sofort
entschieden, auch wenn der Schengen-Vertrag ab dem 1. Januar 2011 eine
unabhängige Überwachung der Ausschaffungen vorsieht.(sda)
---
Blick 21.12.10
Kommentar
Die bessere Alternative
Irène Harnischberg Redaktorin Politik
irene.harnischberg@ringier.ch
Jeder nigerianische Asylbewerber, der freiwillig in seine Heimat
zurückgeht, erhält 1000 Franken bar auf die Hand, aber erst
in seinem Heimatland. Und dann gibt es zusätzliche maximal 6000
Franken. Wenn der heimgekehrte Nigerianer sich damit zum Beispiel eine
neue berufliche Existenz aufbauen oder eine Ausbildung finanzieren will.
Ja, 7000 Franken für jeden heimkehrenden Nigerianer, der
illegal in unserem Land war, das ist eine Menge Geld. Mir fallen ein
paar Dinge ein, die ich davon kaufen könnte. Aber darum gehts
nicht.
Es ist eine sinnvolle Lösung und die beste Initiative zu
einer Ausschaffung unter Zwang. Geht ein Asylbewerber nämlich
nicht freiwillig, entstehen Kosten für die Ausschaffungshaft, den
Sonderflug und die Begleitung auf dem Flug. Und diese Kosten sind dann
um einiges höher als diese Rückkehrhilfe.
Eines nur muss klar sein: Einmal zurück in seinem
Heimatland, darf der von uns finanziell Unterstützte nicht wieder
in die Schweiz zurückkehren.
Es darf natürlich nicht sein, dass ein "freiwillig"
Zurückgekehrter, kaum hat er das Geld aus der Schweiz, schon
wieder bei uns auf der Matte steht. Deshalb muss der Bund die Zahlung
der Rückkehrhilfe von präzisen und überprüfbaren
Angaben beziehungsweise Projekten abhängig machen.
Es wird sich Missbrauch nicht in jedem Fall verhindern lassen. Es
wird Leute geben, die mindestens einen Teil des Geldes aufwenden, um
zurück in die Schweiz zu kommen. Sie müssen wissen: Werden
sie dann erwischt, geht die Ausschaffung ganz schnell. Sie sind dann
keine Asylbewerber, sondern gewöhnliche Ganoven.
--
Rückkehr für 7000 Franken
Bern -
Für eine freiwillige Rückkehr nach Nigeria erhalten
Asylbewerber bis zu 7000 Franken. 1000 Franken gibt es als Starthilfe
bar auf die Hand. 6000 Franken sind an ein konkretes Projekt gebunden.
Sie können für den Aufbau einer neuen beruflichen Existenz,
den Kauf einer Wohnung oder eine Aus- oder Weiterbildung verwendet
werden. Für die 126 Nigerianer, die im kommenden Jahr definitiv in
ihre Heimat zurückkehren müssen, sind dies knapp 900 000
Franken. Zum Vergleich: Ein Sonderflug mit Ausschaffungshäftlingen
kostet bis zu 110 000 Franken.
---
Blick am Abend 20.12.10
6000 Franken für jede Rückkehr
AB JANUAR
6000 Franken erhalten Nigerianer, die freiwillig
zurückreisen. 126 müssen gehen.
fabienne.riklin@ringier.ch
Die nach einem Todesfall gestoppten Ausschaffungsflüge nach
Nigeria sollen im Januar wieder starten. Diesen Monat hat eine
Delegation aus Nigeria 126 abgewiesene Asylbewerber als Nigerianer
identifiziert. Sie haben nun die Möglichkeit, freiwillig und mit
6000 Franken Rückkehrhilfe in der Tasche auszureisen.
Tun sie es nicht, werden sie mit Sonderflügen ausgeschafft -
ohne Sackgeld.
FDP-Nationalrat Philipp Müller ist entsetzt: "Eine
Rückkehrhilfe in dieser Höhe ist die Dummheit des Jahres",
sagt er zu Blick am Abend. Sie sei absolut kontraproduktiv. "Es spricht
sich in Nigeria herum, und andere Leute stehen postwendend wieder hier
und kassieren ab", sagt Müller. Bereits während des Bosnien
und Kosovokriegs in den 90er-Jahren hätten Rückkehrer
Tausende Franken erhalten mit dem Resultat, dass noch mehr gekommen
seien.
Deshalb kritisiert Müller den Direktor des Bundesamtes
für Migration (BFM), Alard du Bois-Reymond, scharf: "Er macht
alles falsch, was man falsch machen kann."
Und spricht damit auch du Bois-Reymonds unbedarfte Aussage an -
praktisch alle Nigerianer gingen hier illegalen Geschäften nach -
mit der er fertiggebracht hat, dass bis heute keine
Rückschaffungen nach Nigeria möglich sind.
In der Frühjahrssession will Müller eine Motion
einreichen: "Allerhöchstens sollen die Rückkehrer 200 Franken
erhalten, schliesslich haben sie ein rechtsgültiges Verfahren
hinter sich."
Zustimmung erhält Müller von SVP-Nationalrat Hans Fehr:
"Die Rückkehrhilfe ist absolut übertrieben. Jeder, der sie
nicht ausnützt, ist ja ein Löli."
Für den Grünen-Nationalrat Geri Müller ist klar:
"Das Geld allein löst das Problem nicht. Innovative junge
Männer erleben, wie ihr Land durch die Ölkonzerne ausgebeutet
wird und sie selber vollkommen im Stich lässt. Deshalb ist
für sie klar: Wer aufsteigen will, muss dies im Norden probieren."
Geplant ist nun, dass alle drei Monate eine
Identifikationsdelegation aus Nigeria in die Schweiz kommt. Allein im
November reisten 224 Nigerianer als Asylbewerber in die Schweiz, seit
Anfang Jahr sind es rund 1800. Die meisten Gesuche lehnt das BFM ab.
2009 gewährte das BFM nur einem Fall Asyl.
---
Blick 20.12.10
126 Nigerianer müssen gehen
Ab Januar werden Asylbewerber aus Nigeria wieder mit
Sonderflügen ausgeschafft. Passagiere dafür hat es bereits
genug.
Anfang Dezember ist zum ersten Mal nach dem Tod eines
nigerianischen Asylbewerbers im März wieder eine Delegation aus
Nigeria in die Schweiz gereist. Ihr Auftrag: die Identität
nigerianischer Asylbewerber ohne Ausweispapiere zu prüfen.
126 Leute wurden eindeutig als Nigerianer identifiziert, wie
Marie Avet, Sprecherin des Bundesamtes für Migration (BFM), der
"NZZ am Sonntag" sagte. Jetzt haben die Identifizierten die
Möglichkeit, freiwillig auszureisen, mit 6000 Franken
Rückkehrhilfe in der Tasche. Tun sie es nicht, werden sie mit
Sonderflügen ausgeschafft - ohne 6000 Franken. Das ist ab Januar
wieder möglich. Die vielen Gespräche zwischen dem BFM und den
nigerianischen Behörden scheinen also etwas gefruchtet zu haben.
Geplant ist nun, dass alle drei Monate eine Identifikationsdelegation
aus Nigeria in die Schweiz kommt.
Sie werden noch alle Hände voll zu tun haben. Denn Nigeria
steht seit Monaten auf Platz eins der Asylstatistik. Allein im November
reisten 224 Nigerianer als Asylbewerber neu in die Schweiz ein, seit
Anfang Jahr sind es rund 1800. Die meisten der Gesuche werden
abgelehnt. 2009 gewährte das BFM nur gerade in einem Fall Asyl.
BFM-Direktor Alard du Bois-Reymond hatte im Frühling
für Aufregung gesorgt, als er sagte, die meisten der Nigerianer
kämen in die Schweiz, um "illegale Geschäfte zu machen".
Damals forderte er eine intensivere Mitwirkung der nigerianischen
Behörden. Offenbar mit Erfolg.
---
NZZ am Sonntag 19.12.10
126 nigerianische Asylbewerber stehen vor der Ausschaffung
Eine Behördendelegation aus Nigeria hat 126 abgewiesene
Asylbewerber als Nigerianer identifiziert. Diese müssen nun
ausreisen. Das Bundesamt für Migration wertet das als Erfolg.
Stefan Bühler
Im November hat die Schweiz mit Nigeria eine sogenannte
Migrationspartnerschaft abgeschlossen. Dabei wurde unter anderem
vereinbart, dass eine Behördendelegation aus Nigeria in die
Schweiz reisen soll, um hier nigerianische Asylbewerber ohne
Ausweispapiere auf ihre Identität hin abzuklären. Ziel ist
es, dass die Schweiz solche Personen nach Nigeria ausweisen und - wenn
nötig - ausschaffen kann. Wie Marie Avet, Sprecherin des
Bundesamts für Migration (BfM), auf Anfrage bestätigt, war im
Dezember erstmals eine Delegation aus Nigeria für zwei Wochen in
Bern. "Die Delegation hat 135 rückreisepflichtige Personen
abgeklärt, davon wurden 126 als nigerianische
Staatsangehörige identifiziert", erklärt Avet, "das ist eine
sehr gute Quote." Die Identifikation erfolgte in Gesprächen der
Asylbewerber mit der Delegation, dabei dienten der Dialekt, kulturelle
Fragen und Wissen über Nigeria als Anhaltspunkte. Bei den neun
Personen, die nicht als Nigerianer identifiziert wurden, sind weitere
Abklärungen geplant, um herauszufinden, welcher Nationalität
sie sind.
Für die 126 betroffenen Nigerianer bedeutet der Entscheid,
dass sie nun zuerst die Möglichkeit haben, selbständig nach
Nigeria auszureisen. Dabei können sie von Rückkehrhilfen bis
zu 6000 Franken profitieren und die Beratung der nigerianischen
Behörden in Anspruch nehmen. Verlassen sie die Schweiz nicht
freiwillig, folgt ihre Ausschaffung mit
Rückführungsflügen, die das BfM 2011 wieder aufnehmen
will.
Laut Avet haben in diesem Jahr bis Ende November knapp 1800
Nigerianer in der Schweiz um Asyl ersucht; für 1300 von ihnen ist
jedoch im Rahmen des Dublin-Abkommens ein anderer europäischer
Staat zuständig. Zurzeit befinden sich 684 Nigerianer in einem
laufenden Asylverfahren. Avet zufolge ist vorgesehen, dass "rund alle
drei Monate eine Identifikationsdelegation aus Nigeria in die Schweiz
kommt".
Der Besuch der Identifikationsdelegation steht für die
Entspannung des Verhältnisses zwischen der Schweiz und Nigeria,
das dieses Jahr erheblich belastet war: Im April hatte BfM-Direktor
Alard du Bois-Reymond im Interview mit der "NZZ am Sonntag" unter
anderem kritisiert, viele nigerianische Asylsuchende kämen nur in
die Schweiz, um illegalen Geschäften nachzugehen. Seine Aussagen
sorgten für diplomatische Verstimmung.
---
newsnetz 16.12.10
TV-Kritik: Von Gutmensch zu Hardliner
Michèle Binswanger
Alard du Bois-Reymond, oberster Asylchef der Schweiz, gilt je
nach Perspektive als Naivling oder Rassist, obschon selber mit einer
Afrikanerin verheiratet. Ein Dok-Film hat ihn im Job begleitet.
Mit dem Ja zur Ausschaffungsinitiative hat sich die Schweiz
offiziell für die harte Hand in der Asylpolitik ausgesprochen und
die Befürworter der Initiative dürften sich erfreut
zurücklehnen. Nicht so Alard du Bois-Reymond. Als oberster
Asylchef der Schweiz hat er den "härtesten Beamtenjob der Welt",
so heisst es im Film von Karin Bauer, die ihn ein Jahr lang mit der
Kamera begleitet hat. Schon vor einem Jahr trat der "Hardliner mit
Herz" seinen Job mit dem Vorsatz an, strengere Asylbestimmungen
durchzusetzen. Bald schon musste er aber feststellen, dass die Praxis
in Asylfragen wesentlich komplizierter ist, als es die Mehrheit des
Schweizer Stimmvolks gerne hätte - und als er selbst es sich wohl
vorgestellt hatte.
Kollateralschaden der Ausschaffungsmethoden
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit schreckte Reymond Medien und
Linke auf, als er einen Grossteil der nigerianischen Asylbewerber als
kriminell bezeichnete. Den Linken galt er darauf als Rassist. Dann
starb ein Nigerianer bei der gewaltsamen Ausschaffung.
Menschenrechtsaktivisten protestierten in Bern, die Beziehungen zu
Nigeria gerieten in Schieflage und Reymond geriet auch von rechts in
Bedrängnis.
Reporterin Karin Bauer will wissen, was das für den Chef des
Migrationsamtes bedeutet. Politisch und persönlich, denn
Bois-Raymond war am Tag der Ausschaffung dabei. Wie geht man mit einem
solch tragischen Ereignis um? Ein Schock sei es gewesen, sagt Reymond,
und dass er gedacht habe, Joseph simuliere bloss. Das Ganze sei ein
Unglücksfall. Doch muss man solche Kollateralschäden einer
konsequenten Politik zuliebe hinnehmen? "Das sind Leute, die aus der
kriminellen Szene stammen. Man muss streng sein, nur dann kann man
offen sein für die wirklichen Flüchtlinge. Heute reden alle
nur noch von Asylbewerbern. Aber es gibt auch echte Flüchtlinge",
sagt der Asylchef.
Am System arbeiten
Raymond ist nicht so einfach in eine Schublade zu stecken. Er hat
selbst in Afrika gearbeitet als IKRK-Delegierter und ist heute auch mit
einer Afrikanerin verheiratet. Er kennt die subtilen rassistischen
Vorurteile, denen dunkelhäutige Menschen in der Schweiz auf
Schritt und Tritt begegnen. Und ist trotzdem nicht bereit, Milde walten
zu lassen.
Früher sei er naiver gewesen, ein "Gutmensch", sagt Raymond.
Zum Anfang sei das in Ordnung gewesen, aber wenn man etwas
verändern wolle, müsse man am System arbeiten, könne
nicht immer nur brav sein. Dies hat zur Folge, dass man sich auch
persönlich verändert. Besonders, wenn man so motiviert ist
wie Reymond. "Er geht keinem Streit aus dem Weg. Sei süchtig nach
Gefahr", heisst es im Film.
Die grosse Stärke des Doks ist, dass er nicht nur ein
Porträt Reymonds zeichnet, sondern auch aufzeigt, wie dieser
während des turbulenten ersten Amtsjahres Schritt für Schritt
in die Aufgabe hineinwächst. Karin Bauer stellt kritische Fragen
und lässt sich nicht so leicht abwimmeln. "Als ich die Mutter des
Toten sah, da war ich sehr berührt", sagt er. "Warum dann nicht
auf Gewalt verzichten?", fragt die Reporterin. "Das ist unrealistisch",
antwortet Reymond. "Also würden sie weiterhin einstehen für
Todesfälle?" "Im Extremfall ja."
Die andere Seite des Problems
Aber der Film zeigt auch die andere Seite des Asylproblems, die
komplizierten politischen Hintergründe, die Menschen und
Schicksale, die dahinter stehen. Angesichts dieser Verhältnisse
verbieten sich simple Schuldzuweisungen. Wir treffen nigerianische
Politiker, die mit der Schweiz neue Verträge wegen der
Rückschaffungen aushandeln müssen. Wir treffen aber auch
Asylbewerber Mark Badimele, ein verurteilter Chügelidealer. "Die
einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen, sind oft die Drogen. "Wir
lernen hier Drogen zu verkaufen, aber nicht zu arbeiten", sagt er und
schiebt damit die Verantwortung für die Schweizer Probleme mit
nigerianischen Dealern den Schweizern zu. Und ein weiterer
Chügelidealer, der wegen der gestoppten
Rückschaffungsflüge nach kurzer Haft wieder freikommt meint
lapidar: "Ich weiss nicht, was passiert ist. Ich überlasse alles
dem Herrgott." Dann macht er sich auf den Weg zurück ins Asylheim.
Nach einem Jahr Weibeln auf dem politischen Parkett fällt am
5. November bei einer Sitzung mit einer nigerianischen Delegation die
Entscheidung, ob die Ausschschaffungs-Flüge nach Nigeria wieder
aufgenommen werden können. Reymond braucht dringend einen Erfolg,
der Druck ist gross vor der Verhandlung. Was agenau am tag der
Verhandlung hinter den Kulissen geschieht, und warum kritische Fragen
plötzlich nicht mehr erwünscht sind, zeigt der Film.
---
DOK sf.tv 16.12.10
Der Asylchef und die Nigerianer
Die harte Tour im Flüchtlingswesen
Ein Film von Karin Bauer
http://videoportal.sf.tv/video?id=73563cc5-d464-40cc-87e6-4ffd92709abc
Alard du Bois-Reymond ist angetreten, die strengen Asylbestimmungen
durchzusetzen. Doch es läuft schief: Ein Nigerianer stirbt bei der
gewaltsamen Ausschaffung. Und der Chefbeamte sagt, ein grosser Teil der
nigerianischen Asylbewerber sei kriminell. Alard du Bois-Reymond wird
zum Buhmann von links und rechts. Ein Asylkrimi über Stolz und
Vorurteil, über das Verhältnis zwischen weiss und schwarz. -
Nach der Sendung können Sie im DOK-Forum mitdiskutieren über
die harte Tour im Flüchtingswesen.
http://www.sf.tv/sendungen/dok/forum/index_overview.php
---
sf.tv 16.12.10
Zwangsausschaffungen nach Nigeria in Frage gestellt
sf/from
Die nach einem Todesfall gestoppten Ausschaffungsflüge nach
Nigeria sollen im Januar wieder starten. Auf der nigerianischen
Botschaft aber heisst es, Zwangsmassnahmen wie Fesseln und Helme
würden nicht mehr akzeptiert. Dies zeigt der Dokumentarfilm "Der
Asylchef und die Nigerianer".
Der Ankündigung der Wiederaufnahme der
Ausschaffungsflüge nach Nigeria ist ein monatelanges Seilziehen
voraus gegangen. Der "DOK" zeigt die Höhen und Tiefen des ersten
Amtsjahres von Alard du Bois-Reymond, Direktor des Bundesamts für
Migration BFM.
Angespanntes Verhältnis zu Nigeria
Im März stirbt der abgewiesene nigerianische Asylbewerber
Joseph Chiakwa bei der Fesselung für den Ausschaffungsflug. Der
Todesfall warf in der nigerianischen Botschaft in der Schweiz
erhebliche Wellen. Als BFM-Direktor Alard du Bois-Reymond drei Wochen
danach einen grossen Teil der nigerianischen Asylbewerber als kriminell
bezeichnet, setzt er die Verhandlungen mit der nigerianischen Regierung
über ein Rückübernahmeabkommen für Asylbewerber
aufs Spiel.
Der nigerianische Staatssekretär Martin Uhomoibhi dazu: "Ich
dachte, dass da jemand neu in seinem Job ist. Menschen haben das Recht,
ihre Meinung zu ändern." Im Juli verhandelt der BFM-Direktor zwei
Tage lang mit nigerianischen Regierungsvertretern in Abuja. Zuvor hat
die Schweizer Regierung der Familie des Toten 50‘000 Franken bezahlt.
Als humanitäre Geste, wie das BFM damals sagte. Aber nicht nur,
wie der "DOK"-Film zeigt.
Das Verhältnis zwischen der Schweiz und Nigeria war
angespannt, laut du Bois-Reymond überwies das BFM die Summe auch,
um eine Blockade bei den Verhandlungen zu verhindern.
1000 Arbeitsbewilligungen gefordert
Auch bezüglich einer weiteren Abmachung zwischen der Schweiz
und Nigeria besteht noch weiterer Klärungsbedarf. Für die
Rücknahme von abgewiesenen nigerianischen Asylbewerbern bietet die
Schweiz Ausbildungsplätze. Die Nigerianer aber fordern
Arbeitsbewilligungen für bis zu 1000 Personen.
Du Bois-Reymond: "Als ich von der Quote hörte, dachte ich,
das wird schwierig, das können wir nicht bieten. Ich war erstaunt,
wie schnell die Nigerianer darauf eingestiegen sind. Sie mussten ganz
weit von ihrer Anfangsforderung herunterkommen."
Fesselung verletzt Menschenwürde
Anfangs November treten Martin Uhomoibhi und Alard du
Bois-Reymond vor die Presse und erklärten, dass die
Ausschaffungsflüge nach Nigeria im Januar wieder starten. Auf
Rückfrage teilte der Botschaftsangestellte Okee Nze aber mit,
Zwangsmassnahmen wie Helme und Fesseln würden künftig nicht
mehr akzeptiert. Das widerspreche der Menschenwürde.
Alard du Bois-Reymond spricht von Einzelmeinungen und bleibt
zuversichtlich, dass Zwangsausschaffungen weiterhin stattfinden.
"Der Asylchef und die Nigerianer", heute abend, 20.05 auf SF1
---
Bund 13.12.10
Die Flüchtlingshilfe will beim Ausschaffen helfen
Der Bund sucht Beobachter bei Ausschaffungen. Die
Flüchtlingshilfe möchte den Job. Doch das Bundesamt für
Migration verhindert ihr Mitwirken.
Verena Vonarburg
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe bewirbt sich um ein
für sie äusserst heikles Mandat. Sie will ab kommendem Jahr
die neue unabhängige Stelle sein, die vor Ort zum Rechten schaut,
wenn der Bund ausgewiesene Ausländer mit Sonderflügen
zwangsweise in ihre Heimat zurückschafft.
Seit ein Nigerianer im letzten Frühling starb, sind
Zwangsausschaffungen noch schwieriger geworden. Beat Meiner,
Generalsekretär der Flüchtlingshilfe, ist sich der Brisanz
der Beobachterfunktion durchaus bewusst: "Wenn wir als
Flüchtlingshilfe diese Aufgabe übernähmen, hätten
wir keine Garantie, dass in Zukunft nichts mehr passiert. Es hiesse
dann: mitgegangen, mitgehangen." Sowohl das Schweizerische Rote Kreuz
wie auch Amnesty International haben denn auch kein Interesse bekundet,
die Rolle der Überwacher bei Ausschaffungen zu spielen.
"Offenbar will man uns nicht"
Trotzdem bemüht sich der Generalsekretär der
Flüchtlingshilfe intensiv um den Job. "Wir fordern eine solche
Beobachtung seit vielen Jahren. Jetzt, wo sie endlich kommt, muss man
auch parat sein, um die Verantwortung zu übernehmen."
Allerdings müssten die Behörden bei den Ausschaffungen
eng mit der Flüchtlingshilfe zusammenarbeiten und "keine
übermässige Gewalt mehr anwenden". Eine Alibifunktion wolle
man nicht einnehmen.
Die Flüchtlingshilfe habe schon seit langem ihr Interesse an
der Überwachungsarbeit bekundet, sagt Meiner. Nun meldet sie sich
in diesen Tagen auch noch auf eine Stellenausschreibung des Bundesamts
für Migration. Das Inserat ist aussergewöhnlich.
Normalerweise greift man für ein solches Mandat nicht zum Mittel
einer Zeitungsannonce. Doch die Zeit drängt, denn das Monitoring
bei Zwangsrückführungen muss schon ab dem 1. Januar
installiert sein. Eine für die Schengenstaaten verbindliche
Richtlinie der EU von 2008 verlangt: "Die Mitgliedstaaten schaffen ein
wirksames System für die Überwachung von
Rückführungen."
Warum also die Zeitnot der Bundesbehörden, wo doch die
Flüchtlingshilfe seit geraumer Zeit zur Verfügung
stünde? Für den Flüchtlingshilfe-Generalsekretär
kommt nur eine Erklärung infrage: "Offenbar will man uns nicht."
Man habe schon mehrfach Gespräche geführt: mit der
früheren Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf und dem Direktor
des Bundesamts für Migration, Alard du Bois-Reymond. "Die Signale
waren nie so, dass wir das Gefühl hatten, wir wären
willkommen."
Start mit einem Provisorium
Die Flüchtlingshilfe habe aber auch nie eine klare Absage
erhalten. "Man hat uns einfach hingehalten." Meiner stört zudem,
dass du Bois-Reymond öffentlich geklagt habe, man finde keine
Organisation, die bereitstünde. Und nun das Inserat: Es sei so
formuliert, dass die Flüchtlingshilfe ausgeschlossen werde,
kritisiert Meiner. Der Bund verlangt, die Interessenten dürften
"keine weiteren Mandate von Bundes- und kantonalen Stellen im
Migrationsbereich" innehaben. Die Flüchtlingshilfe hat jedoch seit
langem ständige Mandate des Bundes. Und diese wolle und könne
man auf keinen Fall aufgeben, so Meiner. Die Unabhängigkeit vom
Bund sei dadurch auch nicht tangiert, glaubt Meiner. "Wir sind eine
glaubwürdige und zudem breit abgestützte Stimme der
Zivilgesellschaft."
Angesprochen auf die Voraussetzung, dass der Leistungserbringer
keine weiteren Mandate innehaben darf, bestätigt Marie Avet,
Sprecherin des Bundesamts für Migration, dass die
Flüchtlingshilfe "in dem Sinn nicht infrage kommt". Es liege aber
grundsätzlich an den Bewerbern, darzulegen, wie sie das Kriterium
der Unabhängigkeit erfüllten.
Eine definitive Monitoring-Lösung auf den 1. Januar ist
nicht mehr realistisch. Man behilft sich mit einem Provisorium:
Mitglieder der Anti-Folter-Kommission fliegen einstweilen mit.
---
Bund 13.12.10
Nackter Protest gegen Ja zu Ausschaffungsinitiative
Ein nacktes Paar demonstrierte am Samstagnachmittag vor dem
Bundeshaus gegen das Ja des Volkes zur Ausschaffungsinitiative. "Wir
schämen uns bis auf die Haut", stand auf Plakaten. Ihre
Körper hatten der Mann und die Frau mit roter Farbe und
Schweizerkreuzen bemalt.(pd/st)
--------------------
SEXWORK
--------------------
NLZ 20.12.10
Kanton will Gesetz für Bordelle
Luzern
Bessere Arbeitsbedingungen für Prostituierte,
Bewilligungspflicht für Salonbetreiber: Der Kanton prüft,
dies in einem neuen Gesetz zu regeln.
red. Ausbeutung, Probleme mit Aufenthalts- und
Arbeitsbewilligungen, schlechte Arbeitsbedingungen in den Sexbetrieben:
Dagegen will der Kanton Luzern vorgehen. Wie Recherchen unserer Zeitung
zeigen, klärt das Justiz- und Sicherheitsdepartement ab, ob ein
eigenes Prostitutionsgesetz erlassen werden soll, wie dies andere
Kantone bereits kennen. Auch weitere Massnahmen, für die es kein
Gesetz braucht, werden geprüft. Im Kanton sind
schätzungsweise 380 bis 400 Prostituierte tätig.
Fachleute sind kritisch
Neu soll Folgendes geregelt werden: Betreiber von Saunaclubs,
Studios oder Salons sollen eine Bewilligung beantragen müssen.
Diese würde nur an Leute ausgestellt, die keinen Eintrag im
Strafregister haben und die verschiedene Auflagen einhalten. So
müssten etwa hygienische Mindestauflagen erfüllt und die
Zimmer zu marktüblichen Preisen vermietet werden. Anders als in
Luzern ist im Kanton Zug kein solches Gesetz geplant.
Prostitutionsgesetze stossen bei Stellen, welche Betroffene
beraten, auf Kritik. Birgitte Snefstrup von der Aids-Hilfe Luzern etwa
sagt: "Die Gesetze werden zum Schutz der Frauen eingeführt,
bewirken aber oft genau das Gegenteil."
23
--
Erhält Kanton Luzern bald ein "Bordellgesetz"?
Prostitution
Barbara Inglin
Immer mehr Kantone führen ein Prostitutionsgesetz ein. Nun
prüft auch Luzern diese Option. Die Gesetze sind jedoch umstritten.
Im Kanton Luzern sollen Betreiber von Salons, Saunaclubs und
Studios künftig eine Bewilligung einholen müssen. Dies geht,
wie Recherchen unserer Zeitung zeigen, aus einer Situationsanalyse
hervor, die das Justiz- und Sicherheitsdepartement erstellt hat. Eine
Bewilligung soll an bestimmte Auflagen geknüpft werden, so etwa
hygienische Mindestanforderungen an die Zimmer, marktübliche
Mietzinsen und Informationen für die Sexarbeiterinnen.
Prostituierte besser schützen
Auch die Barbetreiber selber müssen gewisse Anforderungen
erfüllen. Sie dürfen zum Beispiel keinen Eintrag im
Strafregister haben. Die Arbeitsbedingungen und der Schutz der
Prostituierten sollen damit verbessert werden. Für die Umsetzung
dieser Vorschläge braucht es gesetzliche Regelungen,
beispielsweise in einem Prostitutionsgesetz oder durch zusätzliche
Bestimmungen im Gastgewerbegesetz.
In Westschweiz bereits verbreitet
Der Kanton Tessin und die meisten Westschweizer Kantone haben
bereits solche Prostitutionsgesetze erlassen, in Bern läuft die
Vernehmlassung. Auch Schwyz überlegt sich ähnliche Schritte
(siehe Kasten). "Das hat uns dazu bewogen, in Luzern den
Handlungsbedarf zu klären", sagt Madeleine Meier, Zuständige
für Aussenbeziehungen und Projekte beim Justiz- und
Sicherheitsdepartement Kanton Luzern. "Es hat sich gezeigt, dass es
immer wieder Probleme gibt in den Bereichen Aufenthalts- und
Arbeitsbewilligungen, Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen,
Information und Beratung, Arbeitsbedingungen in den Sexbetrieben und
Ausbeutungssituationen." Gemäss Schätzung arbeiten zwischen
380 und 400 Prostituierte im Kanton, über 90 Prozent stammen aus
dem Ausland.
"Dass die Situation für die Sexarbeiterinnen mit Regelungen
zur Ausübung der Prostitution verbessert werden soll, ist
unbestritten", sagt Meier. "Kontrovers diskutiert wurde am ‹runden
Tisch Frauenhandel› vor allem die Frage nach der Registrierung der
Sexarbeiterinnen respektive der Einführung einer Meldepflicht."
Eine solche ist in den meisten Prostitutionsgesetzen vorgesehen.
"Gesetze bewirken oft Gegenteil"
Kritisch ist Birgitte Snefstrup, Leiterin der
Aids-Prävention im Sexgewerbe der Aids-Hilfe Luzern: "Die Gesetze
werden zum Schutz der Frauen eingeführt, bewirken aber oft genau
das Gegenteil. Die Gesetzgeber in den betreffenden Kantonen sehen in
der Registrierung der Sexarbeiterinnen ein Instrument gegen
Frauenhandel. Eine Frau kann aber durchaus registriert sein und sich
dennoch unter Zwang prostituieren."
Ein Problem sei die Registrierung auch für Frauen, die
aufgrund ihrer Herkunft keine Arbeitsbewilligung erhalten. "Sie werden
damit zusätzlich von ihren Hintermännern abhängig."
Zudem: "Eine Registrierung ist diskriminierend für Frauen, die in
diesem legalen Gewerbe tätig sind. Auch punkto Datenschutz ist die
Praxis fragwürdig."
Teure Businesspläne
Auch für ausländische Frauen, die nur als
Selbstständigerwerbende eine Bewilligung für das Sexgewerbe
bekommen, bringen die neuen Gesetze zusätzliche Schwierigkeiten.
"Sie müssen meistens für eine Bewilligung einen Businessplan
in einer Landessprache vorlegen und sind damit oft überfordert.
Diese Businesspläne müssen sie dann zum Teil teuer
einkaufen", sagt Snefstrup. Ein weiteres Problem sei die Wohnungsmiete.
"Wohnungen, die für Sexarbeit vermietet werden, sind in der Regel
sehr teuer. Die Frauen teilen sich deshalb eine Wohnung und
erhöhen dadurch auch ihre Sicherheit."
In einigen Kantonen schliessen neu Wohngemeinschaften aber eine
selbstständige Erwerbstätigkeit aus; die Frauen können
nur auf der Strasse anschaffen, da sie für die hohen Mieten
alleine nicht aufkommen können. "Für eine Verbesserung
sollten die Massnahmen auf Unterstützung und rechtliche
Gleichstellung zielen" sagt Snefstrup.
Netzwerk Prokore übt Kritik
Das nationale Netzwerk Prokore, das sich für die Interessen
von Prostituierten einsetzt, schreibt in einer aktuellen Mitteilung zum
"Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Sexarbeiterinnen": "Von den
verschiedenen kantonalen Prostitutionsgesetzen geht eine strukturelle
Gewalt aus. Sie werden politisch als Schutzmassnahmen für
Sexarbeitende begründet, wirken sich aber aus in Form von
zusätzlichen Repressionen, Kriminalisierung, Abhängigkeiten
und administrativen Hürden, die eine selbstständige Sexarbeit
erschweren." Prokore stellt drei Forderungen:
Sexarbeiterinnen sollen wie alle anderen Berufsleute behandelt
werden, dazu gehörten arbeitsrechtlicher Schutz, legale Arbeits-
und Aufenthaltsmöglichkeiten, die Wahl, ob sie selbstständig
oder als Angestellte arbeiten wollen.
Administrative Hürden für Arbeitsverträge
beziehungsweise für den Nachweis der Selbstständigkeit sollen
gesenkt werden,
Flächendeckend sollen niederschwellige, soziale und
unabhängige Beratungsangebote zur Verfügung stehen.
Im Februar wird entschieden
Beim kantonalen Justiz- und Sicherheitsdepartement will man die
Erfahrungen mit den Prostitutionsgesetzen in den anderen Kantonen
evaluieren. "Wir werden sehr genau prüfen, welche Auswirkungen die
gesetzlichen Regelungen auf die Sexarbeiterinnen, auf die
Lokalbetreiber, aber auch auf den öffentlichen Raum hätten",
sagt Madeleine Meier. "Wir prüfen darum auch weitere Massnahmen
und Projekte, die ohne ein Gesetz realisierbar sind."
Zum Beispiel: Ausbau von Informations- und Beratungsangeboten zu
den Bereichen Rechte, Gesundheit und Soziales, aufsuchende
Sozialarbeit; Schaffung einer kostengünstigen
Gesundheitseinrichtung; Durchsetzung des Krankenkassenobligatoriums bei
den Sexarbeiterinnen.
Der Bericht liegt bei Regierungsrätin Yvonne Schärli.
Bis im Februar 2011 soll in Zusammenarbeit mit dem Gesundheits- und
Sozialdepartement und der Stadt Luzern als Standort der meisten
Betriebe über das weitere Vorgehen entschieden werden.
Barbara Inglin
barbara.inglin@luzernerzeitung.ch
--
Schwyz will Regelung festlegen
Zentralschweiz
bin. In den Zentralschweizer Kantonen Zug, Uri, Ob- und Nidwalden
sind zurzeit keine Prostitutionsgesetze in Planung. "Wir haben keine
Prostitutionsprobleme bei uns und sehen darum auch keinen
Handlungsbedarf", sagt der Zuger Sicherheitsdirektor Beat Villiger.
Der Schwyzer Regierungsrat wollte Bestimmungen rund um die
Prostitution in der geplanten Revision des kantonalen
Gastgewerbegesetzes festlegen. Das Parlament ist auf die Vorlage aber
aus anderen Gründen gar nicht erst eingetreten.
Möglicherweise werden nun die vorgesehenen Regelungen zur
Prostitution in einem anderen Erlass eingefügt oder eine
spätere Revision des Gastgewerbegesetzes abgewartet.
Staatliche Bordelle?
In Basel, Bern und Zürich wird über staatliche Bordelle
diskutiert, um die Strichszene auf der Strasse einzudämmen. Dort
könnten sich Prostituierte Zimmer mieten und auf Kunden warten. In
Luzern bestehen solche Pläne gemäss Stadtrat nicht.
--
Diskussion über staatliches Bordell
Strassenstrich
red. In Basel, Bern und Zürich wird über staatliche
Bordelle diskutiert, um die Strichszene einzudämmen. Dort
könnten sich Prostituierte Zimmer mieten und auf Kunden warten.
In der Stadt Luzern befindet sich der Strassenstrich im
Tribschenquartier. Birgitte Snefstrup, Leiterin der Luzerner
Aids-Prävention im Sexgewerbe, sagte im September gegenüber
unserer Zeitung: "Die Grundidee von staatlich kontrollierten Bordellen
könnte auch in Luzern Sinn machen. Sie würden die Kontrolle
über diesen Teil der Prostitution erleichtern." Laufhäuser
stünden für mehr Sicherheit und faire Zimmerpreise.
Gemäss der Luzerner Stadträtin Ursula Stämmer ist
zurzeit allerdings nichts in dieser Richtung geplant
--
Prostituierte besser schützen
Schwyz
bin. Diskussionen um ein Prostitutionsgesetz laufen auch in
Schwyz. Laut Ursula Lindauer vom Rechtsdienst des
Sicherheitsdepartements bestehe in zwei Bereichen Regelungsbedarf:
Erstens sollten die verantwortlichen Betreiber und Inhaber von
Gastgewerbebetrieben, die Sexdienstleistungen anbieten oder dulden, zur
Rechenschaft gezogen werden können, wenn beispielsweise gegen
Aufenthalts- oder Arbeitsbestimmungen verstossen werde. Andererseits
sollten auch Schutzbestimmungen für die Prostituierten aufgenommen
werden.
--
Kommentar
In Ruhe prüfen
Karin Winistörfer
Prostitution ist seit je eine Realität. Solange Leute ihre
sexuellen Bedürfnisse für Geld befriedigen lassen wollen,
gibt es Frauen und Männer, die diese Dienstleistung anbieten.
Prostitution ist ein legales Geschäft.
Schätzungen zufolge bieten im Kanton Luzern rund 400
Personen ihren Körper gegen Geld an. Nicht immer verläuft
ihre Arbeit problemlos: Prostituierte werden ausgebeutet und
müssen für Zimmer Wucherzinse bezahlen. In manchen
Etablissements sind die Arbeitsbedingungen schlecht, viele Frauen haben
keine Versicherung bei einer Krankenkasse.
Dass der Kanton nun prüft, ein Prostitutionsgesetz zu
erlassen oder auf anderem Weg Regelungen zu treffen, ist
begrüssenswert. Wichtig ist jedoch, genau zu erörtern, ob
damit wirklich den Prostituierten gedient ist. Eine
Registrierungspflicht allein etwa kann gemäss der Aids-Hilfe
Luzern nicht sicherstellen, dass sich Frauen nicht gegen ihren Willen
prostituieren müssen.
Sinnvoll scheint, dass Mietzinse für Zimmer marktüblich
sein müssen und hygienische Mindestanforderungen erfüllt
werden - das dient auch Freiern. Dass Barbetreiber keinen
Strafregistereintrag haben dürfen, ist eine wichtige Vorgabe. Sie
kann helfen zu vermeiden, dass schwarze Schafe in der Branche
tätig sind.
Ob Luzern ein eigenes "Bordellgesetz" braucht, muss nun
diskutiert werden. Wichtig ist, dass die Auswirkungen von
Prostitutionsgesetzen in anderen Kantonen sehr gut untersucht und
Fachleute einbezogen werden, die die Bedürfnisse der Anbieterinnen
im Sexgewerbe kennen. So lässt sich sicherstellen, dass sich eine
neue Regelung positiv für Prostituierte auswirkt.
Karin Winistörfer
karin.winistoerfer@luzernerzeitung.ch
---
Oltner Tagblatt 17.12.10
"Das volle Programm - das macht 'hundred'"
Tag gegen Gewalt an Sexarbeitenden. Malgorzata* aus Polen
über sich und das Leben als Prostituierte an der Haslistrasse
Von Urs huber
20.45 Uhr: Draussen, im leichten Schneegestöber, pulsiert
der Verkehr. Nie sonst drängen sich so viele Fahrzeuge an der
Haslistrasse wie zur Abend- und Nachtzeit, wenn die Freier auf
Beutefang sind. "Olten ist ein guter Ort; ruhig, friedlich und dennoch
geschäftig", sagt Malgorzata aus Tomaszêw. Im polnischen
Städtchen mit 20 000 Einwohnern hat die 28-Jährige ihre
Familie zurückgelassen; andersrum gesagt: ihre drei Kinder im
Alter zwischen 8 und 10 Jahren, die nun in der Obhut ihrer Mutter sind.
Das Leben ihrer Kinder zu sichern, ihnen eine Ausbildung zu
ermöglichen - das hat Malgorzata in die Schweiz gebracht. "Mit dem
Flugzeug", sagt sie. Als sie in Warschau in die Maschine der polnischen
Fluggesellschaft LOT stieg, war die Absicht klar: Prostitution. "Das
Geschäft läuft gut", bilanziert sie die zurückliegenden
vier Monate. So lange nämlich macht sie den Strich in Olten,
sieben Tage die Woche, regelmässig ab 19 Uhr. "Ich bleibe stets
sechs, sieben Stunden", erklärt sie in rudimentärem Englisch.
Englisch hat sie in der Schule gelernt, Deutsch kennt sie nur vom
Strich. Und um ihre bescheidenen Kenntnisse anzudeuten, spreizt sie
Daumen und Zeigefinger zwei Zentimeter auseinander.
"Der Beruf ist gefährlich"
Nein, jemandem zur Prostitution raten würde sie nicht. "Zu
gefährlich", sagt sie. Man wisse nie, wie sich ein Freier
verhalte. Die allermeisten aber seien friedlich und korrekt, halt am
schnellen Sex interessiert. "Ich machs des Geldes wegen", schiebt sie
hinterher, erzählt in einem Nebensatz, dass sie bislang zwei Mal
über den Tisch gezogen worden sei. Was tun dagegen? Sie zuckt
bloss mit der Schulter. Das Tempo im schnellen Sexgewerbe lässt
keinen Rückblick zu, das Leben geht weiter. Malgorzata sagt, sie
sei zufrieden. An guten, ja sehr guten Tagen bedient die Polin bis zu
20 Freier. "Too much", sagt sie, lächelt. Zu viele klar, aber
eben, das Geld. Dann streift sie die Zigarettenasche ins
Papiertaschentuch, welches sie - zu einer Schale geformt - in den
Händen hält. In der Absteige nahe der Haslistrasse, für
die sie täglich 50 Franken bezahlt, gibts keinen Aschenbecher; nur
Papier- und Frotteetücher, eine mit einem mittelblaufarbenen
Fixleintuch überspannte Liege. Blinkende Rotlichter sorgen
für schummrige Atmosphäre und unter der Tür wirkt die
leise Zugluft von draussen. Dann öffnet sie den Reissverschluss am
Stiefelschaft und holt ihren Ausweis hervor, den sie hütet wie
ihren Augapfel. Er bescheinigt die Aufenthaltsbewilligung B. Vor
Polizeikontrollen, die nach ihrer Einschätzung relativ häufig
durchgeführt werden, fürchtet sie sich nicht. Die Illegalen
dagegen schon und von denen gebe es welche an der Haslistrasse.
Volles Programm für einen "Blauen"
Malgorzatas Freier haben die Wahl. Sie redet ungeniert, aber
nicht druckreif darüber. "Das volle Programm - das macht
<hundred>", sagt sie trocken, fast mechanisch. Sie sagt
<hundred>, typisch für Menschen des Ostens: halb Englisch,
halb Strichdeutsch. Wer nicht alles will, zahlt zwischen 50 und 80
Franken, je nach Vorstellung des Freiers. Die Preise sind unter den
Prostituierten abgesprochen; die Erfahrensten - wer am längsten
dabei ist - geben dabei den Ton an. Manchmal komme es zwar trotzdem zu
Streitigkeiten. "Aber nicht der Preise wegen, sondern weil die eine der
andern den beruflichen Erfolg nicht gönnen mag", sagt Malgorzata.
Die Polin arbeitet mit Perücke, Strichname und nur mit
Kondom. Ihre rigorose Haltung auf die entsprechende Frage
bezüglich Letzterem lässt Konsequenz vermuten. "Ich habe drei
Kinder in Polen. Für die muss ich sorgen. Eine Krankheit wäre
das Ende", sagt sie und verwirft die Hände. Man versteht. Sie
sagt: "In zwei Jahren ist Schluss; dann beginnt wieder ein normales
Leben." In ihrer Heimat? "Ja", sagt sie. Schwierig zu sagen ob sie dies
auch glaubt. Denn wie für die Polin ein normales Leben konkret
aussieht, vermag sie nicht zu erklären.
Die Perücke dagegen trägt sie zur Tarnung, privat will
sie keinesfalls als Prostituierte erkannt werden und den Strichnamen
mit vier Buchstaben hat sie sich aus Effizienzgründen einfallen
lassen. "Er ist kurz, den kann man im Kopf behalten", lächelt sie.
Die Namen ihrer Freier hingegen weiss sie nicht oder will sie nicht
wissen. "Wir, der Kunde und ich, sprechen wenig, eigentlich gar nichts.
Wir machen das Geschäft, fertig." Innert einer halben Stunde ist
die Sache erledigt, draussen kurven schon weitere potenzielle
Männer über die Haslistrasse. Männer wohl jeder
Nationalität, vermutet Malgorzata. "Die Wochenenden sind jeweils
besonders gut fürs Geschäft", sagt die Polin. Ob sie sich
jemals in einen Freier verliebt habe? "Verliebt?", fragt sie
zurück, ob der Romantik schon fast entsetzt. "Never - nie."
Schlafen, schlafen, schlafen
Wenn Malgorzata nicht den Strich macht, schläft sie.
"Schlafen, schlafen, schlafen" sagt sie in Deutsch. Die Frage nach
einem Hobby mutet schon fast grotesk an. "Geine" radebrecht sie. Und
daneben? Sie telefoniere täglich mit ihrer Mutter, ihren Kindern,
schicke Geld nach Hause. Die Familie dürfe nicht wissen, auf
welche Art sie das Geld verdiene. Zu Hause ist man - wie in Polen
üblich - katholisch. Polnische Freunde helfen ihr bei dieser
Maskerade und machen die Familie in Tomaszêw glauben, Malgorzata
arbeite im Gastgewerbe. Während zweier Monate ging die dreifache
Mutter übrigens auch in Polen auf den Strich. "Ich musste immer
aufpassen, dass mich dabei niemand aus meiner Familie sieht", blickt
sie zurück.
Ein bisschen freie Schulter, die Betonung der Beine und
Hüften: Attribute am Strassenrand, die den Erfolg auf dem Strich
optimieren helfen? Malgorzata nickt. Zwar mache Sommer oder Winter
keinen grossen Unterschied im Geschäft aus, aber der Sommer eigene
sich eben schon besser, um die eigenen körperlichen Vorzüge
zu präsentieren. Man müsse "nice", hübsch sein eben. Ob
sie sich hübsch finde beim Blick in den Spiegel? Malgorzata
lächelt unter ihrer schwarzfarbenen künstlichen Haarpracht.
"Yes", sagt sie fast schon heiter. In zwei Jahren will sie zurück
sein, in Polen.
*Name der Redaktion bekannt
--
Zum 17. Dezember
Der 17. Dezember als Internationaler Tag gegen Gewalt an
Sexarbeitenden wird seit 2003 begangen. Auslöser war der Prozess
gegen den so genannten "Green River Killer" Gary Leon Ridgway in der
US-amerikanischen Stadt Seattle, dem 48 Morde, vor allen an
Prostituierten, nachgewiesen werden konnten und der seine Taten als
"Karriere" bezeichnete. Ridgway erhielt den Spitznamen, weil er seine
Opfer stets in der Nähe des Green River, dem grössten
Nebenfluss des Colorado River, deponierte. Die Geschichte rund um die
Morde wurde unter anderem im Film "The Riverman" (2004)
nacherzählt. (mgt/hub)
ProKoRe
ProKoRe vernetzt 21 Organisationen, Projekte und Einzelpersonen
in der Schweiz. Zu ihnen gehört auch der Frauenbus Lysistrada aus
Olten. Ziel ist die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von
Sexarbeitenden. Zu diesem Zweck soll das Thema Prostitution kollektiv
reflektiert werden. ProKoRe macht am diesjährigen Tag gegen Gewalt
an Sexarbeitenden auf die strukturelle Gewalt aufmerksam, welche von
den verschiedenen kantonalen Prostitutionsgesetzen ausgeht. Sie werden
politisch als Schutzmassnahme für Sexarbeitende begründet,
wirken sich aber aus in Form von zusätzlicher Repression,
Kriminalisierung, Abhängigkeiten und administrativen Hürden,
die eine selbstständige Sex-arbeit erschweren. (mgt/otr)
-------------------
SQUAT FR
-------------------
La Liberté 22.12.10
Occupation de la chassotte
Les squatteurs réfutent les accusations du syndic
Samuel Jordan, avec NM
"Nous rejetons vivement les accusations farfelues et
mensongères tenues dans la presse par Monsieur le syndic de
Granges-Paccot, René Schneuwly." Par cette prise de position, le
collectif Raie Manta monte aux barricades et réagit à un
article paru il y a une semaine dans "La Liberté".
Dans l'article en question, René Schneuwly blâmait
les squatteurs - lors de l'occupation de la Chassotte - d'avoir
percé le toit de la chapelle "à l'arrache" pour se
créer une issue par le haut. Et d'avoir ainsi permis à la
pluie de se frayer un passage et d'endommager le parquet de la
chapelle, classé en catégorie B par le Service des biens
culturels. "Réparer les dégâts au toit et
protéger les bâtiments contre de nouvelles
dégradations coûtera 100 000 fr.", avait alors
expliqué le syndic.
Pour rappel, le collectif Raie Manta a brièvement
occupé le bâtiment de la Chassotte le 8 décembre
(voir "LL" du 9 décembre). Il y a passé quelques heures,
avant d'en être délogé manu militari par la police.
Selon le collectif, il s'agit de plaintes fallacieuses. "Quand
nous sommes arrivés dans la chapelle, le trou était
déjà existant. Nous n'avons jamais envisagé de
nous faufiler par le trou pour monter sur le toit. Avec la pluie
battante, cela aurait été du suicide. Au contraire, nous
nous sommes réfugiés sur une coursive plate
extérieure par une fenêtre." Et de poursuivre: "Il aurait
été absurde de notre part de saboter un bâtiment
dans lequel nous envisagions de faire vivre nos projets, d'autant plus
que nous avions aussi pleinement conscience que certaines ailes du
bâtiment étaient classées."
Le groupe de squatteurs va encore plus loin et de victime se fait
accusateur. Il déplore l'état de
décrépitude avancé du bâtiment: "Il nous
paraît évident que les hurlements médiatiques des
autorités ne visent qu'à dissimuler le sabotage
spéculatif dont est victime la Chassotte depuis plusieurs
années de la part des communes propriétaires (ndlr.
Granges-Paccot et Givisiez). Ces dernières font porter à
notre collectif l'entière responsabilité de leurs propres
agissements."
Des philippiques qui ne troublent pas trop le sommeil du
principal visé, René Schneuwly: "Lors de l'occupation de
la Chassotte, il y a eu effraction d'un bâtiment dont nous sommes
propriétaires. Il est évident que ce sont nous les
lésés. Il est déplacé de nous transformer
en coupables."
Pour ce qui est de la question du dommage au toit de la chapelle
et de l'ampleur des dégâts, le syndic de Granges-Paccot ne
veut pas faire de surenchère: "Moi-même je n'étais
pas sur place. Je tiens ces informations de plusieurs sources. De toute
manière une plainte a été déposée,
une enquête sera faite et fera la lumière sur les
événements exacts qui se sont déroulés
à la chapelle." Il botte également en touche les
reproches qui concernent l'état du bâtiment. A l'entendre,
il n'y a de loin pas péril en la demeure. Et il est normal que
l'état d'un bâtiment qui n'est plus chauffé, ni
occupé, ne s'améliore pas. Au contraire.
Le son de cloche est sensiblement le même du
côté de la commune de Givisiez. "C'est le juge qui
déterminera si les dommages sont consécutifs à
l'occupation des squatteurs ou non. Il faut quand même dire que
le bâtiment a toujours fait l'objet de contrôles
réguliers par la police intercommunale avant l'occupation des
squatteurs. Les forces de l'ordre n'avaient jusqu'alors pas
constaté de présence de trou dans le toit", répond
Didier Carrard, conseiller communal.
Située sur le territoire de Givisiez, la Chassotte,
autrefois siège d'une école internationale
renommée, appartient à part égale à cette
dernière et à Granges-Paccot. Il y a quelques
années, les deux communes sarinoises avaient racheté
l'imposant bâtiment - idéalement situé sur une
parcelle de 30 000 m2 - à une banque qui l'avait elle-même
acquis lors d'une vente aux enchères. Le bâtiment est vide
depuis plusieurs années. "Nous attendons de le réserver
pour un projet de qualité", justifient les deux communes.
A noter encore qu'à la suite des derniers épisodes,
le collectif Raie Manta va enfin sortir du bois aujourd'hui. "Pour
tordre le cou aux idées reçues" selon la formulation de
son communiqué, le collectif Raie Manta invite "tous les
citoyens, politiciens, journalistes, propriétaires, squatteurs"
à un apéro-discussion. I
Ce soir, dès 17 heures, café de l'Ancienne Gare
à Fribourg.
---
Freiburger Nachrichten 15.12.10
Besetzer mit wenig Sinn für historisches Gebäude
Bei seiner letzten Besetzung im Chassotte-Gebäude hat das
Kollektiv Raie Manta beträchtlichen Schaden angerichtet.
Pascal Jäggi
Givisiez Die rund 100-jährige Kapelle im
Chassotte-Gebäude hat einiges abgekriegt beim "Besuch" des
Kollektivs Raie Manta am letzten Mittwoch. Verschmierte Fresken,
umgedrehte Kreuze, Schäden an Fenstern und Türen und einen
Wasserschaden konstatierte Gemeinderat Didier Carrard bei einer
Besichtigung. "Da ging es nur um Zerstörung, nicht darum, sich
dauerhaft einzurichten", meint Carrard gegenüber den FN.
Vor allem der Wasserschaden könnte teuer werden. Offenbar
haben die Besetzer Teile des Vordachs als Barrikaden missbraucht, mit
dem Resultat, dass Schnee und Wasser ins Innere drangen. Beziffern kann
Carrard die Schäden noch nicht, die Gemeinde sei noch dabei, das
Ausmass abzuschätzen, sagt er. Zusammen mit dem Einsatz der
Kantonspolizei zur Räumung der Chassotte rechnet er aber mit
einigen zehntausend Franken, die der Steuerzahler berappen muss. "Wir
haben eine Strafanzeige eingereicht und versuchen auf jeden Fall unsere
Ausgaben zurückzuholen", versichert der Gemeinderat. Für Raie
Manta ist das bereits die vierte Strafanzeige.
Den Vorwurf, dass die Chassotte jahrelang leer stand, lässt
Carrard nicht gelten. "Der letzte Mieter, die orthodoxe Kirche, hat das
Gebäude erst vor kurzem verlassen", erklärt er. Aus
Sicherheitsgründen, wie er betont. "Die Kosten, um alles benutzbar
zu machen, sind enorm", fährt Didier Carrard fort. Auch deshalb
hätte dem Maison des Artistes vor einiger Zeit eine Absage erteilt
werden müssen. Projekte gebe es durchaus, hält Carrard fest.
Einen baldigen Verkauf will er nicht ausschliessen.
---
La Liberté 15.12.10
Une facture estimée à 100 000 francs
Squat de la chassotte - Lors de sa brève occupation, le
collectif Raie Manta a percé la toiture de la chapelle, sous une
pluie battante. Le bâtiment est classé. Le syndic de
Granges-Paccot s'est mis en colère.
Antoine Rüf
Il est rare que le syndic de Granges-Paccot René Schneuwly
s'énerve en assemblée communale. C'est arrivé
lundi, quand un citoyen tout pétri de bonnes intentions est
intervenu pour défendre les squatteurs du collectif Raie Manta,
évacués manu militari mercredi dernier, après
quelques heures d'occupation.
"Ces jeunes sont des provocateurs. Leur occupation était
une pure provocation du préfet et de la police. Ce qu'il faut
savoir, c'est qu'en deux heures et demie, ils ont réussi
à casser le toit de la chapelle pour se créer une issue
par le haut. Il pleuvait à verse. Le parquet, un des
éléments intérieurs qui présentait le plus
d'intérêt de cet ensemble, classé en
catégorie B par le Service des biens culturels, a
été endommagé. Pour jouer!", s'est indigné
René Schneuwly.
Toit percé "à l'arrache"
"Ils parlent de droit et de liberté, mais ils ne
respectent pas la propriété, qui est aussi un droit
constitutionnel. Réparer les dégâts au toit et
protéger les bâtiments contre de nouvelles
dégradations coûtera 100 000 francs", a expliqué le
syndic à l'assemblée communale. La réparation du
toit, qui a été perçé "à l'arrache",
sans souci des règles de l'art, sera chère, avertit-il.
Ni eau, ni chauffage
Pour le conseiller communal Jean-Marie Chardonnens, qui s'occupe
des bâtiments pour Granges-Paccot, ce montant dépasse
effectivement les dommages causés, et comprend les autres
mesures qui devront être prises pour éviter que les
bâtiments se dégradent davantage, et surtout qu'ils soient
à nouveau l'objet d'occupations sauvages.
"Il y avait une alarme sonore. Ils l'ont coupée.
Actuellement, nous avons dû faire appel à Securitas pour
surveiller le site. Il y en a pour 22 000 francs." Qui s'ajoutent aux
frais de protection.
Quant au confort de la Chassotte, il est aujourd'hui minimal: il
n'y a plus de chauffage, l'eau a été coupée pour
éviter des fuites dans le réseau interne, il n'y a plus
d'électricité dans la plus grande partie des trois
bâtiments. "On va peut-être enlever les fenêtres et
les bâcher pour qu'il fasse aussi froid dedans que dehors,
hasarde Jean-Marie Chardonnens, ancien gendarme, impressionné
par le degré de préparation et l'équipement des
squatteurs.
Suites civiles
Pour le syndic et avocat René Schneuwly, il n'y a
guère de doute que les communes de Givisiez et Granges-Paccot,
propriétaires de la Chassotte, qui ont déjà
déposé une plainte pénale, se porteront partie
civile pour faire payer aux squatteurs au moins la réparation
des dégâts qu'ils ont causés.
En effet, les bâtiments étant actuellement
classés et les communes ne sachant pas encore ce qu'elles vont
faire de cette vaste parcelle de 30 000 m2 fort bien située,
elles doivent les maintenir au moins dans leur état actuel. "En
tout cas jusqu'à ce qu'on ait un projet", conclut le syndic.
Le conseiller communal de Givisiez Didier Carrard ne confirme pas
le montant: les entreprises sont en train d'estimer les
dégâts, qui sont importants: la sous-toiture est à
refaire, la toiture devra être partiellement retuilée,
dans un environnement compliqué par les barricades des
squatteurs. Quant au parquet et aux fresques, ils ont bien souffert des
ruissellements d'eau.
"L'évolution des dégâts dépendra de la
météo jusqu'à ce que l'on ait pu remettre le
bâtiment hors d'eau", précise le conseiller. Il ajoute que
la chapelle endommagée, partie la plus intéressante de
l'ensemble, date de plus d'un siècle.
Pour Didier Carrard, les frais d'intervention de la police
risquent d'être élevés. Plus même que les
frais de réparation proprement dits. Il n'exclut pas que les
communes propriétaires doivent les prendre en charge en cas
d'insolvabilité des squatteurs.
--
COMMENTAIRE
Le silence du préfet
Samuel Jordan
Vendredi, les squatteurs ont rencontré pour la
première fois le préfet de la Sarine, Carl-Alex
Ridoré. Leur objectif? Présenter en haut lieu leurs
revendications et leur projet culturel. Comment s'est
déroulé le rendez-vous? "Bien", répond
laconiquement le préfet. Qu'en est-il ressorti? "Je ne souhaite
pas me prononcer sur le sujet", poursuit-il. Mais encore? Existe-t-il
une solution? N'est-il pas fatigué de jouer au chat et à
la souris avec des squatteurs qui ont investi quatre immeubles en deux
mois? Comment faire pour prévenir de nouveaux
dégâts? Comment mettre fin à une histoire qui prend
des airs de mauvais feuilleton, genre "Squatter break"?
Des questions qui restent désespérément sans
réponse: "Ce n'est pas mon rôle de commenter chaque
épisode du collectif Raie Manta. Mon rôle dans cette
affaire est d'ordre sécuritaire." Une réaction que l'on
peine à comprendre, quand on sait que le préfet est
également investi d'une mission culturelle.
On l'aura compris, l'activisme puéril et jusqu'au-boutiste
du collectif Raie Manta devient une véritable épine dans
le pied de Carl-Alex Ridoré, surtout moins d'un an avant les
élections de novembre 2011. Son manque d'envie de communiquer
sur la question et de partager son appréciation sur le dossier
en est une preuve criante.
Soit. Mais est-ce vraiment une solution que de se contenter
d'envoyer la cavalerie à chaque occupation? D'une part, cela
coûte cher au contribuable, et d'autre part ce petit jeu
pernicieux finira forcément par mal se terminer. Bien sûr,
traiter avec le collectif Raie Manta n'est pas la plus aisée des
tâches. C'est tout le contraire d'un cadeau de Noël. Car
comment prendre au sérieux des interlocuteurs qui investissent
la Chassotte par pure provocation, deux jours avant un rendez-vous
fixé de longue date avec le préfet? Comment porter
crédit à des individus qui taisent leur nom et refusent
d'assumer publiquement la responsabilité de leurs actes et de
leur démarche? Comment comprendre des jeunes gens qui
désirent mener à bien un projet culturel, tout en bottant
en touche toute implication des autorités?
Bref, entre un groupuscule aux obscures revendications
anarchisantes et un préfet qui se contente de jouer au gendarme,
il risque fort d'y avoir de la fricassée de raie et de poulet au
prochain épisode.
-------------------------
FREIRAUM SO
-------------------------
Solothurner Zeitung 15.12.10
Die Initianten der illegalen Party im leerstehenden
Druckereigebäude sind ermittelt
Solothurn Gut fünf Wochen nach den Sachbeschädigungen
in einem leer stehenden Gebäude der Vogt-Schild AG stehen die
Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft offenbar kurz vor dem
Abschluss. Die mutmasslichen Organisatoren der Party vom 6. auf den 7.
November seien nun bekannt, bestätigte gestern Andreas Mock vom
Mediendienst der Kantonspolizei. "Es handelt sich um fünf Personen
aus der Region im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, allesamt Schweizer"
- und darauf angesprochen, sie seien nicht der regionalen
Hausbesetzerszene zuzuordnen, die beispielsweise bereits bei der
Besetzung der Anlaufstelle am Dornacherplatz oder der ehemaligen
Gloria-Wäscherei in Biberist aktiv gewesen war. Die besagte Party
hatte in der Nacht vom Samstag, 6., auf den Sonntag, 7. November, in
der leer stehenden Druckerei der Vogt-Schild AG an der Zuchwilerstrasse
stattgefunden. In deren Verlauf kam es zu massiven
Sachbeschädigungen im Gebäude und an eingelagertem Mobiliar.
Ob die Organisatoren gleichzeitig für die Zerstörungen
verantwortlich gemacht werden können, liess Mock offen. Die
Polizei werde nun gegen mehrere Personen Anzeige wegen
Hausfriedensbruch erstatten. Die Polizei war damals wegen
Inaktivität vor Ort kritisiert worden, was sogar zu einer
parlamentarischen Anfrage im Kantonsrat geführt hatte. Die
Regierung wies allerdings die Kritik postwendend zurück und lobte
sogar das Verhalten der Einsatzkräfte. (pks/ww)
--------------------
SQUAT VD
-------------------
24 Heures 27.12.10
Clarens - Un Noël royal pour les squatters
Christophe Boillat
La famille royale de Bahreïn tolérera les dix
squatters du collectif Tesla jusqu'au 31 mars. Ils sont
installés depuis septembre dans deux villas de la rue du Lac,
à Clarens. Après réflexion, les
propriétaires ont accepté de ne pas exiger de la justice
leur expulsion immédiate. Un contrat de confiance a
été passé entre les deux parties. "Cette
convention est assortie, outre le réapprovisionnement en eau, du
retrait de la plainte pénale déposée contre nous.
En conséquence, nous partirons comme promis le 31
mars", affirme une squatteuse. C. BO.
--------------------------
VELODEMO GE
--------------------------
20 Minutes 27.12.10
Manif cycliste gardée à l'œil
Manifestation. La tension monte entre les militants
pro-mobilité douce de Critical Mass et la police. En novembre,
le défilé s'était terminé à
Grange-Canal de manière musclée (jets de pavés,
usage de gaz lacrymogène, canon à eau). A quelques jours
de la prochaine parade, qui coïncidera avec le Nouvel-An, un
participant dénonce des interventions policières
disproportionnées: "On constate un changement d'attitude de la
police", explique-t-il. "Les dernières éditions ont
dérivé sur d'autres sujets que la mobilité douce,
réplique Eric Grandjean, porte-parole de la police genevoise. On
a adapté notre personnel en fonction de cette évolution."
Pour l'édition de vendredi prochain, la police ne prévoit
aucun dispositif spécial, mais "si cela tourne au vinaigre, nous
dépêcherons des patrouilles en renfort". -Léo
-------------------------------------------
AUTONOME SOMMERUNI
-------------------------------------------
Indymedia 11.12.10
Zusammenfassung der autonomen Sommeruni 2010 ::
AutorIn : [denknische] : http://denknischen.ch
Die Autonome Sommeruni hat sich diesen August in Luzern mit der Krise
der Linken auseinandergesetzt. Unter dem Titel "Warum heute nicht mehr
68 ist" fanden an fünf Abenden Vorträge und Diskussionen
statt.
Es wurde versucht, Kritikmöglichkeiten durch theoretische und
empirische Analysen neoliberaler Gesellschaftsformationen auf
verschiedenen Ebenen auszuloten. Im Anschluss an die Vorträge
wurde dann jeweils nach der Bedeutung dieser Veränderungen
für eine linke Kritik gefragt. Denn: Transformierte Strukturen
verändern auch die Voraussetzungen und Möglichkeiten einer
kritischen Haltung gegenüber diesen Prozessen. Die Autonome
Sommeruni suchte in diesen zwei intensiven Wochen eine "Denknische";
von der politischen Arbeit und dem ständigen Drang nach
öffentlicher Anerkennung abgelöste Räume, in welchen in
Ruhe eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen
Verhältnissen stattfinden kann.
Die Vorträge und die engagiert geführten Diskussionen gaben
aufschlussreiche Einblicke in die verschiedensten Bereiche der vom
Neoliberalismus geprägten Gesellschaft und zeigten, vor welchen
Problemen kritische Debatten heute stehen. Der Anspruch war dabei nie
einen ganzheitlichen Überblick zu geben. Deshalb kann auch diese
Zusammenfassung nur in stark verallgemeinerter und gekürzter Form
die besprochenen Prozesse und Phänomene skizzieren.
DOWNLOAD der Zusammenfassung als pdf:
http://denknischen.files.wordpress.com/2010/12/zusammenfassung_denknischen.pdf
LINK [denknische]
http://denknischen.ch/
--------------------------
GASSENKÜCHE
---------------------------
BZ 24.12.10
Edle Speisen und Geschenke aus der Gassechuchi
LangenthalWeihnachten für Randständige: Die
Gasse-chuchi hat festlich gekocht und Geschenke aufgetischt.
Kalter Nebel liegt über den dunklen Strassen. Vom
Eingangstor der ehemaligen Porzellanfabrik führen Laternen mit
flackernden Kerzen zu einem hell erleuchteten Gebäude. Es ist die
ehemalige Porzi-Kantine, heute Sitz der Familiengemeinde Langenthal. In
dem grossen Saal steht ein geschmückter Weihnachtsbaum. Die Tische
sind mit weissen Tischtüchern, roten Sets und grünen
Servietten in Form einer Tanne geschmückt; in der Küche ist
das Team rund um Hans Ruedi Leuthold am Werk.
Esther Schönmann, Präsidentin und Gründerin des
Vereins Gassechuchi Langenthal, begrüsst jeden Gast
persönlich mit einem Händedruck, mit einer Umarmung. Viele
Gäste kennt sie seit Jahren. Sie kommen jeweils am Donnerstag zur
Essensausgabe für bedürftige Menschen auf den Wuhrplatz oder
holen am Mittwoch in Langenthal Lebensmittel ab. "Diese Lebensmittel
erhalte ich von der Schweizer Tafel, von der Organisation Tischlein
deck dich und von privaten Spendern", erklärt Esther
Schönmann.
Auch bedürftige Familien
Nicht nur Menschen mit Suchtproblemen sitzen an den
geschmückten Tischen. Man hört auch Kinderlachen und -weinen.
So sind Marlen-Jasmine und Stephan Charles aus Bützberg mit ihren
kleinen Mädchen der Einladung gefolgt. Die junge Mutter deckt sich
jeweils am Mittwoch bei Esther Schönmann mit Lebensmitteln ein.
"Ich bin keine Sozialhilfe-Empfängerin", betont sie. Ihr Mann - er
kommt aus Sierra Leone - suche aber seit langem vergeblich Arbeit. Und
sie sei froh, wenn sie ihr schmales Budget mit den Lebensmitteln
ergänzen könne.
Bruno Marti ist mit seinem Bruder und mit Kollegen aus Egerkingen
angereist. Der seit längerem arbeitslose Lagerist kommt
ursprünglich aus Langenthal und besucht seit einem halben Jahr die
Gassechuchi. "Ich werde vom Sozialamt unterstützt, aber das reicht
nicht weit." Daher sei er dankbar für die Mahlzeiten, die er von
der Gassechuchi erhalte. "Ich habe mich über die Einladung zur
Weihnachtsfeier sehr gefreut", sagt der 54-Jährige mit einem
Lächeln.
Kulinarisch und besinnlich
Der rote Faden des Abends bildet ein fünfgängiges
Weihnachtsmenü. Dazwischen bleibt auch Raum für Besinnliches.
So stimmt Thomas Lohnke, Pastor der Familiengemeinde, zwei
Weihnachtslieder an und hält eine kleine Predigt. Andächtig
folgen die Gäste seinen Worten. Eine feierliche Stimmung senkt
sich über den Raum. Lohnke weiss, wovon er spricht. Er war
früher selbst drogenabhängig und hing auf dem Platzspitz
herum. Erst ein Gefängnisaufenthalt brachte die Wende in seinem
Leben.
Dann wird wieder geplaudert und diskutiert. Man hört
Bruchstücke von Lebens- und Leidensgeschichten. Auch
Missstimmungen flackern auf und legen sich wieder wie im normalen
Leben. Ab und zu wird es im Saal leer. Die Gäste verziehen sich
nach draussen in die Kälte, um zu rauchen. Der eine oder andere
hält auch eine Bierdose in der Hand. Obwohl kein Alkoholverbot
ausgesprochen wurde, bleiben die Büchsen draussen vor der Tür.
Geschenke aus zweiter Hand
Wie bei Weihnachtsfeiern im Familienkreis fehlt auch die
Bescherung nicht. Da sind gebrauchte Kleider, die mitgenommen werden
können. Dass sie grossen Anklang finden, zeigen die prall vollen
Plastiktüten, mit denen der eine oder andere Gast am Ende die
Feier verlässt. Hinter der Küche warten weitere Geschenke auf
die Gäste. Eine junge Frau erklärt, dass ihr leider die Jeans
nicht gepasst hätten. Nun freut sie sich über die Auswahl von
zum Teil handgestrickten Socken. Daneben dürfen sich die
Gäste auch mit Kosmetikartikeln, Kugelschreibern und Kerzen
bedienen. Die junge Frau packt ihre Socken in eine Tüte und
verabschiedet sich mit einer Umarmung von Esther Schönmann.
Vielleicht wird sie am kommenden Sonntag den Brunch im Blaukreuzhaus
besuchen, den die engagierte Gassechuchi-Frau ihren Gästen
finanziert.
Prisca Rotzler Köhli
-------------------------
OBDACHLOS
--------------------------
Landbote 27.12.10
Von der Gasse in ein warmes Bett
Andrea Söldi
Das neue Durchgangsheim der Heilsarmee an der Habsburgstrasse 29
bietet Obdachlosen ein Dach über dem Kopf. Wer hier
übernachtet, weiss das saubere Bett, die warme Mahlzeit und die
Waschgelegenheit sehr zu schätzen.
Von der Küche her breitet sich Kaffeeduft aus, ein Topf voll
Suppe steht auf dem Herd. Punkt 19 Uhr ertönt die schrille
Türglocke zum ersten Mal. Dragana Blanc, die Leiterin des neuen
Durchgangsheims, öffnet Daniel* die Tür und begrüsst ihn
herzlich. Der grosse junge Mann war schon vergangene Nacht hier. Denn
Blick zu Boden gerichtet, grüsst er knapp und geht gleich auf sein
Zimmer. Kurz darauf begehren zwei weitere Männer Einlass. Auf den
Tischen stehen Schalen mit Früchten und Nüssen, die Betten in
den Zimmern sind mit farbiger Bettwäsche bezogen.
Ein Bett hat Jürg seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen,
wie er erzählt. Seit dem Sommer, als er seine Wohnung verloren
hat, übernachtete der 40-Jährige im Freien. Meistens hat er
sich im Wald einen Schlafplatz gesucht. Wenn es regnete, fand er in
einer Tiefgarage Schutz. Doch oft wurde er mitten in der Nacht von der
Polizei vertrieben. "Es gibt kaum Orte, wo man sich einfach hinlegen
und schlafen kann", sagt Jürg. Tagsüber hielt er sich meist
in verschiedenen Warenhäusern auf, doch inzwischen hat er fast
überall Hausverbot.
Seit zwei Wochen kommt Jürg nun jeden Abend ins
Durchgangsheim. Ja, ein warmes Bett sei schon angenehmer als ein
Schlafsack auf einem harten Boden, räumt er ein. Seinen ganzen
Besitz habe er in einer Tasche herumgetragen. Als er Anfang Dezember an
den Pforten des Heims anklopfte, besass er lediglich die Kleider, die
er am Leib trug. Während diese in der Waschmaschine von einem
halben Jahr Obdachlosenleben gereinigt wurden, organisierte ihm Dragana
Blanc eine saubere Garnitur.
Heute seien die Leute spät dran, sagt die 29-Jährige.
Doch bestimmt würden bis elf Uhr noch weitere eintreffen, ist sie
überzeugt. An einem Abend sei das Heim mit 12 Personen bereits
voll belegt gewesen. Für Notfälle gibt es im Esszimmer noch
einen ausziehbaren Sessel. Ein Zweierzimmer wird von einem Paar belegt.
Eigentlich erhalten Frauen und Männer getrennte Zimmer, aber bei
diesem Paar machte Blanc eine Ausnahme. "Sie haben sich so gefreut, als
ich ihnen die zusammengeschobenen Betten zeigte", sagt die gelernte
Psychiatriepflegefachfrau.
Am Tag bei der Familie
Die drei Männer sitzen im Wohnzimmer, hier ist Rauchen
erlaubt. Allmählich füllt sich der kleine Raum mit
Rauchschwaden. Daniel ist schweigsam, er widmet sich seinem Buch. Am
Fernseher wird gerade DJ Bobos romantische Hochzeit gezeigt.
Küsse, Luftballons in Herzform und bald darauf ein Baby.
Auch Thomas, noch nicht einmal zwanzig, hat kürzlich seine
Arbeitsstelle und darauf auch die Wohnung verloren. Die Tage verbringt
er meist bei seiner Familie, doch da sind noch drei kleinere
Geschwister und ein Stiefvater. Die beengenden Verhältnisse in der
Wohnung führten zu Spannungen. Thomas hat sich nun ein Zimmer im
betreuten Wohnen angeschaut und kann wohl bald dort einziehen.
ANDREA SÖLDI
--
Das Heim - im Auftrag der Stadt
Anfang Dezember wurde das Durchgangsheim an der Habsburgstrasse
29 eröffnet. Die Heilsarmee führt die Institution mit
zwölf Schlafplätzen im Auftrag der Stadt. Es ist jeweils eine
Betreuungsperson anwesend. Das Heim ist von 19 Uhr bis 9 Uhr
geöffnet. Benutzer können sich ein Nachtessen kochen und
erhalten ein Frühstück. Auch eine Waschmaschine kann benutzt
werden. Eine Nacht kostet 95 Franken. Für Mittellose kommt das
Sozialamt auf, wer kann, trägt einen Teil der Kosten selber. Die
Aufenthaltsdauer ist unbeschränkt, das Heim ist jedoch als
Notlösung gedacht. Das Betreuerteam unterstützt die Benutzer
bei der Suche nach einer dauerhaften Unterkunft. Personen auf der
Durchreise steht das Heim für höchstens drei Nächte
offen. (as)
---
NZZ am Sonntag 26.12.10
Der Stolz nimmt nur langsam ab
Nur kurz in der Patsche oder auf dem finalen Abstellgleis?
Menschen im Obdachlosenheim stellt sich eine universelle Frage ganz
besonders erbarmungslos: Bin ich gescheitert?
Von Christof Gertsch
Luca hat Essen mitgebracht, Lammfleisch und
Tiefkühlgemüse. Aber er kocht nicht gern. Fredy schon, Fredy
kennt sich aus in der Küche. Früher, sagt er, habe er oft
Mahlzeiten zubereitet, auch für Dutzende hungrige Mäuler.
Luca nimmt das Angebot an. Unter der Bedingung, dass Fredy mitisst.
Zuerst sträubt sich Fredy. Die Zurückhaltung legt sich, als
er sich besinnt, wovon er sich an anderen Tagen ernährt: Suppe,
nichts sonst.
Fredy, 62-jährig, könnte der Grossvater von Luca,
21-jährig, sein. Doch nicht die Familienkonstellation hat die zwei
Männer an diesem Abend kurz vor Weihnachten zusammengeführt,
sondern ihr Leid. Sie sitzen im Aufenthaltsraum der Notschlafstelle
Zürich, vor sich das Lammfleisch, schön rosa, das Gemüse
und einen Becher Kaffee. Nebenan läuft der Fernseher, Federer
gegen Nadal. Luca ruft: "Leiser, bitte." Es ist ungewöhnlich
betriebsam, aber ein bisschen Ruhe beim Essen ist ja wohl nicht zu viel
verlangt.
Die Notschlafstelle ist ein Ort des Scheiterns. Wer sie aufsucht,
weiss nicht weiter. Ist oft abhängig von Alkohol, Drogen,
Psychopharmaka. Hat meistens kein Beziehungsnetz. Und schon gar keine
Arbeit. Knapp drei Viertel sind Männer, die paar Frauen halten
sich in separaten Räumen auf. Für fünf Franken pro Nacht
gibt's einen Platz zum Schlafen, eine Dusche, eine saubere
Zahnbürste. Auf drei Stockwerke verteilen sich 52 Betten.
"Etwas Neues aufbauen"
Den Winter durch ist die Auslastung besonders hoch,
durchschnittlich sind 45 bis 48 Betten belegt. Draussen ist es kalt,
zudem ist die Nachfrage generell so gross wie lange nicht mehr. 2007
verzeichnete die Notschlafstelle noch 8419 Übernachtungen. 2008
waren es 10 529. Und 2009 schon 14 219. Ursachen für die Zunahme
sind schwer eruierbar. Manche Obdachlose kommen seit ein, zwei, drei
Jahren immer wieder her. Andere bleiben lediglich ein paar Wochen, ehe
sie verschwinden.
Weil sie eine Bleibe gefunden haben? Die Betreuer können nur
hoffen. Vielleicht ist im Knast gelandet, wer nicht mehr auftaucht.
Oder an einer Überdosis gestorben. Doch setzt sich die Klientel
nicht mehr nur aus Drogenabhängigen zusammen. Der sichtbar
abgewrackte Obdachlose ist seltener geworden. Zugenommen hat der Anteil
psychisch erkrankter Personen.
Die Mannen auf der Couch haben den Fernseher wieder lauter
gedreht. Diesmal sagt Luca nichts. "Hier musst du tolerant sein", sagt
er. Wacher Blick, lockiges Haar, weiche Haut: Luca passt nicht ins
Klischee des Obdachlosen - und vielleicht deshalb so gut hierher. Die
Menschen in der Notschlafstelle sind aus den verschiedensten
Gründen hier. Der, den sie den Veteran nennen, war anscheinend
lange auf Reisen gewesen, zuletzt in Mexiko. Als er heimkehrte, war der
Job weg, den er sich per Handschlag hatte versichern lassen. Sagt er.
Und: "Jetzt will ich mir etwas Neues aufbauen." Ist nicht ganz einfach.
Andere suchen Unterschlupf, weil sie sagen: "Die Gesellschaft will mich
nicht, also will auch ich nichts von der Gesellschaft."
Es sind Geschichten von Menschen, die am Abgrund leben - aber
sich etwas Würde bewahren wollen. Sie gehen in die
Notschlafstelle, weil der Ort ihnen nicht wie das Ende vorkommt, nicht
wie das finale Abstellgleis. Sie sagen von sich, nur vorübergehend
in der Patsche zu sein. Wenn sie erklären, was sie ins Haus an der
Rosengartenstrasse verschlagen hat, fällt es schwer, Realität
von Fiktion zu unterscheiden. Ihre Geschichten dienen der
Verdrängung.
Luca erzählt. Die Eltern trennten sich, als er drei war. Die
Mutter zog ihn und den Bruder alleine auf. Nach der Schule jobbte er
bei McDonald's, später versuchte er sich als
Landschaftsgärtner und Elektrotechniker. Die Ausbildung zum
Krankenpfleger schloss er schliesslich ab. Und nun, sagt Luca, arbeite
er in einem Altersheim. Am Aufenthalt in der Notschlafstelle sei eine
Verkettung unglücklicher Umstände schuld. Er war aus seiner
WG ausgezogen, weil er eine eigene Wohnung gefunden hatte. Der Vertrag
ist unterschrieben, doch der Vormieter stellt sich quer. Er geht nicht
raus. Der Verwalter, sagt Luca, habe versichert, sich des Problems
anzunehmen, notfalls mit harten Bandagen. Luca geht davon aus, dass er
demnächst einziehen kann.
Warum er die Wartezeit nicht bei Freunden überbrückt?
Oder bei der Mutter? "Ich gebe nichts auf den sozialen Status", sagt
Luca. "Ich will mein Leben nicht davon abhängig machen, was andere
von mir denken." Vor anderthalb Jahren habe er zu Hause den Fernseher
entsorgt, "die senden doch nur Müll, das ist
Volksverblödung". Luca will die Zeit für Besseres nutzen,
will die Probleme der Welt erkennen, will nachdenken, Verständnis
haben.
In der Notschlafstelle hat man Verständnis für ihn. "Es
ist unwesentlich, warum die Leute hier sind", sagt eine Betreuerin. Und
Matthias Schneebeli, seit der Eröffnung 1996 Leiter der
Einrichtung, sagt: "Jede Nacht ist wie ein anderer Film." Mal für
Mal aufs Neue gehe es darum, bis zum Morgen eine möglichst ruhige
Atmosphäre zu schaffen - was für die 27 Mitarbeitenden, die
sich 11 Vollzeitstellen teilen, nicht leicht ist. Wenn die Türen
abends um acht Uhr öffnen, haben viele Obdachlose einen
anstrengenden Tag hinter sich. Sie suchten Stoff. Oder versuchten
schlicht, der Langeweile zu entfliehen. Die Notschlafstelle verschafft
vorübergehend ein bisschen Struktur. Der Zustand, in dem sie
ankommen, ist eine Mischung aus Gereiztheit, Hoffnungslosigkeit,
Enttäuschung - und nur langsam abnehmendem Stolz. Denn nicht alle
sind wie Luca. Oder Fredy.
Zukünftige in Thailand
Fredy ist seit 14 Tagen hier - aber hat nicht vor, noch lange zu
bleiben. Am 10. Januar, sagt er, wolle er wieder nach Thailand fliegen,
wo er eine Frau kennengelernt habe. Die Heirat sei geplant. Er zeigt
Bilder, die er immer auf sich trägt, und den Katalog eines
Viersternehotels, in das er seine Zukünftige einladen will. Sodann
erzählt Fredy diese Geschichte: Zuletzt habe er als Techniker in
einem Spital gearbeitet. Nun beziehe er IV, ab April auch AHV. Wenn
alles klappt. Nur deshalb sei er in die Schweiz zurückgekehrt. Die
Zahlungen waren eingestellt worden. "Ein dummes Missverständnis",
sagt Fredy.
Seine Frau starb vor 20 Jahren an Krebs, sein Sohn meidet jeden
Kontakt, und mit dem Bruder hat er sich überworfen - deshalb die
Notschlafstelle. Fredy ist blank. Aber macht einen aufgeweckten
Eindruck, wenn er aus dem Leben erzählt. Wie er einst 100 000
Franken in ein Projekt investierte, das scheiterte. Und wie er Menschen
vertraute, manchmal wohl zu sehr.
Luca sitzt daneben, er lacht laut und sagt: "Über dich
könnte man ein Buch schreiben und damit Millionen verdienen. Wie
überhaupt mit den Geschichten von vielen hier." Ein Buch - das
war, sagt Luca, auch mal ein Traum. "Aber mir hat die Ausdauer gefehlt."
So vergeht der Abend in der Notschlafstelle. Eigentlich ohne
nennenswerte Aufregung. Bis auf die Meldung, dass die ZSC Lions das
Eishockey-Derby gegen Kloten verloren haben. Um ein Uhr ist Nachtruhe,
um zehn Uhr morgens müssen alle wieder raus.
An Weihnachten drei Tage später kochen die Betreuer für
die Obdachlosen. Ein Tannenbaum verbreitet festliche Stimmung, so gut
es geht. "Die Feiertage sind die schwierigste Zeit im Jahr", sagt
Schneebeli. "Da merken die Leute hier, wie alleine sie sind." Ausser
sie tun sich vorübergehend zusammen. Wie Luca und Fredy. Und sei
es nur für die Dauer eines Abendessens.
--
Fünf Franken pro Nacht
In Zürich, der grössten Stadt der Schweiz, gibt es nur
eine Notschlafstelle. Sie existiert seit 1996 - und löste die
verschiedenen Provisorien ab, die im Zuge des Drogenproblems initiiert
worden waren. Sie verfügt über ein Jahresbudget von gut 1,5
Millionen Franken. Eine Übernachtung kostet die Stadt rund 130
Franken, der Obdachlose beteiligt sich mit 5 Franken. Dabei handelt es
sich eher um einen symbolischen Betrag. Die Gäste sollen nicht das
Gefühl haben, die Gesellschaft halte sie für gänzlich
wertlos - darum wird bewusst ein kleiner Beitrag gefordert. (cag.)
---
Zürichsee-Zeitung 24.12.10
Anders leben In der Gesellschaft nicht daheim, in die Illegalität
gedrängt
Auch Punks feiern Weihnachten
Ihre Gruppe betrachten sie als Rudel, die Hunde sind ihre treuen
Freunde. Ihnen ist bewusst, dass sie ausserhalb der Gesellschaft
stehen, aber sie tun es freiwillig. Ein "Wohnprojekt" in
Zürich-Leimbach.
Gabriele Spiller
Buda, Migu, Ramona, Monika und Röbu halten sich bevorzugt in
der Nähe von Bahnhöfen auf. Sie sind keine Fahrenden, aber
viel unterwegs. Auch das Wohnen in Bauwagen verbindet einige von ihnen
mit Sinti und Roma. Als solche würden ihnen, dies hat das
Bundesgericht entschieden, zum Schutze der Kultur Standplätze mit
sanitären Anlagen zustehen. Da sie darauf keinen Anspruch haben,
besetzen sie eben Häuser. Mit dem Verwalter haben sie vor
anderthalb Jahren eine "Mietkostenfreistellung" ausgehandelt, die sogar
den Strom beinhaltet. Das finden sie lässig.
Die ehemalige Weinkelterei mit dem Wohnhaus hat so viele
Räume, dass jeder der rund 25 Aussteiger ein eigenes Zimmer oder
ein Zimmer für zwei bewohnen kann. Sie schätzen diesen
"Luxus", denn viele haben schon auf der Strasse oder unter einer
Brücke geschlafen. Dass sie am 6. Januar raus müssen, weil
dann die Abrisswagen kommen, bereitet ihnen Kopfzerbrechen. "Es ist
schon hart, mitten im Winter vor die Tür gesetzt zu werden", sagt
Buda. Das ist ihnen noch nie passiert. Die Notschlafstellen akzeptieren
ihre Hunde nicht, und bei Pfarrer Sieber ist auch kein Platz für
so viele Gäste.
Kein 08/15-Leben
"Wir sind nicht abgeneigt, Gegenleistungen zu erbringen",
erklärt Migu. Eine kleine Miete zum Beispiel, und ausserdem
leisten sie Instandsetzungsarbeiten. An einem andern Ort zahlten sie zu
fünft 200 Franken im Monat für Strom und Wasser. Das lag
drin. Manche gehen unregelmässig einer Arbeit nach: auf dem Bau,
bei der Müllabfuhr oder besonders gern als Bühnenbauer.
Röbu erzählt, dass er einmal ein halbes Jahr zu 100 Prozent
in der Psychiatrie gearbeitet hat. Das ginge schon, wenn man auf die
Hygiene achte. Ein Kollege arbeitet als Eisenleger: zwei Monate lang,
so hat er wieder Geld für vier Monate. Hauptsache, man wird nicht
in ein 08/15-Leben gedrängt. "Drei Jahre in der Fabrik, und du
hast einen Hirnschaden", ergänzt Migu.
Werbung und Konsumterror sind ihnen ein rotes Tuch. Damit werde
der Mensch in materielle Abhängigkeiten gezwungen. "Was den
Lebensstandard betrifft, sind wir Minimalisten", führt Röbu
aus. Mit der Zeit häufe sich aber doch mehr an, als man eigentlich
will. Wer einmal mit Rucksack, Schlafsack und Hundefutter ankam, hat
heute zum Teil schon TV, DVD und Laptop. Am Haus prangen drei
Satellitenschüsseln, alte Unterhaltungselektronik findet man auf
dem Sperrmüll. Per Prepaid sind sie mobil erreichbar und surfen
mit dem Datenstick, bis sie ihre zehn Gigabyte im Monat gedownloadet
haben. Buda sieht per Internet fern, am liebsten Dokus. Monika findet
auch Gratiszeitungen ganz praktisch. Die Werbung darin müsse man
halt in Kauf nehmen, irgendwie müssten die auch leben.
Es fehlt fast an nichts
Das Essen wird frei Haus geliefert. Es kommt von der Schweizer
Tafel, die gespendete Lebensmittel verteilt. Röbu ist der Meinung,
dass sie feiner speisen als so mancher Normalverdiener. Es hat
öfter Fine-Food-Produkte darunter, und kürzlich gab es sogar
Bison-Medaillons. Das Fleisch war so zart, dass man es roh essen
konnte. Früher gingen sie auch "containern". Die
Entsorgungskübel an den Supermärkten waren eine ergiebige
Quelle, doch heute wird der Inhalt mit Kaffeesatz, Waschpulver oder
Javelwasser unbrauchbar gemacht. Lachend erinnert sich Migu an den
Servelas-Container nach einer abgelaufenen Denner- Aktion. Der reichte
für über einen Monat. Einzig die Wasserversorgung ist ein
Problem. Dafür müssen sie zu öffentlichen Brunnen laufen
und PET-Flaschen füllen. Sie sammeln auch Regenwasser auf dem Dach
oder schmelzen Schnee.
Manchmal stellen ihnen Nachbarn Körbe mit Nahrungsmitteln
hin oder abgelegte Kleidung. Buda findet das sehr anständig, sagt
aber auch, dass sie nicht darauf angewiesen sind. "Wir haben schon
Klamotten zum Brockihaus gebracht." Mobiliar kommt vom Sperrmüll,
Baumaterial, Fenster und Toilettenschüsseln holten sie aus
Abrisshäusern. Mit alten Teppichen und Sofas haben sie ihre Bar
eingerichtet, ein Treffpunkt, in dem getöggelt wird und die
hauseigene Band spielt. Bis jeder von seinem Tag erzählt habe, sei
der Abend schon fast rum. Kinder gibt es keine in dieser Gruppe,
dafür geht es gelegentlich zu wild zu und her. In Biel existiere
aber eine Wagenburg mit einem eigenen "Kinderkreis".
Freiheit um jeden Preis
Gesellschaftlich sind sie abgemeldet. Sie haben eine
Schriftenadresse bei den Eltern oder eine Amtsadresse. Da sie eh nicht
mehr ans System glauben, ist es ihnen egal, ob sie abstimmen
könnten. Zumindest dieses Wohnprojekt bezeichnet sich als
politisch völlig inaktiv. Intern organisieren sie sich per
Haussitzung. Dabei werden Entscheidungs- mehrheiten ausgehandelt.
Kompromisse seien erzielbar, auch sonst gebe es nur die üblichen
menschlichen Streitigkeiten: Wer ist mit Kloputzen dran? Wo sind die
Schlüssel? Wer hat mein Joghurt gegessen? Medizinische Hilfe gibt
es im Notfall im KfO, Krankenzimmer für Obdachlose, an der Kaserne.
Weihnachten werden viele doch zu ihrer Familie gehen, da seien
sie halt richtige Schweizer, lacht Röbu. Andere wollen eine
Goa-Party im Haus machen, Einzelne setzen sich sogar in die Ferien nach
Spanien ab. Es ist ein selbstbestimmtes Leben, wäre da nicht das
aktuelle Problem mit der Räumung. Sie wollen zusammenbleiben, eine
WG von 20- bis 58-Jährigen. Röbu hat Angst, dass der
gesellschaftliche Zwang immer weiter zunimmt. Wenn ihre Lebensform
verboten würde, wolle er lieber sterben. In einer Wohnung, zum
Beispiel bei sei- ner Mutter, könne er nicht mehr ruhig schlafen.
"Der Mensch ist ein Herdenwesen", meint er, und in der Gruppe ist man
nie allein. Irgendeiner ist immer wach. Und sonst gibt es noch die
Hunde.
---
Limmattaler Taglatt 22.12.10
Stadtrat prüft Notschlafstelle für die Region
Nicole Emmenegger
Schlieren Der Stadtrat nimmt das Postulat von Gaby Niederer
(Quartierverein Schlieren) zur Errichtung einer Notschlafstelle
entgegen - und erntet dafür im Parlament nicht nur Lob.
Limmattaler Obdachlose müssen derzeit "hinten anstehen",
wenn sie ein warmes Bett in einer Notschlafstelle ergattern
möchten - das bestätigte der Schlieremer Sozialvorstand
Robert Welti (EVP) an der Parlamentssitzung am Montag. Letzten
Frühling schloss die Notschlafstelle auf dem Areal von Pfarrer
Siebers "Ur-Dörfli" neben der Kantonsschule in Urdorf ihre Tore.
Seither existieren im Kanton nur noch in der Stadt Zürich
Notschlafplätze. Dort haben jedoch Stadtzürcher Vorrang (az
Limmattaler Zeitung berichtete). "Ich werde mich mit dem Sozialdienst
Limmattal dafür einsetzen, dass wir eine gute Lösung finden",
sagte Robert Welti. Er teilte mit, dass der Stadtrat das Postulat von
Gemeinderätin Gaby Niederer (Quartierverein) über die
"Einrichtung einer Notschlafstelle" entgegennehme.
Keine Lösung im Alleingang
Niederer hatte in ihrem Postulat vorgeschlagen, eine
allfällige Notschlafstelle könne "durch die Stadt Schlieren
oder zusammen mit weiteren Gemeinden im Limmattal an einem geeigneten
Standort betrieben werden". Welti machte in seiner Stellungnahme jedoch
deutlich, dass eine Lösung nur in Zusammenarbeit mit einer
sozialen Institution denkbar sei, auch aufgrund der geringen Nachfrage.
Die Notschlafstelle im "Ur-Dörfli" sei im Durchschnitt von
fünf bis sechs Personen genutzt worden - davon rund die
Hälfte aus dem Bezirk Dietikon, so Robert Welti.
Sozialdienst Limmattal zuständig
SVP-Gemeinderat Thomas Grädel äusserte in der
anschliessenden Debatte Zweifel an der Notwendigkeit einer
Notschlafstelle für das Limmattal. "Obdachlose wollen oft erst um
Mitternacht ein Bett haben", sagte er. "Wenn man sich frühzeitig
anmeldet, bieten Institutionen wie die Heilsarmee einen Platz."
Andreas Geistlich (FDP) kritisierte, dass der Sozialdienst
Limmattal als Zweckverband in der Pflicht sei, nach einem Ersatz
für die Notschlafstellen in Urdorf zu suchen. "Ich verstehe nicht,
was Schlieren damit zu tun hat", sagte Geistlich. Sozialvorstand Robert
Welti bestätigte die Zuständigkeit des Sozialdienstes
Limmattal. Als Vorstandsmitglied des Verbandes wolle er sich trotzdem
für eine Lösung einsetzen. Das Parlament verzichtete auf
einen Ablehnungsantrag, womit sich der Stadtrat der Problematik
annehmen kann.
---
20 Minuten 16.12.10
Studenten verschlimmern Situation für Obdachlose
LUZERN. Die Situation der Obdachlosen hat sich in Luzern
verschärft - nicht nur wegen der Kälte. Das Leben machen
ihnen auch Studenten schwer, die billigen Wohnraum für sich
beanspruchen.
Dreissig Nächte dürfen Obdachlose in der Luzerner
Notschlafstelle verbringen. Danach müssen sie - auch wenn sie
keine Anschlusslösung gefunden haben - mindestens einen Monat lang
woanders unterkommen. Ein Problem: Die wachsende Universität zieht
immer mehr Studenten an - und diese wiederum nehmen Randständigen
den billigen Wohnraum weg. "Studenten gelten bei Vermietern leider als
pflegeleichter", bedauert Annemarie Käch, Präsidentin des
Vereins Jobdach. Das mache es schwierig, die Randständigen zu
motivieren. "Viele halten es für aussichtslos, eine Wohnung zu
finden." Deshalb nehme man es mit der 30-Nächte-Regelung im Winter
nicht immer ganz genau.
Auch Josef* (42) musste aus seiner Wohnung im Eichhof raus, weil
das Haus für Studenten umgebaut werden soll. Seit drei Monaten
lebt er nun auf der Strasse. "Ein- oder zweimal habe ich draussen
übernachtet. Ich habe mich in einen Lastwagen-Anhänger
gelegt", erzählt er in der "Gasse Ziitig Lozärn". Pro Nacht
schlafen laut SIP-Chef Anton Häfliger trotz der tiefen
Temperaturen durchschnittlich vier Personen draussen. Die SIP macht
deshalb Kältepatrouillen. "In Luzern soll niemand erfrieren", so
Häfliger.
Lena Berger
*Name der Redaktion bekannt
---
20min.ch 15.12.10
Obdachlose: "Ich schleppe sie eigenhändig weg"
Pfarrer Sieber über Obdachlose, die sich nicht helfen lassen
wollen, häuslich eingerichtete Schlafplätze und Wendepunkte
beim Weihnachtsessen.
Joel Bedetti
20 Minuten Online: Herr Sieber, wie viele Obdachlose sind derzeit
in Zürich unterwegs? Pfarrer Sieber: Es sind hunderte, wenn man
die mitrechnet, die in der Nacht eine warme Unterkunft wie den Pfuusbus
(siehe Box) haben. Dutzende bleiben aber in der Kälte. Manche
wollen gar keine Hilfe annehmen. Einige seelisch Kranke, von denen wir
in letzer Zeit immer mehr haben, spüren die Kälte gar nicht
mehr. Kürzlich lasen wir zwei oder drei auf, die wären
erfroren ohne unsere Hilfe.
Wie überzeugen Sie sie, mitzukommen? Indem wir ihnen zeigen,
dass wir wirklich an ihnen interessiert sind. In all den Jahren konnte
ich viel Vertrauem aufbauen. Es gibt auch andere Methoden. Einem, der
in eine Wolldecke eingewickelt war und nichts von uns wissen wollte,
brachte ich einmal ein warmes Poulet. Erst streckte er zum Dank den
angenagten Knochen aus der Wolldecke, dann kam er freiwillig in den
Pfuusbus mit. Viele müssen erst ihren grossen Stolz
überwinden.
Was machen Sie mit denen, die ihren Stolz nicht überwinden
können? Manchmal reicht eine Wolldecke. Aber wenn einer zu
erfrieren droht, dann mache ich kurzen Prozess. Ich rufe die Polizei.
Und wenns sein muss, schleppe ich sie gleich eigenhändig in den
Pfuusbus - wie den jungen Mann, der neben der Limmat auf einem
Betonboden schlief. Daneben stand ein Warnschild, dass die Fläche
manchmal überschwemmt werde.
Wehren die sich nicht? Meistens sind sie sehr geschwächt.
Und wenn man sie in die Arme nimmt und sie menschliche Nähe
spüren, schmilzt der Widerstand manchmal sehr schnell. Das
fehlende Dach ist nicht ihr grösstes Übel, sondern das
Alleinesein.
Glauben Sie nicht, dass manche einfach allein gelassen werden
wollen? Nein. Der Mensch ist nicht dafür gemacht, alleine zu sein.
Wenn sie erst mal im Pfuusbus sind, schmelzen die stahlharten Schalen,
und sie geniessen die Gemeinschaft. Niemand will wirklich auf der
Strasse leben. Meistens sind es Gegenreaktionen und Trotzreaktionen auf
Schicksale.
Was für Schicksale? Wir hatten einen Schreiner, der als
Geschäftsinhaber ein so grosses Selbstbewusstsein aufgebaut hatte,
dass er mit der Pleite nicht klar kam und lieber auf die Strasse ging
als die hohle Hand zu machen. Oder einer, der einen Bauernhof geerbt
hatte, aber von den Nachbarn vertrieben wurde.
Wo leben die Obdachlosen heute? Manchmal schlafen sie über
den Abzügen von Bäckereien, die in der Nacht laufen. Manchmal
in Kellern von Neubauten, weil dort immer geheizt wird. Manchmal bei
einem Gebäude nahe der ETH, das Wärme abstrahlt. Und manche
haben sich dabei ganz häuslich eingerichtet.
Inwiefern? Oft haben sie Musikinstrumente dabei, andere schleppen
auch ganze Möbel her und richten sich auf längere Zeit ein.
Einer, der in einem Park eine gemütliche Nische gefunden hatte,
sagte mir mal, er bleibe jetzt wohl ein ganzes Jahr hier. Wie einst
dieser Zürcher gesungen hat, wie hiess er doch gleich: (singt) Mis
Dach isch dr Himmel vo Züri und ds Bellevue mis Bett wo n i pfuus,
und d'Schipfi mis Tänkli und d'Meise mis Schränkli und
Züri, ganz Züri, mis Huus!
Gibt es eine Gegend, wo sich die Obdachlosen konzentrieren? Nein,
sie leben verstreut und hüten ihre Plätzchen wie ein grosses
Geheimnis. Sonst schnappt es ihnen ein anderer weg. Meist leben sie
allein. Viele halten aber ein Tier, meistens einen Hund. Das ist oft
ein Grund, wieso sie nicht in Notschlafstellen wollen: Dort akzeptiert
man keine Tiere, die aber ihre nächsten Bezugspersonen sind, wenn
man so will. Das muss man ändern.
Bleiben viele ein Leben lang obdachlos? Einige bleiben es sehr
lange. Andere erreichen nach einigen Jahren einen Punkt, wo sie sich
entscheiden, sich wieder aufzuraffen. Manche sagen plötzlich: "Ich
würde gerne meine Familie wiedersehen."
Woher kommen diese Wendepunkte? Nicht selten geschieht es an
Weihnachten, dem Essen im Hotel Mariott, das am nächsten Sonntag
wieder stattfindet (siehe Box). Manche freuen sich das ganze Jahr
darauf. Da entstehen Gespräche, die Wendepunkte darstellen
können. Wir versuchen auch die Obdachlosen mit Anschlussprogrammen
von der Strasse zu holen. In einem Drittel aller Fälle gelingt es
uns. Darf ich noch einen Aufruf machen?
Natürlich! Wenn man an Weihnachten jemanden ziellos in der
Gegend herumwandern sieht, sollte man am besten den Abholdienst des
Pfuusbus rufen. Wir bringen die Obdachlosen dann an einen Ort, wo sie
etwas Gemeinschaft haben und einen Happen Siedfleisch essen können
- oder wie unser Bundesrat sagte:
"Bü-Bü-Bü-Bündnerfleisch!!"
Herr Sieber, danke für das Interview. Bhüet di Gott,
Tschüss!
---
20 Minuten 14.12.10
Wegen Kälte: Betten für Obdachlose heiss begehrt
BERN. Die klirrende Kälte macht den Obdachlosen das Leben
auf der Strasse schwer. Ein warmes Plätzchen zu finden, ist aber
nicht so einfach.
"Es kommt vor, dass wir im Sleeper Leute abweisen müssen",
sagt ein Mitarbeiter der Berner Notschlafstelle. Sobald es draussen
bitterkalt wird, füllt sich die Notschlafstelle an der
Neubrückstrasse nämlich im Nu. Dies, obwohl der Sleeper Leute
auch auf dem Boden schlafen lässt, wenn alle 20 Betten besetzt
sind. "Ich hoffe schwer, dass bei dieser Kälte jeder Suchende noch
einen Platz findet", so der Mitarbeiter.
Und die Minustemperaturen sollen anhalten - "zumindest bis zum
Wochenende", so Jürg Kurmann vom Meteotest. Eine Hiobsbotschaft
für die im Sleeper Abgewiesenen, denn Notbetten sind auch anderswo
knapp. Beim Passa ntenheim der Heilsarmee waren gestern Nachmittag von
43 Betten noch drei frei, bei WOhnenbern in Bümpliz gerade mal
zwei. Im Passantenheim komme es aber nie vor, dass Leute in der
Kälte bleiben müssen. "Zur Not können wir über 50
Personen Schutz vor der Kälte bieten", so Heimleiter Franz Dillier.
Dennoch übernachten in Bern Menschen auf der Strasse. Die
Streetworker von Pinto wissen von mehreren Personen, die das dauernd
tun. "Trotz der Kälte. Die schlafen in öffentlichen
Toiletten, in Hauseingängen oder in selbstgebauten
Verschlägen", so Pinto-Leiter Silvio Flückiger. "Wir haben
schon drei Winterschlafsäcke verteilt." Das tue man aber als
letzte Möglichkeit. Vorher versuche man die Randständigen
irgendwo unterzubringen.
Pedro Codes
--
Wegen Kälte: Betten für Obdachlose heiss begehrt
ZÜRICH. Bei tiefen Temperaturen wird es für Obdachlose
in Zürich besonders ungemütlich. Der Pfuusbus von Pfarrer
Sieber ist bereits voll.
In Zürich wird es in den nächsten Tagen kalt sein: "In
der Nacht und am Morgen werden Temperaturen von minus sechs bis minus
acht Grad herrschen", sagt Ivo Sonderegger, Meteorologe bei MeteoNews.
Auch tagsüber werde es nie wärmer als minus drei Grad.
Pfarrer Ernst Sieber vom Pfuusbus erwartet einen grossen Andrang in
seinen Einrichtungen: "Am letzten Freitag hatten wir bereits 30 Leute
im Bus und dem angebauten Zeltlager." Normalerweise seien es rund ein
Dutzend.
Der Obdachlosenpfarrer geht derzeit zwischen elf und drei Uhr
nachts auf "Kältepatrouillen" - seine Equipe fährt durch die
Stadt und bietet Obdachlosen ein Bett und eine warme Mahlzeit an oder
gibt ihnen vor Ort Decken, Tee und Kleider ab. "Viele Randständige
haben nicht den Mut und die Kraft, selber Hilfe zu suchen." Das sei
aber gefährlich: "Wenn man in einem seelischen Elend steckt,
spürt man die kalten Temperaturen nicht mehr", sagt Sieber. Er
habe schon eine Frau getroffen, die im tiefsten Winter mit einem
Sommerrock auf einer Bank schlief.
Die Stadtzürcher Notschlafstelle rechnet für den
Dezember mit einer Zunahme der Übernachtungen - bereits 328 wurden
im laufenden Monat registriert. Die Notschlafstelle der Heilsarmee an
der Luisenstrasse öffnet trotz der Kälte erst am 11. Januar
2011. "Wir würden gerne jetzt schon aufmachen, haben aber fast
keinen Platz in unseren Räumlichkeiten", sagt Leiter Walter
Sommer.
David Torcasso
---
20 Minuten 13.12.10
Für Obdachlose wird es in Basel bei Minusgraden eng
BASEL. Volle Wärmestube und keine kostenlosen
Schlafplätze: Bei kalten Temperaturen ist Basel für das Leben
auf der Strasse kein angenehmer Platz.
Minus acht Grad - die Prognosen für die kommende Woche
stimmen Claudia Adrario, Präsidentin des Vereins Soup & Chill,
besorgt: "Es gibt keinen Notfallplan für solch kalte Tage." In der
Wärmestube herrsche riesiger Andrang: Täglich kommen
über 60 Besucher vorbei, es werden 30 Liter Suppe ausgeschenkt.
"Wir sind dabei, Schlafsäcke und Anoraks aufzutreiben", so
Adrario. Denn viele Leute würden unter Brücken, in Nischen
oder Gartenhäuschen übernachten. "Wir bräuchten einen
Raum oder ein beheiztes Zelt, in dem Obdachlose kostenlos
übernachten können, wie es das etwa in Rom gibt", sagt
Adrario.
Auch Michel Steiner vom Schwarzen Peter bestätigt: "Im
Tageshaus an der Wallstrasse oder dem Treffpunkt Glaibasel wirds
langsam eng." Richtig problematisch sei es jedoch nachts: Ein Bett in
der Notschlafstelle kostet sechs Franken, für Ausserkantonale gar
40. "Das ist einfach zu viel", so Steiner. Nächstes Jahr will der
Schwarze Peter deshalb an Wohnprojekten arbeiten - bis dann zahlt der
Verein Obdachlosen den Schlafplatz aus eigener Kasse.
Anna Luethi
--
Randständige als Kunstobjekte
BASEL. Die Basler Künstlerin Barbarella Maier macht aus
Obdachlosen Kunst: Ihr neustes Projekt heisst "Handy Homeless". Maier
hat dafür auf dem Claraplatz und beim Bahnhof Randständige
fotografiert und die Bilder nun zu dreidimensionalen Objekten
verarbeitet. "Ich wollte aus etwas, das eigentlich keiner in unserer
Gesellschaft haben will, ein begehrtes Kunstobjekt machen", sagt Maier.
Damit wolle sie eine Annäherung erwirken: "Ich habe gemerkt, dass
es mir selbst schwerfiel, auf diese Menschen zuzugehen", so Maier. Vier
Obdachlose wurden nun in unterschiedlicher Form und Funktion
dargestellt: im Taschenformat zum Mitnehmen, als Magnet sowie als
Schneekugel-Inhalt. Die Werke kosten 150 Franken - 50 Franken gehen an
die Galerie, 50 an die Künstlerin und 50 an den Abgebildeten.
Maier will zudem auf Baizentour gehen und die Objekte direkt
verkaufen. lua http://www.easyart.ch
------------------------------------
BIG BROTHER SPORT
-------------------------------------
WoZ 23.12.10
Fussballfans und Staat
"Mich stört das Benimmdiktat"
Manuela Schiller ist Anwältin, Feministin und Politikerin
der Zürcher Alternativen Liste. Und sie ist bekannt als
Kämpferin für die Rechte von Fussballfans. Ein Gespräch
über die Abschaffung der Unschuldsvermutung, Gewalt,
Frauenfeindlichkeit in den Stadien und darüber, was die Politszene
von den Fans des FC Basel lernen kann.
Von Daniel Ryser (Interview) und Ursula Häne (Foto)
WOZ: Auch 2010 machten Fussballfans Wochenende für
Wochenende Schlagzeilen. Leserbriefschreiber fordern inzwischen gar in
der WOZ: "Jetzt hört damit auf, diese Fans immer in Schutz zu
nehmen. Es gibt Wichtigeres!" Warum kämpfen Sie so vehement
dafür, dass Fans zu ihrem Recht kommen?
Manuela Schiller: 2004 kam ich zu diesem "Kundensegment". Im
Bahnhof Altstetten wurden Hunderte Fans des FC Basel auf dem Weg zu
einem Spiel eingekesselt und präventiv verhaftet. Diese Fans aus
der Muttenzerkurve luden mich danach zusammen mit Leuten der
Menschenrechtsgruppe Augenauf zu einem Treffen ein. Sie erzählten,
was ihnen in Altstetten passiert war. Sie waren sich sicher: Derartiges
habe es in der Schweiz noch nie gegeben. Ich entgegnete: Das stimmt
nicht. Ich erzählte ihnen, was Gegnern, die zum
Weltwirtschaftsgipfel in Davos anreisten, in Landquart passiert war -
dieselbe Situation. Sie merkten: "Denen ging es tatsächlich genau
gleich wie uns, aber weil es andere waren, hat es uns damals nicht
interessiert. Und jetzt interessiert es die nicht, weil es uns
betrifft."
Die Linke hat sich für den Altstetter Kessel nicht
interessiert?
Nein. Dabei passierte zweimal exakt dasselbe: Leute, die mit
einem SBB-Zug gefahren sind, die ein Ticket hatten, die also gar nichts
verbrochen haben, wurden eingekesselt. Man sucht sich eine Gruppe von
Leuten aus, welche die Medien und die Öffentlichkeit gerade als
nicht schützenswert betrachten, und wendet den Repressionsapparat
an, testet neue Polizeistrategien.
Seither haben Sie Hunderte Fussballfans verteidigt, darunter auch
bekannte Hooligans.
Damit wir uns verstehen: Ich kann mit Hooliganismus wirklich
nichts anfangen. Dieses ganze Kampfsportgetue verstehe ich
überhaupt nicht, und ich bin froh, wenn ich damit so wenig wie
möglich zu tun habe. Doch vom Standpunkt der Strafverteidigerin
aus hat jeder ein Recht darauf, dass der Rechtsstaat korrekt angewendet
wird. Das ist eine direkte Kritik an der linken, der fortschrittlichen,
der feministischen Szene: Wir halten diese Prinzipien hoch, aber wir
sind bereit, sie über Bord zu werfen, wenn solche, die uns nicht
genehm sind, ins Visier geraten.
Erklären Sie das.
Es gibt den Grundsatz, dass jeder als unschuldig gilt, dass der
Staat die Schuld eines Einzelnen beweisen muss. Weil das bei
Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen sehr schwierig ist,
wenn der Täter sie abstreitet, sind fortschrittliche Frauen und
Männer bereit, eine Umkehr der Beweislast zuzulassen: dass also
der Verdächtige beweisen muss, dass er unschuldig ist. Bei
Geldwäscherei, dem Bankgeheimnis, bei Sachen also, die wir Linken
kritisieren, sind wir auch bereit, zu glauben, dass, wo Rauch ist, auch
Feuer sei. Ein Prinzip also, das wir nicht gelten lassen wollen, wenn
es auf uns angewendet wird. Und ein ganz praktisches Beispiel aus
Zürichs Strassen: Wer hat in Zürich als Erste die
öffentliche Videoüberwachung gefordert?
Die Rechten?
Nein. Grüne Exponenten.
Die Grünen?
Sie riefen nach Kameras, um bei Sammelstellen Abfallsünder
zu überwachen. Aber nur weil ein Abfallsünder erwischt werden
könnte, bin ich nicht plötzlich für
Videoüberwachung.
Woher kommt Ihre anhaltende Konzentra tion auf den Fussball?
Ich wurde während der Zürcher Bewegung 1980
politisiert. Damals gab es viele Demonstrationen, eine grosse
politische Auseinandersetzung. Ich nahm fast wöchentlich an Demos
und Aktionen teil. Das hat massiv abgenommen. Viele junge Leute
"bewegen" sich heute in Fussballstadien - und werden mitunter
kriminalisiert. Vergessen Sie nicht: Das ist genau das, was
während der Achtzigerbewegung passiert ist. Damals wurden Tausende
junge Leute kriminalisiert. Im Widerstand gegen die Kriminalisierung
könnte die Politszene von den Fans etwas lernen.
Was könnte sie lernen?
In der Fanszene sind der Respekt und die Zuverlässigkeit,
der lange Atem, etwas durchzuziehen, grösser. Nach dem Kessel in
Landquart wollten Kollegen von mir einen Prozess anstreben, so wie ich
es nach dem Kessel von Altstetten getan habe. Es hat nicht gut
funktioniert. Fast niemand wollte mit Namen hinstehen und die Sache bis
zum Ende durchziehen. Die Leute der Muttenzerkurve hingegen haben
über die Jahre hinweg mehrfach Geld gesammelt, haben mich
eingeladen, haben mit mir besprochen, wie es weitergeht. Niemand ist
abgesprungen. Dies, obwohl ich von Anfang an nichts beschönigt
habe: Ich habe klipp und klar gesagt, die Chancen, dass die Polizei
dafür zur Rechenschaft gezogen werde, stünden schlecht. Am
Schluss haben wir in allen Bereichen Teilerfolge erzielt.
Die St. Galler Repressionspolitikerin Karin Keller-Sutter hat
sich mit dem Thema "Hooligans" ihre Bundesratskandidatur aufgebaut. Sie
ist der Meinung: Die Fans in den Stadienkurven gefährden die
Sicherheit des Landes. Zudem sei die Stimmung in den Kurven latent
rassistisch und frauenfeindlich.
Das stimmt so generell einfach nicht.
In St. Gallen skandiert die Kurve, Frauen wie Männer: "Karin
Keller-Sutter, du Hure!" Die Betroffene sagt, diese Angriffe seien
deshalb so heftig, weil sie eine Frau sei. Solche Gesänge
gehörten verbannt.
Ob nun "Hure" oder "Hurensohn" - ich finde, beides sagt man
nicht. Ist es aber Aufgabe des Staats, hier einzugreifen? In der Stadt
Zürich arbeitet die rot-grüne Regierung seit Jahren mit dem
Slogan "Erlaubt ist, was nicht stört". Ich kann vieles
unterschreiben, was an Störendem aufgeführt wird: Littering,
Rücksichtslosigkeit. Aber mich stört das staatliche
Benimm-Diktat. Da kriege ich einen Abwehrreflex. Man kann von mir aus
mit gutem Beispiel vorangehen, aber man kann nicht alles sanktionieren.
Die Jugend brauchte immer Freiräume. Und jetzt muss ich Ihnen
ehrlich und vielleicht politisch unkorrekt sagen, dass ich es trotz
allem nicht so schlimm finde, wenn man "Hure" als Schimpfwort benutzt.
Warum nicht?
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der nicht mehr so
gesprochen wird. Doch man kann trotz politisch höchst korrektem
Benehmen im Handeln genauso oder anders frauenfeindlich sein. Unsere
Gesellschaft ist ja nach wie vor sehr frauenfeindlich. Warum hat es in
meinem Bereich viel mehr Jusstudentinnen, die abschliessen, aber
später viel weniger Anwältinnen als Anwälte? Warum
stehen an der Spitze viel weniger Frauen als Männer? Warum ist es
bei der Familiengründung nach wie vor so, dass es eher die Frau
ist, die die Arbeit reduziert oder gar aus dem Berufsleben aussteigt?
Da wird nicht "Hure" gesagt, die Entscheidungsmechanismen sind
scheinbar höchst zivilisiert. Das Ergebnis ist trotzdem
frauenfeindlich. Vor allem bei jungen Leuten macht es doch einen
Unterschied, wie einer frauenverachtend ist. Ist er es bloss mit
Worten? Dann legt sich das doch häufig. Oder ist er es im Handeln?
Oder in beidem?
Dann glauben Sie nicht, dass die Kultur in den Schweizer Stadien
die Sicherheit des Landes gefährdet?
Quatsch. Es ist in den letzten Jahren Folgendes passiert: Es ist
plötzlich angesagt, in die Kurven zu gehen, es hat Studenten,
viele Frauen, kulturell interessierte Leute, sehr viele Jugendliche -
es ist eine Art Jugendbewegung, eine riesige Subkultur, und die
Jugendlichen engagieren sich dort auf eine Art und Weise, die
während meiner Jugendzeit ganz klar politisch war: Sie malen
Transparente, produzieren Choreografien, texten neue Slogans, Lieder,
rund herum entstehen Bands, die ein Teil der Kurve sind oder gar durch
die Kurve bekannt geworden sind. Das hat es früher nicht gegeben.
Ich bin seit Jahren eine treue FCZ-Anhängerin, und ich finde das
keine negative Entwicklung. Natürlich nehmen gerade die Jungen
unter den Fans für sich in Anspruch, was wir früher als
Bewegte auch in Anspruch genommen haben: dass wir uns nicht an alle
Regeln halten. Da kann es schon sein, dass gesprayt wird oder dass oft
das Pyrotechnikverbot nicht eingehalten wird. Man nimmt die
Staatsgewalt, manchmal zu Recht und manchmal auch zu Unrecht, nicht
ernst. Was uns als Linke dabei befremdet, ist ja vor allem eines: Warum
tun die das für den Fussball? Aber da müssten wir eher uns
selbst die Frage stellen: Warum ist es heute für viele junge Leute
nicht mehr interessant oder gar abschreckend, sich politisch zu
engagieren?
Entspricht das Engagement in den Kurven - gerade in
der Auseinandersetzung mit der Repression - nicht teilweise einem
politischen Engagement?
Es findet zumindest eine Sensibilisierung statt, die über
den Fussball hinausgeht. Im Vorfeld der Ausschaffungsinitiative habe
ich an 350 Leute meiner Fussballklientel einen Brief verschickt, in dem
ich darlegte, weshalb ich zweimal Nein stimme. Es war ein deutlicher
Brief. Ich schrieb, wer hier aufwächst, wer hier lebt und wohnt,
gehört zu uns, egal, ob er ein Mörder oder ein Fussballprofi
ist. Und dass jemand, der zu uns gehört, auch hier bestraft werden
soll. Ich habe auf diesen Brief keine einzige negative, aber
erstaunlich viele positive Reaktionen bekommen, per Mail, per Post, per
Telefon. Ein Hooligan sagte zu mir: "In meinem Bekanntenkreis stimmen
die meisten Ja, ich kann das absolut nicht nachvollziehen. Ich glaube,
ich muss das politische Lager wechseln." In den Fanforen des FC Basel
und des FC Zürich fand eine sehr kontroverse, teilweise dumme,
teilweise aber hochstehende Debatte zu diesem Thema statt. Ich
behaupte, dass der Zweimal-Nein-Anteil in der Fanszene aufgrund
negativer Erfahrungen mit der Staatsgewalt oder den Medien
vergleichsweise hoch war. Die Leute merken, dass es nicht genügt,
sich nur dann gegen Willkür oder Unverhältnismässigkeit
zu wehren, wenn man persönlich davon betroffen ist.
---
NLZ 20.12.10
"Chaoten nicht hart genug angefasst"
FC Luzern
Interview Daniel Schriber
Als im Juli 2009 eine Petarde neben seinem Ohr detonierte,
veränderte sich das Leben von Christoph Erhard. Dabei hatte er
sogar noch Glück im Unglück.
Interview Daniel Schriber
daniel.schriber@luzernerzeitung.ch
Der Vorfall ereignete sich am 13. Juli 2009 auf der Luzerner
Allmend: Beim entscheidenden Barrage-Spiel zwischen dem FC Luzern und
der AC Lugano wirft ein Zuschauer eine Knallpetarde aufs Spielfeld.
Dabei zieht sich Schiedsrichterassistent Christoph Erhard ein
Gehörtrauma zu. In der Folge wird der FCL von der Swiss Football
League mit einer Busse von 25 000 Franken bestraft. Die Polizei hat die
Suche nach dem Petardenwerfer bis auf weiteres eingestellt (siehe Box).
Was bisher nicht bekannt war: Der betroffene Linienrichter leidet bis
heute unter den Folgen des Vorfalls.
Christoph Erhard, wie gut ist Ihre Erinnerung an den 13. Juli
2009?
Christoph Erhard: Ich erinnere mich, als wäre es gestern
gewesen, und werde diesen Tag wohl nie vergessen. Immer wenn in
Schweizer Stadien Petarden oder andere Knallkörper gezündet
werden, denke ich daran. Es passierte in der 14. Minute, unmittelbar
nach dem 1:0 von FCL-Spieler Renggli. Das Spiel war für einen
Moment unterbrochen. Plötzlich waren da dieser gewaltige Knall und
der wahnsinnige Schmerz in meinen Ohren.
Und dann?
Erhard: Nach der Detonation befand ich mich in einem
tranceartigen Zustand. Ich fühlte mich wie in einem Film und
realisierte gar nicht, was gerade passiert war.
Trotz der Schmerzen machten Sie weiter.
Erhard: Ich wollte nicht, dass das Spiel durch einen Abbruch
entschieden wird, deshalb habe ich den Einsatz durchgezogen. (Bei einem
Spielabbruch wäre der FCL in die Challenge League abgestiegen;
Anm. d. Red.)
Wie lautete die anschliessende Diagnose des Arztes?
Erhard: Ich erlitt ein Gehörtrauma - und war damit noch gut
bedient.
Gut bedient?
Erhard: Zum Zeitpunkt des Petardenknalls hatte ich das
Schiedsrichter-Funksystem im Ohr. Laut den Ärzten war dies mein
grosses Glück. Ohne diesen Schutz wäre mit grosser
Wahrscheinlichkeit mein Trommelfell geplatzt.
Seit dem Vorfall sind 18 Monate vergangen. Wie geht es Ihnen
heute?
Erhard: Den Umständen entsprechend gut. Ich leide jedoch
noch immer unter dem Tinnitus.
Wie äussert sich dies?
Erhard: Es ist nicht so schlimm wie unmittelbar nach dem Unfall.
Aufgrund des stetigen Pfeifens habe ich jedoch manchmal Mühe, mich
zu konzentrieren.
Werden Sie dieses Leiden je wieder los?
Erhard: Die Aussagen der Ärzte sind hier ziemlich deutlich.
Zu 99,9 Prozent bleibt der Tinnitus für immer.
Sie sind immer noch als Schiedsrichter aktiv. Haben Sie nie
über den Rücktritt nachgedacht?
Erhard: Doch, das habe ich. Am Ende aber ist die Leidenschaft,
Schiedsrichter zu sein, grösser. Ausserdem würde ich mit
einem Rücktritt nur dem Chaoten Recht geben.
Dieser wurde bis heute nicht gefasst.
Erhard: Der Täter wird offenbar von der eigenen Fanszene
geschützt - das stimmt mich sehr traurig. Gleichzeitig macht es
mich auch wütend.
Wie meinen Sie das?
Erhard: Manchmal denke ich, die Behörden und die Vereine
sind mitschuldig, dass es in den Schweizer Stadien immer wieder zu
Zwischenfällen kommt. Die Chaoten werden einfach nicht hart genug
angefasst. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis es erneut Verletzte
gibt. Dabei zeigt der Blick ins benachbarte Ausland, dass es auch
anders ginge.
Haben Sie nach der Knallpetarde von Luzern etwas Vergleichbares
erlebt?
Erhard: Glücklicherweise nicht. Und die verbalen Angriffe,
die wir Schiedsrichter Woche für Woche zu hören kriegen,
prallen mittlerweile ungehört an mir ab.
Hat sich der FC Luzern eigentlich an den Ärztekosten
beteiligt?
Erhard: Nein, das lief alles über die Unfallversicherung des
Fussballverbandes.
Standen Sie nach dem 13. Juli dennoch in Kontakt mit dem Verein?
Erhard: Ja, ich hatte Kontakt mit FCL-Präsident Walter
Stierli. Der Verein hat sich mir gegenüber immer sehr zuvorkommend
verhalten. Noch heute erkundigen sich die Herren Stierli und Fringer
nach meinem Befinden, wenn ich in Luzern im Einsatz stehe.
--
Feuerwerkprobleme verschärft
Fussballverband
ds. Der Matchbesucher, der im Juli 2009 die Knallpetarde in
Richtung Spielfeld geworfen hat, wurde bis heute nicht ermittelt.
Ulrich Pfister, Sicherheitsverantwortlicher des Schweizerischen
Fussballverbandes, ist nicht überrascht: "Leider werden solche
Chaoten in der Szene immer wieder gedeckt." Im Januar dieses Jahres
teilte die Luzerner Polizei mit, dass die Untersuchung gegen den
Petardenwerfer beim FCL-Spiel gegen Lugano "vorläufig eingestellt"
wurde. Sie soll erst dann wieder aufgenommen werden, wenn neue Hinweise
eingehen.
Pyro- und Knallkörperaktionen sind laut Ulrich Pfister auch
in Zukunft nicht auszuschliessen. Das Phänomen habe sich in den
letzten fünf Jahren verschärft und gelte in der Szene als
Ausdruck der Fankultur. "Wenn man die hohe Verletzungsgefahr
betrachtet, die von den Pyroartikeln ausgehen, ist diese Entwicklung
sehr bedenklich", so Pfister.
Eine Feuerwerklegalisierung, wie sie etwa im Umkreis des FC
Luzern die Fanorganisation United Supporters Luzern (Ausgabe vom 15.
Dezember) oder die Stadtberner SP fordert, ist für Pfister keine
Option.
Kompliment für FCL
Dem FC Luzern macht Pfister hingegen ein Kompliment. Der Club
handle in Sicherheitsfragen vorbildlich. "Bei den Stadionverboten und
der Identifikation von Chaoten leistet der FCL mit die beste Arbeit in
der Schweiz."
---
20 Minuten 20.12.10
Erfolg gegen Hooligans
ZÜRICH. Schnellverfahren, Rayonverbote, Polizeigewahrsam:
Die gegen Hooligans eingeführten Massnahmen wirken offenbar
abschreckend. Rund um die Matches der jeweils höchsten zwei
Fussball- und Hockeyligen gab es dieses Jahr massiv weniger Festnahmen
und Verletzte als in der Vorrunde 2009/10. So sank die Zahl der
Verhaftungen laut dem Bundesamt für Polizei von 203 auf 69 und die
Zahl der Verletzten von 89 auf 28 - ein Minus von je rund zwei
Dritteln. Zudem mussten die Kantone und Städte nur noch 67 Rayon-
und Stadionverbote aussprechen oder ähnliche Massnahmen treffen.
Im Jahr zuvor waren es noch 288.
---
Sonntagszeitung 19.12.10
Der Kampf gegen Hooligans zeigt erste Erfolge
Massiv weniger Verletzte bei Sportveranstaltungen - Zahl der
Verhaftungen ist rückläufig
Zürich Die Massnahmen der Kantone und Städte gegen die
Gewalt an Sportveranstaltungen zeigen Wirkung: In der Vorrunde der
beiden obersten Fussball- und Eishockeyligen sind bei
Polizeieinsätzen gegen Hooligans erstmals Verhaftungen und die
Zahl der Verletzten zurückgegangen. Rückläufig waren
auch Massnahmen gegen Gewalttäter wie Rayon- und Stadionverbote,
welche die Behörden aussprechen können. Die Abnahme fiel in
diesen Kategorien markant aus (vgl. Tabelle). Zugenommen haben einzig
die Verzeigungen. Diese sind Beleg für die härtere Gangart
gegen Gewalttäter.
Der Erfolg wurde mit eher weniger Polizisten erreicht. Marco
Cortesi, Sprecher der Fachstelle für Hooliganismus, sagt: "Erste
Erhebungen zeigen, dass die Aufgebote der Polizeien gegenüber dem
Vorjahr leicht zurückgegangen sind." Bei der Bekämpfung von
Ausschreitungen sei man auf dem richtigen Weg. Ähnlich
argumentiert die Präsidentin der Polizeidirektorenkonferenz Karin
Keller-Sutter: "Mit unseren Massnahmen konnten wir den Trend zu immer
mehr Gewalttaten an Sportveranstaltungen brechen." Zur Verbesserung
hätten neben den Schnellverfahren auch einheitliche Regelungen in
den verschiedenen Kantonen und Städten beige- tragen.
Matthias Halbeis
---
NLZ 15.12.10
FCL setzt neu auf "Stadion-Experten"
Sicherheit
Daniel Schriber
Wenn der FCL ins neue Stadion einzieht, ändert auch das
Sicherheitskonzept des Clubs. Neu sorgen Stewards für Ordnung.
Nicht nur sportlich ist der FC Luzern erfolgreich unterwegs, auch
punkto Sicherheit tut sich beim Zentralschweizer Referenzclub einiges.
Gerade erst hat die Vereinsleitung eine Vereinbarung unterzeichnet, die
den Club verpflichtet, jährlich 570 000 statt wie bislang 240 000
Franken an die Einsätze der Luzerner Polizei beizusteuern (Ausgabe
von gestern). Polizeieinsätze laufen in der Regel vor dem Stadion
ab. Aber auch im Innern der Swisspor-Arena wartet der FCL künftig
mit neuem Sicherheitskonzept auf. Damit will FCL-Sicherheitschef Mike
Hauser insbesondere verstärkt gegen das illegale Abfeuern von
Pyro-Effekten vorgehen.
Hauser plant die Anstellung von speziellen Stadion-Aufsehern -
sogenannten Stewards. Grössere Vereine wie der FC Basel oder die
Young Boys Bern setzen bereits auf dieses System.
Stundenlohn statt Wurst und Brot
Die "Stadion-Experten", wie Hauser die Aufseher nennt, sorgen
für Ruhe und Ordnung rund um das Spielfeld, unterstützen die
Eingangskontrolle, bewachen die Notausgänge oder helfen auch mal
beim Plätze einweisen. All das sind Aufgaben, die im Gersag schon
heute erledigt werden müssen. Der Hauptunterschied zu den Stewards
liege laut Mike Hauser darin, dass die derzeitigen Helfer
Freiwilligenarbeit leisten. "Heute arbeiten die Leute für einen
Wurst-Bon, im neuen Stadion werden sie im Stundenlohn
entschädigt." Wie viele Stewards künftig in der
Swisspor-Arena für Ordnung sorgen und was dies den FC Luzern
kosten wird, ist laut Mike Hauser noch nicht abschliessend
geklärt. Kommt es im Stadion zu einem Zwischenfall, greifen die
Stewards nicht aktiv ein, sie stehen jedoch im Kontakt mit dem
anwesenden Sicherheitsdienst und alarmieren diesen im Ernstfall.
In den vergangenen Jahren war dies jeweils die Securitas AG mit
Hauptsitz in Zollikofen BE. Im Hinblick auf die kommende Saison hat der
FCL diesen Auftrag neu ausgeschrieben. Hauser betont zwar, dass man mit
der Arbeit der Securitas zufrieden sei, dennoch sollen nun auch andere
Sicherheitsfirmen die Chance haben, sich um den Job zu bewerben. Der
FCL-Sicherheitschef macht keinen Hehl daraus, dass die Ausschreibung
aus wirtschaftlichen Gründen erfolgte. Schliesslich sagte
FCL-Präsident Walter Stierli bereits gestern gegenüber
unserer Zeitung, dass der Verein punkto Sicherheit finanziell an seine
Grenzen stosse. Welche Firma auch immer den Zuschlag kriegen wird - sie
dürfte auch in der Swisspor-Arena einiges zu tun haben.
Pyrofackeln in den Unterhosen
Erst am Samstag hat sich beim Spiel zwischen Luzern und
Zürich ein Fan Verbrennungen zweiten Grades zugezogen, nachdem im
Fansektor des FC Zürich verbotene Pyrofackeln gezündet worden
sind (siehe Box). Hauser weiss: "Ganz verbannen lassen sich solche
Feuerwerke leider nie." Zu ausgefuchst seien die Taktiken einzelner
Unruhestifter. So werden Pyros teilweise im Intimbereich ins Stadion
geschmuggelt. "Um jede Fackel zu finden, müssten wir alle
Zuschauer bis auf die Unterhosen filzen." Ein Ding der
Unmöglichkeit.
Dennoch ist Hauser aus verschiedenen Gründen davon
überzeugt, dass der Verein das Problem im neuen Stadion besser
unter Kontrolle haben wird. So bleibt die Swisspor-Arena im Gegensatz
zum Stadion Gersag ausserhalb der Spielzeiten für die
Öffentlichkeit geschlossen. Das vorzeitige Hineinschmuggeln von
Feuerwerk wird damit praktisch verunmöglicht. Für die
Swisspor-Arena spreche auch die moderne Infrastruktur und die
fortschrittliche Videotechnologie im Stadion. Dies erleichtert den
Sicherheitskräften die Identifikation der Chaoten, so Hauser.
Daniel Schriber
daniel.schriber@luzernerzeitung.ch
--
Fan-Präsident will Pyro legalisieren
United Supporters ds. René Schwarzentruber, Präsident
der Fanorganisation United Supporters Luzern (USL), bedauert, dass am
Samstag im Gästesektor des Gersag ein Fan des FC Zürich durch
eine Pyrofackel Verbrennungen erlitt. Dennoch sagt er: "Ich verteufle
Feuerwerk an Fussballspielen nicht." Der Luzerner Fansektor beweise
regelmässig, dass der Umgang mit Feuerwerk gefahrlos funktioniere.
"Feuerwerkskörper sind im Schweizer Fussball seit Jahrzehnten
Bestandteil der gelebten Fankultur."
Pauschalverbot unvernünftig
Ein Dorn im Auge ist Schwarzentruber das pauschale Verbot von
Feuerwerk, das gegen jegliche Vernunft verstosse. "Je mehr
Behörden und Clubs daran setzen, Pyro aus den Stadien zu
verbannen, desto stärker wird dessen Symbolkraft." Für ihn
ist klar: "Eine Lösung ist nur über eine Legalisierung zu
erreichen, alles andere bleibt Symptombekämpfung." Trotz des
anhaltenden Verbots bezeichnet er die Zusammenarbeit mit dem FCL als
konstruktiv. "In Luzern läuft vieles besser als anderswo."
---
NZZ 14.12.10
Nachspiel um Sicherheitskosten in Zürich und Neuenburg
Auch der FC Luzern zahlt künftig mehr für die
Polizeipräsenz ums Stadion
Immer mehr grosse Sportklubs sind bereit, sich an den
Sicherheitskosten zu beteiligen. Jüngstes Beispiel ist der FC
Luzern, der eine Vereinbarung abgeschlossen hat. In Zürich und
Neuenburg streiten die Behörden und die Klubs.
Martin Merki, Luzern
"Es war uns von Anfang an klar, dass wir uns an den Kosten
beteiligen müssen", sagt Mike Hauser. Der Sicherheitschef des
Fussballklubs Luzern nennt die Vereinbarung, die am Montagnachmittag
von Justizdirektorin Yvonne Schärli und FCL-Präsident Walter
Stierli unterschrieben worden ist, eine faire, transparente und
verkraftbare Lösung. Vorgesehen ist, dass dem FCL vom Kanton
für jedes Spiel 24 Polizisten zur Verfügung gestellt werden.
Darüber hinaus zahlt der Verein pauschal pro Kalenderjahr für
18 Meisterschaftsspiele zwischen 500 000 und 570 000 Franken. Das sind
pro Zuschauer und Spiel rund 1 Franken 90.
Auch in Basel und St. Gallen
Luzern ist ein weiteres Beispiel dafür, dass sich
Gemeinwesen und Klubs relativ eng an die Vorgaben halten, wie sie von
der Schweizerischen Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz (KKJPD)
erarbeitet worden sind. Auch in St. Gallen und Basel sind nach
zähen Verhandlungen solche Vereinbarungen unterschrieben worden,
die sich an der Mustervereinbarung der Kantone orientieren. Auch diese
Klubs werden von der öffentlichen Hand stärker zur Kasse
gebeten. Der FCB hat sich zum Beispiel bereit erklärt, von der
laufenden Saison an 1 Franken 80 pro Matchbesucher an die Sicherheit zu
zahlen. Das ist im Vergleich zu andern Schweizer Fussballklubs
überdurchschnittlich viel.
Die Mustervereinbarung nimmt Rücksicht auf die
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Klubs, sieht eine gewisse
Grundversorgung durch die Polizei vor, regelt die Beteiligung der
Sicherheitskosten und den Grad der Kooperation. So kann ein Klub, der
den Behörden bei der Sicherheit entgegenkommt, von Reduktionen
profitieren. Dieses Bonus-Malus-System ist Teil der Mustervereinbarung
und betrifft noch mehrere Bereiche. Dazu gehören Massnahmen im
Bereich Prävention und Fanarbeit sowie Fanbetreuung, Massnahmen
zur Identifikation, Videoüberwachung, Informationsaustausch der
Behörden oder die Bekämpfung von Pyrotechnik.
Je mehr die Sportklubs zur Gewaltprävention beitragen, so
die Absicht, desto weniger sollen sie sich an den Polizeikosten
beteiligen. In Luzern zum Beispiel reduziert sich der Betrag, den der
Klub an die Sicherheit zahlen muss, nach dem Bonus-Malus-System von 570
000 auf 500 000 Franken. Das ist immer noch viel Geld, findet
FCL-Präsident Walter Stierli. "Wir kommen langsam an Grenzen",
sagte er an der Medienorientierung. Er hat ausgerechnet, dass der
Verein 15 Franken pro Matchbesucher an fixen Kosten aufbringen muss.
Trotzdem sollen die Billettpreise bis auf weiteres nicht erhöht
werden, auch nicht bei der Eröffnung des neuen Stadions, das
derzeit gebaut wird. Auch Walter Stierli streicht die
partnerschaftliche und gute Zusammenarbeit mit dem Kanton Luzern in
Sachen Sicherheit hervor.
Das Verhältnis ist nicht überall so gut wie in Luzern.
In Zürich und Neuenburg wird es in Sachen Sicherheit ein Nachspiel
geben. GC, FCZ, ZSC Lions und Xamax proben den Aufstand gegen die
Vereinbarungen und die Kostenverrechnung bei der Sicherheit. Sie
argumentieren, dass die Sicherheitskosten die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit und die Tätigkeit der Vereine
beeinträchtigen würden. Sie sind mit den Behörden im
Clinch, fechten die Rechnungen an und lassen sich auch nicht an den
Verhandlungstisch bitten. Aussicht auf Erfolg dürfte eine solche
Verweigerungshaltung langfristig wohl kaum haben. Sie befindet sich
juristisch auf dünnem Eis, nachdem das Bundesgericht am Beispiel
von Xamax Neuenburg entschieden hat, dass bei Hochrisikospielen bis zu
80 Prozent der Aufwendungen für die Sicherheit auf einen Klub
überwälzt werden können.
Schonfrist für YB
Reto Casanova, Medienbeauftragter beim Stadtzürcher
Polizeidepartement, bestätigt den rechtlichen Streit in
Zürich. Das Geschäft liege beim Stadtrat. Es gebe keine
aktuellen Ergebnisse, und es handle sich um ein laufendes Verfahren.
Nachdem die ersten Rechnungen im Sommer angefochten worden seien, seien
die Rechnungen sistiert worden. Die Absicht sei aber ganz klar, die
Kosten für die Sicherheit zu verrechnen.
Im Weiteren gibt es eine Gruppe von Klubs, wo die Verhandlungen
mit den Kantonen oder Städten eingeleitet sind oder Vereinbarungen
vorbereitet werden, wie in Bellinzona. Eine Schonfrist gibt es für
YB. Da der Berner Verein 2009 eine neue Vereinbarung abschloss, bevor
die Mustervereinbarung der Kantone als Richtschnur vorhanden war, gilt
vorderhand diese Vereinbarung. Der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto
Nause will im Frühling die Situation und die Frage der
finanziellen Beteiligung an den Sicherheitskosten auf der Grundlage von
neuen Zahlen beurteilen. Wenn das Polizeiaufgebot bis im Frühling
2011 nicht gesenkt werden könne, dann müssten auch die
Stadtberner Klubs stärker in die Tasche greifen, hatte der
Sicherheitsdirektor geäussert.
---
NLZ 14.12.10
Sicherheit: So viel muss der FCL zahlen
Fussball
Daniel Schriber
Der FC Luzern beteiligt sich künftig stärker an den
Polizeikosten. Damit stösst der Club laut Präsident Walter
Stierli an seine Grenzen.
Seit gestern ist klar, dass das Herz der Luzerner Justiz- und
Sicherheitsdirektorin Yvonne Schärli "blau-weiss" schlägt.
Sie besuche regelmässig Spiele des FCL und freue sich sehr, dass
der Club an der Tabellenspitze überwintere. Doch es sind nicht die
sportlichen Erfolge des Fussballclubs, weshalb die Regierungsrätin
gestern Nachmittag im Lokal "Club 94" nahe der Swissporarena-Baustelle
vor die Medien trat.
FCL-Präsident Walter Stierli, FCL-Sicherheitschef Mike
Hauser, der Luzerner Polizeikommandant Beat Hensler und Yvonne
Schärli sind vielmehr zusammengekommen, um einen Vertrag zu
unterzeichnen, der die Kostenverteilung und Massnahmen zur Sicherheit
bei Fussballspielen regelt. Für den Verein bedeutet dies, dass er
punkto Sicherheit künftig verstärkt zur Kasse gebeten wird.
Ausserdem sollen Hooligans und andere Chaoten dank der intensivierten
Zusammenarbeit zwischen Verein und Politik schneller gefasst und
bestraft werden. Erst am Samstag haben FCL-Fans im Gersag-Stadion
verbotene Pyroraketen gezündet, worauf sich ein Fan Verbrennungen
zweiten Grades zuzog (siehe Box).
570 000 Franken für 18 Spiele
Die Vereinbarung sieht vor, dass die Luzerner Polizei in Zukunft
maximal 24 Polizisten unentgeltlich zur Verfügung stellt - "als
Service public", so Schärli. Für zusätzliches Personal
bei den insgesamt 18 Meisterschaftsspielen bezahlt der FCL ab dem
kommenden Jahr pauschal 570 000 Franken. Für weitere Spiele - sei
es im Cup oder in europäischen Wettbewerben - erfolgt die
Abrechnung nach Aufwand. Dabei werden dem Club jeweils 80 Prozent der
errechneten Kosten übertragen.
Bislang beteiligt sich der FCL mit 240 000 Franken an den
Polizeikosten. Yvonne Schärli redet von einer "fairen und
ausgewogenen" Vereinbarung, die im gegenseitigen Einvernehmen zu Stande
gekommen sei. Fair auch deshalb, weil sich dem FCL die Möglichkeit
einer Kostenreduktion von bis zu 70 000 Franken bietet, sofern er
bestehende Richtlinien bezüglich Sicherheit und Prävention im
Stadion umsetzt.
Ärger über Sparmassnahmen
Auch FCL-Präsident Stierli zeigte sich vordergründig
"glücklich und zufrieden" über die erfolgreiche Partnerschaft
mit der Politik. Die Sicherheit stehe ganz oben auf der
Prioritätenliste des Vereins. "Uns ist klar, dass der FCL einen
Beitrag an die Polizeieinsätze leisten muss."
Dennoch betonte Stierli, dass der Fussballclub langsam an seine
Grenzen stosse. Ein Dorn im Auge ist dem Präsidenten etwa die im
Kanton Luzern gängige Billettsteuer, die den Club 800 000 Franken
pro Saison kostet. Umso mehr ärgert sich Stierli darüber,
dass die Stadt Luzern künftig nur noch einen kleinen Betrag an die
Fanarbeit des FC Luzern leisten will. Während der FCL und der
Kanton jährlich 65 000 Franken an das Projekt bezahlen, hat die
Stadt ihren Beitrag im Rahmen des Sparpakets auf 20 000 Franken
reduziert.
Darüber regt sich auch Sicherheitsdirektorin Schärli
auf. "Repression ist das eine, aber ich bin überzeugt, dass auch
das Fanprojekt seinen Beitrag zur Sicherheit leistet." Es sei ihr ein
grosses Anliegen, dass diese Projekte auch in Zukunft unterstützt
werden. Der Vorstand der Fanarbeit Luzern hat auf die Ankündigung
der Beitragsreduktion durch die Stadt reagiert und alle
Zentralschweizer Kantone und Gemeinden um einen Beitrag für die
künftige Finanzierung der Fanarbeit ersucht. Es gingen Spenden von
total 4500 Franken ein.
Fans sollen nicht mehr zahlen
Am Ende der Medienorientierung betonte Walter Stierli, dass die
Fans des FC Luzern nicht unter den Mehrkosten leiden sollen.
Primäres Ziel sei es, das Stadion zu füllen. "Jeder soll es
sich leisten können, ein FCL-Spiel zu besuchen." Deshalb sollen
die Billettpreise "plus-minus" gleich bleiben wie im Gersag. Über
die neuen Eintrittspreise will der FCL im Januar informieren.
Daniel Schriber
daniel.schriber@luzernerzeitung.ch
--
Kommentar
Clubs stehen in der Pflicht
Daniel Schriber
Was für eine Schande! Gerade haben wir noch gejubelt, weil
der FC Luzern an der Tabellenspitze überwintern wird, da erfahren
wir, dass ein Matchbesucher am Samstag im Stadion Gersag von einer
Pyrofackel getroffen worden ist und dadurch Verbrennungen zweiten
Grades erlitten hat. Einmal mehr wird ein sportlicher Erfolg von der
Idiotie eines Chaoten überschattet.
Randalierer scheinen sich einen Sport daraus zu machen, die
Sicherheitskräfte Woche für Woche an der Nase
herumzuführen. Der Luzerner Polizeikommandant Beat Hensler spricht
von einem regelrechten Machtkampf in den Stadien. Das kann und darf
nicht sein.
Die neue Vereinbarung zwischen dem Kanton und dem FC Luzern ist
ein positives Zeichen. Politik und Sport werden im Kampf gegen Chaoten
künftig verstärkt zusammenarbeiten und gehen einen Schritt in
die richtige Richtung.
Richtig ist auch, dass der FCL künftig einen grösseren
Beitrag an die Sicherheitsleistung der Polizei leisten muss. Es kann
nicht sein, dass die Steuerzahler dafür büssen müssen,
wenn es während oder nach einem Fussballspiel zu Krawallen kommt.
Hoffnung schafft zudem das nationale Hooligan-Konkordat, das es
ermöglicht, Chaoten hart zu bestrafen. Wer zum Beispiel Pyros
abfeuert, muss mit einer Geldstrafe von mindestens 90 Tagessätzen
rechnen.
Trotzdem wird es auch künftig - ob im Gersag oder in der
Zuger Bossard-Arena - negative Zwischenfälle geben. Umso wichtiger
ist es, dass die Sportvereine alle möglichen Massnahmen zu Gunsten
der Sicherheit treffen. Die Politik kann bei diesem Auftrag zwar helfen
- in der Pflicht stehen aber primär die Clubs.
Daniel Schriber
daniel.schriber@luzernerzeitung.ch
---
20 Minuten 14.12.10
Swisspor-Arena: Chaoten werden härter angepackt
LUZERN. Krawallmacher werden es im neuen FCL-Stadion schwer
haben: Gestern haben der Klub und die Behörden harte Massnahmen
angekündigt.
Der FCL und der Kanton haben gestern eine Vereinbarung mit neuen
Sicherheitsmassnahmen unterzeichnet. Diese wird Fussballfans hart
treffen - vor allem trinkfreudige: "Im Gästesektor wird ein
grundsätzliches Alkoholverbot herrschen", so FCL-Sicherheitschef
Mike Hauser. Das Verbot könne bei Risikospielen aufs gesamte
Stadion ausgeweitet werden.
Der geschäftsleitende Staatsanwalt Daniel Burri verspricht
ein härteres Durchgreifen gegen Chaoten. "Künftig werden
höhere Geldstrafen und Bussen verteilt." So müsse etwa beim
Zünden von pyrotechnischem Material mit einer Geldstrafe von
mindestens 90 Tagessätzen gerechnet werden. Bei einem
Scharmützel mit der Polizei setzt es gar mindestens 120
Tagessätze. Zudem wird wie bis anhin bei Risikospielen ein
Schnellrichter im Stadion anwesend sein.
Neu stehen dem FC Luzern als Grundversorgung 24 Polizeieinheiten
pro Spiel gratis zur Verfügung. Der restliche Aufwand für die
18 Meisterschaftsspiele wird mit einem Pauschalbetrag von 570 000
Franken verrechnet - mehr als das Doppelte des bisherigen Betrags.
"Damit stossen wir an unsere Grenzen", sagt FCL-Präsident Walter
Stierli. Doch letztlich könne eben nicht alles der Steuerzahler
berappen. Martin Erdmann
--
Fanarbeit: Stadt soll mehr zahlen
LUZERN. Regierungsrätin Yvonne Schärli-Gerig hat sich
gestern für die Fanarbeit Luzern ausgesprochen. "Es ist wichtig,
dass neben Repression auch präventive Wege gesucht werden", sagte
sie gestern bei der Unterzeichnung der Vereinbarung zur Sicherheit bei
Fussballspielen. Daher versuche sie die Stadt Luzern zu
überzeugen, doch noch den bisherigen Beitrag von 65 000 Franken zu
zahlen. Die Stadt will diesen auf 20 000 Franken reduzieren.
---
Willisauer Bote 14.12.10
FCL beteiligt sich an Sicherheitskosten
Abgeltung | Kanton Luzern und FCL unterzeichnen eine Vereinbarung
Ab dem Juli 2011 ist klar, wer für die Einsätze der
Polizei bei Fussballspielen des FC Luzern (FCL) zahlen muss. Der Kanton
Luzern und der FCL haben am Montag eine Vereinbarung zur Sicherheit bei
Fussballspielen unterzeichnet.
Die Vereinbarung sieht vor, dass die Luzerner Polizei 24
Mitarbeitende als unentgeltliche Grundversorgung zur Verfügung
stellt, wie der Kanton Luzern mitteilte. Diese Grundversorgung besteht
aus einem Einsatzleiter und 22 Polizei-Mitarbeiter.
Zudem ist ein polizeilicher Szenekenner mit von der Partie. Auf
diese Grundversorgung kann der FCL bei allen Spielen in der
Meisterschaft, in internationalen Wettbewerben, im Cup und bei
Freundschaftsspielen zählen.
Sicherheitsarbeit wird mit Bonus belohnt
Für die weiteren Einsatzkräfte für die 18
Heimspiele werden dem FCL pro Jahr pauschal 570 000 Franken in Rechnung
gestellt. Der Kanton hat dabei allerdings Spielraum.
Der Fussballklub wird nämlich bei Massnahmen zur Sicherheit
und Prävention in die Pflicht genommen. Erfüllt er diese
vollumfänglich, erhält er eine Reduktion von 70 000 Franken
pro Kalenderjahr.
Als Sicherheitsvorkehrung gilt beispielsweise ein Alkoholverbot
im gesamten Stadion bei Hochrisikospielen. Sind die Bestimmungen
mehrheitlich umgesetzt, ist eine Kostenreduktion von 35 000 Franken
vorgesehen.
Alle weiteren Partien wie internationale Wettbewerbe oder
Freundschaftsspiele werden wie bisher nach Aufwand zu 80 Prozent in
Rechnung gestellt. Auch hier kann sich der FCL einen Bonus von 60
Prozent Kostenbeteiligung holen.
An Mustervereinbarung orientiert
Man habe sich bei der Ausarbeitung an der Mustervereinbarung der
Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz (KSBS)
orientiert, sagte Regierungsrätin Yvonne Schärli-Gerig
gestern Montag auf Anfrage. Diese werde im Kanton Luzern konsequent
umgesetzt.
Polizeikommandant Beat Hensler erhofft sich, dass er dank der
Vereinbarung in Zukunft weniger Polizeikräfte einsetzen muss.
FCL-Verwaltungsratspräsident Walter Stierli betonte, dass mit dem
Vertrag die Zuständigkeiten und Kosten klar geregelt seien.
Die Vereinbarung tritt mit der Eröffnung des neuen, bis zu
17 000 Zuschauer fassenden Stadions des FC Luzern im Juli 2011 in
Kraft. Man habe die Überbrückungszeit im Gersag abwarten
wollen, sagte Regierungsrätin Yvonne Schärli-Gerig.sda/WB
---
presseportal.ch 13.12.10
Kanton Luzern und FCL unterzeichnen eine Vereinbarung zur Sicherheit
bei Fussballspielen
Luzern (ots) - Der Kanton Luzern hat unter der Federführung
von Regierungsrätin Yvonne Schärli-Gerig mit den
Verantwortlichen der FC Luzern-Innerschweiz AG eine Vereinbarung
erarbeitet. Dank der guten Zusammenarbeit zwischen der Luzerner Polizei
und dem FC Luzern wurde in konstruktiven Verhandlungen eine faire
Lösung für die Kostenübernahme und für Massnahmen
zur Sicherheit bei Fussballspielen gefunden. Die Empfehlungen der
Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz, KSBS,
betreffend der Gewalt an Sportveranstaltungen werden im Kanton Luzern
konsequent umgesetzt.
Die involvierten Partner zeigten sich erfreut über die
Vereinbarung, welche die Übernahme der Sicherheitskosten und
Massnahmen zur Verbesserung der Sicherheit bei Fussballspielen regelt.
Bei den Gesprächen waren verschiedene Punkte wie der politische
Auftrag mit Berücksichtigung der Budgetvorgaben, der hohe
Stellenwert der Sicherheit bei Fussballspielen und die angemessene
Beteiligung an den Sicherheitskosten massgebend. Weiter wurden auch die
Verantwortlichkeiten sowie Form und Umfang der Zusammenarbeit geregelt.
Festgelegt wurden auch Massnahmen zur Prävention, Fanarbeit und
Betreuung, zur Identifizierung von Personen, die gegen die
Stadionordnung oder das Gesetz verstossen, zum Informationsaustausch
sowie zur Gewährung der Sicherheit in der swisspoarena und auf den
Reisewegen der Supporter des FC Luzern.
Übernahme von Sicherheitskosten
Die Vereinbarung sieht vor, dass die Luzerner Polizei eine
maximale, unentgeltliche Grundversorgung von 24 Mitarbeitenden zur
Verfügung stellt. Diese Grundversorgung durch die Polizei bei
Fussballspielen des FC Luzern (in den Kategorien Meisterschaft,
internationale Spiele, Cup und Freundschaftsspiele) setzt sich wie
folgt zusammen: ein polizeilicher Einsatzleiter, ein polizeilicher
Szenenkenner und 22 Mitarbeitende der Polizei
Die weiterführenden Aufwendungen für 18
Meisterschaftsspiele werden dem FC Luzern pro Kalenderjahr pauschal mit
570'000 Franken in Rechnung gestellt. Für weitere Spiele, wie oben
genannt, erfolgt die Abrechnung nach Aufwand. Die anfallenden Kosten
werden zu 80 Prozent in Rechnung gestellt.
Gute Sicherheits- und Präventionsarbeit wird mit Bonus
belohnt
Den Verantwortlichen der FC Luzern-Innerschweiz AG ist die
Sicherheit bei Spielen ein wichtiges Anliegen. Verschiedene Massnahmen
zur Verbesserung der Sicherheit und zur Prävention wurden in den
letzten Jahren vorgenommen und werden weitergeführt. Können
die bestehenden Reglemente und Richtlinien bezüglich Sicherheit
und Prävention durch die FC Luzern-Innerschweiz AG
vollumfänglich umgesetzt werden, besteht die Möglichkeit
einer Kostenreduktion von maximal 70'000 Franken pro Kalenderjahr.
Können die Bestimmungen mehrheitlich umgesetzt werden, ist eine
Kostenreduktion von 35'000 Franken vorgesehen.
Stimmen zur Vereinbarung
Der Justiz- und Sicherheitsdirektorin des Kantons Luzern,
Regierungsrätin Yvonne Schärli-Gerig, ist die Sicherheit bei
Sportveranstaltungen sehr wichtig. Sie ist überzeugt, dass hier
eine faire und ausgewogene Vereinbarung ist zu Zustande gekommen ist,
in der auch die politischen Aspekte einbezogen wurden.
Beat Hensler als Kommandant der Luzerner Polizei ist sehr
zufrieden: "Die Polizei ist massgeblich für die Gewährung der
Sicherheit an Fussballspielen verantwortlich. Die Vereinbarung zeigt
klare Verhältnisse auf. Mit diesen Massnahmen sollte es in Zukunft
möglich sein, für die Spiele es FC Luzern weniger
Polizeikräfte einzusetzen."
Mike Hauser, Sicherheitsverantwortlicher und Verwaltungsrat der
FC Luzern-Innerschweiz AG, zeigt sich erfreut: "Dank den sehr
konstruktiven Verhandlungen und der vorbildlichen Zusammenarbeit
zwischen der Polizei und dem FC Luzern ist eine faire Lösung
erarbeitet worden."
Walter Stierli, Verwaltungsratspräsident der FC
Luzern-Innerschweiz AG betonte: "Die Sicherheit ist für den FC
Luzern ein Hauptanliegen! Mit der jetzt unterzeichneten Vereinbarung
sind die Zuständigkeiten und die Kosten klar geregelt."
Daniel Burri, geschäftsleitender Staatsanwalt des Kantons
Luzern machte an der Medienkonferenz klar: "Die Konferenz der
Strafverfolgungsbehörden der Schweiz KSBS hat Empfehlungen
betreffend Gewalt an Sportveranstaltungen erarbeitet. Die Luzerner
Strafverfolgungsbehörden werden diese umsetzen."
ots Originaltext: Staatskanzlei Luzern Internet:
www.presseportal.ch
Kontakt: Für weitere Auskünfte stehen Ihnen folgende
Personen im nachgenannten Zeitfenster: Montag, 13. Dezember 2010, 15.30
- 16.30 Uhr, zur Verfügung.
Regierungsrätin Yvonne Schärli-Gerig Tel.:
+41/41/228'59'18
Beat Hensler, Kommandant Luzerner Polizei Tel.: +41/41/248'80'11
(Medienstelle)
Walter Stierli, Verwaltungsrats-Präsident FC
Luzern-Innerschweiz AG
Mike Hauser, Verwaltungsrat FC Luzern-Innerschweiz AG,
Sicherheitsverantwortlicher (beide erreichbar über den
Medienverantwortlichen Stefan Bucher +41/79/439'14'87)
Daniel Burri, geschäftslteitender Staatsanwalt des Kantons
Luzern Tel.: +41/41/228'58'42
-------------------------
BIG BROTHER
--------------------------
24 Heures 23.12.10
Jean-Michel Dolivo fiché pour sa participation à une
manifestation
Christian Aebi
Suite à une manifestation anti-Blocher, à Lausanne
en 2007, le député vaudois a été
fiché dans la banque de données sur la
sécurité intérieure de la
Confédération
Le député vaudois Jean-Michel Dolivo a
été fiché suite à la manifestation contre
Christoph Blocher au Comptoir Suisse en septembre 2007. Après le
défilé, qui s'était déroulé dans le
calme, des casseurs avaient incendié des poubelles et
affronté la police. L'élu d'A Gauche toute!, avocat actif
dans la défense des sans papiers, s'indigne de cette
"criminalisation du droit de manifester", a-t-il dit hier à
l'ATS confirmant un article duCourrier. Il rappelle que la
manifestation était autorisée et qu'il avait tenté
en vain de calmer les jeunes casseurs.
"On m'attribue l'organisation d'une manifestation violente alors
que la police met en évidence que ce n'est pas le cas", a-t-il
ajouté. Dans son rapport, la police reconnaît en outre
qu'elle a "l'habitude" d'envoyer des agents pour infiltrer les
manifestations de la gauche. "Une surveillance inacceptable", estime
M. Dolivo.
Le nom de l'élu figurait dans la banque de données
sur la sécurité intérieure (ISIS).
L'été dernier, la Délégation des
commissions de gestion des Chambres fédérales avait
révélé que, durant des années, un service
secret de la Confédération avait fiché près
de 200 000 personnes. Le député a écrit au
préposé fédéral à la protection des
données. "Après plusieurs courriers, j'ai finalement
obtenu cette fiche", a-t-il ajouté. Le document a
été détruit du fichier fédéral. ATS
---
La Liberté 22.12.10
big brother Le député vaudois Jean-Michel Dolivo a
été fiché, suite à une manifestation
anti-Blocher en 2007. Un cas d'école de la criminalisation du
militantisme politique.
Fiché pour avoir organisé une manif
Michaël Rodriguez
Lausanne, le 18 septembre 2007. Deux mille personnes
défilent aux abords du Comptoir suisse pour protester contre la
venue du conseiller fédéral Christoph Blocher. La
manifestation, autorisée, se déroule sans faire de
vagues. Ce n'est qu'au moment où la foule se disperse qu'un
groupe de 100 à 200 jeunes se déchaîne, arrachant
des affiches de l'UDC et boutant le feu à des containers. Au
mégaphone, Jean-Michel Dolivo, l'un des organisateurs de la
manifestation, lance un appel au calme.
Fiché dans ISIS
Trois ans plus tard, Jean-Michel Dolivo apprend qu'il a
été fiché comme organisateur d'une manifestation
violente. L'avocat et député de SolidaritéS au
Grand Conseil vaudois est entré bien malgré lui dans la
base de données informatique ISIS, qui recense des personnes
soupçonnées de menacer la sécurité de la
Confédération. Il fait partie des 200 000 personnes et
institutions dont le fichage, souvent illégal, avait
été révélé l'été
dernier par la Délégation des commissions de gestion des
Chambres fédérales.
C'est d'ailleurs suite à cette affaire des fiches "bis"
que le député a entrepris des démarches
auprès du Préposé fédéral à
la protection des données. Chose plutôt rare, il a obtenu
une copie de sa fiche, dont nous publions des extraits (voir
ci-contre). Elle illustre la criminalisation du militantisme politique
qui s'est poursuivie bien au-delà du scandale des fiches de 1990.
Manifestations infiltrées
Dès janvier 2008, Jean-Michel Dolivo est fiché
comme "Organisator" d'une "Demo" (manifestation) qualifiée de
"gewalttätig" (violente). Il est inscrit dans ISIS en tant que
"tiers", c'est-à-dire comme personne proche de milieux
présentant un danger pour la sécurité de l'Etat -
en l'occurrence le "black block". La durée prévue de
conservation de ces données n'est pas claire. Est-elle
fixée à 15 ans conformément à la loi, comme
le suggère une partie de la fiche? Ou à 90 ans, comme le
laisse penser une date figurant dans une autre rubrique: le 24 janvier
2098? Le Service de renseignement de la Confédération
(SRC) tombe des nues et affirme que cette dernière date provient
d'une "faute dans le système", qui dépasse le cas
d'espèce.
La fiche, élaborée par le Service d'analyse et de
prévention (l'actuel SRC), se base sur un rapport de la Police
de sûreté vaudoise. Dans ce document, on apprend que la
police a pour pratique systématique d'infiltrer les
manifestations organisées par la gauche. "Notre (...) (le nom de
l'agent ou de l'informateur est caviardé, ndlr.) en faisait
partie, comme à son habitude lors des manifestations de la
gauche", note le caporal de police auteur du rapport.
Le rapport mentionne par ailleurs que le dénommé
"Me Dolivo" a "tenté, en vain, de calmer les casseurs". Cela
aurait déjà dû dissuader les renseignements
fédéraux de ficher le militant de SolidaritéS.
L'illégalité de l'inscription dans ISIS n'en est que plus
patente. Suite à la démarche de l'avocat, le Service de
renseignement de la Confédération a décidé
d'effacer sa fiche. Affaire classée? Pas vraiment. Car de
nombreux militants politiques ou syndicaux sont probablement toujours
fichés à leur insu.
A l'ère informatique
Dans son rapport, la Délégation des commissions de
gestion relevait que les renseignements fédéraux ont
systématiquement répertorié les noms fournis par
les polices cantonales, "même des personnes qui étaient
explicitement désignées comme inoffensives ou plus du
tout actives". C'est le cas notamment de "personnes à l'origine
d'une manifestation autorisée et pacifique". Dans la plupart des
cas, il n'y a aucun moyen de savoir si elles sont fichées (lire
ci-contre). Les fichiers séparés constitués par
certaines polices cantonales, notamment dans le canton de Vaud,
échappent encore parfois à tout contrôle.
Autre problème: la transmission de données à
des tiers, considérablement facilitée par
l'informatisation. Dans l'Union européenne, ces échanges
se font par le Système d'information Schengen, auquel la Suisse
participe. Dans le cas de Jean-Michel Dolivo, le SRC affirme que les
informations le concernant n'ont pas été transmises
au-delà des autorités de police fédérales
et cantonales.
Mais cela est arrivé à d'autres. La police
fédérale n'avait ainsi pas hésité à
transmettre à un service de renseignement européen des
informations sur un député d'origine kurde au Grand
Conseil bâlois. De prétendus liens avec un comité
de soutien à un groupe extrémiste étaient
mentionnés, sans aucune information étayant ce
soupçon.
--
Un droit d'accès qui n'en est pas un
Le rapport de la Délégation des commissions de
gestion a provoqué une avalanche de demandes. Depuis
l'été dernier, le préposé
fédéral à la protection des données a
enregistré quelque 400 requêtes de personnes
s'inquiétant d'un éventuel fichage.
Le droit actuel ne permet généralement pas aux
personnes d'accéder à leur fiche. La plupart du temps, il
ne leur est même pas possible de savoir si elles font l'objet ou
non d'une inscription dans ISIS. En cas d'existence d'une fiche, le
préposé à la protection des données doit
vérifier que les informations ont été
traitées dans le respect de la loi. Si tel n'est pas le cas, il
recommande au Service des renseignements de corriger le tir.
La plupart du temps, la personne concernée n'en saura
rien. Pour obtenir des informations, elle doit prouver qu'elle risque
d'être lésée "gravement et de manière
irréparable" si elle n'y a pas accès, stipule la loi
fédérale sur le maintien de la sûreté
intérieure (LMSI). La communication de ces renseignements ne
doit en outre pas constituer "une menace pour la sécurité
intérieure ou extérieure". En cas de refus, il n'existe
pas de voie de recours.
Jugée contraire à la Convention européenne
des droits de l'homme, la procédure sera revue. Le Conseil
fédéral a adopté en novembre dernier un projet de
modification de la LMSI. Il prévoit d'aménager une voie
d'accès directe à ces données, selon des
conditions beaucoup plus larges qu'aujourd'hui. Le projet doit encore
être approuvé par les Chambres fédérales. La
LMSI interdit de traiter des informations relatives à
l'engagement politique ou à l'exercice de droits fondamentaux
comme la liberté d'association et de réunion. La seule
exception concerne des personnes ou des organisations qui se
serviraient de ces droits "pour dissimuler la préparation ou
l'exécution d'actes relevant du terrorisme, du service de
renseignements ou de l'extrémisme violent". MR
---
Le Courrier 22.12.10
La machine à produire des suspects
MICHAEL RODRIGUEZ
Vingt ans après le scandale des fiches, la criminalisation
des mouvements de gauche est bien plus qu'un vieux souvenir de la
guerre froide. Jean-Michel Dolivo, député de
Solidarités au Grand Conseil vaudois, a été
fiché par les Renseignements fédéraux pour avoir
organisé une manifestation de protestation contre la venue de
Christoph Blocher au Comptoir suisse en 2007. Pour la seule raison que
des débordements avaient eu lieu après la dispersion du
cortège, le militant s'est vu estampiller "organisateur de
manifestation violente". Il fait ainsi partie des 200000 personnes et
institutions dont le fichage a été
révélé l'été dernier par la
Délégation des commissions de gestion des Chambres
fédérales.
Ce nouveau symptòme d'une pathologie apparemment chronique
— la paranoia helvétique — pourrait faire rire. Au rayon du
ridicule, la base de données informatique ISIS, qui recense les
personnes soupçonnées de présenter une menace pour
la sécurité de l'Etat, n'a rien à envier aux
anciennes fiches. Certaines personnes sont restées
répertoriées dans ISIS dix ans après leur mort,
relevait par exemple la Délégation des commissions de
gestion.
Mais le fichage politique a, aujourd'hui comme alors, surtout
quelque chose d'inquiétant. Car la paranoTa helvétique
n'est rien à còté de I'hystérie
sécuritaire mondiale. Les fiches version postmoderne
s'inscrivent dans une époque où les possibilités
de transmission de données personnelles sont
décuplées.
L'évolution est à la fois technologique, avec
l'informatisation et le développement d'internet, et
politico-juridique, à travers la création de
réseaux d'échange de données comme ceux nés
des conventions de Schengen et de Dublin.
Aujourd'hui, l'extension de I'Etat policier n'est plus
alimentée parla hantise du communisme, mais par la "guerre
contre le terrorisme" déclenchée au lendemain des
attentats du 11 septembre 2001. EIIe prend également appui sur
la criminalisation des migrants et la constitution de l'Europe comme
forteresse. Il faut rappeler que l'immense majorité des
personnes fichées dans ISIS sont de nationalité
étrangère. Elles y ont souvent été
répertoriées à la suite d'un contròle de
photographies d'identité à la frontière, au
dépòt d'une demande d'asile ou de naturalisation.
Cette incroyable capacité de l'Etat policier à
produire des suspects peut avoir des conséquences graves.
Lorsque la machine sé-curitaire s emballe le pouvoir ne s
embarrasse plus de la nécessité d'avoir des preuves pour
porter atteinte à la Iiberté de potentiels ennemis
publics. On l'a vu notamment avec l'affaire Coupat en 2008.
Soupçonné d'avoir organisé le sabotage de Iignes
TGV, Julien Coupat a été mis en examen comme "dirigeant
d'une structure à vocation terroriste" et emprisonné sans
preuve durant plus de six mois. Plus récemment, la mise au
pilori du fondateur du site WikiLeaks Julian Assange et la fermeture de
ses comptes bancaires, sans aucun ordre de justice, ont jeté une
lumière inquiétante sur la capacité du
système à faire ti de l'Etat de droit.
Les fiches du XXIe siècle pourraient réserver
encore de bien mauvaises surprises.
---
admin.ch 22.12.10
Finger- und Handflächenabdrücke: Bundesrat stimmt der
Erneuerung des Identifikationssystems zu
Bern, 22.12.2010 - Der Bundesrat hat in seiner heutigen Sitzung der
Beschaffung eines neuen automatisierten
Fingerabdruck-Identifikationssystems (AFIS) zugestimmt. Das ,AFIS New
Generation" wird das bestehende System voraussichtlich 2013
ablösen. Es ist ein zukunftsorientiertes Instrument für die
biometrisch-forensische Tatortspurenaufklärung und
Personenidentifikation.
Das automatisierte Fingerabdruck-Identifikationssystem AFIS
unterstützt die Identifikation von Personen und Tatortspuren
aufgrund von Finger- und Handflächenabdrücken. Das zentrale,
nationale AFIS wird vom Bundesamt für Polizei fedpol seit 1984
betrieben und ist aus der heutigen Sicherheitslandschaft Schweiz nicht
mehr wegzudenken. 2009 wurden mit AFIS rund 128'000
Überprüfungen durchgeführt, was zu 52'000
Personenidentifizierungen geführt hat. Gleichzeitig konnten
über Analyse und Vergleich von Finger- und
Handflächenabdrücken, die an Tatorten gesichert wurden, rund
2'300 Personen identifiziert werden. Dabei handelt es sich
grösstenteils um Täterspuren.
Dringliche Ablösung
Seit der letzten Erneuerung des Systems im Jahre 2002 hat sich das
Auftragsvolumen massiv erhöht. Die technischen Leistungsgrenzen in
allen Bereichen des Gesamtsystems sind erreicht. Eine
Weiterführung des bestehenden Systems könnte mittelfristig zu
einem Totalausfall des gesamt-schweizerischen Fingerabdrucksystems
führen. Das Bundesamt für Polizei könnte dann seinen
Leistungsauftrag gegenüber seinen Partnern (Kantonspolizeien,
Grenzwachtkorps, Bundesamt für Migration, Botschaften,
Interpol-Partnerstaaten) die das System rund um die Uhr nutzen, nicht
mehr wahrnehmen.
Neben den technischen Gesichtspunkten gilt es auch den zunehmenden
internationalen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Der
Datenaustausch geschieht heute über die Schnittstelle zu Eurodac,
der europäischen Asyldatenbank, sowie mit den
Interpol-Partnerstaaten. Damit die technischen und qualitativen
Anforderungen auch in Zukunft erfüllt werden können, muss das
bestehende AFIS durch das neue System ,AFIS New Generation"
abgelöst werden. Die Investitionskosten für das neue System
belaufen sich auf rund 18,5 Millionen Franken, die durch den Bund
getragen werden.
Klare gesetzliche Grundlagen
Die Arbeiten mit dem AFIS unterliegen klaren gesetzlichen Grundlagen.
Das Informationssystem stützt sich einerseits auf Artikel 354
Absatz 1 und Absatz 4 des Strafgesetzbuches (StGB; SR 311.0). Die
Einzelheiten regelt der Bundesrat auf Verordnungsstufe. Bezüglich
Ausländerinnen und Ausländer stützt sich das AFIS
anderseits auch auf Artikel 102 Absatz 2 des Ausländergesetzes
(AuG; SR 142.20).
Die Verordnung vom 21. November 2001 über die Bearbeitung
biometrischer erkennungsdienstlicher Daten (SR 361.3) schränkt die
biometrischen erkennungsdienstlichen Daten auf Finger- und
Handballenabdrücke, Tatortspuren, Fotografien und Signalemente ein
und regelt den Einsatz des AFIS. Die Grundlagen für den
internationalen Datenaustausch finden sich für Eurodac im
Asylgesetz (SR 142.31; Art. 102a bis 102e) sowie für
Interpol im StGB (Art. 350 bis 352).
Adresse für Rückfragen:
Axel Glaeser, Bundesamt für Polizei, Tel. +41 31 325 96 22
Herausgeber:
Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
Internet: http://www.ejpd.admin.ch
--
Ausländergesetz (SR 142.20)
http://www.admin.ch/ch/d/sr/c142_20.html
Asylgesetz (SR 142.31)
http://www.admin.ch/ch/d/sr/c142_31.html
Strafgesetzbuch (SR 311.0)
http://www.admin.ch/ch/d/sr/c311_0.html
Verordnung über die Bearbeitung biometrischer
erkennungsdienstlicher Daten (SR 361.3)
http://www.admin.ch/ch/d/sr/c361_3.html
---
WoZ 16.12.10
Datenmissbrauch bei der swisscom?
Ein Phantom versendet Drohungen
Von einem Handy aus, das auf eine junge jüdische Frau
registriert ist, werden Zürcher Neonazis, Szeneaussteiger und
Hooligans massiv bedroht. Die vermeintliche Handybesitzerin lebt
in den USA und weiss von nichts. Wer steckt hinter den Drohungen? Die
Swisscom schweigt.
Von Daniel Ryser (Text) und Patric Sandri (Illustration)
Es ist ein Freitag im November 2010. In Zürich steht ein
Schlägerkommando bereit, ein Drohkommando von Bedrohten. Sie
wollen eine jüdische Familie "besuchen" und
bedrängen - das Eskalationspotenzial ist hoch, auch
wenn der Auftrag des Kommandos offenbar darin besteht, zuerst einmal
herauszufinden, was genau Sache ist. Doch wenn Rechtsextreme eine
jüdisch-orthodoxe Familie aufgebracht zur Rede stellen, dann ist
das nicht die beste Voraussetzung für ein sachliches,
klärendes Gespräch.
Die Vorgeschichte: In den Wochen zuvor hatten Rechtsextreme,
Szeneaussteiger, Hooligans, Ex-Hooligans, insgesamt über dreissig
Personen, von einem Handy aus massive Drohungen erhalten, von
Beschimpfungen bis hin zur angedeuteten schweren Drohung gegen Leib und
Leben. Mit einem einfachen Trick in einem Swisscom-Shop in Zürich
hatte dann einer der Betroffenen die offiziell registrierte Inhaberin
der Nummer herausgefunden: die jüdisch-orthodoxe Familie im Kreis
4 beziehungsweise deren Tochter. Seither kursierten deren Name und
Adresse in der Szene, und als die Drohungen nicht aufhörten,
organisierte einer der Bedrohten nun also ein Drohkommando.
Verletzte die Swisscom die Sorgfaltspflicht?
Einer, der einen der Bedrohten kennt, sah das
Eskalationspotenzial dieses Aufeinandertreffens - und vor allem
zweifelte er daran, dass jene Familie mit der Sache zu tun hat. Er
könne seine Zweifel nicht erklären, sagte er, "aber die
Person, welche die Drohungen verschickt, verfügt über ein
extremes Wissen über die Zürcher Hooliganszene, Wissen, das
eigentlich nur ein Insider oder ein Szenekenner haben kann". Die WOZ
bekam also einen Tipp, Namen und Adresse der Familie, und klingelte,
als das Drohkommando schon im Besitz der Adresse war, an der
Wohnungstür. Die anwesenden Familienmitglieder hatten keine
Ahnung, wovon der Reporter redete. Die betreffende Tochter lebe seit
längerem in den USA, sei dort verheiratet. Vor allem aber habe sie
in der Schweiz gar nie ein Handy besessen. Ein Anruf bei der Swisscom
aber bestätigte alles: Auf die Tochter, nennen wir sie nach der
US-Schauspielerin Lisa Edelstein, ist seit drei Jahren eine Nummer bei
der Swisscom registriert - ein Natel Easy. Funktion: prepaid. Das
heisst: Keine Rechnungen, keine Bestätigungen nach Hause. Und dann
stutzte die Dame am Telefon: Für die Nummer fehle das nötige
Registrierungsformular, das Formular, auf dem unter anderem eingetragen
wird, von welchem offiziellen Dokument die Personendaten stammen.
Eigentlich hätte der Account so niemals eröffnet werden
dürfen, sagte die Swisscom-Frau am Telefon. Wie konnte das
trotzdem passieren? Wurde intern geschummelt? Eine Antwort liefert die
Frau nicht, dafür schickt sie - wohl kaum legal - eine Liste aller
Anrufe, die in den letzten dreissig Tagen mit dem Handy von Lisa
Edelstein getätigt wurden.
Die Liste zeigt: Das Handy wurde im Oktober und Anfang November
2010 als reines Drohhandy benutzt. Nur per SMS wurde kommuniziert. Beim
Durchtelefonieren der über dreissig Nummern ergibt sich ein
Muster: Betroffen sind in erster Linie Leute aus dem Zürcher
Hooliganumfeld, ehemalige Mitglieder der Hardturm-Front, Anhänger
des Rekordmeisters Grasshopper Club, die vor Jahren ausstiegen oder
aussteigen mussten, weil es innerhalb der Gruppe zu Differenzen
gekommen war, und von denen fast alle eine rechtsextreme Vergangenheit
haben. Es finden sich aber ebenfalls einzelne Leute auf der Liste, die
beteuern, weder mit Hooliganismus noch mit extremistischer Politik
etwas zu tun zu haben, die aber auch angeben, von dieser Nummer aus
massiv beschimpft worden zu sein. Einer sagt: "Ich schrieb zurück:
Was soll das? Es kam eine Antwort. Offenbar muss das Handy früher
einem Mitglied der Zürcher Hooligangruppe City Boys gehört
haben. Ich habe die Nummer seit zwei Jahren. Ich schrieb, man solle
mich in Ruhe lassen, ich hätte nichts mit der Person zu tun."
Zudem erhielt der Vater eines Ex-Neonazis per SMS das Bild seines
Autos zugeschickt, das vor seinem Haus parkte, darunter der Text:
"Gruss an deinen Sohn. Jetzt läuft es." Bedroht wurde zudem auch
ein bekanntes Mitglied der Neonaziorganisation Blood and Honour Vorarl
berg.
Eine Abrechnung in der Hooliganszene?
Und das alles also vom Handy einer jungen jüdischen Frau
aus. Die Familie kam so in erhebliche Gefahr. Und nicht nur sie: "Ich
wurde kürzlich von alten Bekannten im Zürcher Niederdorf
zusammengeschlagen, weil sie glaubten, ich stehe hinter den Attacken",
sagt einer der Angerufenen, ein Ex-Hooligan. Gleichzeitig mit den
telefonischen Drohungen sei in seinem Namen ein Facebook-Profil
eröffnet worden, sagt der Mann. In seinem Namen seien auch
Hooligans in Zürich und in Basel massiv bedroht worden. Zudem sei
auch Folgendes passiert, sagen mehrere der bedrohten Ex-Hooligans: Vom
Grab des vor einigen Jahren verstorbenen Zürcher Hooligans K. S.
sei dessen Foto gestohlen worden, es sei eingescannt worden. Dann sei
unter dem Namen des Toten und mit der Fotografie des Grabes ein Profil
eröffnet worden, mit dem Leuten aus seinem alten Umfeld gedroht
wurde: Man sehe sich bald.
Handelt es sich bei dieser Geschichte um eine Vendetta unter
alten Bekannten? Eine Abrechnung in der Hooliganszene? Kam ein
jüdisch klingender Name gerade recht? Oder steckt hinter den
Drohungen, wie einige meinen, eine linksextreme Gruppe aus Zürich?
Oder ist es, wie ein betroffener Rechtsextremer nach wie vor vermutet,
"eine Verschwörung extremistischer jüdischer,
antizionistischer Kreise"? Eine gut informierte Person aus der
Antifa-Szene kann sich aufgrund der "absurden Qualität der
Drohungen" organisierte Antifaschisten als Urheber der Drohungen nicht
vorstellen, "schon auch deshalb, weil solch wilde, unkontrollierte
Drohungen früher oder später zu Gewalt führen, und wir
wollen unsere Energien auf sinnvolle Aktionen fokussieren und nicht
irgendwelche Einzelmasken oder gar deren Verwandte bedrohen".
Fakt ist: Wer auch immer hinter den Drohungen steckt, hat mehrere
Leute, die der Urheberschaft verdächtigt wurden, in erhebliche
Gefahr gebracht. Darunter Familie Edelstein: Vater, Mutter, Sohn, eine
zweite, junge Tochter. Die Familie ist in erster Linie froh, dass
niemand ihre Wohnung gestürmt hat. Sie liess dann, "nachdem wir
uns einen Tag lang nicht mehr vor die Tür getraut haben", bei der
Swiss com die Nummer sperren. Die Frage, welche die Familie
beschäftigt und bisher unbeantwortet bleibt: Wurde die Tochter
zufällig oder bewusst ausgewählt? Kommt es, wie ein Swiss
com-In si der behauptet, bei der Swisscom öfter zu derartigem
Datenmissbrauch, der mitunter Dritte gefährden kann? Indem auf
fremde Namen Prepaidkonten erstellt werden (um keinen Verdacht zu
erwecken, werden existierende Personen genommen), die dann von
irgendwelchen Leuten für Umtriebe benutzt werden, die
Anonymität erfordern?
Weil Prepaidkonten keine Korrespondenzen und keine Rechnungen
erfordern, ist es technisch tatsächlich so, dass eine Person nie
erfahren muss, dass auf sie ein Natel-Easy-Abonnement läuft.
"Wenden Sie sich an den Kundendienst"
Ob es bei der Swisscom bereits nachweislich zu solchen
Missbräuchen gekommen ist, will die Pressestelle nicht
beantworten. Zum vorliegenden Fall schweigt die Swisscom-Pressestelle
ebenfalls - "aus Datenschutzgründen" - und empfiehlt allen
Betroffenen, "sich an den Kundendienst zu wenden, dort erhalten sie
Informationen für das weitere Vorgehen. Bei Drohungen sollten sich
Kunden an die Polizei wenden."
Die Geschichte könnte trotzdem noch aufgeklärt werden:
Einer der Bedrohten sagt, er sei von verschiedenen Nummern aus bedroht
worden und habe deswegen Anzeige erstattet.
Aus verschiedenen Quellen war zu erfahren, dass in Zusammenhang
mit den Drohungen vor zwei Wochen eine Person vorübergehend
verhaftet wurde, die früher Kontakte zu rechtsextremen Hooligans
pflegte, während sie im gleichen Zeitraum auch an linken Demos
anzutreffen war. Computer seien ebenfalls beschlagnahmt worden. Die
betreffende Person streite aber vehement ab, mit den Drohungen zu tun
zu haben. Die Geschichte behält Brisanz: Nachdem der Verdacht
gegen die jüdische Familie ausgeräumt ist, kursiert nun
offenbar der Name der vorübergehend verhafteten Person unter den
Bedrohten. Schon macht das Gerücht von einem neuen Drohkommando
die Runde.
--
ProWOZ Förderverein
Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds
des Förder vereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt
Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der
WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser Innen.
Förderverein ProWOZ, Postfach, 8031 Zürich, PC
80-22251-0
---
20 Minuten 15.12.10
Trailer zum Fichen-Film
ZÜRICH. "Manipulation" ist der erste Spielfilm über die
Schweizer Fichenaffäre. Mit Klaus Maria Brandauer (66) konnten die
Produzenten einen Golden-Globe-Gewinner für die Hauptrolle des
Spezialagenten Urs Rapold gewinnen. Am 20. Januar eröffnet der
Polit-Thriller die Solothurner Filmtage. Ab dem 3. Februar läuft
er in den Kinos. Den Trailer sehen Sie heute schon exklusiv auf 20
Minuten Online.
---
20min.ch 15.12.10
"Manipulation": Der Film zur Fichenaffäre
Exklusiv auf 20 Minuten Online: Der Trailer zum starbesetzen Film
über die skandalträchtigen Machenschaften des Schweizer
Staatsschutzes.
1956. Die Zeit des Kalten Krieges. Der Schweizer Staatsschutz
überwacht zehn Prozent der eigenen Bevölkerung. Als ein
kompromittierendes Foto den Starreporter Werner Eiselin als
sowjetischen Spion entlarvt, ist dieser dem Druck nicht gewachsen und
nimmt sich im Verhörraum des Leben. Spezialagent Urs Rapold von
der Antispionage-Abteilung plagen Zweifel: Waren die Fotos wirklich
echt? Und warum hat der einflussreiche PR-Berater Dr. Harry Wind die
Fotos überhaupt machen lassen?
In der Rolle des Spezialagenten Urs Rapold brilliert
Schauspielstar Klaus Maria Brandauer, der bereits einen Golden Globe
für die beste Nebenrolle in "Jenseits von Afrika" erhielt.
Für seine Leistung in Sydney Pollacks Spielfilm war der
66-jährige Österreicher ausserdem für einen Oscar
nominiert.
Am 20. Januar 2011 feiert "Manipulation" als Eröffnungsfilm
der 46. Solothurner Filmtage Weltpremiere. Am 3. Februar läuft der
Polit-Thriller in den Schweizer Kinos an. (sei)
--------------------
POLICE CH
--------------------
NZZ am Sonntag 19.12.10
Ausstellung
Ohne Angst vor Kontrollverlust
Alexandra Maurer - Contremouvements. Kunstmuseum St. Gallen, bis
23. 1., www.kunstmuseumsg.ch, Katalog: Verlag für moderne Kunst.
Gegen Demonstranten ist die Polizei in Genf nicht zimperlich. Mit
voller Wucht treffen die Wasserwerfer auf die Körper. Alexandra
Maurer hat diese Gewalt vor allem über den Ton eingefangen. Dieser
schwillt zu donnerndem Getöse an, verklingt dann ins Unbestimmte,
sobald die Strassen leer sind. Was so lebensecht daherkommt, ist das
Resultat einer künstlerischen Fiktion. Die in Genf lebende und
gerade mit dem Manor-Kunstpreis St. Gallen ausgezeichnete
Künstlerin hat für ihre Videoinstallation im Depot der Genfer
Verkehrsbetriebe typische Demo-Szenen nachgestellt und gefilmt.
Einzelne Stills wurden übermalt und mit den bewegten Bildern
zusammengeführt. Maurer spricht von einer "peinture
animée". Die bunten, lebhaften Bewegungen sind mit Dok-Filmen
aus dem Internet über Demonstrationen von 1968 und gegen den
G-8-Gipfel in Genua ergänzt. Die Körnigkeit der Bilder
rückt sie an Video-Malerei heran. Die inszenierte und die reale
Gewalt verbinden sich zu einer merkwürdigen Mischung aus Kampf,
Performance und Tanz. Die Erotik und Hässlichkeit, die der
Körper bei extremen Bewegungen ausstrahlt, faszinieren die St.
Gallerin auch in den weiteren ausgestellten Videos, Fotos und
Malereien. Vor Kontrollverlust und knalligen Farben hat sie keine
Angst. (gm.)
---
NZZ 18.12.10
"Ohne Schengen war es besser"
Zöllner und Grenzpolizisten in Zeiten offener Grenzen - ein
Besuch bei den Grenzwächtern in Chiasso
Der Beitritt zum Schengener Abkommen hat für Reisende
Annehmlichkeiten gebracht. In Chiasso allerdings führen die
offenen Grenzen zu Unbehagen. Ein Augenschein vor Ort - zwei Jahre nach
dem Verschwinden der Grenzkontrollen.
Michael Schoenenberger, Chiasso
Mussolinis Grenzzaun rostet vor sich hin. Da und dort klaffen
Löcher. Einst errichtet gegen Schmuggel und Fluchtgeld, steht er
in Zeiten offener Grenzen nunmehr anachronistisch zwischen der Schweiz
und Italien. Man möchte ihn niederreissen, wäre da nicht das
deutliche Gefühl, die Menschen hier in Chiasso seien ganz froh um
so etwas wie ein letztes Hindernis, das es von Süden her zu
überwinden gilt.
"Auf dem Waldboden liegen sie, dort drüben, die Pässe
und Dokumente", sagt Wachtmeister Christian Galli und zeigt über
das tiefe Tobel auf die italienische Seite. Weggeworfen von Migranten
auf ihren letzten Schritten in die Schweiz, verunmöglichen sie
eine rasche Identifizierung. Auf Schweizer Boden zeugen verrottende
Kleider von menschlichen Schicksalen. Die grüne Grenze beklemmt
noch immer.
Hochmoderne Kameras überwachen den fast zwei Kilometer
langen Grenzabschnitt in Chiasso und Umgebung. Ihren Dienst verrichten
die elektronischen Augen auch auf dem Bahnhof. Seit mit dem Abkommen
von Schengen die systematischen Personenkontrollen an der Grenze
aufgehoben worden sind, kommen die meisten illegalen Zuwanderer ganz
normal mit dem Zug an. 40 bis 50 Migranten sind es an Spitzentagen. Es
sind Männer, eigentlich nur Männer, und sie kommen
mehrheitlich aus Nigeria. Vom Bahnhof sind es nur ein paar Schritte bis
zum Auffangzentrum. Dort stellen sie ein Asylgesuch. Viele von ihnen,
sagt Galli, hielten sich schon längere Zeit illegal in Italien
auf. "In der Schweiz werden sie besser behandelt als in Italien. Dort
schlafen viele unter Brücken, haben kaum zu essen." Hier in
Chiasso gibt es ein Dach über dem Kopf, warmes Essen, Kleider,
Hygienemittel und drei Franken pro Tag. "Das ist für manchen schon
fast ein Paradies."
"You understand?"
"Ich möchte arbeiten in der Schweiz", sagt der junge,
gedrungene Mann in gebrochenem Englisch und fuchtelt mit seinen grossen
Händen, was das Zeug hält. In Nigeria habe er Probleme, er
könne nicht zurück. Die Italiener seien chaotisch, hier sei
es besser. Nein, mit Drogen wolle er nicht handeln, aber, so meint er
auch, von etwas müsse man leben - und ja, das Leben liege in
Gottes Händen. "You understand?" Die Gittertür des
Auffangzentrums geht auf und zu, junge schwarze Männer gehen ein
und aus. Das Zentrum ist gut besetzt. In Chiasso gibt es mittlerweile
so etwas wie ein "nigerianisches Viertel".
Die Grenzwächter wollen nicht klagen, hinter vorgehaltener
Hand reden sie aber Klartext. "Mit der Personenfreizügigkeit und
mit Schengen ist das Handwerk der Kriminellen einfacher geworden", sagt
ein Grenzwächter, der nicht namentlich genannt sein will. "Ohne
Schengen war es besser." Ein anderer Grenzwächter meint, in der
täglichen Arbeit an der Grenze in Chiasso bringe das Schengener
Informationssystem eigentlich wenig bis nichts.
Neben der illegalen Migration gibt die grenzüberschreitende
Kriminalität zu reden. Das Tessin, sagt Galli, gehöre heute
zu Mailands Agglomeration. Von dort und von Turin aus treiben
kriminelle Banden ihr Unwesen. Häufig sind es minderjährige
Roma-Mädchen, die auf Einbruchs- oder Diebestour geschickt werden.
Kürzlich erst haben die Grenzwächter zwei Mädchen, kaum
15 Jahre alt, dingfest gemacht. Sie waren dabei, in ihrem Koffer einen
Tresor nach Italien zu schaffen. "Die Zigeuner sind Profis", sagt
Galli. "Sie wissen sogar, wo wir Grenzwächter wohnen." Die
nächtlichen Routen werden entsprechend festgelegt.
Chiasso Brogeda, Autobahnzoll. Zu dritt stehen die
Grenzwächter im dichten Autoverkehr und lassen ihre geschulten
Blicke schweifen. Es ist eine Knochenarbeit. Im Sekundentakt
hämmern die Motoren vorbei. In der ermüdenden Monotonie des
Verkehrs ist es schwierig, wachsam zu bleiben. Geschehen kann alles,
und zwar jederzeit. Auffallend viele Luxuskarossen passieren.
Maseratis, Bentleys. Die Grenzwächter schnappen sich einen jungen
Franzosen. Sie verdächtigen ihn des Haschischschmuggels,
durchsuchen seinen kleinen Peugeot, gute fünf Minuten lang.
Derweil passieren Dutzende Autos und Kleinlaster die Grenze, ohne jede
Kontrolle. "Mit mehr Personal könnten wir natürlich besser
kontrollieren", bemerkt ein Grenzwächter trocken.
Wenn alles Touristen sind
Jetzt ist ein serbischer Audi an der Reihe. Wieder falscher
Alarm. Stolz erzählen die Grenzwächter nach diesen
Fehlgriffen von ihren Erfolgen, etwa von jenem 67-jährigen
Holländer, der 12 Kilogramm Kokain und 7 Kilogramm Heroin durch
die Schweiz schmuggeln wollte. Oder von jener 60-jährigen
Belgierin mit 17 Kilogramm Drogen im Gepäck. Zwei äusserlich
völlig unverdächtige Erscheinungen seien das gewesen.
Vorurteile blieben immer wieder unbestätigt. "Die Erfahrung
zählt", sagt Galli, "heute mit Schengen noch mehr als
früher." Ein erfolgreicher Grenzwächter habe den besonderen
Riecher und beurteile Situationen intuitiv.
Ein Kleinbus mit osteuropäischem Kennzeichen und
Anhänger fährt durch. Er ist voll besetzt mit bärtigen
Männern. Die drei Grenzwächter, beschäftigt mit einer
anderen Kontrolle, können den Bus nicht filzen. Ein kurzer
Seitenblick, und einer meint: "Verdächtig, sie könnten
Diebesgut geladen haben." Ironisch erwidert Galli: "Vielleicht waren es
Touristen." Viele geben sich bei einer Kontrolle als Touristen aus.
Besonders Osteuropäer, die kein Visum mehr brauchen. Frauen in den
Fängen der Menschenhändler kommen so in die Schweiz. Sie
tauchen dann auf dem Strassenstrich in Zürich wieder auf.
"Prostituierte und Schwarzarbeiter reisen als Touristen
völlig legal ein", sagt ein Grenzwächter. "Wir können
nichts machen." Er erzählt von den vermeintlichen Skitouristen,
die in ihren Koffern keine Skidresses, wohl aber Maurerwerkzeuge
verstaut hatten. Schwarzarbeiter. Oder vom 15-jährigen
Mädchen, das einen Zettel bei sich hatte. Darauf stand detailliert
geschrieben, wie viel Geld es für welche sexuellen Handlungen zu
verlangen habe.
Wer sich in Chiasso umhört, bekommt immer wieder dasselbe zu
hören. Man fühle sich nicht mehr sicher, nicht einmal mehr zu
Hause. Wegziehen sei aber keine Option. Eine Frau meint, die Leute in
Chiasso seien stolz auf ihren Ort. Nicht einmal gegen Bezahlung gingen
sie fort. Die Tessiner, sagt ein Passant, haben Angst. Angst vor
italienischen Zuständen in ihrem Kanton. Deshalb stimmten sie Nein
zu Schengen, Nein zum freien Personenverkehr. "Offene Grenzen sind
etwas Wunderbares", sagt der Chef des Zigarrengeschäfts.
"Besonders für jene, die in die Ferien fahren oder am Flughafen
nicht mehr in der Schlange stehen müssen." Hier aber, in Chiasso,
seien sie exponiert. Er wäre froh, es gäbe wieder
stärkere Grenzkontrollen.
Langsam dunkelt es. Mit dem Zug aus Mailand kommen an diesem
Abend nur wenige Illegale in die Schweiz. Grenzwächter stehen
ohnehin keine auf dem Bahnsteig. Die zur Verfügung stehende
Patrouille ist unterwegs, irgendwo bei Bellinzona.
--
Migrationsdruck an der Südgrenze nimmt zu
msc. · 2009 hat das Grenzwachtkorps schweizweit bei rund
3500 Personen einen illegalen Aufenthalt festgestellt. An der
Südgrenze waren es 1600 oder gut 40 Prozent. Der Migrationsdruck
im Süden hat 2010 zugenommen: Bis Ende November wurden 2460
Personen aufgegriffen. Wie Davide Bassi, Sprecher der Grenzwachtregion
IV, weiter sagt, stellen die meisten Illegalen ein Asylgesuch. In
Chiasso haben die Gesuche entsprechend zugenommen, bestätigt das
Bundesamt für Migration. Im Januar 2009 baten 196 Personen in
Chiasso um Asyl, im November 2010 ist mit 457 Gesuchen der Spitzenwert
erreicht worden.
Die Grenzwachtregion IV beschäftigt derzeit 318 Mitarbeiter.
2007 waren es noch 340 . Auf dem Posten in Chiasso sinkt die Zahl
nächstes Jahr von 64 auf 61 Grenzwächter. Wie Bassi sagt,
bestehen derzeit keine Pläne, den Bestand wegen des
Migrationsdrucks zu ergänzen. Eine allfällige
Verstärkung sei möglich, aber lageabhängig, heisst es
vonseiten der Eidgenössischen Zollverwaltung. Wöchentlich
wird die Lage neu beurteilt.
Die Tessiner Kantonspolizei kann aufgrund der zur Verfügung
stehenden statistischen Daten nicht bestätigen, dass der
Kriminaltourismus mit Schengen zugenommen hätte. Einbrüche
und Diebstähle seien rückläufig. Wie Bassi sagt, sinken
die Zahlen aufgrund des guten Filters an der Grenze. Die Zahl der vom
Grenzwachtkorps an die Polizei übergebenen Personen steige an:
2008 habe man pro Tag fünf Personen übergeben, 2010 seien es
bereits neun. Eine massive Zunahme ist bei den Delikten gegen Leib und
Leben zu verzeichnen (2001: 234; 2008: 765). 2010 waren es 1148
Strafdelikte, die allerdings aufgrund einer neuen Erhebungsmethode
nicht mit den Zahlen von 2008 vergleichbar seien, wie die
Kantonspolizei betont.
Laut dem Bundesamt für Migration ist das Schengener
Informationssystem (SIS) ein unentbehrliches Instrument zur
grenzüberschreitenden Kriminalitätsbekämpfung. Das SIS
sei die Voraussetzung für die Fahndungen nach Personen und Sachen.
Von Januar bis Ende September 2010 seien im rückwärtigen Raum
4640 Personen ermittelt worden, welche im SIS ausgeschrieben waren. Auf
den Kanton Tessin entfielen hiervon 471 Personen. Unter den in der
ganzen Schweiz aufgegriffenen Personen waren 156 zur Verhaftung
ausgeschrieben.
---
Bund 15.12.10
Nachts stehen nur 10 Mann an 110 Kilometern Grenze
In Genf werfen Überfälle ausländischer Banden ein
Schlaglicht auf den Unterbestand der Grenzwacht. Ihr Kommandant fordert
zusätzlich 100 Mann.
Richard Diethelm, Lausanne
Vier Bewaffnete überfielen am Dienstagmorgen eine Bijouterie
im Waadtländer Vallée de Joux und nahmen vorübergehend
eine Frau als Geisel. Letzte Woche versuchte eine bewaffnete Bande eine
Bankfiliale im Genfer Vorort Gollonge-Bellerive zu stürmen. Ende
November überfielen in Thonex bei Genf bewaffnete Männer eine
Wechselstube und eröffneten das Feuer auf die anrückende
Polizei. Ein verletzter Bankräuber wurde verhaftet, die andern
flohen ohne Beute.
Die jüngsten Raubüberfälle fachten in der Region
Genf Diskussionen wieder an, wonach Kriminaltouristen wegen der dank
Schengen offenen Grenze zu leichtes Spiel hätten. Gemäss der
Polizeistatistik 2009 hält Genf unter den 26 Kantonen mit 110,2
Straftaten pro 1000 Einwohner den Rekord. In der Städtestatistik
liefert Genf mit 190,7 Straftaten pro 1000 Einwohner ebenfalls den
höchsten Wert. Allerdings gehen nicht alle registrierten
Verbrechen auf das Konto von Kriminaltouristen. Die "Tribune de
Genève" listete gestern Vorschläge der Grenzwacht und der
Polizei auf, wie man Kriminaltouristen besser das Handwerk legen
könnte.
Überwachung mit Kameras
Das Grenzwachtkorps prüft, an neuralgischen Stellen entlang
der Grenze "intelligente" Überwachungskameras einzusetzen. Diese
können Kontrollschilder von Autos erkennen und schlagen bei
gestohlen gemeldeten Fahrzeugen sofort Alarm. Ein gemeinsamer Funkkanal
soll die Kommunikation zwischen schweizerischen und französischen
Ordnungskräften beschleunigen. Auf der Wunschliste stehen eine
grenzüberschreitende Einsatzzentrale sowie ein Polizeihelikopter,
der Verbrecher auf der Flucht über die Landesgrenze hinaus
verfolgen dürfte.
Der Kommandant der Grenzwacht Genf, Claude Meylan, übte in
der "Tribune" keine Kritik am Schengen-System. Aber er schilderte die
Folgen des Unterbestandes im Korps. Seitdem dieses vor zwei Jahren mit
rund 140 Mann die Passkontrolle im Internationalen Flughafen
übernehmen musste, fehlen Leute für die mobilen Patrouillen
zur Überwachung der 110 Kilometer langen Grenze zu Frankreich.
Tagsüber stünden 130 Grenzwächter im Einsatz, aber
nachts "manchmal nicht mehr als etwa 10 Personen".
Das Phänomen der grenzüberschreitenden
Kriminalität, die wellenartig auftritt, kennt man auch in Basel.
Laut Patrick Gantenbein vom Grenzwachtkorps Basel verüben vor
allem junge Personen aus Drittstaaten, die ohne festen Wohnsitz im
Elsass leben, Einbrüche auf Basler Boden. Die Frage, ob das Basler
Korps mehr Grenzwächter benötigt, beantwortet der
Informationsbeauftragte diplomatisch: "Wir machen das Beste mit den
verfügbaren personellen Mitteln."
Widmer-Schlumpf spart
In Genf dagegen reicht der Bestand des Korps von 307 Personen
trotz der momentanen Verstärkung durch 30 Deutschschweizer
Grenzwächter nicht aus, um der Bevölkerung den
gewünschten Schutz zu bieten. Im Idealfall müssten rund um
die Uhr sechs bis acht Patrouillen im Einsatz sein, sagt der Sprecher
des Korps, Michel Bachar. Sein Kommandant bezifferte das Soll auf 400
Stellen. Wegen Budgetrestriktionen bewilligte Bern dem Genfer Korps
für nächstes Jahr lediglich 24 zusätzliche
Aspirantenstellen.
"Das reicht nicht", sagt André Eicher, der
Zentralsekretär der Gewerkschaft des Zoll- und Grenzwachtpersonals
Garanto. Je 40 zusätzliche Stellen in den nächsten zwei
Jahren hatte Garanto für Genf gefordert, für die übrige
Schweiz 200 Grenzwächter und 200 zivile Zollbeamte.
Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hat für solche auch im
Nationalrat erhobenen Forderungen wenig Gehör. Anfang Woche sagte
sie in der Fragestunde, das Grenzwachtkorps könne von den
Sparvorgaben des Parlaments "nicht völlig ausgenommen" werden. Und
eine schlüssige Aussage zum nötigen Personal sei erst
möglich, nachdem die Aufgabenstellung des Korps
überprüft worden sei.
--------------------------------
ANTI-FEMINISMUS
--------------------------------
Blick am Abend 21.12.10
Kuhn lässt nicht locker
WAHLEN
Die IG Antifeminismus will für Zürich in den
Nationalrat. Mit wem, ist noch unklar.
Frauenlästerer René Kuhn will im Oktober 2011 mit
seiner IG Antifeminismus bei den Nationalratswahlen für
Zürich antreten. "Wir prüfen noch, ob es möglich ist.
Aber der Grundsatzentscheid ist gefällt", sagt Kuhn zu Blick am
Abend. Von allen Kantonen sei Zürich am attraktivsten, weil die IG
Antifeminismus hier am meisten Mitglieder habe. "Wir wollen zwar keine
politische Partei sein", so Kuhn, "doch nur wenn wir mitspielen,
können wir auch etwas erreichen." Die Ziele sind klar: Im
Scheidungs-, Unterhalts- und Sorgerecht sollen Männer
bessergestellt werden. Wer bei den Wahlen antreten wird und ob er
selber kandidiert, weiss Kuhn noch nicht. Er wurde am vergangenen
Wochenende aus der Luzerner SVP geworfen. Die Chancen für seine IG
sieht Kuhn gut: "Die Hälfte der Männer hat eine Scheidung
hinter sich. In der Bevölkerung herrscht eine grosse Wut." as
---
NLZ 20.12.10
"Der Rauswurf ist rechtlich nicht haltbar"
Politik
Silvia Weigel
Der SVP-Ausschluss bremst ihn nicht. René Kuhn will mit
seinen Antifeministen in den Nationalrat einziehen.
Silvia Weigel
silvia.weigel@luzernerzeitung.ch
René Kuhn, die SVP hat Sie aus der Partei geworfen
(Ausgabe vom Samstag). Ist das Ihr politisches Ende, oder treten Sie
jetzt mit einer eigenen Liste an?
René Kuhn: Sicher ist, dass die Interessengemeinschaft
Antifeminismus (Igaf, siehe Kasten) in zahlreichen Kantonen bei den
Nationalratswahlen antreten wird. In welchen Kantonen - und ob Luzern
dabei sein wird - ist noch offen.
Sollte die Igaf in Luzern zu den Nationalratswahlen antreten,
werden Sie aber schon auf der Liste stehen?
Kuhn: Vermutlich schon, wenn dies der Vorstand und Mitglieder der
Igaf so wollen.
Und wie sieht es mit den Kantonsratswahlen im April aus? Treten
Sie dort mit einer Liste der Igaf an?
Kuhn: Wenn die Igaf mit einer Liste antritt, werde ich
wahrscheinlich darauf stehen, sollte ich nominiert werden. Die Frage
ist, ob es für die Igaf überhaupt sinnvoll ist, in einem
Kantonsrat vertreten zu sein. Unser Ziel, die Rechte der Männer
und Väter zu stärken, können wir nur über
Gesetzesänderungen auf Bundesebene erreichen. Ob die Igaf bei den
Wahlen antritt, entscheidet ausserdem nicht der Kuhn allein, sondern
der Vorstand und die Mitgliederversammlung der Igaf. Für diesen
Entscheid haben wir noch bis Februar Zeit.
Beschränken sich Ihre politischen Ziele heute nur noch auf
den Antifeminismus?
Kuhn: Nein. Ich stehe nach wie vor hinter dem SVP-Programm, und
das wird auch immer so bleiben. Aber die Igaf ist eine
Interessengemeinschaft, die sich wegen konkreter Ziele
zusammengeschlossen hat.
Verstehen Sie, dass die SVP Sie unter diesen Umständen aus
der Partei ausgeschlossen hat?
Kuhn: Nein, das verstehe ich nicht. Ich habe die SVP sechs Jahre
lang als Präsident und sechs Jahre im Parlament vertreten. Da habe
ich mir etwas mehr Kollegialität erhofft. Zumindest, dass ich
angehört und über den Entschluss informiert werde. Mir eine
Nachricht auf der Combox zu hinterlassen, ist nicht die feine Art. Zu
meiner Zeit hätte es das nicht gegeben, dass man jemanden
rauswirft, ohne ihm die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Art
und Weise ärgert mich, und dieses Vorgehen ist auch nicht rechtens.
Nicht rechtens?
Kuhn: Wir haben Grundrechte in der Schweiz. Wenn man jemanden aus
einem Verein oder einer Partei ausschliessen will, muss man ihm zuerst
rechtliches Gehör verschaffen. Das ist in meinem Fall nicht
passiert. Der Rauswurf ist also rechtlich nicht haltbar.
Werden Sie den Entscheid anfechten?
Kuhn: Ich weiss noch nicht, ob ich so ein Theater will.
Möglich ist es. Vielleicht trete ich auch in eine andere
SVP-Sektion ein. Ob ich nun SVP-Mitglied bin oder nicht, ist aber
eigentlich Nebensache.
Sie denken darüber nach, in eine andere SVP-Sektion
einzutreten?
Kuhn: Ich habe am Samstag und Sonntag mehr als 600 Mails und
Anrufe aus der ganzen Schweiz bekommen - überwiegend positive.
Darunter waren auch Präsidenten anderer SVP-Ortsparteien, die
gesagt haben: Komm doch zu uns. Viele haben auch geschrieben, dass die
SVP nach meinem Rauswurf nicht mehr wählbar sei. Die SVP Stadt
Luzern hat der Gesamtpartei jedenfalls keinen Gefallen getan.
Verschafft Ihnen das nicht auch eine gewisse Genugtuung?
Kuhn: Wie gesagt: Ich stehe immer noch hinter dem SVP-Programm.
Von daher freue ich mich nicht darüber, dass sich die Partei ins
eigene Fleisch schneidet. Aber die vielen positiven Rückmeldungen
bestärken mich natürlich.
René Kuhn wird in jedem Fall auf die eine oder andere
Weise auf die Politbühne zurückkehren, oder?
Kuhn: Das wird die Zeit zeigen. Momentan stehen alle Optionen
offen.
--
SVP rechtfertigt Kuhns Rausschmiss
Reaktion
sy. Sein Rausschmiss aus der SVP sei nicht rechtens, sagt
René Kuhn. Der Präsident der SVP Stadt Luzern, Pirmin
Müller, widerspricht: "Unsere Statuten besagen, dass die
Parteileitung ein Mitglied ohne Angabe von Gründen ausschliessen
kann." Zudem habe er Kuhn schon abgemahnt, als er den SVP-Fraktionschef
im Grossen Stadtrat, Werner Schmid, öffentlich angegriffen hatte.
"Er ist für uns einfach untragbar geworden", sagt Müller.
Dass Kuhn nun vielleicht mit seiner Interessengemeinschaft
Antifeminismus (Igaf) bei den Kantons- und Nationalratswahlen antreten
will, sieht Müller gelassen: "Ich wünsche ihm viel
Glück. Dann wird sich zeigen, wie viel Rückhalt René
Kuhn hat."
Kuhn hat die Igaf im April mitgegründet und Ende Oktober
einen Antifeminismus-Kongress in Zürich mitveranstaltet. Die Igaf
hat laut Kuhn fast 2300 Mitglieder, davon rund 400 im Kanton Luzern.
"Viele sind auch SVP-Mitglieder oder zumindest SVP-Wähler", sagt
Kuhn.
---
20 Minuten 20.12.10
Nach Rauswurf: René Kuhn will politisch weiterkämpfen
LUZERN. Nach dem Rauswurf aus der städtischen SVP
schlägt "Frauenlästerer" René Kuhn zurück: Er
peilt mit seinen Antifeministen Sitze im Kantonsrat und im Nationalrat
an.
"Dem Vorstand der Stadtluzerner SVP fehlt es offensichtlich an
Anstand und Charakter", sagt Kuhn. Der als "Frauenlästerer"
bekannt gewordene Ex-Präsident der städtischen SVP wurde am
Wochenende aus der Partei geworfen. Präsident Pirmin Müller
teilte ihm den Entscheid in einer Nachricht auf der Combox mit. 90
Minuten später wurden die Medien informiert. Laut Parteileitung
lässt sich Kuhns Engagement nicht mehr mit den Zielen und
Ausrichtungen der Stadtpartei vereinbaren. "Er wurde für die
Partei immer mehr zu einer Hypothek", so Müller. Den Vorwurf des
fehlenden Anstands weist er zurück: "Wir haben Kuhn in der
Vergangenheit schon einmal dazu ermahnt, sich zurückzunehmen."
Kuhn, der mit seinen Äusserungen über "linke,
ungepflegte, verfilzte Weiber" und einem Buch für Aufsehen gesorgt
hat, nimmt den Rausschmiss locker: "Wir prüfen derzeit, ob wir mit
der IG Antifeminismus im April in Luzern und Zürich bei den
kantonalen Wahlen antreten." Klar ist dagegen jetzt schon, dass die IG
in den Nationalrat will. Kuhn: "Wir treten im nächsten Herbst in
verschiedenen Kantonen zur Wahl an." Ob er selber für ein Amt
kandidieren wird, sei noch offen.
Markus Fehlmann
---
Basler Zeitung 18.12.10
Geschlechter von der Rolle
Markus Theunert, Präsident männer.ch, im
Streitgespräch mit René Kuhn, Gründer der IG
Antifeminismus, über den benachteiligten Mann und sein
Selbstverständnis
Interview: Alexander Marzahn, Zürich
Sind die Männer in der Krise? Ist die Männlichkeit in
der Krise? Mit provokativen Angriffen hat die IG Antifeminismus die
Debatte angeheizt. Was ist (noch) dran am viel gescholtenen Mann?
Bei gleichen Delikten werden Männer tendenziell härter
bestraft als Frauen. Im Scheidungsfall sind sie auf den Goodwill der
Ex-Partnerin angewiesen, wollen sie ihr Kind weiterhin sehen.
Schulpsychologen schlagen Alarm, weil Buben am Verhalten der
Mädchen gemessen werden. Dafür gibt es bei
Volljährigkeit den Militärdienst exklusiv fürs starke
Geschlecht, das nicht mehr (nur) stark sein darf. Es gibt Risse im
Contrat social zwischen den Geschlechtern. Der Zulauf von frustrierten
Vätern, den die IG Antifeminismus nach ihrem medial hochgekochten
Gründungstreffen Ende Oktober verzeichnete, schreckte manche auf
und öffnete einigen die Augen. Man kann die Radikalisierung
verurteilen oder fürchten. Doch fest steht: Nach 40 Jahren
Emanzipationsbewegung ist in der Männerwelt manches aus den Fugen
geraten.
Mit Markus Theunert, Fachmann für Männerpolitik und
Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen,
sowie René Kuhn, bis gestern SVP-Mitglied und Gründer der
IG Antifeminismus, haben wir zwei führende Exponenten an einen
Tisch gebeten. Beide setzen sich ein für die Rechte des Mannes -
mit höchst unterschiedlichen Mitteln und Argumenten.
BaZ: Männer fühlen sich vermehrt an den Rand
gedrängt in der Gesellschaft. Wo genau liegt das Problem?
Markus Theunert: Es herrscht eine grosse Rollenunsicherheit,
ausgelöst durch wachsende Ansprüche, die an die Männer
gestellt werden. Da hat sich ein grosser Druck aufgebaut, der den Mann
in eine permanente Stresssituation versetzt, im privaten wie im
beruflichen Leben. Das schlägt auch auf die Gesundheit: Vor
hundert Jahren war die Lebenserwartung noch ausgeglichen. Heute sterben
Männer fünf Jahre früher als Frauen.
René Kuhn: Ein Mann hat insbesondere viele
Benachteiligungen vor der Justiz. Wir haben in der Schweiz
unzählige Väter, die ihr Kind nur sehen dürfen, wenn es
die Mutter erlaubt. Bei Scheidungen haben die Frauen wenig zu verlieren
und profitieren sogar finanziell. Eine solche Diskriminierung in einem
Rechtsstaat ist sehr bedenklich.
Theunert: Es gibt tatsächlich einige Rechtsungleichheiten,
man denke nur an die Wehrpflicht. Aber es nützt nichts, in die
Opferrolle zu flüchten. Die Frauen haben nach 40 Jahren
Emanzipation rechtlich und ökonomisch aufgeholt. Diskriminierungen
gibt es aber auf beiden Seiten. Die entscheidende Frage ist deshalb
vielmehr: Wie können Männer und Frauen gemeinsam an einer
geschlechtergerechten Gesellschaft bauen?
Hand in Hand zur Gerechtigkeit - ist das nicht etwas
blauäugig angesichts der Konflikte, die sich abzeichnen?
Theunert: Dieser Prozess kann durchaus konflikthaft sein. Aber
wenn beide Seiten in Selbstmitleid versinken, bringt das niemandem
etwas. Beim Einkommen haben die Frauen, bei der Gesundheit die
Männer Nachteile - das kann man nicht gegeneinander ausspielen.
Für Sie, Herr Kuhn, hat sich die Emanzipation der Frau
verwirklicht. Die Diskriminierung bei den Löhnen sei eine
Erfindung der Feministinnen.
Kuhn: Das ist die viel gehörte Lohnlüge, die von
Gleichstellungsbüros und Frauenförderungsorganisationen
systematisch verbreitet wird. Doch in diesen Studien werden Äpfel
mit Birnen verglichen. Man könnte die Lohnungleichheit unter
Männern oder unter Frauen untersuchen und würde zu
ähnlichen Ergebnissen kommen. Volle Gerechtigkeit kann und wird es
ohnehin nie geben. Solange nicht neutrale Zahlen vorliegen, glauben wir
nicht an eine Benachteiligung der Frau bei den Löhnen.
Theunert: Das vorhandene Datenmaterial infrage zu stellen,
erscheint mir reichlich kühn. Frauen verdienen erwiesenermassen
nach wie vor weniger. Das ist teilweise erklärbar. Doch unter
Berücksichtigung aller Faktoren wie Ausbildung, Berufserfahrung
oder Babypause bleiben immer noch acht Prozent Lohnunterschied, die man
als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bezeichnen muss.
Sind Sie wirklich der Meinung, die Frage der Gleichstellung der
Frau habe sich erledigt, Herr Kuhn?
Kuhn: Wir müssen unterscheiden zwischen Gleichstellung und
Gleichberechtigung. Letztere ist in der Bundesverfassung
festgeschrieben, und es steht ausser Frage, dass Mann und Frau die
gleichen Rechte haben müssen. Was wir bemängeln, ist die
Doktrin der Gleichstellung. Das wird nie funktionieren. Man müsste
Quoten einführen und den Frauen gegen ihren Willen vorschreiben,
Karriere zu machen. Mann und Frau sind verschieden, das kann man
einfach nicht wegdiskutieren. Jede Frau hat einen Kinderwunsch und will
eine gute Ehe führen, das traditionelle Familienbild ist auf dem
Vormarsch. Es ist doch sekundär, wer das Geld nach Hause bringt.
Dieses Gender-Mainstreaming ist ein totaler Blödsinn.
Als Präsident von männer.ch und Mitglied vieler
Kommissionen sind Sie, Herr Theunert, aktiv in solche Prozesse
involviert. Sind diese Bemühungen im Sinn der Betroffenen?
Theunert: Herr Kuhn konstruiert hier eine "Natur", die ausser
Acht lässt, dass das Geschlecht zwar ein biologisches Fundament
hat, aber hochgradig sozial bestimmt und beeinflusst wird.
Gleichstellung heisst nicht Gleichmacherei. Es ist richtig: Männer
und Frauen sind nicht identisch. Aber sie sollen gleich sein im Sinn
von gleichwertig.
Kuhn: Absolut Ihrer Meinung, niemand darf wegen seines
Geschlechts diskriminiert werden.
Theunert: Aber mit Ihrer Aussage werten Sie bereits. Ich kenne
Frauen, die keine Kinder wollen. Wenn Sie mit der Biologie
argumentieren, konstruieren Sie eine Norm von einer "richtigen" Frau.
Damit verhindern Sie genau diese Vielfalt von Männlichkeiten und
Weiblichkeiten, die jedem einzelnen erlaubt, seine Geschlechterrolle
nach seiner Fasson zu leben.
Kuhn: Nein, der Staat verhindert dies. Der grösste Teil der
Frauen hat ein traditionelles Rollenverständnis. Dieser Mehrheit
darf man doch nicht vorschreiben, dass sie jetzt aus Gründen der
Gleichstellung Karriere machen soll. Der Staat soll sich in diesen
Fragen heraushalten.
Soll er das, Herr Theunert?
Theunert: Der Staat betreibt immer Geschlechterpolitik, auch wenn
er nichts tut, denn so zementiert er traditionelle Geschlechterrollen.
So gibt es in der Schweiz keinen Vaterschaftsurlaub, obwohl man weiss,
dass die enge Beziehung von Vätern zu ihren Babys die Beziehung
lebenslang stärkt. Die Folge ist, dass Männer nach der Geburt
eher mehr arbeiten. Indem der Staat hier nicht aktiv wird, festigt er
traditionelle Rollen und nimmt die Folgen in Kauf.
Kuhn: Wenn sich ein Paar für ein Kind entscheidet, bedeutet
das Einschränkungen. Wer arbeitet, soll jede Familie für sich
entscheiden. Zugleich aber muss man die Verantwortung übernehmen
und darf die Kinder nicht gleich wieder in staatlich finanzierte
Krippen oder Tagesschulen abgeben.
Theunert: Was wäre denn die Konsequenz, wenn der Staat
dieses Angebot nicht bereitstellen würde? Die Frauen wären
noch mehr zu Hause, die Männer würden noch mehr arbeiten.
Nicht weil sie das wollen, sondern weil sie nicht anders können,
da der Mann oft mehr verdient.
Unbestritten ist, dass im Trennungsfall Männer oft unter die
Räder kommen - weil sie ihre Vaterpflichten zu wenig wahrgenommen
haben?
Kuhn: Warum kommen denn 80 Prozent der Scheidungen von Frauen?
Weil sie davon finanziell profitieren. Heute ist die Praxis so, dass
Unterhaltsbeiträge festgelegt werden, ein Teil fürs Kind, ein
Teil für die Frau. Und es entzieht sich jeder Kontrolle, ob der
Beitrag ans Kind tatsächlich diesem zugutekommt oder von der Frau
"verjubelt" wird. Ich habe nichts gegen einen Ausgleich, wenn eine Frau
20 Jahre lang daheim war, während der Mann Karriere machte. Doch
eine Frau hat vor dem Scheidungsrichter viel weniger zu verlieren.
Theunert: Frauen sind heute ökonomisch weniger gebunden.
Damit ist die Bereitschaft gewachsen, lieber alleine durchs Leben zu
gehen, als in einer unbefriedigenden Partnerschaft zu verharren. Doch
die Diskussion krankt daran, dass es immer um einen Verteilkampf geht:
Einkommen, Arbeitszeit, Betreuungszeit, alles wird verteilt. Das ist
der falsche Ansatz. Viele begreifen nicht, dass man sich als Liebespaar
trennen kann, doch als Elternpaar nicht. Diese Verantwortung
müssen und sollen beide weiterhin wahrnehmen. Die Frage ist: Wie
kann man das familiäre System derart neu organisieren, dass die
Rechnung für alle stimmt?
Männer, die kaum über die Runden kommen, während
ihre Ex-Ehefrau dreimal im Jahr Ferien macht - ist das
antifeministische Propaganda?
Theunert: Nein. Um es klipp und klar zu sagen: Das neue
Scheidungsrecht und die Umsetzung durch die traditionell geprägten
Gerichte produzieren zerrüttete Familien und wütende
Männer. Wir haben in der Schweiz eine tickende Zeitbombe.
Stehen wir vor einem Clash der Geschlechter, wie das der
Soziologe Walter Hollstein prophezeit?
Theunert: Mädchen machen Karriere, Buben machen Probleme -
das ist die aktuelle Entwicklung. In den höheren Schulen sind die
Frauen in der Überzahl, in den Gefängnissen und Suchtkliniken
die Männer. Seit Frauen ihren Weg zur autonomen Lebensgestaltung
konsequent einfordern, sind die Männer verunsichert. Da liegen
grosse Konfliktlinien.
Dass Buben sich prügeln und Männer gern aufs Gas
drücken, ist nichts Neues.
Theunert: Aber heute fehlen die Modelle, wie Mannsein gelingen
kann, ohne in Rollenbilder à la John Wayne zurückzufallen.
Solange ungeklärt ist, wie Männer neue Qualitäten wie
Fürsorglichkeit oder Einfühlungsvermögen mit
traditionellen Qualitäten wie Aggressivität oder
Durchsetzungsvermögen unter einen Hut bringen können,
befürchte ich grössere sozialpolitische Verwerfungen.
Kuhn: Dem kann ich zustimmen. Es ist uns jahrzehntelang von
Politikern und Medien weisgemacht worden, der Mann sei der Täter,
die Frau das Opfer. Das hat zum Glück heute gedreht, etwa im
Bereich der häuslichen Gewalt, wo man weiss, dass ein
beträchtlicher Anteil von Frauen ausgeht. Auch das gemeinsame
Sorgerecht ist sicher ein guter Ansatz. Doch es gibt genug
ungelöste Probleme.
Ist das gemeinsame Sorgerecht, das den Männern mehr Rechte
und Pflichten zuerkennt, ein Weg aus der Sackgasse?
Theunert: Es ist ein notwendiger, aber nicht hinreichender
Schritt. Das Kernproblem bleibt, dass die gesellschaftlichen
Bedingungen einem Geschlechterdialog auf Augenhöhe im Weg stehen.
Damit wären einige Folgeprobleme vom Tisch. Das will die
antifeministische Bewegung mit ihrer Feindbildpolitik nicht wahrhaben.
Kuhn: Das sind alles schöne Worte, doch in der Praxis
umsetzen lässt sich das nicht. Bei einer Scheidung sind Kampf und
Hass im Spiel, manchmal auch andere niedere Instinkte, ich denke an
Anschuldigungen wie sexuelle Übergriffe. Es ist traurig, aber
wahr, dass der Mann heute auf Gedeih und Verderb der Frau ausgeliefert
ist, wenn es ums Kind geht. Auch das gemeinsame Sorgerecht wird das
nicht lösen, da Dinge wie die Betreuungszeit zwischen den Partnern
trotzdem ausgehandelt werden müssen.
Theunert: Sie verteilen erst das Recht, dann die Verantwortung.
Umgekehrt wäre es viel einfacher. Das ist doch die Wurzel des
Problems. Denn die Frauen sagen: Wir hatten 100 Prozent der
Verantwortung, und jetzt, im Fall der Scheidung, sollen wir 50 Prozent
des Rechts abgeben, notabene ohne Gegenleistung.
Kuhn: Wenn ein Vater, der sich nicht kümmert, plötzlich
seinen Anspruch anmeldet, wäre ich auch skeptisch. Aber Sie
glauben ja gar nicht, wie viele unserer Mitglieder aus finanziellen
Gründen im Ausland wohnen und monatlich Geld überweisen, ohne
ihr Kind sehen zu dürfen, obwohl sie sich als Vater engagiert
haben. Wer seinem Partner eins auswischen will, hat beim Gericht gute
Chancen.
Theunert: Ich stelle keineswegs in Abrede, dass Väter ihr
Bestes geben und das Beste wollen für ihre Kinder. Aber im
Normalfall ist immer noch die Frau die primäre Ansprechperson. Die
Folge sind die bekannten Konflikte bei der Scheidung. Aber daran sind
nicht die bösen Frauen schuld. Ihre Forderung ist, beide sollen
gleich lange Spiesse haben. Unser Vorschlag lautet: Beide sollen den
Spiess auf den Boden legen und verhandeln.
Kuhn: Das funktioniert nicht. Mit Feministinnen kann man nicht an
einen Tisch sitzen. Das ist verlorene Zeit.
Warum finden Männeranliegen in einer von Männern
geprägten Gesellschaft so wenig Gehör?
Kuhn: Vor lauter Frauenpolitik sind die Männeranliegen in
Vergessenheit geraten. Wenn ich mit Politikern spreche, merke ich aber,
dass das Bewusstsein durchaus vorhanden ist. Aber es ist ein Tabu,
darüber zu sprechen, besonders auf bürgerlicher Seite:
Niemand will es sich mit den weiblichen Wählern verscherzen.
Theunert: Die grosse Mehrheit der Entscheide wird zwar von
Männern gefällt, aber eben von "geschlechtsblinden"
Männern. Es gibt eine Frauenpolitik, doch eine Männerpolitik
ist bei Parlamentariern kein Thema - man mache Politik für alle
Menschen. Man könnte auch sagen: Männer haben sich bis jetzt
geweigert zu formulieren, wie sie sich eine Gesellschaft vorstellen, in
der Frauen und Männer gleichwertig und gleichberechtigt sind.
Weil sie sich in der traditionellen Rolle nicht unwohlfühlen?
Theunert: Sie ignorieren die Zeichen der Zeit. Sie tun so, als
gingen sie die Veränderungen, die Frauen durchgemacht haben,
nichts an. Sie schlucken die bittere Pille, dabei müssten sie
Konzepte entwickeln, wie für sie eine geschlechtergerechte
Gesellschaft aussehen könnte.
Auch Männerorganisationen werden nicht gerade
überlaufen. Es scheint, Männer müssten Ungerechtigkeit
am eigenen Leib erfahren haben, um sich zu engagieren.
Theunert: Das trifft zu. Doch die Zustimmung in unseren Anliegen
ist gross. So wissen wir, dass 80 Prozent der Männer gern Teilzeit
arbeiten würden. De facto pendeln wir seit Jahren bei etwa zehn,
zwölf Prozent. In fortschrittlichen Betrieben wird der
Vaterschaftsurlaub nicht mal ausgeschöpft, weil die Angst vor dem
schiefen Blick vom Arbeitskollegen einfach zu gross ist. Kein Mann soll
dazu verpflichtet werden. Doch er soll die Freiheit haben, sich auch
für das Familienleben entscheiden zu können. Diese Freiheit
hat er nicht, weil die Familienpolitik des Staats traditionellen
Grundsätzen folgt.
Herr Kuhn, Ihre IG Antifeminismus hatte nach den Medienberichten
um das Treffen Ende Oktober einen riesigen Zulauf - offenbar haben Sie
es geschafft, die Männer zu mobilisieren.
Kuhn: Ohne einen Franken Werbung haben wir innert weniger Monate
über 2000 Mitglieder gewonnen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die
Diskussion in die Öffentlichkeit zu tragen, auch um die Politiker
dazu zu bringen, endlich Farbe zu bekennen. Wir haben da in ein
Wespennest gestochen, die Resonanz ist gewaltig. Die Zeit ist reif,
dass endlich etwas bewegt werden kann. Auch viele Frauen
unterstützen unsere Anliegen. Unter den Frauen unter 30 fühlt
sich doch kaum mehr jemand von den bösen Männern
unterdrückt.
Theunert: Bis nach der Geburt des ersten Kindes die
Traditionsfalle zuschnappt … Herr Kuhn hat einen geschickten Weg
gefunden, die Diskussion anzuheizen. Mit dem Schönheitsfehler,
dass man gar keine inhaltliche Diskussion geführt hat, sondern nur
die Aufregung bewirtschaftet und mit dem Feminismus einen
imaginären Feind konstruiert. Das ist eine gefährliche
Brandstifterpolitik.
Dient es Ihnen nicht, wenn Herr Kuhn Probleme aufs Tapet bringt,
die offenbar vielen unter den Nägeln brennen?
Theunert: Doch. Weil auch vonseiten der
Gleichstellungsinstitutionen erkannt wird, dass es wichtig ist, in uns
einen Partner zu haben, der nicht polemisiert. Die Wut der Männer
ist real, das muss man ernst nehmen.
Herr Kuhn, Sie halten diese Gremien für
überflüssig. Warum?
Kuhn: Wir brauchen weder Massnahmen zur Männerförderung
noch zur Frauenförderung. All die Büros und Kommissionen kann
man dichtmachen. Da werden Millionen zum Fenster hinausgeworfen,
primär für Frauenförderung. Wenn nun die Männer
auch so viel wollen, bläht das den Staat nur weiter auf.
All die besprochenen Probleme werden sich ohne staatliche
Interventionen in Luft auflösen?
Kuhn: Wir haben einen Gleichberechtigungsartikel in der
Bundesverfassung! Der muss einfach umgesetzt werden. Wir brauchen keine
neuen Gesetze, sondern Richter, die das umsetzen, was festgeschrieben
ist.
Den Artikel gibt es schon seit 1981 - offenbar ist das mit der
Umsetzung nicht so einfach.
Kuhn: Ja, weil die Schweiz feministisch durchseucht ist! Eine
Frau, die vor Gericht steht, hat doch von vornherein einen Bonus und
wird viel weniger hart angefasst als ein Mann. Heute stellen Firmen
lieber eine Frau ein, aus Angst, an den Pranger gestellt zu werden,
auch wenn ein männlicher Mitbewerber besser qualifiziert gewesen
wäre.
Theunert: Diese Debatte ist ganz heikel. Einerseits glaube ich
auch, dass das Männliche tendenziell abgewertet wird, denken wir
an die Buben, die ruhiggestellt werden, wenn sie ihrem Bewegungsdrang
folgen. Zugleich ist daran nicht der viel gescholtene Feminismus
schuld, der die Gesellschaft sehr wohl weitergebracht hat.
Kuhn: Die Frage ist, was man unter Feminismus versteht. Gemeint
sind nicht die 98 Prozent der gleichberechtigten, emanzipierten Frauen
in der Schweiz. Wir bekämpfen einen Feminismus, der für die
Frauen mehr Rechte beansprucht zu Ungunsten der Männer. Eine
radikale Minderheit, die vorwiegend in politischen Ämtern zu
finden ist.
Theunert: Natürlich gibt es solche Strömungen. Doch der
Sprachgebrauch ist anders. Herr Kuhn deutet den Begriff Feminismus um,
um damit aufs politische Schlachtfeld zu ziehen.
Als Sie kürzlich die Kommission für Frauenfragen in
eine Kommission für Gleichstellungsfragen umbenennen wollten,
bissen Sie auf Granit. Sitzen dort just die zwei Prozent Feministinnen
in der Definition von Herrn Kuhn?
Theunert: Dass Männer selbstbewusst ihre Anliegen in den
Geschlechterdialog einbringen, ist neu. Und kann auf feministischer
Seite Irritationen auslösen. Ich kann das verstehen, obwohl ich
die Haltung für kurzsichtig und ängstlich halte.
Gleichstellungspolitik ist zweifellos von einer starken
Frauenförderungslogik bestimmt, da braucht es Korrekturen.
Kuhn: Da sitzen 18 Frauen in dieser Kommission und drei
Männer - wenn man schon von Gleichstellung reden will, dann
müsste das Verhältnis 50 zu 50 sein. Andernfalls ist das eine
völlig einseitig ausgerichtete Organisation.
Theunert: Man muss diese Institutionen so verändern, dass
beide Geschlechter angemessen vertreten sind. Laut Gesetz müssen
in eidgenössischen Kommissionen mindestens 30 Prozent Frauen oder
Männer vertreten sein. Dass ausgerechnet diese Kommission nur 14
Prozent Männeranteil hat, ist für mich schon sehr
unverständlich.
Zum Schluss möchte ich um ein kurzes Statement zu einigen
Stichwörter bitten. Wehrpflicht für Frauen?
Theunert: Keine Wehrpflicht für Frauen. Eine Dienstpflicht
für alle oder niemanden.
Kuhn: Wehrpflicht oder eine Abgabe.
Einheitliches Rentenalter.
Theunert: Vom Grundsatz her ja. Doch das gesparte Geld muss
für eine Flexibilisierung des Rentenalters beider Geschlechter
eingesetzt werden.
Kuhn: Absolut, das ist im Sinne der Gleichbehandlung.
Quoten in politischen Gremien.
Theunert: Nicht tabu, aber für die Gleichstellung nicht
wirklich hilfreich.
Kuhn: Nein.
Jörg Kachelmann.
Kuhn: Eine Schweinerei, dass jemand in den Medien vorverurteilt
wird, ohne dass Beweise vorliegen. Unter diesen Umständen kann ein
Gericht nicht mehr neutral urteilen. Und für tatsächlich
betroffene Frauen kontraproduktiv.
Theunert: Ein exemplarischer Fall zum Stand der aktuellen
Debatte. Er zeigt, wie leicht sich der Generalverdacht, Männer
neigen zum sexuellen Übergriff, festsetzt. Aber auch, wie gross
heute die Sensibilität ist, dass mit dem Missbrauch auch
Missbrauch getrieben werden kann.
---
Bund 18.12.10
SVP schliesst Antifeminist René Kuhn aus
René Kuhn, der sich den Kampf gegen emanzipierte Frauen
aufs Banner geschrieben hat, ist aus der SVP der Stadt Luzern
ausgeschlossen worden. Sein Engagement habe sich in eine Richtung
entwickelt, das sich nicht mit den Parteizielen vereinbaren lasse. Kuhn
war früher Präsident der SVP der Stadt Luzern, sass für
diese im Stadtparlament und gehörte der Geschäftsleitung der
SVP des Kantons Luzern und dem Zentralvorstand der SVP Schweiz an.(sda)
---
sf.tv 17.12.10
SVP gibt Antifeministen René Kuhn den Laufpass
Der Antifeminist René Kuhn ist aus der SVP der Stadt
Luzern ausgeschlossen worden. Das Engagement von Kuhn lasse sich nicht
mit den Zielen der Partei vereinbaren, so die Stadtpartei.
sda/haus
René Kuhn kann emanzipierte Frauen nicht ausstehen. Dazu
steht er auch öffentlich: Im Sommer 2009 hat er sich
abschätzig über Frauen in der Schweiz geäussert. Die
Öffentlichkeit reagierte auf die frauenfeindlichen Aussagen mit
Druck. Kuhn wurde zum Rücktritt von verschiedenen Ämtern
gezwungen.
Im April dieses Jahres gründete der SVP-Mann die IG
Antifeminismus. Er organisierte darüber hinaus ein
"internationales Antifeminismus-Treffen" an einem geheimen Ort, wegen
eingegangener Drohungen.
Ausschluss im Interesse der Partei
Nun ist Kuhn auch aus der eigenen Partei geflogen. Der Ausschluss
sei nach langer und sorgfältiger Abwägung aller Argumente
beschlossen worden, heisst es in einer Mitteilung der SVP.
Kuhn war früher selbst Präsident der SVP der Stadt
Luzern und politisierte für diese ebenfalls im Stadtparlament.
Zudem gehörte er der Geschäftsleitung der SVP des Kantons
Luzern und dem Zentralvorstand der SVP Schweiz an.
------------------------
HOMOPHOBIA
------------------------
Blick am Abend 14.12.10
Kein Sex für Schwule an der WM 2022
FUSSBALL
Probleme für homosexuelle Fans an der WM 2022 in Katar?
Nicht mit Sepp Blatter.
wladimir.steimer@ringier.ch
Sepp Blatter (74), Fifa-Präsident und Oberhaupt des
Weltfussballs, muss lachen, als er die Frage einer Journalistin an
einer Pressekonferenz in Südafrika hört. Es gäbe
Ängste bei homosexuellen Fussballfans, in ein Land zu reisen, in
dem Schwulsein illegal ist. Die Reporterin spricht damit das islamische
Katar an, wo 2022 die WM stattfindet.
Die Ängste sind berechtigt. Denn in Katar herrscht die
Scharia, und die Strafen für homosexuelle Handlungen - egal
welchen Geschlechts - reichen von fünf Jahren Gefängnis bis
zu 90 Peitschenhieben! Auch Schwule und Lesben aus dem Ausland
unterliegen dem Strafgesetzbuch. "Ich denke, dann sollten diese
jegliche sexuelle Aktivität unterlassen", so Sepp Blatters
Antwort, die für grosses Gelächter im Pressesaal sorgt. Mit
anderen Worten: Kein Sex für Schwule an der WM in Katar! Dann aber
wird der Walliser doch noch ernst uns sagt: "Wir leben in einer freien
Welt, und ich bin sicher, dass es 2022 in Katar keine Probleme geben
wird. Wir sind offen für alles und jeden, ob rechts, links oder
was auch immer. Sicherlich werden Homosexuelle, die 2022 dort ein Spiel
schauen wollen, reingelassen."
Die WM-Vergabe vor zwölf Tagen an den arabischen Staat Katar
löste nicht nur bei vielen Fussball-Fans Kritik aus. Alkohol in
der Öffentlichkeit ist bei den jetzigen Gesetzen verboten, Bars
und Klubs gibts praktisch keine im Ein-Millionen-Land. Dabei betonte
Blatter nochmals, dass die Entscheidungen für Russland als
WM-Austragungsort 2018 und Katar 2022 überhaupt nichts mit Geld zu
tun hatten.
"Das ist die Entwicklung des Fussballs. Das hat nichts mit Geld
zu tun. Wir müssen den Fussball in Länder bringen, wo er
soziale und kulturelle Auswirkungen haben kann", so der 74-jährige
Fifa-Präsident.
---
Blick am Abend 13.12.10
Bagger-Pauli mit dem Zweihänder
POLITIK
Chef-Provokateur: Ex-Skiprofi Paul Accola wettert gegen Linke und
Schwule beim SF.
fabian.zuercher@ringier.ch
Der frühere Skirennfahrer Paul Accola ist im Schuss: "Im
Schweizer Fernsehen gibt es nur Linke und Schwule. Kein Wunder,
berichten die nicht ausgewogen", wetterte der Davoser im SonntagsBlick.
Der Spruch kam Accola letzten Mittwoch über die Lippen,
anlässlich eines Treffens mit SVP-Präsident Toni Brunner im
Bundeshaus. Medienpionier und Radio-1-Gründer Roger Schawinski
meint dazu: "Ich finde die Aussagen von Paul Accola beleidigend und
grotesk. Sie sagen mehr über ihn als über das Schweizer
Fernsehen aus."
Und Satiriker Frank Baumann fragt sich: "Hat Paul Accolas
Menzi-Muck-Bagger überhaupt einen Blinker, so dass er rechts und
links unterscheiden kann?" Beim Schweizer Fernsehen will man sich zum
Thema links und schwul gar nicht erst äussern. "Das brauchen wir
nicht zu kommentieren", so SF-Sprecher Marco Meroni. Gegenüber
Blick am Abend erläutert Bagger-Pauli seine Aussage: "Vor
Abstimmungen ist die Berichterstattung einfach immer links. Wieso,
weiss ich auch nicht." SVP-Ständerat Maximilian Reimann
unterstützt diese Aussage: "Ich musste gerade beim Ombudsmann eine
Beanstandung wegen Manipulation durch Unterlassung einreichen, weil die
Krawalle vor der SVP-Geschäftsstelle in Lausanne bewusst
verschwiegen wurden. Man will beim SF die grosse Rechtspartei
ausgrenzen."
Roger Schawinski widerspricht: "Wenn man sieht, wie oft Toni
Brunner oder Christoph Blocher in der Arena zu Gast waren, sind die
Vorwürfe absurd." Doch Accola lässt sich nicht beirren: "Es
gibt zu viel Partei- statt Sachpolitik. Das geht mir auf den Sack. Die
SP hat immer eine grosse Klappe, wenns ums Geld verteilen geht. Ich als
Büezer arbeite mich bucklig. Nur, um Steuern zu zahlen?" Beim
Thema Schwule beim SF stellt Accola klar: "Ich bin froh, bin ich nicht
schwul.
Aber gegen die habe ich nichts, die müssen auch leben.
Sollte ich jemandem auf die Füsse getreten sein, tuts mir leid."
---
Spiegel 13.12.10
TSCHECHIEN
Nackte Männer
Tschechien: Behörden erniedrigen schwule Asylbewerber
Puhl, Jan
Prager Behörden führten schwulen Asylbewerbern
Pornofilme vor und vermaßen ihren Penis - nur so sei
nachzuweisen, dass sie in ihrer Heimat verfolgt werden.
Maskierte Polizisten schubsen den Verurteilten unter den Baukran,
am Haken hängt eine Galgenschlinge. "Gott ist groß!", ruft
die Menge, als der Kranführer die Hydraulik hochfährt. Das
Verbrechen des Todgeweihten? Er ist schwul.
Lesben und Schwulen droht in Iran der Tod durch den Strang.
Annähernd 4000 von ihnen hat das Mullah-Regime seit 1979
hinrichten lassen, meist wegen angeblicher Vergewaltigungsdelikte.
Das war auch der Grund, warum Rahim und Karim(*) im Frühjahr
2008 nach Europa flohen - sie wollten so schnell wie möglich raus
aus dem Reich der Mullahs und ihrer Sittenpolizei. Der erste Flug, den
sie bekamen, ging nach Prag; noch auf dem Flughafen Ruzyné
beantragten sie Asyl. In ihrer Heimatstadt Sahedan war die Polizei
hinter ihnen her gewesen und hatte sie bereits wegen "unmoralischen
Verhaltens" vorgeladen. Das Schreiben hatten sie dabei.
Doch der Brief aus dem Orient reichte den tschechischen Beamten
nicht als Beweis dafür, dass Rahim und Karim wirklich schwul und
in Gefahr sind. Hatten sich in kommunistischen Zeiten nicht Tausende
Tschechen um den Militärdienst gedrückt, indem sie vorgaben,
homosexuell zu sein?
Also schickte das Innenministerium Rahim und Karim zum Arzt. Dr.
Ondrej Trojan, Mediziner und Sexualtherapeut mit Praxis in der Prager
Altstadt, sollte das Paar untersuchen.
Trojan stellte viele Fragen und kam zum Schluss: Harte Beweise
bringt nur ein Test am Phallometrie-Gerät. Die beiden Iraner
willigten ein, was hätten sie auch tun sollen? Erektionsmessung
oder Abschiebung, das war die Alternative.
So wurden sie einer Methode unterzogen, die der Prager Psychiater
Kurt Freund seit den fünfziger Jahren entwickelt hatte - in der
Absicht übrigens,
Schwule und Lesben von ihrer Neigung "zu heilen". Erst nach Jahren der
Forschung hatte Freund eingesehen: Homosexualität ist keine
Krankheit. 1961 wurde, auch auf Grundlage von Freunds Arbeiten, der
Schwulenparagraf in der Tschechoslowakei aufgehoben.
Was blieb, war Freunds Erfindung: der "Penis-Plethysmograf", eine
Art erotischer Lügendetektor, der die Blutzufuhr im Penis misst.
Mit neuen Geräten lassen sich sogar die Reaktionen weiblicher
Geschlechtsorgane testen. Eine Frau aus Kamerun, die ebenfalls in Prag
Asyl beantragt hatte, weil sie in ihrer Heimat wegen
Homosexualität verfolgt wird, musste diese Prozedur über sich
ergehen lassen.
Rahim und Karim nahmen also nacheinander auf einem Sofa im
Behandlungszimmer des Dr. Trojan Platz. Der Mediziner wies sie an, sich
eine Metallmanschette anzulegen. Die Elektrode ist über ein Kabel
mit einem Computer verbunden, der die Dehnung anzeigen und auswerten
kann. Bei Frauen wird ein tampongroßes Messgerät verwendet.
Trojan zeigte den beiden Iranern Filme, schöne mit nackten
Männern und - wie Rahim und Karim fanden - langweilige mit nackten
Frauen. Dann stand das Ergebnis fest: Rahims und Karims Penisse hatten
zur Zufriedenheit des Doktors reagiert. Die beiden wurden für
schwul erklärt und dürfen in Tschechien bleiben. Hätte
die Natur sie im falschen Moment im Stich gelassen, wären sie
möglicherweise abgeschoben worden.
In acht bis zehn Fällen, so das Innenministerium, habe es
die Erektionsvermessung angeordnet, um die Vortäuschung eines
Asylgrunds zu verhindern. Seit Anfang 2010 jedoch werde niemand mehr an
den Phallografen geschnallt, beeilte sich die Behörde
hinzuzufügen: In der vergangenen Woche waren die tschechischen
Penis-Vermesser europaweit zum Gespött geworden. Die EU-Agentur
für Grundrechte in Wien hatte von der Methode gehört und die
Regierung in Prag angeprangert.
Ein weiterer iranischer Asylbewerber war nämlich von
Tschechien nach Deutschland geflohen, nachdem er an der Moldau zu der
hochnotpeinlichen Untersuchung gebeten worden war. Auch in Deutschland
scheiterte er mit seinem Asylantrag und stand schließlich in
Schleswig vor Gericht. Ihm drohte die Abschiebung nach Prag, Tschechien
gilt im Asylverfahren schließlich als "sicheres Drittland". Doch
als die Richter am Verwaltungsgericht vom Phallustest hörten,
setzten sie die Rückführung aus. Es drohe ihm dort
"unmenschliche Behandlung".
Auch in Deutschland und den USA wird die Erektionsmessung mit dem
Phallografen eingesetzt, etwa um Pädophilen ihre Neigung
nachzuweisen. Doch gegen diese Praxis gibt es nicht nur
wissenschaftliche, sondern auch schwere juristische Bedenken. Die
Methode offenbare unter Umständen "verborgene Wünsche und
innere Vorgänge" und verletze damit die Freiheit der
Willensentscheidung, hatte das Oberlandesgericht Köln 2004
festgestellt. Dieses Urteil fiel im Prozess gegen einen der
Vergewaltigung Beschuldigten. Der Mann war gegen die Untersuchung sogar
vor das Bundesverfassungsgericht gezogen - und hatte Erfolg mit seiner
Klage.
Der Prager Mediziner Ondrej Trojan ist unterdessen bereits in
einen weiteren Skandal verwickelt. Eine ehemalige Patientin behauptet,
er habe ihr während einer Behandlung angeboten, vor ihr zu
masturbieren. Sie will Videoaufnahmen als Beleg vorführen. Trojan
sagt, es habe sich um eine - wie er zugebe - "kontroverse" Methode
gehandelt: "die Vorführ-Therapie". Strafbar ist diese Methode
nicht, die Ärztekammer verhängte trotzdem eine Geldstrafe von
20 000 Kronen.
-----------------------
ROTE FLORA
-----------------------
Radio Z (Nürnberg) 13.12.10
http://www.freie-radios.net/mp3/20101213-quotichw-37918.mp3
http://www.freie-radios.net/portal/streaming.php?id=37918
Ich würd's so lassen" - Hamburger Festwoche zum Erhalt der Roten
Flora
In Hamburg steht das soziokulturelle Zentrum Rote Flora vor einer
unsicheren Zukunft. Das Gebäude, das 1989 von der Stadt an den
Immobilienhändler Klausmartin Kretschmer verkauft wurde, ist
seitdem besetzt und einer der wichtigsten Orte für politische
Aktion und nichtkommerzielle Kultur in der Hansestadt. Nach jahrelangen
Debatten und einem nicht zuletzt auf der Straße geführten
Kampf um den Erhalt der Flora gab es vor knapp 10 Jahren eine
Vereinbarung zwischen der Stadt und Kretschmer, die den Fortbestand
erstmal sicherte. Doch bald könnte sich die Situation ändern.
Um ihre Solidarität mit der Roten Flora zu demonstrieren, haben
Künstlerinnen und Künstler ab kommenden Mittwoch eine
Festspielwoche organisiert. Der Titel: ich würd's so lassen.
Katharina Köhler vom Netzwerk "Not in our Name, Marke Hamburg"
berichtet im Interview über die Hintergründe und die
geplanten Veranstaltungen.
Link zur Aktion: http://www.rechtaufstadt.de/iwsl
--------------------------
UNDERCOVER
--------------------------
Tagesanzeiger 16.12.10
Spionin aus Österreich war bei Tierschützern in Luzern
Eine verdeckte Ermittlerin, die in Österreich militante
Tierschützer ausspionierte, kam auch zu einem Treffen in die
Schweiz. Die Kantonspolizei Luzern war informiert.
Von Bernhard Odehnal, Wien
Aus der Sicht der Aktivisten aus dem östlichen Nachbarland
war die Schweizer Tierrechtsbewegung ein Problemfall: zu wenige
Aktivisten und Kampagnen, keine "einheitliche Bewegung". Also
beschlossen die Österreicher, Entwicklungshilfe zu leisten und
luden im Sommer 2007 zu einem zweitägigen "Animal Liberation
Workshop" im Café Parterre in Luzern.
Etwa 80 Teilnehmer, auch aus dem Tessin und Genf, bekamen
Kampagnenstrategie, Methoden zur Tierbefreiung und Rechtslage
erklärt. Unter den Österreichern waren der führende
Aktivist Martin Balluch und eine junge Frau namens Danielle Durand, die
sich erst kurz zuvor den Tierschützern angeschlossen hatte.
Was damals niemand im Luzerner Workshop wusste: Durand war eine
verdeckte Ermittlerin der österreichischen Polizei, die
herausfinden sollte, welche Tierschützer wo und wann
gewalttätige Aktionen planten. Die Frau war in Luzern
überraschend aufgetaucht. "Sie sagte, dass sie hier gerade Ferien
mache", erinnert sich Balluch. Der Einsatz der österreichischen
Polizistin war mit der Luzerner Polizei abgesprochen.
Die Luzerner hatten mit der Auflage eingewilligt, dass die
Ermittlerin keine Waffe tragen und sich nicht an strafbaren Handlungen
beteiligen dürfe. Die Österreicher garantierten, dass Durands
Erkenntnisse aus Luzern niemals in einem "strafprozessualen Verfahren
verwendet werden". Doch genau das ist jetzt der Fall.
In Wiener Neustadt, 50 Kilometer südlich von Wien, wird seit
einem halben Jahr gegen 13 österreichische Tierschützer
verhandelt. Sie sollen unter anderem einen Brandanschlag verübt
und Pelzbekleidung zerstört haben. Der Sachschaden beträgt
eine halbe Million Euro.
Nur mündliches Protokoll
Die elf Männer (darunter Martin Balluch) und zwei Frauen
sind nicht nur wegen Sachbeschädigung, sondern auch wegen der
Bildung einer terroristischen Organisation angeklagt.
Im Zeugenstand berichtete gestern der Führungsoffizier von
"Danielle Durand" über die Auslandseinsätze in der Schweiz
und den Niederlanden. Er war auf diesen Reisen ständiger Begleiter
der Ermittlerin und hielt auch den Kontakt zur Luzerner Polizei.
Das von ihnen verlangte schriftliche Protokoll über den
Einsatz bekamen die Luzerner jedoch nie zu Gesicht. Sie mussten sich
mit einem mündlichen Bericht des österreichischen Polizisten
zufrieden geben. Der damals zuständige Beamte war gestern nicht zu
erreichen.
Bei der Veranstaltung in Luzern trat neben den Österreichern
auch der britische Aktivist Keith Mann auf, der wegen
Brandanschlägen 1994 zu elf Jahren verurteilt wurde. Er wird auch
in Verbindung mit der Gruppe SHAC (Stop Huntingdon Animal Cruelty)
gebracht, die Anschläge auf Einrichtungen von Novartis und CEO
Daniel Vasella verübten. Sechs Mitglieder von SHAC wurden im
November in London zu Haftstrafen verurteilt.
Protest gegen Circus Knie
In Luzern richtete sich der Protest vor allem gegen die
Tierhaltung im Circus Knie. An einer Demonstration in der Altstadt
nahmen rund 300 Personen teil.
Über die Planung oder konkrete Vorbereitung von strafbaren
Handlungen konnte "Danielle Durand" jedoch nichts berichten. Genauso
wenig wie in den folgenden Monaten ihres Einsatzes. Sie gilt deshalb
heute als Entlastungszeugin der Verteidigung.
Weil die sichtlich überforderte Richterin sie nicht
öffentlich vernehmen wollte, kam es gestern zu lautstarken
Protesten der Angeklagten und tumultartigen Szenen. Einige Zuschauer
wurden von der Polizei aus dem Saal getragen. Die Befragung der
geheimnisvollen Ermittlerin soll heute fortgesetzt werden.
---
Indymedia 14.12.10
Österreich: Spitzel enttarnt ::
AutorIn : Anna und Arthur: http://tierschutzprozess.at
Seit Monaten läuft in Österreich ein umstrittenes
Gerichtsverfahren gegen 13 TierschützerInnen. Nun wurde bekannt,
dass die Polizei unter dem Pseudonym "Danielle Durand" eine verdeckte
Ermittlerin in die Szene eingeschleust hat.
In einem unglaublich seichten Artikel veröffentlicht das
Wochenmagazin News in seiner neusten Ausgabe die Enttarnung einer
verdeckten Ermittlerin (VE) die im Rahmen der Ermittlung der SOKO im
aktuell verhandelten §278a Großverfahren in die
Tierrechtsbewegung eingeschleust wurde. Abgesehen von den sexistischen
Untertönen des Autors wird in dem Artikel mit dem Namen "Erst
Hasenstall, dann Hosenstall” (!) die Aktivität der unter dem
falschen Namen "Danielle Durand” auftretenden Polizistin innerhalb des
Vereins gegen Tierfabriken (VGT) beschrieben. Den Großteil des
Artikels nehmen allerdings Andeutungen über eine intime Beziehung
mit einem der Angeklagten sowie die Beschreibung ihres Aussehens und
Vergleiche mit dem anderer Frauen ein. Die politische und die
rechtliche Dimension dieses Skandals wird dabei konsequent
ausgeklammert.
Etwa 15 Monate war sie undercover beim VGT aktiv und dabei in alle
Aktivitäten des Vereins involviert. Seien es Kleider Bauer- und
andere Demos, Jagdstörungen, Vorträge oder auch
Planungstreffen - überall war "Dani” hochmotiviert dabei.
Hochmotiviert, vermutlich nicht nur wegen ihres beachtlichen Einkommens
als "Top-Agentin”, sondern auch in der Hoffnung belastende Details aus
den heute Angeklagten und ihrem Umfeld raus zu bekommen. Dazu suchte
sie engen Kontakt zu einzelnen Aktivist_innen. Informationen über
das privat- und Beziehungsleben wurden von ihr offenbar gesammelt und
später von der SOKO bei Verhören als Druckmittel eingesetzt.
Im Zuge ihrer Ermittlungen war "Dani” auch auf einem offenen Treffen
der Basisgruppe Tierrechte (BAT) um sich ein "eigenes Bild” der Gruppe
machen zu können wie sie dort sagte.
Da es bei all den Aktivitäten keine Hinweise auf eine Kriminelle
Organisation oder sonstige Straftaten gab, wurde die Verdeckte
Ermittlerin von der SOKO Bekleidung einfach unter den Tisch fallen
gelassen. Zwar wurde laut Bettina Bogner, der Soko-Leiterin,versucht
eine VE, wie Verdeckte Ermittler_innen in der Amtssprache heißen,
einzuschleusen, doch sei dies nicht gelungen, da die betroffenen
Gruppen "zu konspirativ organisiert" seien. Das zumindest gab Bogner am
14. Prozesstag, am 08. April 2010 zu Protokoll. Heute wissen wir, dass
es sich etwas anders darstellt. Der oftmals vorgebrachte Einwand der
Verteidigung, dass durch die nicht vollständige Akteneinsicht den
Angeklagten wesentliche entlastende Fakten nicht zugänglich seien
wird dadurch einmal mehr eindrucksvoll untermauert. Obwohl die SOKO
bereits mehrfach wegen der vorenthaltenen Akten verurteilt wurde sind
diese bis heute nicht zugänglich! (sh. http://antirep2008.org/?p=3385)
Ein Großteil der bis jetzt im Verhandlungssaal behandelten
Aktivitäten, etwa Demonstrationen, Jagdsabotagen oder
Vorträge der vermeintlichen "Kriminellen Organisation", fanden
offenbar unter Beteiligung besagter "Danielle Durand" statt.
Enttarnt wurde "Dani” schließlich durch einen
Observationsbericht, in dem sie bei einer beobachteten Jagdstörung
schlicht als "VE” im Akt vermerkt wurde. Ein weiterer Hinweis auf ihr
sicher nicht unentgeltliches Engagement bei der Polizei ist die
Tatsache, dass ihr Zweitwohnsitz an der Adresse des "VE-Führers”
des LKA Wien Stefan Wappel war, der für die Betreuung von
verdeckten Ermittler_innen zuständig ist (sh. http://www.bmi.gv.at/cms/BK/wir_ueber_uns/abteilung_5/Buero_5_3.aspx).
Wenige Monate nach den Verhaftungen und Hausdurchsuchungen im Mai 2008
gab "Dani” vor nach Frankreich zu übersiedeln und verschwand damit
wieder von der Bildfläche.
Dieser Fall ist das erste Mal, dass in Österreich ein derartiger
Fall öffentlich wird. In anderen Ländern wurden immer wieder
Spitzel enttarnt die teilweise jahrelang in verschiedenen Szenen oder
Bewegungen aktiv waren. Teilweise hatten diese auch Beziehungen mit
Aktivist_innen. Einer der jüngsten Fälle ist die Enttarnung
eines Spitzels der jahrelang in England in progressiven
Zusammenhängen wie Antifa-, Öko- oder Tierrechtsgruppen aktiv
war (sh. http://at.indymedia.org/node/19287)
---
Bund 14.12.10
Polizei spitzelt Tierschützer aus
Weil Proteste gegen Pelzhändler und Jagden in
Österreich als Terror galten, wurde eine verdeckte Ermittlerin in
die Szene eingeschleust.
Bernhard Odehnal, Wien
Die grosse blonde Frau galt als besonders aktive
Tierschützerin. Einmal pro Woche protestierte sie vor einem Wiener
Geschäft, das Pelzmäntel verkaufte; sie wollte mit ihrem
Regenschirm Wildschweine vor einer Treibjagd schützen und
fotografierte Bauernhöfe mit Massentierhaltung. Eines Tages aber
verschwand sie - und ihre Freunde aus der Szene der Tierschützer
wissen erst heute, warum: Die Frau, die sie als Dani kannten, war eine
verdeckte Ermittlerin der österreichischen Polizei. Im Auftrag der
Sonderkommission "Tierschutz" sollte sie Beweise für kriminelle
Aktivitäten der Tierschützer sowie DNA-Proben sammeln. Ob ihr
Einsatz notwendig und rechtlich gedeckt war, ist jedoch selbst unter
Rechtsexperten umstritten.
Morgen Mittwoch muss die Ermittlerin mit dem Pseudonym Danielle
Durand in einem der grössten und umstrittensten Gerichtsverfahren
in Österreich aussagen. Seit acht Monaten wird gegen 13
Tierschützer prozessiert. Ihnen wird schwere Sachbeschädigung
vorgeworfen. Unter anderem sollen sie hinter dem Brandanschlag auf die
Tiroler Jagdhütte von Daniel Vasella im August 2008 stehen.
Angeklagt sind sie nach dem sogenannten Terror-Paragrafen, der nach den
Anschlägen vom 11. September 2001 ins österreichische
Strafrecht aufgenommen wurde. Für Staatsanwalt und Polizei sind
die Tierschützer also Terroristen und wurden entsprechend
behandelt: Erst stürmten Sonderkommandos in den Morgenstunden ihre
Wohnungen, dann mussten sie über hundert Tage in Untersuchungshaft
sitzen.
Durch Zufall aufgedeckt
Dass die Polizei auch eine verdeckte Ermittlerin gegen die
Tierschützer einsetzte, sollte geheim bleiben. Die Angeklagten
erfuhren davon nur durch Zufall, die Verteidigung beantragte daraufhin
ihre Vorladung als Zeugin. Die Frau, die "Danielle" war, galt unter den
Tierschützern als verlässliche und gute Freundin, der man
auch private Probleme anvertrauen konnte. Sogar von sexuellen Kontakten
zu einem Hauptangeklagten ist die Rede. Nach der Razzia besuchte sie
die Angeklagten noch im Gefängnis, bevor sie aus der Szene
verschwand.
Ihr Einsatz könnte Polizei und Justiz jetzt noch Probleme
bereiten. Nicht nur fehlte die richterliche Genehmigung für die
Spitzeltätigkeit, Frau "Durand" konnte vermutlich auch keinen
Beweis für die terroristische Gesinnung der Tierschützer
bringen. Prozessbeobachter fragen nun, ob die geheime Ermittlerin die
Tierschützer vielleicht sogar zu Straftaten ermuntern wollte, um
damit Beweismaterial gegen sie zu bekommen. Ihr Führungsoffizier
verneinte das gestern im Zeugenstand energisch: Ziel der Ermittlung sei
vielmehr "die Abwehr gefährlicher Angriffe" gewesen.
In Deutschland scheiterte ein Verbotsverfahren gegen die
rechtsextreme NPD, weil der Einsatz eines verdeckten Ermittlers bekannt
geworden war. In Österreich hingegen wird der Prozess gegen die
Tierschützer auch nach der Aussage von "Danielle" weitergehen.
---
news.at 18.11.10
James-Bond lässt grüßen: Sex-Agentin
der Polizei spionierte Tierschützer aus
* Informantin zeigte teilweise vollen Körpereinsatz
* Prozess gegen 13 Tierrechtsaktivisten läuft noch
Sie ist die österreichische Variante des russischen Spionage-Girls
Anna Chapman: Die Polizeiinformantin "Danielle Durand" spionierte
monatelang die Aktivisten des Vereins gegen Tierfabriken (VgT) aus und
das mit vollem Körpereinsatz, wie NEWS in seiner aktuellen Ausgabe
berichtete.
Mit fingierten Dokumenten und falscher Meldeadresse trat sie im April
2007 der Organisation bei. Im Zuge ihrer Undercover-Ermittlungen war
sie nicht nur bei zahlreichen Demos und Aktionen der Tierschützer
dabei, sondern ging auch mit einem der Tierrechtsaktivisten auf
Tuchfühlung.
Spionin trat Organisation 2007 bei
Seit Mai 2007 begleitete die Ermittlerin die Aktivisten auf
Veranstaltungen, war bei Blockaden dabei, bei Jagdstörungen sowie
bei nächtlichen Plakatierungen, erzählte VgT-Obmann Martin
Balluch. Als der Umweltschützer in Haft genommen wurde, habe die
die Frau sogar "gegen die Polizeiwillkür" mitdemonstriert. Seit
10. September 2008 war sie auf einmal verschwunden. "Sie hat behauptet,
sie geht nach Frankreich."
Ein vom VgT engagierter Detektiv fand heraus, dass eine Frau unter
diesem Namen nicht existiere, sagte Balluch. "Die Existenz war
ausgelöscht. Diese Person hat es nie gegeben." Gewissheit brachte
ein vor zwei Wochen dem VgT zugespieltes Observationsprotokoll, indem
die Frau als "verdeckte Ermittlerin" bezeichnet wird.
Obmann: "Sie hat alles mitgemacht"
"Sie hat 16 Monate alles mitgemacht hat, aber die Polizei verheimlicht
das", sagte Balluch. Das sei ein Zeichen dafür, das die
Organisation nichts Kriminelles gemacht habe. Dem widersprach
Gerichtssprecher Hans Barwitzius: Es habe sich um keine verdeckte
Ermittlung im Sinne der Strafprozessordnung (StPO) gehandelt, also
keine, die von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben wurde. Bei der
Beobachtung habe es sich vielmehr um eine von der Polizei beauftragte
Ermittlung zur Gefahrenabwehr gehandelt, sagte der Gerichtssprecher.
Seit Juni 2010 sitzen die 13 Tierschützer bereits auf der
Anklagebank. Sie müssen sich vor Gericht wegen Bildung einer
"kriminellen Organisation" (§ 278 a StGB) verantworten.
Noch mehr Infos zum Thema finden Sie in NEWS 46/2010!
(apa/red)
----------------------------------
BOMBEN ROM
----------------------------------
sf.tv 27.12.10
Griechische Botschaft in Rom entgeht Anschlag nur knapp
sf/dapd/hues
In Rom sind in acht diplomatischen Vertretungen verdächtige
Pakete entdeckt worden. Ausser in der griechischen Botschaft handelte
es sich jedoch um Fehlalarme. Laut "La Repubblica" wird der neuerliche
Anschlag ebenfalls Anarchisten zugeschrieben. Die Gruppe "Federazione
Anarchica Informale" (FAI) hatte bereits am Donnerstag
Paketbomben-Anschläge auf die schweizerische und chilenische
Botschaft verübt.
Gemäss der Onlineausgabe der italienischen Zeitung "La
Repubblica" sind die Botschaften von Griechenland, Venezuela, Marokko,
Schweden, Dänemark, Irland, der Ukraine und des Fürstentums
Monaco betroffen. Alle verfügbaren Sicherheitskräfte seien im
Einsatz.
Die Polizei schliesse nicht aus, dass im Verlauf des Tages noch
weitere Pakete in Botschaften entdeckt werden. Wegen der Weihnachtstage
habe sich die Zustellung durch die Post zum Teil verzögert. Die
Polizei vermutet deshalb, dass die heutige Paket-Bombe zu der
Anschlagsserie vom letzten Donnerstag zu rechnen ist, wie die Zeitung
berichtet.
Das Paket in der griechischen Botschaft wurde von einem
Büroangestellten geöffnet und explodierte wie durch ein
Wunder nicht, wie "La Repubblica" schreibt. Man habe einen
CD-Hülle mit einer Zündvorrichtung entdeckt. "Das Paket ist
bereits am Freitag eingetroffen, aber niemand hat es geöffnet,
wegen des Weihnachtsfests", sagte der griechische Botschafter Michalis
Cambanis. Erst heute habe man das sehr verdächtige Paket entdeckt
und sofort die Polizei informiert.
Die verdächtigen Pakete in den anderen Vertretungen haben
sich mittlerweile laut "La Repubblica" als Fehlalarm herausgestellt.
Schon am Morgen war in der monegassischen Vertretung ein
verdächtiges Paket aufgetaucht. Der Inhalt war harmlos - es
handelte sich um eine Agenda. In der venezuelanischen Botschaft
entpuppte sich die Bombe als Grusskarten-Paket - in der schwedischen
Vertretung als normale Korrespondenz.
Am vergangenen Donnerstag waren bei Paketbomben-Anschlägen
auf die schweizerische und chilenische Botschaft in Rom zwei Menschen
schwer verletzt worden. Zu den Taten bekannte sich eine anarchistische
Gruppe.
---
NLZ 27.12.10
Polizei filzt die Anarchisten
Rom
sda.
Nach dem Anschlag auf die Schweizer Botschaft laufen die
Ermittlungen auf Hochtouren. Verhaftet wurde bislang aber noch niemand.
sda. Nach den Paketbombenanschlägen in Rom fahndet die
Polizei im anarchistischen Milieu Italiens nach den Tätern. Die
Ermittler gehen dabei vor allem auch Hinweisen auf Verbindungen zu
einer Attentatsserie im November in Griechenland nach. Damals
gehörte die Schweizer Botschaft in Athen zu den Adressaten von
Paketbomben - wie am Donnerstag die Schweizer Vertretung in Rom. "Bei
der anarchistischen Spur gibt es Verbindungen nach Griechenland und
Spanien", sagte Italiens Aussenminister Franco Frattini.
Die griechische Polizei teilte jedoch mit, es gebe keinen Hinweis
auf die Beteiligung von Griechen an den Anschlägen in Italien. Die
Ermittlungen sind schwierig, weil die Anarchisten oftmals in
unabhängigen Zellen arbeiten, wobei eine Zelle nichts von den
Plänen der anderen weiss.
Erwartet werden in den kommenden Tagen eine Reihe von
Durchsuchungen und Kontrollen im bekannten Umfeld der radikalen
italienischen Anarchisten. Diese Ermittlungen dürften sich auf
Gruppen in der Toskana, im Piemont und rund um Rom konzentrieren.
Ziele bewusst ausgewählt
Die verstärkten Postkontrollen bei den Botschaften in Rom
wurden fortgesetzt. Die Paketbomben waren am Donnerstag vor Weihnachten
beim Öffnen in den Botschaften der Schweiz und Chiles explodiert,
wobei zwei Menschen, darunter der Postverantwortliche der Schweizer
Botschaft, verletzt wurden. Dieser wurde über die Feiertage
bereits zweimal vom Schweizer Botschafter besucht.
---
St. Galler Tagblatt 27.10.10
Anschläge in Rom: Anarchisten wollten die Schweiz treffen
Nach den Paketbombenanschlägen in Rom fahndet die Polizei im
anarchistischen Milieu Italiens nach den Tätern. Bisher ohne
Erfolg.
ROM. Die Ermittler gehen Hinweisen auf Verbindungen zu einer
Attentatsserie im November in Griechenland nach. Damals gehörte
die Schweizer Botschaft in Athen zu den Adressaten von Paketbomben -
wie am Donnerstag die Vertretung in Rom. "Bei der anarchistischen Spur
gibt es Verbindungen nach Griechenland und Spanien", sagte Italiens
Aussenminister Franco Frattini. Die Ermittlungen sind schwierig, weil
die Anarchisten oft in unabhängigen Zellen arbeiten, wobei eine
Zelle nichts von den Plänen der anderen weiss.
Ziele bewusst ausgewählt
Die Paketbomben waren am Donnerstag beim Öffnen in den
Botschaften der Schweiz und Chiles explodiert, wobei zwei Menschen
verletzt wurden. Zu den Anschlägen bekannte sich die in Italien
aktive "Federazione Anarchica Informale" (FAI). Die FAI hat schon
Dutzende Anschläge verübt.
Die betroffenen Botschaften seien nicht zufällig Ziel der
Attentate gewesen, sagte der Unterstaatssekretär im römischen
Innenministerium, Alfredo Mantovano. Bereits im Oktober wurde vor der
Schweizer Botschaft in Rom ein Sprengsatz gefunden. In einem Schreiben
wurde die Freilassung von "Costa, Silvia und Billy" gefordert - drei
Anarchisten, die im April in der Schweiz wegen des Verdachts auf
Anschlagsvorbereitungen gegen einen internationalen Grosskonzern
festgenommen worden waren.
Wegen Verhaftungen
Auch der Schweizer Botschafter in Rom, Bernardino Regazzoni,
sieht einen Zusammenhang des Anschlags mit Inhaftierungen von
Mitgliedern des "Netzwerks von Anarcho-Terroristen". (sda)
---
Indymedia 26.12.10
Keine Solidarität mit den "anarchistischen" BriefbomberInnen ::
AutorIn : Libertäre Aktion Winterthur LAW:
http://www.libertaere-aktion.ch
Die Frage der Gewalt spielte im anarchistischen Diskurs schon immer
eine grosse Rolle. Wie sollte der urtümlichste und rohste Ausdruck
von Macht mit der Lehre der Herrschaftslosigkeit in Einklang gebracht
werden? Kann eine anarchistische, revolutionäre Strategie Gewalt
beinhalten?
[Anmerkung: Dieses Communiqué bezieht sich bewusst nicht auf die
letzten Anschläge vom 23. Dezember in Rom. Für uns scheint
die anarchistische Urheberschaft fraglich, da sich wie bereits bei
einer Anschlagsserie 2003 die ominöse "Federazione Anarchica
Informale" (FAI) dazu bekannte. Wohl kaum zufällig trägt
diese dasselbe Kürzel wie die Federazione Anarchica Italiana, die
sich bereits von den Ereignissen im Jahr 2003 schärfstens
distanziert und den Verdacht geäussert hatte, dass es sich bei der
anderen "FAI" um eine staatliche Phantomorganisation handeln
könnte. Tatsächlich lassen sich in der jüngeren
italienischen Geschichte mehrere Beispiele finden, bei denen Attentate
dieser Art unter falscher Flagge durchgeführt wurden. Erinnert sei
nur an den durch den Staat in Auftrag gegebenen Bombenanschlag auf die
Piazza Fontana in Mailand 1969, der den örtlichen AnarchistInnen
in die Schuhe geschoben wurde. Auch lässt das Bekennerschreiben
der "FAI" zu den Anschlägen am 23.12. aufhorchen, in der es in
für eine angeblich "informelle" Organisation völlig
untypischen Worten heisst: "Lang lebe FAI, lang lebe die Anarchie!"]
Die Frage der Gewalt spielte im anarchistischen Diskurs schon immer
eine grosse Rolle. Wie sollte der urtümlichste und rohste Ausdruck
von Macht mit der Lehre der Herrschaftslosigkeit in Einklang gebracht
werden? Kann eine anarchistische, revolutionäre Strategie Gewalt
beinhalten? Es ist davon auszugehen, dass der libertäre Weg, der
immerhin die Enteignung der Besitzenden und die Überwindung
materieller Privilegien beinhaltet, auf brutalen Widerstand derjenigen
stossen wird, die sich diesen Gütern beraubt sehen. Ein
Herrschaftsverhältnis beruht immer auf (unscheinbarem oder
offensichtlichem) Zwang. Und dieser schliesst immer auch Gewalt ein,
der wir nur als starke revolutionäre Massenbewegung entgegentreten
können.
Doch sollten wir uns als bewusste Anarchistinnen und Anarchisten davor
hüten, das Mittel der Gewalt zum Zweck werden zu lassen. "Die
wahre anarchistische Gewalt hört auf, wo die Notwendigkeit der
Verteidigung und der Befreiung aufhört. Sie wird durch das
Bewusstsein getragen, dass die Individuen, einzeln betrachtet, wenig
oder überhaupt nicht verantwortlich sind für die Position,
die Erbe und Umwelt ihnen verschafft haben." Diese Worte vom
italienischen Anarchisten Errico Malatesta haben auch fast Hundert
Jahre nach ihrer Niederschrift nichts von ihrer Gültigkeit
verloren. Sie verbieten es, im Rahmen einer libertären Praxis
FunktionsträgerInnen im Kapitalismus ihrer blossen Funktion Willen
zu verletzen oder gar zu töten. Wie wir meinen, sollte das
für jede Person mit einer anarchistischen Auffassung eine
Selbstverständlichkeit sein.
In den letzten Monaten haben sich allerdings auch im Zusammenhang mit
der Schweiz Ereignisse gehäuft, die dieses libertäre Prinzip
im Namen des Anarchismus in Frage stellen. Die Rede ist hier nicht von
den rhetorisch durchaus gelungenen, doch inhaltlich oft verworrenen
Aufrufen im Stile von "Schlagt die Polizisten, wo ihr sie trefft", die
von irgendwelchen windigen Revoltierenden als Akt des individuellen
Widerstandes auf Mauern geklebt und auf Websites veröffentlicht
werden. Auch nicht gemeint sind die zahlreichen, aber in ihrer Form
sich treu bleibenden Schweizer Solidaritätsaktionen für
Billy, Costantino und Silvia, deren antizivilisatorischen Ergüsse
wir höchstens mit Belustigung zur Kenntnis nehmen. Doch werden
wohl auch aus eben diesen Zusammenhängen diejenigen Aktionen
beklatscht, die in ihren Folgen weit über das Mass von
Farbanschlägen und dem Aufschlitzen von Autoreifen hinausgehen.
Wir denken an die Briefbomben, die in den vergangenen Monaten an
diverse staatliche Einrichtungen, insbesondere Botschaften, versandt
wurden. Darauf hoffend, dass dabei einE wichtigeR BeamteR beim
Öffnen des Briefs versehrt wird, sollte die Inhaftierung der drei
Genannten symbolisch "gerächt" werden. Eine solche Praxis zeugt
nicht nur von politischer Dummheit, sondern auch von grosser Feigheit
und Inhumanität. Im besten Falle aus Naivität, im schlimmsten
aus Berechnung wurde ebenso in Kauf genommen, dass auch eine einfache
Zuträgerin oder ein subalterner Sekretär verletzt wird. Damit
reihen sich die AbsenderInnen ein in die lange Reihe von skrupellosen
VerbrecherInnen, die im Dienste des Kapitals Angehörige der
ArbeiterInnenklasse verfolgt und getötet haben. Diese Taten sind
mitnichten revolutionär, sondern Ausdruck der politischen
Reaktion. Uns bleibt angesichts der Infamie solcher Aktionen nur das
Eine: Keine Solidarität mit den "anarchistischen" BriefbomberInnen
- niemals, nie!
Es ist tragisch, dass der europäischen KapitalistInnenklasse, die
sich noch vor wenigen Jahren linksradikale Gruppierungen schaffen
musste, um die Bevölkerung auf einen repressiven Kurs
einzustimmen, das Spiel heute so einfach gemacht wird.
Für uns alle ist es schwierig, adäquat auf ein politisches
und soziales Klima zu reagieren, dass uns als ausgebeutete und
mitfühlende Menschen in die Verzweiflung treiben muss. Dies sollte
aber nicht Anlass sein, uns in die alten Illusionen der "Propaganda der
Tat" zu retten, und durch individuelle Gewaltakte die Gesellschaft
ändern zu wollen. Deren Folgen werden Repression, Eskapismus und
eine noch grössere Hoffnungslosigkeit sein, und nicht der Aufstand
der Massen. Ebenso falsch ist es, die Unstrukturiertheit zum
allgemeinen Handlungsprinzip von Anarchistinnen und Anarchisten zu
erheben, wie es von unseren "aufständischen" Genossinnen und
Genossen gefordert wird. Ist jedeR nur sich selber verantwortlich,
leistet das individuellen unberechenbaren Aktionen Vorschub, anstatt
einer solidarischen Praxis, die stetig auf die soziale Revolution
hinarbeitet, zur Entfaltung zu verhelfen.
Nur gemeinsam, durch organisierten und zielgerichteten Klassenkampf
können wir dem kapitalistischen System die Stirn bieten. Einigkeit
in der Theorie und Stringenz in der Praxis, föderalistische
Strukturen und individuelle Disziplin sind die Qualitäten von
solidarisch kämpfenden Anarchistinnen und Anarchisten, die
tatsächlich die soziale Revolution - und nicht die totale
Repression - wollen. Der Arbeitsplatz und die Schule, die Nachbarschaft
und das Begegnungszentrum, die Strasse und das Flüchtlingsheim:
Dies sind die Plätze unserer libertären Agitation, der
Organisierung und des Kampfes - nicht die Spalten der bürgerlichen
Medien, die nur darauf warten, mit reisserischen Schlagzeilen über
den letzten Anschlag von Revoltierenden zu berichten.
Ende Dezember 2010
Libertäre Aktion Winterthur
---
Newsnetz 26.12.10
Anschlagserie in Rom: Razzien erwartet
sda / jak
Nach den Paketbombenanschlag auf die Schweizer Botschaft fahndet
die Polizei im anarchistischen Milieu Italiens nach den Tätern.
Die Behörden sprechen von Terrorzellen, die unabhängig
voneinander operieren.
Die Ermittler gehen dabei vor allem auch Hinweisen auf
Verbindungen zu einer Attentatsserie im November in Griechenland nach.
Damals gehörte die Schweizer Botschaft in Athen zu den Adressaten
von Paketbomben - wie am Donnerstag die Schweizer Vertretung in Rom.
"Bei der anarchistischen Spur gibt es Verbindungen nach Griechenland
und Spanien", sagte Aussenminister Franco Frattini.
Die griechische Polizei teilte jedoch mit, es gebe keinen Hinweis
auf die Beteiligung von Griechen an den Anschlägen in Italien. Die
Ermittlungen sind schwierig, weil die Anarchisten oftmals in
unabhängigen Zellen arbeiten, wobei eine Zelle nichts von den
Plänen der anderen weiss. Erwartet werden in den kommenden Tagen
eine Reihe von Durchsuchungen und Kontrollen im bekannten Umfeld der
radikalen italienischen Anarchisten. Diese Ermittlungen dürften
sich auf Gruppen in der Toskana, im Piemont und rund um Rom
konzentrieren.
Ziele bewusst ausgewählt
Die verstärkten Postkontrollen bei den Botschaften in Rom
wurden fortgesetzt. Die Paketbomben waren am Donnerstag vor Weihnachten
beim Öffnen in den Botschaften der Schweiz und Chiles explodiert,
wobei zwei Menschen, darunter der Postverantwortliche der Schweizer
Botschaft, verletzt wurden.
Zu den beiden Anschlägen bekannte sich die in Italien aktive
"Federazione Anarchica Informale" (Fai). In ihrem Bekennerschreiben
nennen sich die Anarchisten "revolutionäre Zelle Lambros Fountas".
Sie erinnern damit an einen griechischen Anarchisten, der im März
bei einem Feuergefecht mit der Polizei ums Leben gekommen war.
Die italienische Fai hat schon Dutzende Anschläge
verübt. Die betroffenen Botschaften seien nicht zufällig das
Ziel der Sprengstoffattentate gewesen, sagte der
Unterstaatssekretär im römischen Innenministerium, Alfredo
Mantovano.
Sprengsatz im Oktober
Chiles Botschaft könnte das Ziel gewesen sein, weil dort
2009 der Anarchist Mauricio Morales umgekommen war, als sein mit
Sprengstoff gefüllter Rucksack vorzeitig explodierte. Mantovano
sagte in einem Interview mit der Zeitung "Il Giornale" zudem, dass eine
"intensive Zusammenarbeit" zwischen italienischen und Schweizer
Ermittlern im Frühling zu der Verhaftung mehrerer Anarchisten
geführt habe. Bereits im Oktober wurde vor der Schweizer Botschaft
in Rom ein Sprengsatz gefunden.
In einem beiliegenden Schreiben wurde die Freilassung von "Costa,
Silvia und Billy" gefordert - drei Anarchisten, die im April in der
Schweiz wegen des Verdachts von Anschlagsvorbereitungen gegen einen
internationalen Grosskonzern festgenommen worden waren.
Zusammenhang mit Camenisch
Auch der Schweizer Botschafter in Rom, Bernardino Regazzoni,
sieht einen Zusammenhang des Anschlags mit Inhaftierungen von
Mitgliedern des "Netzwerks von Anarcho-Terroristen". Dies sagte
Regazzoni am Freitag gegenüber dem Zürcher Privatradio "Radio
1". Auf die Frage, ob der Anschlag auch eine Antwort auf die
Inhaftierung von Marco Camenisch sei, sagte Regazzoni, "so sieht es
aus". Camenisch war 2002 nach Verbüssung einer mehrjährigen
Haftstrafe von Italien an die Schweiz ausgeliefert worden.
Er muss einerseits eine frühere Strafe von 1981 wegen
Anschlägen auf Einrichtungen der Stromindustrie noch absitzen.
Andererseits wurde der auch als "Öko-Terrorist" bezeichnete
Camenisch wegen Mordes an einem Grenzwächter verurteilt.
---
Sonntagszeitung 26.12.10
Schweizer Geld für Anarchisten
Zürich Nach dem Bombenanschlag auf die Schweizer Botschaft
in Rom werden die Sicherheitsmassnahmen in Absprache mit den
italienischen Behörden verstärkt. Das bestätigt
Aussenministerin Micheline Calmy-Rey. Auch der Nachrichtendienst des
Bundes ist in die Untersuchung involviert. Ermittler vermuten hinter
dem Anschlag eine Vergeltung für die Inhaftierung dreier
Aktivisten aus der italienischen Anarchistenszene in der Schweiz.
Für diese sammeln auch militante Schweizer Gruppen Geld. Seite 2
--
Schweizer Sympathisanten
Botschaftsbombe in Rom war Vergeltung für in der Schweiz
inhaftierte Anarchisten - für diese sammelten hiesige
Linksextremisten Geld
Von Matthias Halbeis
Zürich Die mutmasslichen Drahtzieher hinter dem
Bombenattentat auf die Schweizer Botschaft in Rom am 23. Dezember haben
Sympathisanten in der Schweiz. Gemäss dem Unterstaatssekretär
im italienischen Innenministerium, Alfredo Mantovano, war die Bombe
eine Vergeltungsaktion für die Inhaftierung dreier Anarchisten in
der Schweiz.
Für die Freilassung ebendieser mutmasslichen Terroristen
sammeln bekannte Schweizer Linksextreme Geld. In einer
Solidaritätserklärung hatten schon im April mehrere Schweizer
Organisationen zu Spenden zugunsten der drei inhaftierten Anarchisten
aufgerufen, darunter der Revolutionäre Aufbau Schweiz, der schon
länger im Visier der Bundesbehörden ist.
"Diese Bedrohung ist keine generelle Tendenz"
Die Verbindungen zwischen gewaltbereiten Extremisten in der
Schweiz, Italien und Griechenland sind seit längerem eng.
Mitglieder des Revolutionären Aufbaus Zürich (RAZ) waren
mehrfach im Visier der Behörden wegen Kontakten zu
Linksextremisten in Italien. Der RAZ pflegt auch Kontakte zu
griechischen Linksaktivisten. Diese stehen bei griechischen
Strafverfolgern im Verdacht, die Urheber von Paketbombenanschlägen
im November zu sein. Bereits damals gab es einen Anschlagsversuch auf
die Schweizer Botschaft in Athen. Die Verfasser des Bekennerschreibens
für den Anschlag in Rom bezogen sich ebenfalls auf Griechenland.
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) will über
mögliche Verbindungen der italienischen Anarchisten in die Schweiz
keine Angaben machen. "Zusammen mit unseren Partnern in der
Bundesverwaltung analysieren wir die Entwicklung aber sehr genau und
haben spezielle Lageanalysen erstellt", sagt Sprecher Simon Johner. Er
bestätigt erstmals, dass neben dem Justiz- und Polizeidepartement
der NDB in die Abklärungen rund um den Anschlag in Rom einbezogen
worden ist.
Aussenministerin Micheline Calmy-Rey sieht jedoch keine
Verschlechterung der Sicherheitslage. "Diese Bedrohung kommt von einer
ganz bestimmten Gruppe und ist keine generelle Tendenz", so Calmy-Rey.
Die Sicherheitsmassnahmen für die Schweizer Botschaft in Rom
würden in Absprache mit den italienischen Behörden
verstärkt.
Dem verletzten Portier der Schweizer Botschaft gehe es "den
Umständen entsprechend gut". Sein Chef besuchte ihn am Heiligabend
im Spital.
---
Zentralschweiz am Sonntag 26.12.10
Schweizer Botschaft in Rom
Anschlag könnte ein Racheakt gewesen sein
Die Behörden fahnden intensiv nach den Verantwortlichen
für den Anschlag auf die Schweizer Botschaft in Rom. Derweil gibt
es Vermutungen über das Motiv.
sda. In Rom laufen die Ermittlungen nach den Anschlägen auf
die Schweizer und die chilenische Botschaft weiter. Die
Terror-Ermittler gingen Hinweisen auf eine Verbindung zwischen den
Paketbomben an die beiden Botschaften mit einer Attentatsserie im
November in Griechenland nach. Die griechische Polizei teilte am
Freitag aber mit, es gebe keinen Hinweis auf die Beteiligung von
Griechen an den Anschlägen in Rom.
Bekenntnis der Anarchisten
Die Päckchen waren am Donnerstag beim Öffnen in den
diplomatischen Vertretungen explodiert, wobei sich je ein
Angehöriger der Schweizer Botschaft schwer an den Händen
verletzt hatte. Zu den beiden Anschlägen bekannte sich die seit
längerem in Italien aktive Federazione Anarchica Informale (Fai).
Die Auswahl der Anschlagsziele sei bewusst erfolgt, sagte Alfredo
Mantovano, Unterstaatssekretär im Innenministerium, in einem am
Freitag erschienenen Interview der Tageszeitung "Il Giornale". Chiles
Botschaft könnte das Ziel gewesen sein, weil dort 2009 der
Anarchist Mauricio Morales umgekommen war, als sein mit Sprengstoff
gefüllter Rucksack vorzeitig explodierte. Die chilenischen
Behörden werden von Anarchistenkreisen für seinen Tod
verantwortlich gemacht. Morales sei mit seinem Tod in die Ruhmeshalle
der Anarchistenbewegung eingetreten, sagte Mantovano.
Auch der Schweizer Botschafter in Rom, Bernardino Regazzoni,
sieht einen Zusammenhang des Anschlags mit Inhaftierungen von
Mitgliedern des "Netzwerks von Anarcho-Terroristen". Dies sagte
Regazzoni am Freitag gegenüber dem Zürcher Privatradio Radio
1 unter Berufung auf Angaben der italienischen Polizei.
Zusammenhang mit Camenisch
Auf die Frage, ob der Anschlag auch eine Antwort auf die
Inhaftierung von Marco Camenisch sei, sagte Regazzoni: "So sieht es
aus." Camenisch war 2002 nach Verbüssung einer mehrjährigen
Haftstrafe von Italien an die Schweiz ausgeliefert worden. Er muss
einerseits eine frühere Strafe von 1981 wegen Anschlägen auf
Einrichtungen der Stromindustrie noch absitzen. Andererseits wurde der
auch als "Öko-Terrorist" bezeichnete Camenisch wegen Mordes an
einem Grenzwächter verurteilt.
In der Schweiz waren ferner am 15. April 2009 eine Italienerin,
ein Italiener und ein Schweizer unter dem Verdacht festgenommen worden,
einen Anschlag auf das im Bau befindliche IBM-Forschungszentrum in
Rüschlikon ZH vorbereitet zu haben. Sie sitzen seither in
Untersuchungshaft.
Erhöhte Alarmbereitschaft
Die italienischen Sicherheitskräfte waren weiter in
erhöhter Alarmbereitschaft. Botschaftsgebäude, Ministerien,
Postämter und das Parlament wurden am Freitag verstärkt
bewacht. Auch an der Christmette im Vatikan, die am 24. Dezember
stattfand, wurden die Sicherheitsmassnahmen erhöht.
---
Sonntagsblick 26.12.10
Strategie-Experte warnt die Schweiz
Es wird weitere Anschläge geben
VON JOHANNES VON DOHNÁNYI
In Europa wächst der Druck: Die Finanzkrise verschafft
extremistischen Bewegungen Zulauf - die Bombenpakete in Rom waren erst
der Anfang.
Grösser hätte das Weihnachtsgeschenk für den
53-jährigen Walliser wohl nicht sein können. Nach der
Explosion einer Paketbombe drohte dem Mitarbeiter der Schweizer
Botschaft in Rom eine Amputation der linken Hand. Doch er wird, so
Chefchirurg Nicolo Scuderi vom römischen Poliklinikum Umberto I.,
"keine bleibenden Schäden davontragen".
Auch die Verletzungen des chilenischen Botschaftsangestellten, in
dessen Händen - ebenfalls am Donnerstag, ebenfalls in Rom - eine
Bombe explodierte, scheinen weniger schwer als befürchtet.
Doch damit sind die positiven Nachrichten auch schon
erschöpft.
Die Sprengsätze der Informellen Anarchistischen
Föderation (FAI), die vor allem in Griechenland, Italien und
Spanien operiert, belegen nach Auffassung des Zürcher Strategie-
und Terrorexperten Albert Stahel: "Auch wenn die Schweiz nicht zur
Europäischen Union gehört, zählt sie mit ihrem Wohlstand
doch zum Feindbild des linksextremen und anarchistischen Untergrunds.
Zugleich dient unser Land, wie schon in den 80er-Jahren, immer wieder
auch als Ruhe- und Rückzugsraum." Zwei Tage nach dem Attentat von
Rom warnt Stahel: "Es wird weitere Anschläge geben."
Seitdem am 15. April der Tessiner Luca "Billy" Bernasconi und die
beiden italienischen Öko-Extremisten Silvia Guerini und Costantino
Ragusa im Zürcher Sihltal verhaftet wurden, ging es Schlag auf
Schlag: Das Trio wird verdächtigt, einen Anschlag auf das
nanotechnische Labor von IBM in Rüschlikon ZH geplant zu haben
(SonntagsBlick berichtete).
Bald darauf wies ein fünfzackiger Stern mit den Buchstaben
BR an der Wand des italienischen Konsulats auf die Präsenz von
Anhängern der italienischen Terrorgruppe Brigate Rosse in
Zürich hin. Briefbomben gingen an die Schweizer Botschaften in
Athen und Rom, und am Tag vor Heiligabend folgte der bisher blutigste
Anschlag, wiederum in der Schweizer Vertretung in der italienischen
Hauptstadt.
Zwar verfügt das lose Netzwerk der FAI, das vor allem per
Internet kommuniziert, laut Stahel "weder über die Ressourcen noch
das Menschenmaterial des islamistischen Terrorismus". Mit anderen
Worten: Selbstmord-Attentate sind von der FAI nicht zu erwarten.
Doch die sozialen Spannungen in Europa wachsen - eine direkte
Folge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise sowie des Spardrucks
wegen gigantischer Staatsschulden im Euro-Raum: Wasser auf die
Mühlen des linken Untergrunds.
Die FAI betrachtet gewerkschaftlich organisierte Massenproteste
in Griechenland, Italien, Irland oder Portugal als
Berechtigungsnachweis für eine Radikalisierung der eigenen
Aktionen.
"Wir zerstören das Herrschaftssystem", hiess es in ihrem
Bekennerbrief nach den jüngsten Anschlägen in Rom.
Europas Regierungen antworten auf den wachsenden Zorn - vor allem
unter den Studenten - bislang vor allem mit Schlagstöcken und
Wasserwerfern.
Aber der römische Polizeichef Antonio Manganelli warnt
bereits: "Repression war noch nie ein Mittel gegen die Folgen
politischer Fehlentwicklungen." Wie Manganelli sehen Experten
überall in Europa die Gefahr eines Rückfalls in den linken
Terrorismus der 70er- und 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
"Ohne das Korsett einer gemeinsamen europäischen
Wirtschaftsund Finanzpolitik ist der Euro-Raum nichts als ein grosses
Spielkasino", warnt Stahel: "Die akute Gefahr einer Reaktivierung
längst vergessener extremistischer Gruppierungen ist von den
europäischen Politikern noch nicht verstanden worden."
Die Bombe von Rom beweist: Einem europaweiten Trend zur
politischen Radikalisierung kann sich auch die Schweiz nicht entziehen
- und sei es als dessen Opfer.
---
Le Matin Dimanche 26.12.10
La mouvance anarchiste passe-t-elle par la Suisse?
Ivan Radja
TERRORISME L'Office fédéral de la police
enquête sur les liens éventuels entre la Suisse et les
anarchistes auteurs des attentats contre les ambassades suisse et
chilienne à Rome jeudi.
Les réseaux anarchistes italiens auteurs des attentats au
colis piégé dans les ambassades de Suisse et du Chili
jeudi ont-ils d'une manière ou d'une autre des ramifications en
Suisse? L'arrestation en avril dernier à Zurich de trois
écoterroristes anarchisants - deux Italiens et un Tessinois -
serait l'un des mobiles expliquant le fait que la
Confédération soit prise pour cible, ont estimé
vendredi les enquêteurs italiens. Le mobile des terroristes
demeure flou. Le lien avec l'attentat à l'ambassade du Chili,
ainsi que les fausses alertes devant celles d'Ukraine et d'Irlande,
n'est pas aisé à établir.
"Pas une tendance générale"
La ministre des Affaires étrangères, Micheline
Calmy-Rey, estime pour sa part que "la menace émane d'un petit
groupe bien défini et ne reflète pas une tendance
générale" (lire encadré). De son
côté, le Service de renseignement de la
Confédération affiche une extrême
discrétion: "Nous suivons de près les
développements avec nos partenaires des services
fédéraux et avons établi une analyse
détaillée de la situation", explique le porte-parole
Simon Johner. Quant à l'Office fédéral de la
police, sa porte-parole Danièle Bersier rappelle qu'il
"travaille sur les liens de ces attentats avec la Suisse, mais ne
communique pas sur une enquête en cours". Et de nous renvoyer,
faute de mieux, au rapport annuel de FedPol, paru en juin de cette
année. Au chapitre "Groupes criminels d'Italie", ledit rapport
relève un "enchevêtrement international" entre la
Ndranghetta, la Camorra et la Cosa Nostra, mentionne leurs
prolongements au Tessin et en Valais, mais ne souffle mot d'aucune
autre organisation autre que mafieuse.
Plus loin, à la rubrique "Terrorisme et protection de
l'Etat", il est surtout question de groupements islamistes, d'actions
violentes du PKK et des Tigres Tamouls, et des attentats
d'extrémistes de la cause animale. L'"extrémisme de
gauche" n'est mentionné qu'une seule fois, à propos de la
surveillance dont est l'objet la Reconstruction révolutionnaire
suisse (RAS, pour Revolutionäre Aufbau Schweiz).
La Fédération anarchiste informelle (FAI), qui a
revendiqué les attentats de jeudi, n'était manifestement
pas au centre des préoccupations de Berne. Ni de Bruxelles.
Inscrite sur la liste des organisations terroristes du Conseil de
l'Union européenne, elle en a été retirée
en 2009, de même que la "Brigata XX Luglio", la "Cellula contro
Capitale" et "Solidarieta Internazionale", autant de groupuscules
liés à, ou constituant tout ou partie de cette
mystérieuse fédération informelle.
Attentats en augmentation
La galaxie de micro-astéroïdes qui compose le
terrorisme de l'extrême gauche européenne, allant de
l'écoterrorisme à l'anarchie, souvent mêlant l'un
et l'autre, est en revanche surveillée de près par
Europol. Le nombre d'actes terroristes est en effet en nette
augmentation depuis deux ans, avec "un total de 40 attaques terroristes
lancées par l'extrême gauche et les groupes anarchistes en
2009, soit une augmentation de 43% par rapport 2008", note l'office de
police criminelle intergouvernemental dans un état des lieux du
terrorisme publié cette année. Les armes utilisées
sont soit l'incendie criminel, soit la bombe artisanale. Les objectifs,
des institutions identifiées comme des cibles par les
extrémistes anarchistes. "Leurs thèmes
idéologiques, souligne le rapport, sont l'anticapitalisme,
l'antimilitarisme, l'antifascisme et l'abolition des frontières.
"
Les groupes les plus actifs sont recensés en Grèce,
où a été abattu par la police en avril dernier le
terroriste Lambros Fountas, dont le nom a été repris par
la cellule active de la FAI pour signer l'attentat contre l'ambassade
de Suisse à Rome. En ce qui concerne l'Italie, le rapport ne
mentionne pas la FAI, mais fait état d'une nouvelle mouvance
d'inspiration marxiste-léniniste implantée à Rome,
Milan et Gênes, dont le but est de relancer la lutte armée
dans l'esprit des Brigades rouges.
--
"UN PETIT GROUPE", SELON MICHELINE CALMY-REY
CONDAMNATION "La menace émane d'un petit groupe bien
défini et ne reflète pas une tendance
générale": c'est ce qu'a répondu la future
présidente de la Confédération, Micheline
Calmy-Rey, à nos confrères de laSonntagsZeitung. "Je
condamne sévèrement cette attaque insidieuse et souhaite
un prompt rétablissement à nos employés
blessés", ajoute-t-elle. Concernant les mesures de
sécurité autour des ambassades, Micheline Calmy-Rey
rappelle qu'elles sont "accordées en fonction des conditions
locales et de l'évaluation du risque", mais assure qu'elles
"seront renforcées par l'ambassade suisse en collaboration avec
les autorités italiennes", sans "entrer dans les détails
pour d'évidentes raisons de sécurité". x
---
Le Matin 25.12.10
"La suisse a été punie"
RomeL'attentat contre l'ambassade helvétique aurait
été commis pour venger les arrestations d'anarchistes
à Zurich.
Les cibles des attentats contre les ambassades de Suisse et du
Chili jeudi à Rome "n'ont pas été choisies par
hasard", a estimé hier le sous-secrétaire italien
à l'Intérieur, Alfredo Mantovano. Selon lui, les
activistes de la Fédération anarchiste informelle (FAI),
qui ont revendiqué ces actions, ont voulu punir la Suisse pour
sa collaboration avec l'Italie, qui a permis l'arrestation
d'anarchistes.
Deux Italiens, Costantino Raguse et Silvia Guerini, et un
Tessinois, Luca Bernasconi, sont incarcérés en Suisse.
Ils ont été arrêtés le 15 avril
à Zurich pour avoir préparé une attaque à
l'explosif contre le siège suisse d'IBM. La presse italienne
pense que la FAI voulait aussi venger la détention de
l'"écoterroriste" suisse Marco Camenisch, condamné pour
l'assassinat d'un douanier en 1991.
Une nébuleuse
Les anarchistes liés à des mouvements
insurrectionnels sont plusieurs centaines en Italie, regroupés
dans une vingtaine de groupuscules. La Fédération
anarchiste informelle a, pour sa part, même été
recensée comme une organisation terroriste par l'Union
européenne. Et pour cause: son premier attentat, le
21 décembre 2003, était dirigé contre
Romano Prodi, à l'époque président de la
Commission européenne. Et les suivantes, en janvier 2004, contre
des dirigeants du Parlement européen. L'Agence de presse
associative, qui fait partie de la mouvance alternative, signale sur
son site que la FAI fédère différents groupes,
notamment la Brigata 20 luglio, les Cellule contro il capitale,
Insorgenti metropolitane, etc. , qui s'étaient
déjà signalés auparavant par des actions
explosives.
Détruire les banques
On ignorait toutefois hier si les anarchistes détenus en
Suisse - qui militaient pour le groupuscule Il Silvestre et se disaient
opposés aux développements de certaines sciences,
notamment la nanotechnologie - ont des liens avec les mouvements
proches de la FAI. En revanche, Silvia Guerini observait une
grève de la faim dans la prison de Bienne en octobre dernier
pour la libération de Marco Camenisch. Pourtant ce dernier, qui
est devenu un "détenu modèle", déplore être
devenu le leader malgré lui de mouvements (qui n'existaient pas
avant son arrestation), selon Antony Brovarone, porte-parole du
pénitencier des plaines de l'Orbe.
La FAI se veut une organisation anticapitaliste, avec des
consonances écolos. En 2003, elle écrivait: "Nous
continuerons à manifester notre haine irréductible contre
l'Etat et le capital et notre amour inconditionnel pour un monde
libéré de la domination de l'homme sur l'homme et de
l'homme sur la nature. " Ou encore: "Attaquer et détruire les
responsables de la répression et de l'exploitation! Attaquer et
détruire les prisons, les banques, les tribunaux et les
casernes! (…)" sont les principaux buts de cette organisation.
Les bombes de la FAI n'ont toutefois jamais tué. Pourtant,
après les attaques contre des personnalités
européennes, la FAI a organisé une série
d'attentats contre les membres des forces de l'ordre. Ensuite, en
décembre 2009, elle a revendiqué l'explosion d'une bombe
dans une université de Milan et contre un centre de
rétention d'immigrés, avant d'envoyer un colis
piégé l'été dernier à Roberto
Maroni, l'actuel ministre italien de l'Intérieur. Un colis qui
n'a réussi qu'à blesser une postière. Or la FAI
avait écrit en 2003: "Les actions effectuées aujourd'hui,
comme celles qui suivront, utilisent des techniques qui visent à
exclure la possibilité de blesser des innocents. "
--
Rome en état d'alerte
Rome était en état d'alerte à la veille de
Noël, après l'explosion jeudi de colis piégés
dans les ambassades de Suisse et du Chili, revendiquée par une
fédération anarchiste, proche de groupes
extrémistes grecs.
Sièges du gouvernement et du Parlement, ministères
et services postaux ont été placés sous haute
surveillance après les explosions qui ont fait deux
blessés. Ces derniers ont été opérés
dans la soirée de jeudi. Le Suisse, un homme de 53 ans, risque
l'amputation d'une main. L'employé chilien a perdu deux doigts
dans l'attentat et a été blessé à la
poitrine et à l'œil.
Les enquêteurs italiens ont estimé hier
"crédible" la revendication faite par la FAI en raison de
l'utilisation pour les colis piégés de cassettes
vidéo remplies d'explosif et des fragments de métaux,
typiques pour les groupes violents d'anarchistes. Dans un message
retrouvé sur le lieu de l'attentat à l'ambassade du
Chili, le groupe exprime sa solidarité avec "des camarades en
prison" et d'autres groupes anarchistes en Argentine, au Chili, en
Grèce, au Mexique et en Espagne. éafp
---
Tagesschau 24.12.10
Anarchistische Gruppe hinter Bombenanschlägen
Die Gruppe "Informeller Anarchistischer Bund" hat sich öffentlich
zu den Paket-Bombenanschlägen in der schweizerischen und
chilenischen Botschaft in Rom bekannt. Die Polizei fahndet weiter nach
den Tätern.
http://videoportal.sf.tv/video?id=7e8048ec-a27b-4d4c-96ff-a28bc6ed6586
---
sf.tv 24.12.10
Anschlag auf Schweizer Botschaft war "Strafaktion"
sda/sf/frua
Eine italienische Anarchistengruppe hat sich zu den beiden
Briefbombenanschlägen in Rom bekannt. Der Grund für die
Anschläge ist noch unklar. Doch es gibt Spekulationen über
eine Verbindung zum in der Schweiz inhaftierten Öko-Anarchisten
Marco Camenisch. Sicher ist: Bereits im Oktober wurde ein Sprengsatz
bei der Schweizer Botschaft gefunden.
Das Bekennerschreiben der Gruppe "Federazione Anarchica
Informale" befand sich in einer kleinen Schachtel. Diese habe neben dem
chilenischen Botschaftsmitarbeiter gelegen, der bei der Explosion an
Händen, Augen und am Brustkorb verletzt worden war. "Wir
zerstören das Herrschaftssystem", heisst es in dem Schreiben.
Schweiz kein zufälliges Ziel
Auf der Website der Anarchisten liessen sich keine weiteren
Informationen finden. Die Gruppe setzt sich auf ihrer Website für
eine Ende der Ausbeutung des Menschen durch seine Mitmenschen ein.
Spekulationen gehen von einem weitergehenden Zusammenhang zum
Öko-Anarchisten Marco Camenisch aus. Auch ist eine Beziehung zu
drei in der Schweiz festgenommenen italienischen Gesinnungsgenossen
möglich. Alle vier sind in der Schweiz in Haft.
Dies bestätigt nun das italienische Innenministerium. Die
Bombe an die Schweizer Vertretung sei eine Strafaktion gewesen für
die Festnahme von drei Anarchisten in der Schweiz, erklärte
Alfredo Mantovano, Unterstaatssekretär im Innenministerium, in
einem Interview mit der Zeitung "Il Giornale".
Anschlag auf IBM-Zentrum geplant
In der Schweiz waren am 15. April 2009 eine Italienerin, ein
Italiener und ein Schweizer unter dem Verdacht festgenommen worden,
einen Anschlag auf das im Bau befindliche IBM-Forschungszentrum in
Rüschlikon (ZH) vorbereitet zu haben. Sie sitzen seither in
Untersuchungshaft.
Bereits am 5. Oktober wurde bei der Schweizer Botschaft ein
ungefährlicher Sprengsatz gefunden. Einen direkten Zusammenhang
zwischen den beiden Begebenheiten wollte der Schweizer Botschafter in
Rom, Bernardino Regazzoni, nicht ziehen.
Regazzoni sei im Vorfeld bekannt gewesen, dass Anarchistengruppen
im Internet eine Solidaritätskampagne gestartet hätten. Dort
sei von "Aktionen" die Rede gewesen.
Verbindungen mit Anschlägen in Athen?
Ob die Anschläge eventuell auch in einem grösseren
Zusammenhang mit anderen europäischen Anarchisten-Gruppen stehen,
ist noch nicht klar. Laut SF-Korrespondent Phillip Zahn sind solche
Verstrickungen jedoch ziemlich glaubhaft.
Gemäss Zahn seien die anarchistischen Gruppen international
gut miteinander vernetzt.
Nach Medienberichten arbeitet auch die griechische Polizei mit
den Fahndern in Rom zusammen. Die Sprengkörper wiesen
Ähnlichkeiten mit den Paketbomben auf, zu welchen sich vor einigen
Wochen griechische Linksextremisten bekannt hatten.
Die insgesamt vierzehn Paketbomben waren damals unter anderem an
die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, an Frankreichs
Präsidenten Nicolas Sarkozy und Italiens Regierungschef Silvio
Berlusconi verschickt worden. Auch mehrere Botschaften in Athen
erhielten Sprengsätze zugeschickt, darunter diejenige der Schweiz.
---
Newsnetz 24.12.10
Wer sind die Anarchisten von der FAI?
AFP / oku
Die Gruppe, die für das Attentat auf die Schweizer Botschaft
verantwortlich ist, hat schon mehrere Male Bomben gezündet - und
sie schlägt besonders gern in der Weihnachtszeit zu.
Italienische Anarchisten haben sich zu den Anschlägen auf
die Botschaften der Schweiz und Chiles in Rom bekannt. Die Informelle
Anarchistische Föderation (FAI) übernahm in den vergangenen
Jahren schon mehrfach die Verantwortung für Attentate auf
Politiker und Polizei - und immer wieder wurde die Gruppe dabei in der
Weihnachtszeit aktiv. Italienische Ermittler halten die Anarchisten
nicht für eine straff organisierte Organisation, sondern für
ein Sammelbecken verschiedener Teilgruppen.
Erstmals wurde die FAI am 21. Dezember 2003 einer breiten
Öffentlichkeit bekannt. Da explodierten im italienischen Bologna
zwei Bomben in Müllcontainern, die unweit des Hauses des damaligen
EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi standen.
Sechs Tage später erhielt Prodi ein Paket, das beim
Öffnen durch den Politiker in Flammen aufging, ihn aber nicht
verletzte. Darauf gingen mehrere Pakete an Vertreter des
Europaparlaments und anderer EU-Institutionen wie die Europäische
Zentralbank (EZB) und die Polizeiorganisation Europol. In einem einigen
Päckchen beigelegten Traktat wurde unter dem Aktionsnamen
"Operation Weihnachtsmann" der Kapitalismus kritisiert und mehr
internationale Solidarität eingefordert.
Weitere Anschläge in Italien
In den folgenden drei Jahren setzte die FAI ihre Anschlagsserie
in Italien fort, ohne dass es Opfer gibt. Ziele waren unter anderem
Polizeikommissariate, Carabinieri-Kasernen und Auffangzentren für
Einwanderer. Ab Mitte Juni 2006 passierte für mehr als zwei Jahre
nichts mehr. Im Dezember 2009 tauchte die FAI mit einem Anschlag gegen
eine Universität in Mailand wieder auf. Im März 2010
explodierte dann ein Paket in einer Postverteilungsstelle in Mailand.
Im Oktober wurde vor der Schweizer Botschaft in Rom bereits ein
Sprengsatz gefunden. In einem beiliegenden Schreiben wurde die
Freilassung von "Costa, Silvia und Billy" gefordert - drei Anarchisten,
die im April in der Schweiz wegen des Verdachts von
Anschlagsvorbereitungen gegen einen internationalen Grosskonzern
festgenommen worden waren.
Die Zahl der Mitglieder der Gruppe würden auf "nur einige
Dutzend" geschätzt, sagten italienische Ermittler der Zeitung "La
Repubblica". Die FAI sei "ein Auffangbecken ohne wirklichen Chef". Die
Organisation funktioniere eher wie eine "Marke", die wie bei
Franchise-Unternehmen für verschiedene Teilgruppen verwendet werde.
---
NZZ 24.12.10
Hinter dem Anschlag stehen Anarchisten
Paketbombe in der Schweizer Botschaft in Rom verletzt einen
Mitarbeiter schwer
In der Schweizer Botschaft in Rom ist am Donnerstag eine
Paketbombe explodiert. Ein Mitarbeiter erlitt schwere Verletzungen.
Anarchisten haben sich zu dem Attentat bekannt.
Romina Spina, Rom
Laut einer Medienmitteilung der Schweizer Botschaft explodierte
die Paketbombe um 12 Uhr. Wie die italienische Nachrichtenagentur Ansa
unter Berufung auf die Ermittler berichtete, erlitt ein
53-jähriger Schweizer beim Öffnen eines gelben Umschlages,
welcher die Grösse einer Videokassette hatte, schwere Verletzungen
an beiden Händen. Der Angestellte wurde umgehend in die Römer
Poliklinik Umberto I gebracht, wo er sich einer Operation unterziehen
musste. Laut Medienberichten befindet sich der Mann nicht in einem
lebensbedrohlichen Zustand. Seine linke Hand wurde bei der Explosion
jedoch so schwer verletzt, dass die Chirurgen eine Amputation nicht
ausschliessen können.
Bekennerschreiben gefunden
Nach dem Vorfall wurde der Zugang zum Gebäude der Vertretung
im Römer Stadtteil Parioli abgesperrt. Auch das Schweizer Konsulat
in Mailand wurde laut Medienberichten abgeriegelt. Nur drei Stunden
nach der Detonation wurde in der Hauptstadt auch die diplomatische
Vertretung Chiles Ziel eines Anschlags.
Zu den Anschlägen bekannte sich eine italienische
Anarchistengruppe. Ihr Bekennerschreiben befand sich laut der
italienischen Nachrichtenagentur Ansa in einer kleinen Schachtel, die
neben einem der beiden verletzten Botschaftsmitarbeiter gefunden wurde.
Bei der Anarchistengruppe handle es sich um die "Federazione Anarchica
Informale".
Die Ermittler hatten bereits am Nachmittag die Täter in
anarchistischen Kreisen vermutet. Nach Medienberichten arbeitet auch
die griechische Polizei mit den Fahndern in Rom zusammen. Die
Sprengkörper wiesen Ähnlichkeiten mit den Paketbomben auf, zu
welchen sich vor einigen Wochen griechische Linksextremisten bekannt
hatten.
Bereits im vergangenen Oktober war vor der Schweizer Vertretung
in Rom ein kleiner Umschlag mit Sprengstoff gefunden worden, der jedoch
nicht explodierte, wie Agenturen meldeten. Die Täter hinterliessen
damals einen separaten Brief mit den Worten "Costa, Silvia e Billy
liberi", womit sie die Freilassung von drei Anarchisten forderten, die
in der Schweiz in Haft sitzen. Dabei handelt es sich um eine
Italienerin, einen Italiener und einen Tessiner, die unter Verdacht
stehen, im letzten Frühling einen Anschlag auf die Anlage des
IBM-Forschungszentrums in Rüschlikon im Kanton Zürich geplant
zu haben.
Fehlalarm in Bern
EDA-Vorsteherin Micheline Calmy-Rey verurteilte das Attentat auf
die Schweizer Botschaft scharf und sprach dem Opfer ihr Beileid aus.
Auch der italienische Aussenminister Franco Frattini verurteilte den
Anschlag und drückte dem Opfer seine Solidarität aus.
Als Reaktion auf die Anschläge in Rom verstärkten
diplomatische Vertretungen in aller Welt ihre Sicherheitsmassnahmen.
Dabei löste (unter anderem) die EU-Botschaft in Bern einen
Fehlalarm aus. Das verdächtige Paket, das dort am Donnerstag
gefunden wurde, war nicht etwa eine Bombe, sondern ein
Weihnachtsgeschenk. Weil die Herkunft des Pakets unklar war, wurde das
Botschaftsgebäude aber teilweise evakuiert.
Spezialisten untersuchten in der Folge das an EU-Botschafter
Michael Reiterer adressierte Paket. Bald stellte sich heraus, dass es
nichts Gefährliches enthielt. Ganz im Gegenteil: Im Paket war eine
Büchersendung samt Glückwünschen zum neuen Jahr, wie das
zuständige Regierungsstatthalteramt und die Kantonspolizei Bern am
frühen Abend mitteilten.
---
Bund 24.12.10
Paketbombe in Schweizer Botschaft in Rom
Die Schweizer Botschaft in Rom ist gestern Ziel eines Anschlags
geworden. Bei der Explosion einer Paketbombe wurde ein Angestellter
schwer an den Händen verletzt. Die Bombe explodierte am Mittag,
als der Postverantwortliche das Paket öffnen wollte. Der Verletzte
wurde in die römische Poliklinik Umberto I. gebracht und
notfallmässig operiert.Drei Stunden nach der Explosion in der
Schweizer Botschaft detonierte in der chilenischen Vertretung in Rom
ebenfalls eine Paketbombe. Eine Person wurde an Händen, Augen und
am Brustkorb verletzt. Sicherheitskräfte durchsuchten daraufhin
alle Botschaften der Hauptstadt. In der ukrainischen Botschaft wurde
verdächtige Post gefunden. Diese stellte sich aber als harmlose
Karte in einem Couvert heraus.
Der italienische Aussenminister Franco Frattini verurteilte die
Anschläge und erklärte seine Solidarität mit der
Schweiz. Roms Bürgermeister Gianni Alemanno sprach von einer
"Welle des Terrorismus gegen die Botschaften". Am Abend wurde bekannt
gegeben, dass sich eine italienische Anarchistengruppe zu den beiden
Anschlägen bekennt.(aus/sda) — Seite 3
--
Paketbombe verletzt Schweizer in Rom
Italienische Anarchisten bekennen sich zu den Anschlägen auf
die Botschaften der Schweiz und Chiles.
René Lenzin und Fabian Renz
Bombenterror in Rom. Bei zwei Anschlägen auf die Botschaften
der Schweiz und Chiles hat es gestern zwei Verletzte gegeben. Ein
53-jähriger Angestellter der Schweizer Vertretung zog sich schwere
Verletzungen an den Händen zu, als er um die Mittagszeit ein Paket
öffnete, in dem ein Sprengsatz verpackt war. Drei Stunden
später ereignete sich ein identischer Vorgang in der chilenischen
Botschaft. Die Person, die das dort eingegangene Bombenpaket
öffnete, erlitt Verletzungen an Händen, Augen und am
Brustkorb. Auch in der Vertretung der Ukraine wurde kurz darauf ein
verdächtiges Paket vorgefunden, das sich jedoch als harmlos erwies.
Am Abend wurde klar, dass sich eine italienische
Anarchistengruppe zu den Anschlägen auf die Schweizer und die
chilenische Botschaft bekennt. Ihr Bekennerschreiben habe sich in einer
kleinen Schachtel befunden, berichtete die italienische
Nachrichtenagentur Ansa. Bei der Anarchistengruppe handle es sich um
die "Federazione Anarchica Informale" (Informelle anarchistische
Föderation FAI).
Zwischenfall schon im Oktober
Zuvor kamen Spekulationen über eine Schweizer Spur auf.
Bereits am 5. Oktober war auf der Mauer der Botschaft in Rom ein
Behälter mit einer entzündbaren Flüssigkeit entdeckt
worden. In der Nähe lag damals ein Brief mit Parolen für die
Freilassung von drei in der Schweiz verhafteten Ökoanarchisten
(eine Italienerin, ein Italiener und ein Schweizer). Diese sollen im
April einen Anschlag auf das IBM-Forschungszentrum in Rüschlikon
vorbereitet haben. Mitglieder einer anarchistischen Splittergruppe
warfen am 14. Dezember Farbbeutel gegen die Schweizer Botschaft in
Lissabon, um gegen die Verhaftung ihrer Gesinnungsgenossen zu
protestieren.
Als Reaktion auf den gestrigen Anschlag in Rom wurden bei der
Schweizer Botschaft die Sicherheitsmassnahmen erhöht, wie das
Eidgenössische Aussendepartement (EDA) mitteilte. Details wollte
das EDA keine nennen. Auch für andere schweizerische Institutionen
in Italien wurde der Schutz verstärkt: Sie erhielten Weisung, Post
ohne oder mit unklarem Absender nicht zu öffnen. Später
dehnte die italienische Polizei die Massnahmen auf sämtliche
ausländischen Vertretungen in Rom sowie auf die italienischen
Vertretungen im Ausland aus.Die Schweizer Aussenministerin Micheline
Calmy-Rey verurteilte die Anschläge in ihrer schriftlichen
Stellungnahme "aufs Schärfste". Laut Angaben des EDA sind die
Verletzungen ihres betroffenen 53-jährigen Botschaftsangestellten
"ernst, aber nicht lebensbedrohlich". Der Mann befinde sich in
Spitalpflege.
Auch bei der Botschaft der Europäischen Union in Bern
löste ein verdächtiges Paket gestern Bombenalarm aus. Die
Berner Kantonspolizei liess als Vorsichtsmassnahme Teile der
Liegenschaft evakuieren und das Gelände absperren. Am Abend folgte
dann aber die Entwarnung: Beim Inhalt des Pakets, so teilte die
Kantonspolizei mit, handle es sich lediglich um "eine Buchsendung samt
Glückwünschen zum neuen Jahr".
---
20 Minuten 24.12.10
Attentate in Rom schüren in Europa Angst vor Terror
ROM. Nach der Explosion von zwei Bomben in den Botschaften der
Schweiz und Chiles in Rom steigt die Angst vor weiteren
Anschlägen. Anarchisten bekannten sich zur Tat.
Die erste Paketbombe explodierte gestern gegen Mittag in den
Händen eines Mitarbeiters der Schweizer Botschaft. Der
Deutschschweizer wurde dabei schwer verletzt. Die Ärzte konnten
die Hände des 53-Jährigen jedoch retten. Drei Stunden nach
dem ersten Anschlag ging eine weitere Paketbombe in der chilenischen
Botschaft hoch. Dabei erlitt ebenfalls ein Mann schwere Verletzungen.
Eine italienische Anarchistengruppe namens Federazione Anarchica
Informale ("informelle anarchistische Föderation") bekannte sich
zur Tat. Schon im November hatten Anarchisten eine ähnliche
Anschlagsserie in Athen durchgeführt. Damals wurden Briefbomben an
verschiedene Botschaften geschickt - auch an die der Schweiz. "Das sind
sehr gewalttätige Gruppen, die in Spanien und Griechenland
ansässig sind, und sie sind sehr gut untereinander vernetzt", so
der italienische Innenminister Roberto Maroni. Die Schweizer
Aussenministerin Micheline Calmy-Rey bezeichnete die Anschläge als
"heimtückische und unverzeihliche Tat".
Aus Angst vor Terroranschlägen waren in den letzten Wochen
fast in ganz Europa die Sicherheitsvorkehrungen erhöht worden. Nun
steigt die Terror-Angst noch einmal: Die römische Polizei
durchsuchte gestern alle Botschaften nach weiteren Sprengsätzen.
In der ukrainischen Vertretung wurde wegen eines harmlosen Pakets Alarm
geschlagen. Dasselbe passierte in Bern (siehe Box). Schon am Morgen
hatte in Deutschland ein Paket mit Wein vor dem Haus von Angela Merkel
für grosse Aufregung gesorgt. Hal
--
EU-Botschaft abgeriegelt - wegen Weihnachtsgeschenk
BERN. Nach den Anschlägen in Rom stieg auch in der Schweiz
die Nervosität: Die EU-Vertretung in unmittelbarer Nähe zum
Bundeshaus wurde kurz nach 16 Uhr wegen eines verdächtigen Pakets
abgeriegelt und teilweise evakuiert. Das an EU-Botschafter Michael
Reiterer adressierte Päckchen war ohne Absender bei der Botschaft
abgegeben worden. Die Polizei bot Spezialisten auf, um es zu
öffnen. Sie konnten Entwarnung geben: Statt einer Bombe befand
sich im verdächtigen Paket ein Weihnachtsgeschenk - eine
Büchersendung samt Glückwünschen zum neuen Jahr.
---
BZ 24.12.10
Bombe explodiert in Schweizer Botschaft
paketbombenDie Schweizer Botschaft in Rom ist Ziel eines
Anschlages geworden. Auch in der chilenischen Botschaft in Rom ist eine
Paketbombe hochgegangen. Zur Tat bekannten sich Anarchisten.
Bei der Explosion einer Paketbombe in der Schweizer Botschaft in
Rom ist ein Angestellter schwer an den Händen verletzt worden. Die
Bombe detonierte gestern Mittag, als der 53-jährige
Postverantwortliche das Paket öffnen wollte. Er wurde schwer an
den Händen verletzt, in die römische Poliklinik Umberto I.
gebracht und kurz darauf notfallmässig operiert.
Laut dem zuständigen Arzt wird der Mann längerfristig
keine gravierenden Schäden davontragen. Eine Amputation der Hand
sei nicht nötig, zitierte die italienische Nachrichtenagentur
Adnkronos Niccolò Scuderi, den Direktor der Abteilung für
Plastische Chirurgie der Poliklinik. Die grössten Probleme habe es
bei der linken Hand, insbesondere am Ringfinger, gegeben, sagte der
Arzt. Die meisten Funktionen könnten wahrscheinlich aber gerettet
werden. Zudem habe der Mann Knochenbrüche erlitten.
Rund drei Stunden nach der Explosion in der Schweizer Botschaft
ging am Nachmittag auch in der chilenischen Vertretung in Rom eine
Paketbombe hoch. Eine Person wurde an Händen, Augen und am
Brustkorb verletzt. Sicherheitskräfte durchsuchten daraufhin alle
Botschaften der italienischen Hauptstadt auf Sprengsätze. In der
ukrainischen Botschaft wurde verdächtige Post gefunden. Diese
stellte sich aber als harmlos heraus.
Bei den echten Bomben handelte es sich um gelbe Umschläge in
der Grösse einer Videokassette, wie die italienische
Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf die Ermittler berichtete.
Die Polizei teilte mit, dass eines der Pakete bei der Explosion
völlig zerstört worden sei. Es werde daher schwierig, daraus
Erkenntnisse zu gewinnen.
Bekennerschreiben gefunden
Zu den Anschlägen bekannte sich eine italienische
Anarchistengruppe. Ihr Bekennerschreiben habe sich in einer kleinen
Schachtel befunden, berichtete Ansa. Die Schachtel habe neben einem der
beiden Botschaftsmitarbeiter gelegen, die bei den Explosionen verletzt
worden waren. Bei der Anarchistengruppe handle es sich um die
"Federazione Anarchica Informale" (Informelle anarchistische
Föderation FAI). "Wir haben uns entschlossen, von Neuem unsere
Stimme zu Gehör zu bringen, mit den Worten und den Taten", heisst
es in dem Schreiben. "Wir zerstören das Herrschaftssystem."
Die Ermittler hatten bereits am Nachmittag die Täter in
anarchistischen Kreisen vermutet. Nach italienischen Medienberichten
arbeitet auch die griechische Polizei mit den Fahndern in Rom zusammen.
Die Sprengkörper wiesen Ähnlichkeiten mit den Paketbomben
auf, zu welchen sich vor einigen Wochen griechische Linksextremisten
bekannt hatten. Die insgesamt vierzehn Paketbomben wurden damals unter
anderem an die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, an Frankreichs
Präsidenten Nicolas Sarkozy und Italiens Regierungschef Silvio
Berlusconi verschickt. Auch mehrere Botschaften in Athen erhielten
Sprengsätze zugeschickt, darunter diejenige der Schweiz.
Aussenministerin Micheline Calmy-Rey verurteilte den Anschlag von
gestern aufs Schärfste und sprach dem Opfer ihr Beileid aus. Die
Explosion sei eine "heimtückische und unverzeihliche Tat". Auch
der italienische Aussenminister Franco Frattini verurteilte den
Anschlag und drückte den Opfern seine Solidarität aus. Die
Ermittlungen liefen auf Hochtouren, versicherte der Stadtpräsident
von Rom, Gianni Alemanno. Kurz nach der Explosion besuchte er die
Schweizer Botschaft im Stadtteil Parioli.
Verdächtiges Paket in Bern
Wegen eines verdächtigen Pakets ohne Absender wurde gestern
Nachmittag auch die EU-Botschaft in Bern teilweise evakuiert.
Spezialisten untersuchten das Paket, das sich aber laut der Berner
Polizei als ein harmloses Weihnachtsgeschenk an den EU-Botschafter
Michael Reiterer entpuppte.
sda
---
Landbote 24.12.10
Anarchisten sind im Visier der Ermittler
Dominik Straub
Bei der Explosion einer Briefbombe ist ein Angestellter der
Schweizer Botschaft in Rom gestern an den Händen schwer verletzt
worden. Die Römer Staatsanwaltschaft ermittelt wegen eines
"terroristischen Attentats".
ROM - "Wir sind geschockt und besorgt über den Vorfall und
haben grosses Mitgefühl für unseren Mitarbeiter, der schwer
an den Händen verletzt wurde", erklärte der Schweizer
Botschafter in Rom, Bernardo Regazzoni, gestern. Bei dem Verletzten
handelt es sich um den Kurierverantwortlichen, der die Postverteilung
in der Schweizer Vertretung betreut.
Der Mitarbeiter sei alleine in seinem Büro gewesen, als kurz
vor Mittag die Bombe explodiert sei; man wisse noch nicht, ob es sich
um einen Brief oder um ein Paket gehandelt habe, sagte Regazzoni
weiter. Der 53-jährige Schweizer ist laut dem Botschafter ausser
Lebensgefahr. Nach gesicherten Informationen handelt es sich beim Opfer
um ein ehemaliges Mitglied der Schweizer Garde.
Der italienische Aussenminister Franco Frattini verurteilte den
"beklagenswerten Akt der Gewalt" und sprach dem Opfer und dem
Botschaftspersonal die Solidarität seines Landes aus. Roms
Bürgermeister Gianni Alemanno begab sich persönlich in die
Botschaft, um den Mitarbeitern sein Mitgefühl auszudrücken.
Einen Zusammenhang mit einer ebenfalls gestern gegen den Sitz der
Römer Stadtregierung auf dem Kapitol gerichteten Bombendrohung und
mit der Attrappe, die am Dienstag in der U-Bahn gefunden worden war,
schloss er aus.
Camenisch, oder doch nicht?
In der Botschaft kümmerten sich gestern Spezialisten der
Antiterroreinheiten um die Spurensicherung; die Römer
Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren wegen eines "terroristischen
Attentats" eingeleitet.
Innenminister Roberto Maroni erklärte am Abend, dass die
Täterschaft vorab in anarchistischen Kreisen gesucht werde. Am
späteren Abend wurden dann ein entsprechendes Bekennerschreiben
gefunden. Es habe sich in einer Schachtel am Tatort befunden,
berichtete die italienische Nachrichtenagentur Ansa. Bei der
Anarchistengruppe handle es sich um die "Federazione Anarchica
Informale".
Zunächst hatte die Römer Polizei insbesondere die
italienischen Freunde des Schweizer "Öko-Terroristen" Marco
Camenisch im Visier. Bereits am 5. Oktober war an der Mauer der
Schweizer Botschaft ein rudimentärer Sprengsatz deponiert worden.
In einschlägigen Internet-Foren bedauerten Sympathisanten, dass
die Benzinbehälter nicht hochgegangen waren und forderten die
Freilassung von "Billy, Silvia, Costa und Marco". Bei den ersten drei
Namen vermutet die italienische Polizei, dass es sich um italienische
Kumpane von Camenisch handelt, die wie ihr Idol in der Schweiz im
Gefängnis sitzen. Camenisch selber hatte Jahre in italienischen
Gefängnissen gesessen, ehe er 2002 an die Schweiz ausgeliefert
worden war.
Die "Camenisch-Piste" verlor bereits an Dringlichkeit, als wenige
Stunden nach dem Anschlag gegen die Schweizer Botschaft auch in der
chilenischen Vertretung eine Postsendung hochging. Auch in diesem Fall
wurde der für die Postverteilung zuständige Mitarbeiter
verletzt, allerdings deutlich weniger schwer als sein Schweizer
Kollege. Praktisch gleichzeitig wurde auch in der ukrainischen
Botschaft Bombenalarm ausgelöst; dieser erwies sich später
als unbegründet. In der Folge untersuchten die Spezialkräfte
der Polizei laut der Nachrichtenagentur Ansa alle Botschaften der
Hauptstadt auf Sprengsätze. Laut Frattini wurden auch die
italienischen Vertretungen im Ausland alarmiert.
Bezüglich der Sicherheit der Schweizer Vertretung in Rom
erklärte Botschafter Regazzoni, dass die Sicherheitsstufe bereits
nach dem Auffinden des Brandsatzes im Oktober erhöht worden sei.
Nach dem neuen Anschlag werde nun sowohl intern als auch extern in
Zusammenarbeit mit den italienischen Sicherheitskräften eine neue
Lagebeurteilung vorgenommen und danach die entsprechenden Massnahmen
ergriffen.
Erinnerungen an Athen
Der gestrige Anschlag gegen die Römer Botschaft ist nicht
der erste dieser Art: Vor knapp einem Monat ist die Schweizer
Vertretung in Athen zum Ziel einer Paketbombe geworden. Der Sprengsatz
explodierte allerdings nicht; vielmehr hatte sich der Inhalt eines
Pakets beim Öffnen in einer Stichflamme entzündet, wie das
EDA damals bekannt gab. Auch in diesem Fall vermutete man einen
anarchistisch-terroristischen Hintergrund. Die Paketbombe von Athen war
Teil einer Anschlagswelle. Ein Sprengsatz explodierte damals in der
Botschaft Russlands. Insgesamt wurden fünf Paketbomben entdeckt,
die an Botschaften adressiert waren. DOMINIK STRAUB/(sda)
--
Die Bombe war ein Weihnachtsgeschenk für Reiterer
Aufatmen in Bern: Das verdächtige Paket, das gestern in der
Berner EU-Botschaft gefunden wurde, war nicht etwa eine Bombe, sondern
ein Weihnachtsgeschenk. Weil die Herkunft des Pakets unklar war, war
das Botschaftsgebäude zuvor aus Sicherheitsgründen teilweise
evakuiert worden. Spezialisten untersuchten in der Folge das an
EU-Botschafter Michael Reiterer adressierte Paket. Bald stellte sich
heraus, dass es nichts Gefährliches enthielt. Ganz im Gegenteil:
Im Paket war eine Büchersendung samt Glückwünschen zum
neuen Jahr, wie das zuständige Regierungsstatthalteramt und die
Kantonspolizei Bern mitteilten.
Wenige Stunden zuvor herrschte an der Bundesgasse Aufregung. Die
EU-Botschaft wurde abgeriegelt und Teile der Liegenschaft, die sich in
der Nähe des Paketes befanden, geräumt. Auch Feuerwehr und
Sanität waren vor Ort. Die Vorsichtsmassnahmen wurden laut der
Polizei wegen der Vorfälle in Rom ergriffen. (sda)
---
Blick 24.12.10
Paket-Bombe in Schweizer Botschaft. Portier in Rom schwer verletzt
Führt die Spur nach Zürich?
Von Thomas Ley und Henry Habegger
Bombenterror im Römer Botschaftsviertel. Wer schickte der
Schweiz dieses böse Geschenk?
Es geht gegen Mittag, als der Portier und Hausmeister der
Schweizer Botschaft in Rom gestern die Post abholt. Wie immer
öffnet der 53-jährige Walliser Pakete und Briefe. Da passiert
es.
Ein Paket explodiert. "Direkt in seinen Händen", sagt
Maurizio Mezzavilla, Roms Polizeikommandant. Die Hände werden
schwer verletzt, am schlimmsten die linke. Befürchtungen, sie
müsse amputiert werden, bewahrheiteten sich nicht.
Ambulanz, Feuerwehr und Polizei finden eine Botschaft vor, die
unter Schock steht. Verzweifelt steht Botschaftergattin Maria Regazzoni
am Tor. In ihren Händen hält sie zwei Packungen Vita-Merfen.
Die Schweiz, Adressatin von Paketbombern - warum nur?
Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (65) sagt dazu noch nichts.
"Ich verurteile solche heimtückischen und unverzeihlichen Taten
aufs Schärfste", betont sie. Sie drückt dem Portier ihr
Mitgefühl aus: "Ich hoffe von ganzem Herzen, dass wir rasch gute
Neuigkeiten über seinen Gesundheitszustand erhalten."
Doch die italienischen Medien nehmen schnell eine Spur auf, die
nach Zürich führt. Bereits am 5. Oktober, so erinnert "La
Repubblica", sei in der Nähe der Botschaft ein Sprengsatz entdeckt
worden. Ein Zettel dabei verlangte "Freiheit für Costa, Silvia und
Billy".
Gemeint sind die Italiener Constantino R. und Silvia G. sowie der
Schweizer Luca B. Sie wurden am 15. April in Langnau am Albis ZH
verhaftet. Das Trio wollte in Rüschlikon ZH das
Nanotechnologie-Labor von IBM sprengen. Die Ermittlungen laufen noch,
bestätigt die Schweizer Bundesanwaltschaft: "Die drei Personen
befinden sich nach wie vor in Untersuchungshaft."
"Il Silvestre" nennt sich die Organisation dieser
Öko-Terroristen. Und sie setzt sich auch für Marco Camenisch
(58) ein. Der Bündner sprengte in den 70ern Hochspannungsmasten.
Er kam in den Knast, konnte fliehen. Doch dabei starb ein Aufseher und
während seiner jahrelangen Flucht ein Schweizer Grenzwächter.
Heute sitzt er wieder in der Schweiz im Gefängnis.
Am Abend sickerte durch, dass Bekennerschreiben der Federazione
Anarchica Informale (FAI) gefunden worden sind. Über deren Inhalt
war bis Redaktionsschluss nichts bekannt. Die EU führt die FAI
seit längerem auf ihrer Terrorliste.
Eine Frage bleibt vorläufig offen: Wie hängt die Spur
der Öko-Terroristen zusammen mit dem zweiten Bombenanschlag von
gestern? Denn eine Stunde später explodiert ein zweites Paket -
bei der chilenischen Botschaft! Und auch die Ukrainer untersuchen ein
verdächtiges Paket, das sich aber als harmlos entpuppt. Und um 16
Uhr erhält auch die EU-Botschaft in Bern ein Päckchen ohne
Absender. Doch dieses stellte sich zum Glück bloss als
Geschenkpaket heraus.
---
10vor10 23.12.10
Bombe in Schweizer Botschaft
Eine öko-anarchistische Gruppierung hat sich zur Bombe bekannt,
die in der Schweizer Botschaft in Rom explodiert ist. Der Sprengsatz
war als Paket getarnt und verletzte einen Mitarbeiter schwer. "10vor10"
schaltet live nach Rom und informiert über die Hintergründe
des Attentats.
http://videoportal.sf.tv/video?id=2f612c4b-30a7-4303-9a7b-c521c97f49bc
---
Tagesschau sf.tv 23.12.10
Anschlag auf Schweizer Botschaft in Rom
Am Mittag ist eine Paketbombe in der Schweizer Botschaft in Rom
explodiert. Ein Angestellter wurde schwer an den Händen verletzt.
Nur wenige Stunden später detonierte auch in der chilenischen
Botschaft eine Bombe. Einschätzungen von Philipp Zahn,
SF-Korrespondent in Rom.
http://videoportal.sf.tv/video?id=3c4077aa-72a1-4234-89b9-b56a23c4487e
---
Strategie der Spannung
http://de.wikipedia.org/wiki/Strategie_der_Spannung
http://de.wikipedia.org/wiki/Strategie_der_Spannung_(Italien)
---------------------------------
KOPENHAGEN 2009
---------------------------------
NZZ 17.12.10
Festnahmen an Kopenhagener Uno-Konferenz illegal
Die Polizei muss Schadenersatz zahlen
Laut einem Entscheid des Bezirksgerichts in Kopenhagen muss die
Polizei Schadenersatz zahlen. Es kam zum Schluss, dass die
Massenverhaftungen an der Uno-Klimaschutzkonferenz vor einem Jahr
illegal gewesen waren.
I. M. Stockholm · Die Massenverhaftungen an der
Uno-Klimaschutzkonferenz in Kopenhagen vor einem Jahr waren illegal.
Dies hat das Bezirksgericht Kopenhagen am Donnerstag beschlossen. Laut
dem Urteil hatte die Polizei keine gesetzliche Grundlage, um insgesamt
250 Demonstranten während Stunden festzuhalten. Die drei Richter
meinen, dass die "administrativen Freiheitsberaubungen" vom 11., 12.,
13., 14., 15. und 16. Dezember 2009 nicht gesetzeskonform gewesen
seien, da sich die Demonstranten nichts hätten zuschulden kommen
lassen.
178 Personen, die während Stunden auf dem kalten Asphalt
ausharren mussten, sollen Schadenersatz von je 9000 dänischen
Kronen (1550 Franken) erhalten, die übrigen Kläger je 5000
Kronen. Insgesamt hatte die Polizei 1900 Protestierende festgenommen,
von denen aber nur 250 Klage einreichten. Die Kopenhagener Polizei legt
gegen das Urteil Berufung ein. Der Einsatz der Polizei während des
Grossanlasses weckte damals wie heute harsche Kritik.
Laut Tonaufnahmen soll ein Vorgesetzter die Polizisten
aufgefordert haben, die "Schlagstöcke zu schwingen, bis sie rot
glühen", und keinen Unterschied zu machen zwischen Medienleuten
und Demonstranten. Die Reporter an vorderster Front seien "in einer
Gefahrenzone", täten dies aber auf eigene Verantwortung.
Justizminister Barfoed verlangt nun von der Polizei eine Erklärung
der Vorfälle, der dänische Journalistenverband ist schockiert
und verurteilt die "total inakzeptable Machtausübung" der
Gesetzeshüter.
Der bürgerliche Think-Tank Cepos sieht im Urteil des
Bezirksgerichts auch einen Nasenstüber für das dänische
Parlament und die Regierung. Das Folketing hatte im Vorfeld des
Uno-Klimagipfels eine Gesetzesverschärfung beschlossen, die es
erlauben sollte, Personen, welche die Polizeiarbeit behindern, bis zu
40 Tage lang festzuhalten. Die Polizei, die während des
Grossanlasses mit Schlagstöcken und Tränengas gegen
Demonstranten vorging, hatte den Vorwurf der Überreaktion stets
zurückgewiesen und ihren Einsatz als notwendig bezeichnet, um eine
Eskalation der Gewalt zu verhindern.
--------------------------
SCHOKOLADE
--------------------------
Zentralschweiz am Sonntag 19.12.10
Schoggi
Hersteller bekämpfen Kinderarbeit
Stefan Kyora
Die Schokoladenindustrie entdeckt das Thema Fairtrade. Eine
Schwyzer Firma tut sich dabei besonders hervor.
Knapp 12 Kilo Schokolade geniessen Herr und Frau Schweizer jedes
Jahr. Weltrekord. Doch der Genuss hat einen bitteren Beigeschmack.
Längst nicht bei allen Produkten kann man absolut sicher sein,
dass sie vollständig ohne Kinderarbeit hergestellt wurden.
Ausgerechnet in Westafrika, aus dem rund 70 Prozent des Kakaos
stammen, stellt Kinderarbeit ein Problem dar. Kinder zwischen sechs und
vierzehn Jahren müssen zum Teil gefährliche Arbeiten
ausführen, etwa die Ernte mit der Machete oder das Sprühen
von Pestiziden. Hinzu kommt ein eigentlicher Menschenhandel, bei dem
Kinder aus den Nachbarländern regelrecht verkauft werden, um auf
den Kakaofarmen etwa in der Elfenbeinküste zu arbeiten.
Coop-Produzent will nur Fairtrade
In letzter Zeit hat sich der Umgang der Industrie mit dem Problem
gewandelt. Heute bestreitet niemand mehr, dass in Westafrika
problematische Formen der Kinderarbeit existieren und nicht einfach zu
bekämpfen sind. Chocolat Halba, der Produktionsbetrieb von Coop,
ist sogar schon einen Schritt weiter. "Wir werden bis 2012 nur noch
Fairtrade-Kakaobohnen verarbeiten", sagt Christoph Inauen, Leiter
Nachhaltigkeit bei Chocolat Halba. Das Fairtrade-Zertifikat
bestätigt nicht nur den Verzicht auf Kinderarbeit, sondern auch
höhere und verlässliche Einkünfte für die
Kakaobauern. Ein höheres Einkommen wirkt sich indirekt ebenfalls
auf die Kinderarbeit aus. "Je weniger der Bauer verdient, desto
grösser ist der Druck, Kinder arbeiten zu lassen", erklärt
Inauen.
Industrie bangt um Nachhaltigkeit
Niedrige Preise verschlechtern zudem Qualität und Ausbeute
der Kakaoplantagen. Fehlt den Bauern das Geld für den Kauf neuer
Pflanzen, liefern die alten Plantagen immer weniger und immer
schlechteren Kakao. Dadurch wird der Anbau immer unattraktiver.
"Derzeit gibt es in Westafrika kaum Erben, welche die Kakaoplantage
ihres Vaters übernehmen wollen", sagt Christoph Inauen.
Gleichzeitig steigt aber weltweit die Nachfrage nach Schokolade.
Deswegen ist es im ureigensten Interesse der Industrie, den Bauern
einen fairen Preis zu zahlen und sie bei Massnahmen zur Verbesserung
der Qualität und damit auch ihres Einkommens zu unterstützen.
Dies ist der Grund, warum auch die grossen Konzerne erste Projekte mit
diesen Zielen gestartet haben.
Schwyzer Firma als Vorreiter
Nichts Neues ist dieser Zusammenhang für die Schwyzer Max
Felchlin AG. Das Unternehmen hat sich vor fünfzehn Jahren auf die
Herstellung von Schokoladeprodukten von bester Qualität
fokussiert, die von Confiserien oder der Gastronomie weiterverarbeitet
werden. Seitdem hat die Firma Beziehungen direkt zu den Kakaobauern
aufgebaut, Preise gezahlt, die noch über dem Fairtrade-Niveau
liegen, und langfristige Verträge abgeschlossen. Der
langjährige Geschäftsführer Christian Aschwanden
erklärt: "Nur so ist sichergestellt, dass wir an den hochwertigen
Kakao kommen, den wir benötigen."
Die vergleichsweise kleine Firma mit 120 Mitarbeitern verfolgt
ihre Strategie konsequent weiter. Die Schwyzer sind der erste Kunde
eines neuen Unternehmens aus Ghana, das die Verhältnisse in einer
ganzen Region ändern will. Gegründet wurde es vom Ghanaer
Yayra Glover, der in der Schweiz studiert hat. Glover will in der
Provinz Suhum die Ausbildung der Bauern verbessern, die Qualität
steigern und den Bio-Anbau flächendeckend einführen. Felchlin
bezieht nicht nur Kakao von Glover, sondern hat das Projekt auch mit
200 000 Franken à fonds perdu unterstützt.
"Industrie erst am Anfang"
Bevor Konsumenten aber völlig ohne Bedenken zu Schoggi
greifen können, ist es noch ein langer Weg. "Die Industrie steht
erst am Anfang. Solange die grossen Konzerne nicht bereit sind,
durchgehend faire Preise für Kakao zu bezahlen, wird eine
nachhaltige Kakaoproduktion schwierig bleiben", sagt Andrea Hüsser
von der Erklärung von Bern (EvB).
Die EvB hat die Schoggi-Hersteller zu ihren Rohstoffen befragt.
Auf www.luzernerzeitung.ch/bonus finden Sie den Link zu den Resultaten.
wirtschaft@luzernerzeitung.ch
---
http://www.evb.ch/schoggi
In Schweizer Schoggi steckt Kinderarbeit
Obwohl die Schweiz als Schokoladenland gilt, ist bei uns kaum bekannt,
dass in vielen Schokoladesorten Kinderarbeit steckt.
60 Prozent des weltweit gehandelten Kakaos kommt aus Westafrika.
Kinderarbeit und Kindersklaverei sind auf den Kakaoplantagen der
Elfenbeinküste und Ghana gängig und werden von den
Schokoladeherstellern seit Jahren bewusst in Kauf genommen. Auch
Schweizer Schoggifirmen gehören dazu. Eine im Oktober 2010
publizierte Studie der Tulane University zeigt, dass das Problem
weiterhin besteht.
http://www.evb.ch/p17929.html
Nachgehakt bei den Firmen
Die EvB hat im Rahmen der Schoggikampagne im Jahr 2009 die 18 grossen
Schweizer Schoggifirmen gefragt, wie ihre Preis- und
Beschaffungspolitik für Kakao strukturiert ist und was sie gegen
ausbeuterische Arbeitsbedingungen unternehmen.
Im Mai 2010 haben wir die Befragung wiederholt. 10 von 18 Unternehmen
haben unseren neuen Fragebogen beantwortet - im Gegensatz zu nur einer
2009 - und weitere vier haben zur Problematik Stellung genommen. Einige
Firmen bemühen sich um soziale Verbesserungen und eine gerechtere
Preisgestaltung. Andere Firmen verhalten sich seit jeher ignorant.
Intransparente Beschaffungsketten für Kakao bleiben das
grösste Hindernis, um die üblen Arbeitsbedingungen auf den
Kakaoplantagen zu bekämpfen.
Die EvB fordert deswegen
* Transparente Lieferketten von der Kakaobohne zur Schokolade.
* Kakaopreise zu zahlen, die den Bauern erlauben, faire Löhne an
erwachsene Beschäftigte zu zahlen.
* Mit nachhaltiger Partnerschaft finanzielle Sicherheit für die
Bauernfamilien schaffen.
Die Firmenprofile 2010 der schweizerischen Schokoladehersteller sollen
den Konsumierenden helfen, zwischen seriösem Engagement und
Feigenblatt-Projekten zu unterscheiden.
http://www.evb.ch/p15218.html
Nestlés "Cocoa-Plan": Eine fragwürdige Form der
Nachhaltigkeit
http://www.evb.ch/p16872.html
Resultate der Schoggi-Kampagne
http://www.evb.ch/p16872.html
----------------
DROGEN
----------------
20min.ch 27.12.10
Hanfdiebe: "Die brauchen unseren Hanf zum Strecken"
Sind Hanfdiebe zu dumm, um den Unterschied zwischen Cannabis und
Industriehanf zu kennen? "Die wissen genau, was sie tun und verdienen
damit gutes Geld", widerspricht ein Hanfbauer.
Annette Hirschberg
"Das musste ja so kommen", sagen die Mitglieder des Vereins
Schweizer Hanffreunde. Jede Woche zwei bis drei Mal sei der Bauer
Alfred E. in Schwarzenburg BE von Hanfdieben angegriffen worden, bis er
in der Nacht auf Dienstag einen Dieb erschoss. "Der Angriff in jener
Nacht war der 37. dieses Jahr", sagt Vereinssprecher Peter Brunner, der
in engem Kontakt mit dem schiesswütigen Bauern stand.
Für Brunner ist klar, wer hinter den Angriffen steht. Es
seien ausschliesslich Ausländer aus dem Balkan, die es auf
Hanfbauern abgesehen hätten. "Jeder Schweizer weiss, dass auf
unseren Feldern Industriehanf wächst, der sich nicht rauchen
lässt", so Brunner.
"Eine richtige Belagerung"
Die Berner Polizei wollte noch nicht bestätigen, ob es sich
beim Hanf des Bauern in Schwarzenburg tatsächlich um legalen
Industriehanf handelt. "Das ist alles Teil der laufenden Ermittlungen",
sagt Mediensprecherin Ursula Stauffer. Auch über mögliche
Täter äussert sich die Kapo Bern nicht.
Für Hanffreund Brunner ist aber klar: In Schwarzenburg wuchs
nur Industriehanf, und die Angriffe auf den Bauern überstiegen
jedes bisher gekannte Mass. "Das war eine richtige Belagerung", sagt er
und ergänzt: "Die glauben offenbar, dass sich mit unserem Hanf das
dicke Geschäft machen lässt."
Diebesbande schlug zu
Gerade das ist vermutlich der Fall. Der Toggenburger Hanfbauer
Roman R. ist überzeugt, dass die Hanfdiebe sehr genau wissen, was
sie tun . "Die verwenden unsere Blüten, um ihr Marihuana zu
strecken und machen damit viel Geld", sagt er.
Auch ihm wurden diesen Herbst 30 Kilo Hanfblüten gestohlen.
"Die Pflanzen waren bereits geerntet und die Blüten zu einem Teil
von den Stauden getrennt", erzählt der Hanfbauer. Sie hätten
bald an eine Kosmetikfirma geliefert werden sollen, die Hanfblüten
zu Tee, Salben und Ruhekissen verarbeitet. Roman R. ist überzeugt,
Opfer einer Diebesbande geworden zu sein. "Die kamen mit dem
Lieferwagen, haben meine Scheune aufgebrochen und alles mitgenommen."
"Die Diebe sind frech und rücksichtslos"
Optisch und vom Geruch her seien die Blüten des
Industriehanfs für den Laien kaum von Marihuana zu unterscheiden.
"Der THC-Gehalt von Marihuana ist aber zehnmal höher." Roman R.
weiss, dass viele Bauern, die Industriehanf anbauen, von Banden
heimgesucht werden. "Nicht alle sind gleich betroffen, aber es ist ein
zunehmendes Problem." Heute sei kein Hanfbauer mehr vor solchen Dieben
sicher. "Sie sind saumässig frech und rücksichtslos."
Dass gerade der Schwarzenburger Bauer Alfred E. so belagert
wurde, erstaunt P. nicht. "Er baut schon seit Jahren Hanf an und ist
deshalb weitherum bekannt. Ausserdem ist sein Hof abgelegen und eignet
sich darum besonders für Überfälle."
---
BZ 27.12.10
bernerzeitung.ch 27.12.10
Erbitterter Kampf um den Hanf
Schwarzenburg. Der Hanfbauer sitzt weiterhin in Haft: Am Dienstag
hatte er einen Kosovaren erschossen, der bei ihm Hanf stehlen wollte.
Immer wieder wird mit roher Gewalt um die Hanfpflanzen gekämpft.
Die Diebestour von drei Kosovaren endete am frühen
Dienstagmorgen vergangener Woche in Schwarzenburg tödlich. Ein
32-jähriger Mann starb, weil ein Landwirt mit seinem Gewehr auf
die Diebe schoss. Die drei Kosovaren hatten es auf den Hanf des Bauern
abgesehen. Wie die Kantonspolizei mitteilte, soll der Bauer bereits
früher in ähnlichen Situation zum Gewehr gegriffen und
geschossen haben.
Das schnelle Geld lockt
Der Mann sei wegen harmlosen Industriehanfs gestorben, teilt der
Verein Schweizer HanfFreunde und -Freundinnen (VSHF) mit Sitz in St.
Gallen in einem Communiqué mit. "Viele Ausländer glauben,
an teures Marihuana zu kommen und schnell reich zu werden", ist der
Mitteilung weiter zu entnehmen. Beim Überfall vom Dienstagmorgen
soll es sich bereits um den 37. "Nachtangriff" auf das Hab und Gut des
Landwirts gehandelt haben. Laut Mitteilung der Hanffreunde sollen die
Diebe dabei auch einmal die Tochter des Bauern verletzt haben.
Die Informationen des Vereins sind unbestätigt. Zwar meldete
sich am Stephanstag unter dem Telefonanschluss des Hanfbauern eine
Frau, doch wollte diese keine näheren Auskünfte erteilen.
Auch die Kantonspolizei Bern machte mit dem Verweis auf die laufenden
Ermittlungen keine weiteren Angaben.
Mit Pistolen bedroht
Bei Diebstählen von Hanf geht es oft unzimperlich zu und
her. 2007 drangen mehrere Bewaffnete in ein Hanffeld bei Murten ein,
obwohl das Feld von Wächtern beschützt wurde. Im Oktober
desselben Jahres fesselte ein knappes Dutzend Männer die Bewacher
eines Hanffeldes bei Frieswil im Seeland, bedrohte sie angeblich mit
Pistolen und entkam mit gut 60 Hanfstauden. In der nächsten Nacht
kamen die Diebe wieder, wurden aber vom aufgerüsteten Wachdienst
vertrieben. Einer der Hanfdiebe soll gar mit einem Beil bewaffnet
gewesen sein. Im beschaulichen Weiler wurde damals von "Szenen wie im
Krieg" gesprochen. Der bestohlene Hanfbauer gab zu Protokoll, das
"Gras" werde vollumfänglich für die Produktion von
Lebensmitteln, wie zum Beispiel für Eistee, verwendet.
2004 fuhr ein Hanfbauer im freiburgischen Vuarmarens mit seinem
Jeep auf mutmassliche Hanfdiebe los.
Beschlagnahmtes gestohlen
Auch beschlagnahmter Hanf ist begehrtes Diebesgut. Im März
2009 verschwanden 100 Hanfpflanzen, welche die Polizei im Werkhof
Grenchen deponiert hatte. 2002 brachen Diebe in Jegenstorf in eine
Scheune ein, die die Untersuchungsbehörden nach einer Razzia
versiegelt hatten. In der Scheune lagerten mehrere hundert Kilogramm
beschlagnahmte Hanfstängel und -blüten. Hanf ist eine der
ältesten Nutz- und Zierpflanzen. Aus ihr wird nicht nur die Droge
Marihuana, sondern auch Fasern für Stoffe und für Seile sowie
Öle hergestellt.
wrs/cho
---
Newsnetz 26.12.10
Eine Anti-Drogenbehörde mutiert zum globalen Geheimdienst
AFP / jak
Mit Niederlassungen in 63 Ländern übernimmt die
US-Anti-Drogenbehörde DEA zunehmend Aufgaben eines Geheimdienstes.
Ihre Fühler reichen nach Lateinamerika und Afrika.
Das Betätigungsfeld der DEA gehe heute weit über das
Vorgehen gegen den internationalen Drogenhandel hinaus, berichtete die
"New York Times" am Wochenende unter Berufung auf Depeschen aus
US-Botschaften, die von der Enthüllungswebsite Wikileaks
veröffentlicht wurden.
Die Kompetenzen der Behörde seien inzwischen so umfangreich,
dass sich die DEA sogar mit Forderungen ausländischer Regierungen
konfrontiert sehe, sie beim Vorgehen gegen politische Gegner zu
unterstützen.
Von Paraguay bis Mexiko
So habe Panamas Staatschef Ricardo Martinelli im August 2009 dem
US-Botschafter eine dringende Nachricht über sein Mobiltelefon
geschickt, berichtete die Zeitung unter Berufung auf ein
Botschaftstelegramm. "Ich brauche Hilfe, um Telefone anzuzapfen", habe
der Staatschef geschrieben und die DEA um Unterstützung beim
Vorgehen gegen seine politischen Rivalen gebeten.
Eine ähnliche Forderung sei Anfang des Jahres von Paraguays
Regierung gekommen, berichtete die "New York Times". Ziel der
Abhöraktion sollten Mitglieder der bewaffneten
Guerilla-Organisation Paraguayische Volksarmee (EPP) sein. In beiden
Fällen wurde die Unterstützung der Zeitung zufolge abgelehnt.
In Mexiko wiederum hält das Militär offenbar
grössere Stücke auf die DEA als auf die eigene Polizei. Nach
einem Botschaftstelegramm vom Oktober 2009 baten Armeevertreter in
privaten Gesprächen die Drogenbehörde um eine engere
Zusammenarbeit, weil sie der mexikanischen Polizei nicht trauten.
Zu einem Geheimdienst mutiert
Die "New York Times" betonte, grosse Enthüllungen enthielten
die Depeschen zu den DEA-Aktivitäten nicht. Sie zeigten aber, dass
sich die DEA durch die internationalen Verflechtungen des Drogenhandels
längst aus dem Schatten der Bundespolizei FBI gelöst habe und
über den Drogenhandel hinaus Informationen aus dem Ausland
liefere. Demnach berichteten etwa DEA-Informanten in Burma nicht nur,
wie sich die dortige Militärregierung mit Drogengeldern
bereichert, sondern auch wie sie gegen die Opposition vorgeht. Mit
inzwischen 87 Büros in 63 Ländern unterhalte die DEA auch
enge Partnerschaften mit Regierungen, die den US-Auslandsgeheimdienst
CIA auf Distanz halten wollten.
Mehrere von der DEA berichtete Episoden beschreiben derweil die
enge Verquickung von Politik und Drogenhandel in vielen Ländern,
wie es in dem Bericht weiter heisst. In Guinea stellte sich
beispielsweise nach einer Depesche vom Mai 2008 heraus, dass der
grösste Drogenbaron des Landes gleichzeitig der Sohn des damaligen
Präsidenten war und beschlagnahmte Drogen vor der Zerstörung
durch Mehl ersetzt wurden. Aus Sierra Leone berichtete die DEA laut
einer Depesche vom März 2009, dass der Justizminister des Landes
2,5 Millionen Dollar Schmiergeld von Angeklagten in einem
Drogenhandelsverfahren gefordert habe.
Westafrika als Stützpunkt für Drogenkartelle
Die spanische Zeitung "El Pais" berichtete ihrerseits unter
Berufung auf Wikileaks-Depeschen, dass Teile Westafrikas inzwischen zu
einem zentralen Stützpunkt südamerikanischer Drogenkartelle
geworden sind. Der Kampf südamerikanischer Regierungen gegen den
Drogenhandel habe die Kartelle gezwungen, sich bei den Schmuggelrouten
nach Europa und in die USA nach Umschlagplätzen mit weniger
Fahndungsdruck umzusehen, berichtete die Zeitung am Sonntag.
Länder wie Guinea-Bissau befänden sich regelrecht "in den
Händen krimineller Organisationen".
---
Sonntag 26.12.10
Kostspielige Kokain-Prozesse
Die Verfahren gegen die "Holderbank-Connection" kosteten bis
jetzt rund eine halbe Million Franken
von Michael Spillmann
Kokainhändlerbanden beschäftigen Polizei und Justiz.
Allein in Lenzburg standen 2010 elf Schwarzafrikaner vor Gericht.
Verfahrenskosten: rund 500000 Franken. Doch es kommt noch mehr.
Es ist ein aufwändiger Kleinkrieg, den die Ermittler und die
Justiz seit Jahren gegen den meist von Nigerianern organisierten
Kokainhandel führen. Die Netzwerke, so etwa die so genannte
"Holderbank-Connection" um die dort domizilierte Asylunterkunft, waren
und sind äusserst flexibel. Die Händler wechseln ständig
ihre Handys, reden am Telefon in der Igbo-Sprache und gebrauchen
zusätzlich ein kompliziertes Code-System für die
Kokaingeschäfte.
Die Verfahren sind aber nicht nur sehr langwierig, sie sind auch
äusserst kostspielig. So belaufen sich die Gesamtkosten im Fall
der "Holderbank-Connection" bislang auf rund eine halbe Million
Franken. "Die Zahl könnte sogar noch nach oben korrigiert werden",
sagt der Lenzburger Bezirksgerichtspräsident Daniel Aeschbach. Im
zu Ende gehenden Jahr mussten sich in Lenzburg insgesamt elf
Schwarzafrikaner - darunter auch zwei Frauen - aus dem Kern oder dem
Dunstkreis der "Holderbank-Connec-tion" vor den Richtern verantworten.
Das Bezirksgericht tagte beinahe im Akkord: Sogar am Donnerstag,
kurz vor Weihnachten, sassen zwei junge Nigerianer und ein
35-jähriger Mann von der Elfenbeinküste auf der Anklagebank.
Gleich zwei Staatsanwälte traten auf. Die zur Last gelegten
Kokainverkäufe und -abgaben bewegten sich im Kilobereich, in einem
Fall ging es um fast 14 Kilogramm Kokain.
Die drei Männer wurden allesamt zu langjährigen
Freiheitsstrafen verurteilt. Allein die Untersuchungs- und
Gerichtskosten für diese drei Männer beliefen sich auf
über 120000 Franken. Die Gerichtsakten für die elf
verurteilten Mitglieder der "Holderbank-Connection" füllen
mittlerweile Dutzende Bundesordner.
Es geht noch weiter: Für 2011 hat das Bezirksgericht
Lenzburg bereits die nächsten Gerichtstermine auf der
Traktandenliste. "Es stehen derzeit noch vier Fälle an", so
Gerichtspräsident Daniel Aeschbach.
Für 2011 noch keine weiteren Kokainhändlerfälle
traktandiert hat das Bezirksgericht Aarau. Doch hat es 2010 nicht
weniger als sieben Schwarzafrikaner verurteilt: darunter ein
36-jähriger Schweizer nigerianischer Herkunft, der eine
Schweizerin geheiratet und jahrelang ein Doppelleben geführt
hatte. Wie der Anklage im Fall des 36-Jährigen zu entnehmen war,
war er als Lagerarbeiter beschäftigt gewesen, daneben mischte er
aber im grossen Stil im Drogengeschäft mit. Die Telefonate mit
seinen Landsmännern rechtfertigte er gegenüber seiner Frau
stets mit seiner Tätigkeit im Autoexport.
Die Verfahrenskosten würden sich in der gleichen Dimension
wie im Fall der "Holderbank-Connection" bewegen, war beim
Bezirksgericht Aarau auf Anfrage zu erfahren. Genaue Zahlen gibt es
aber nicht. Nur: Allein die Gerichtskosten (Honorare für die
Dolmetscher und die Richterentschädigungen) betragen 2010
insgesamt 84000 Franken.
Wie der Lenzburger Gerichtspräsident Daniel Aeschbach
erläutert, beinhalten die Verfahrenskosten die Ausgaben für
die Gefangenen, welche dem Gericht mit 80 Franken pro Tag verrechnet
werden. Das werde insofern teuer, da die Angeschuldigten wegen der
komplexen Ermittlungsarbeit in der Regel lange Zeit in
Untersuchungshaft sitzen, bis er vor den Richtern steht. Hinzu kommen
die diversen Kosten für die Ermittlungs- und
Untersuchungsverfahren: die Ausgaben für die Telefonkontrollen
inklusive Übersetzung, die Gerichtskosten oder die Kosten für
die amtliche Verteidigung. Die Dolmetscherkosten übernimmt per
Gesetz der Staat. Können die restlichen Verfahrenskosten nach
einer Verurteilung nicht abbezahlt werden, wovon in den vorliegenden
Fällen auszugehen ist, so bleibt der Staat und damit der
Steuerzahler belastet.
Wie Teuer die überwachung der Telefone ist, hat im
vergangenen September die Medienkonferenz der Bundeskriminalpolizei zum
Kampf gegen die Kokainhändler, der Operation "Cola", gezeigt. So
liess der Aargauer Kripo-Chef Urs Winzenried verlauten, dass die
Telefonüberwachungen (inklusive der Dolmetscherkosten) für
insgesamt 33 Personen, die die Polizei 2008 und 2009 dingfest gemacht
hatte, mit satten 1,25 Millionen Franken zu Buche standen.
---
20 Minuten 23.12.10
Rauschtrinker und Junkies gibt es auch im Tierreich
LONDON. Fliegenpilze, vergorene Früchte, Opium: Tiere fahren
auf Drogen genauso ab wie Menschen. Ein Forscher erklärt nun,
wieso Rentiere angeblich fliegen können.
Die Winter in Europas Norden sind lang und kalt. Nicht nur die
Menschen berauschen sich in dieser Zeit mehr als sonst. Wie der
Forscher Andrew Haynes im "Pharmaceutical Journal" schreibt, wollen
auch Rentiere der Monotonie entfliehen - und gehen deshalb
kilometerweit, um Fliegenpilze zu finden und zu fressen. Danach torkeln
sie völlig zugedröhnt umher, zucken wild mit dem Kopf und
geben komische Geräusche von sich. "Sie haben ein Bedürfnis
danach, andere Bewusstseinszustände zu erleben", so Haynes.
Rentiere sind aber bei weitem keine Ausnahme im Tierreich. Haynes
schreibt von Vögeln, die vergorene Beeren essen und an
Leberschäden sterben, oder von Schafen, die ihre Zähne beim
Ausgraben und Fressen von giftigen Flechten bis aufs Zahnfleisch
abnützen. In Indien sollen Elefanten sogar Alkoholläden
geplündert und dann stockbesoffen in Dörfern randaliert
haben. Denn die Wirkung der Rauschmittel ist bei Mensch und Tier
ähnlich (siehe Box). Dasselbe gilt für das Suchtpotenzial:
Aus Ostasien wird von opiumsüchtigen Wasserbüffeln berichtet,
die nach der Mohnernte an Entzugserscheinungen leiden.
Einige Anthropologen glauben, dass der Mensch erst durch die
Beobachtung der zugedröhnten Tiere selbst Drogen entdeckte.
Rentierhirten trinken etwa seit Hunderten von Jahren den Urin ihrer
Tiere, um high zu werden. Haynes: "Beim Menschen gehört das
Gefühl zu fliegen zu den Nebenwirkungen der Pilze. Es ist
interessant, dass die Legende besagt, dass die Rentiere von Santa Claus
fliegen können."
Lorenz Hanselmann
---
NLZ 22.12.10
In Zug kommt man gut an Kokain
Sucht
Wolfgang Holz
Weisse Weihnachten gibt es für gewisse Zuger ganz sicher.
Die Zahl von Kokainkonsumenten ist kontinuierlich gestiegen. Kein
Wunder.
Wolfgang Holz
wolfgang.holz@zugerzeitung.ch
500 Franken täglich gibt der gut verdienende
Versicherungsfachmann für Kokain aus. Finanziell ist das für
ihn kein Problem. Seine Sucht dagegen immer mehr. Irgendwann erleidet
er einen psychischen Zusammenbruch, landet im Entzug und schliesslich
in der Suchtberatung des Kantons. "Für viele beginnt der
Erstkontakt mit der harten Droge im Ausgang", erklärt
Suchtberaterin Judith Halter. Man fühle sich grenzenlos gut drauf
an Partys - die jetzt an Weihnachten und zum Jahreswechsel auch wieder
zahlreich in Zug stattfinden. "So mancher Kokainkonsument fällt
dann am Montag in ein Loch, und irgendwann beginnt man dann auch unter
der Woche, eine Linie Koks nach der anderen zu schnupfen. Und schon hat
der Teufelskreis begonnen, aus dem so mancher nicht mehr herausfindet."
Vater plagten Gewissensbisse
Sie spricht aus Erfahrung. Seit August bietet die Suchtberatung
des Kantons eine Sprechstunde für Kokainkonsumenten an. Bislang
ist die Resonanz eher verhalten: Erst zwei haben sich gemeldet. Ein
22-Jähriger, der wegen seiner Sucht irgendwann Geld gestohlen und
seinen Arbeitsplatz verloren hat. Und ein 35-Jähriger, der seit
kurzem Vater einer Tochter ist. "Der ist zu uns gekommen, weil er
einfach nicht mehr tolerieren wollte, dass er wegen seiner Sucht nicht
mehr das Gefühl hatte, seiner Verantwortung als Vater gerecht
werden zu können", erzählt Max Stutz, diplomierter Psychologe
und ebenfalls Suchtberater. Der Familienvater sei inzwischen seit drei,
vier Monaten abstinent.
Die Suchtberatung versucht, solchen Menschen in Not zu helfen -
allerdings nicht mit der Nulltoleranzmethode. "Das Wichtigste ist, mit
den Betroffenen erst einmal ein Ziel zu formulieren, um dieses dann auf
einem Weg der kleinen Schritte realistisch umzusetzen", so Stutz.
Solche Ziele könnten unter anderem sein, dass jemand keinen
Totalabsturz mehr durch seine Sucht erlebe.
Dass Kokain in Zug längst keine Seltenheit mehr ist,
können die Suchtberater bestätigen. Die Zahl der
Kokskonsumenten in Zug nimmt offenbar zu. 2008 sind 34 Süchtige in
die Beratungsstelle gekommen, im letzten Jahr 24. "Zuvor ist die Zahl
langsam, aber stetig Jahr für Jahr angestiegen", versichert Stutz.
Das ist kein Wunder. Zwar ist laut Aussagen der Suchtberater Zug kein
derartiger Kokainumschlagplatz wie Zürich und Luzern. "Aber auch
in Zug kommt man gut an die Lifestyledroge ran", berichtet Halter. In
Party-Lokalen etwa sei der "Schnee" zu erhalten. "Meist läuft der
Deal aber über Handytelefonnummern und in Privatwohnungen." Das
Gramm Kokain koste in Zug so um die 80 bis 100 Franken. "Wer 5 Gramm
kauft, kriegt einen Rabatt."
Auch Businesspeople schnupfen
Aber nicht nur auf Partys fahren Zuger auf die aufputschende
Droge ab. In der Zuger Suchtberatung sind auch schon Banker und andere
Businessmen aufgetaucht, die ihre Abhängigkeit nicht mehr im Griff
hatten. "Ein Verkäufer im Aussendienst etwa fühlte sich super
gut drauf durch die Droge - er sei bei den Kunden erfolgreich
angekommen", so Stutz. Bis er dann irgendwann völlig
abgestürzt sei. "Manche konsumieren Koks über Jahre, bis es
plötzlich zu viel wird."
--
"Gratis, anonym und kompetent"
Kokainsprechstunde
wh. Das Angebot der neuen Kokainberatung im Kanton Zug wird auf
je- den Fall bis nächsten Sommer weitergeführt. Die
nächsten Termine sind am Montag, 27. Dezember, und am Montag, 3.
Januar 2011, jeweils von 16 bis 18 Uhr, in Zug in der Ägeristrasse
56. "Dort erhält man gratis, schnell, anonym und kompetent Hilfe",
so Suchtberater Max von Stutz. Man könne unangemeldet erscheinen.
--
"Tiere werden high wie Menschen"
ZÜRICH. "Alle Tiere haben ähnliche Rezeptoren im
Gehirn. Deshalb kann etwa ein Elefant genauso high werden wie ein
Mensch - und genauso süchtig", so Hanspeter Nägeli vom
Institut für Veterinärpharmakologie und -toxikologie der Uni
Zürich. Bei uns gebe es aber keine solchen Fälle: "Es gibt
zwar Hunde, die Frostschutzmittel trinken oder Traubentrester fressen.
Dies machen sie aber nicht wegen des Rauschs, sondern einfach, weil die
Stoffe gut schmecken."
---
Spiegel 20.12.10
MEXIKO
Unter Narcos
Mexiko: Der aussichtslose Kampf gegen die Drogenkartelle
Seit vier Jahren versucht die Regierung, die Macht der
Drogenkartelle zu brechen, die Armee geht systematisch gegen deren
Bosse vor. Doch das Land versinkt in Gewalt.
Von Mathieu von Rohr
Ivana García floh nicht, als zwei Geköpfte vor dem
Rathaus lagen, und sie blieb auch, als eine Leiche ohne Arme und Beine
auf dem Platz im Stadtzentrum hing.
Aber als der Krieg ausbrach auf der Straße vor ihrem Haus,
als Söldner der Drogenkartelle mit Kalaschnikows aus gepanzerten
Wagen feuerten, sich stundenlange Scharmützel um Häuser
lieferten, als läge Ciudad Mier nicht an der Grenze zu den USA,
sondern in Afghanistan, da blieb ihr nur die Flucht. Fast alle, die
hier gelebt hatten, verließen die Stadt, rund 6000 Menschen. Sie
packten ihre Habseligkeiten, ließen ihre Häuser zurück,
es war ja niemand da, der sie hätte beschützen können,
kein Staat, keine Armee.
Ciudad Mier war ein unauffälliges mexikanisches Nest
gewesen, ein paar rechtwinklig angelegte Straßenzüge, ein
koloniales Stadtzentrum, gelegen am Rio Grande, an der Grenze zu den
USA. Nun ist es im ganzen Land bekannt als Geisterstadt, als einer
dieser symbolischen Orte, von denen es so viele gibt in Mexiko. Alle
erzählen sie auf ihre Weise die Geschichte eines Staates, der in
Gewalt versinkt.
Da ist Ciudad Juárez, mit mehr als 3000 Morden in diesem
Jahr die gewalttätigste Stadt der Welt. In Acapulco, dem
Touristenort, bekriegen Banden sich auf offener Straße. Im Dorf
Praxedis wurde eine 20-Jährige Polizeichefin, niemand anderer
traute sich. Und auf einer Ranch im Norden schoss ein 77-jähriger
Mann vier der Killer nieder, die nach ihm geschickt worden waren, bevor
die restlichen ihn töteten. Er wurde als Held gefeiert.
Mexiko ist ein Land der Schreckensnachrichten. In den vergangenen
vier Jahren starben 29 000 Menschen im Drogenkrieg, im vorigen Jahr
verdoppelte sich die Zahl der Auftragsmorde auf knapp 12 000.
Ungeheuerliche 98 Prozent aller Verbrechen bleiben ungesühnt.
Es ist vier Jahre her, dass Präsident Felipe Calderón
ins Amt kam und versprach, die Drogenkartelle zu besiegen, diese
Multimilliarden-Unternehmen, die die USA beliefern, den
größten Drogenmarkt der Welt, mit Kokain, Crystal Meth,
Heroin, Marihuana.
Calderón mobilisierte für seinen Kampf 45 000
Soldaten und Bundespolizisten. Er konnte auf niemanden sonst vertrauen,
nicht auf die Polizei, die Gouverneure. Die Armee ist alles, was er hat.
Und ja, es gab spektakuläre Festnahmen seither,
berühmte Bosse wurden festgenommen oder niedergeschossen,
vergangene Woche starb der Anführer des Kartells "La Familia".
Aber sind die Drogenkartelle dadurch schwächer geworden? Es gibt
wenig, was dafürspricht.
Viele Bürger sahen die Exzesse der Gewalt zu Beginn als
notwendiges Übel. Doch seit kurzem lehnt in Umfragen eine Mehrheit
die Strategie der Regierung ab. Die Zeitungen sind voller Berichte
über Entführungen, Erpressungen und Enthauptungen. Es gibt
Blogs, die sich auf Handy-Fotos von abgetrennten Gliedmaßen
spezialisiert haben.
Es ist leicht, sich ein Bild zu verschaffen von der Grausamkeit,
mit der dieser Krieg ausgetragen wird. Aber es ist schwer zu verstehen,
warum die Gewalt nicht aufhört, was ihre Ursachen sind und wie ihr
begegnet werden könnte.
Mit einer Legalisierung der Drogen, wie manche Experten fordern,
mit mehr Grenzkontrollen? Mit einer neuen Polizei, einer Reform des
Staates? Soll man die Kartelle einfach wieder in Ruhe lassen?
Das sind die Fragen, die Mexiko sich im Jahr 2010 stellt, im 200.
Jahr nach dem Beginn des Unabhängigkeitskriegs. Der Filmemacher
Luis Estrada hat seiner Heimat zum Jubiläum einen bitteren Film
geschenkt: "El Infierno", die Hölle. Das Porträt einer Welt,
in der es nur Narcos, Huren und Korruption gibt.
"Wir haben ein nationales Problem, und das heißt
Straflosigkeit", sagt Estrada, sanfte Stimme, Brille, grauer Vollbart.
"Wer das Gesetz bricht, büßt nicht. Deswegen glauben viele,
der ehrliche Weg bringe nichts. Wir Mexikaner sind in der Hölle,
das ist sicher, ich weiß nur nicht, in welchem Höllenkreis
wir gerade sind."
An einem heißen Tag im Spätnovember hat sich Ivana
García zurückgewagt nach Ciudad Mier, das erste Mal seit
ihrer Flucht. Sie geht durch die menschenleeren Straßen der
Stadt, die einmal die ihre war, eine Frau in Jeans, 34, sie trägt
goldene Ohrringe und eine Handtasche aus Plastik. Die Armee hat ihr den
Auftrag erteilt zu zählen, wer hier noch wohnt, aber es gibt nicht
viel zu zählen.
Sie haben ihr 700 Pesos geboten pro Woche, 42 Euro, und weil sie
die Wuchermiete für die Wohnung im Nachbarort zahlen muss, hat sie
ja gesagt, obwohl sie Angst hat.
Sie sind drei junge Frauen, sie gehen von Haus zu Haus und
klopfen an Türen, die niemand öffnet. Die wenigen Menschen,
die sie antreffen, konnten sich die Flucht nicht leisten oder sind sehr
alt. In Klarsichtmappen tragen die Frauen Formulare mit sich:
"Durchschnittliches Einkommen?" - "Ihre Meinung zur Unsicherheit?" Es
ist der unbeholfene Versuch des Staates zu zeigen, dass es ihn noch
gibt.
Zwei Dutzend Soldaten folgen ihnen, zu Fuß, auf Pick-ups
mit Maschinengewehren, sie sichern die Straßen. An kaum einem
Haus gehen sie vorbei, das ohne Einschusslöcher ist. Verhungernde
Hunde schleichen über die Schotterpisten.
Im Nachbarort leben immer noch 400 Menschen in einem
Flüchtlingslager, seit mehr als vier Wochen, und die meisten
wollen nicht zurückkehren. Sie sagen, die Armee werde abziehen, in
ein paar Wochen, in ein paar Monaten. Dann werde alles wieder von vorn
beginnen.
Ciudad Mier liegt im Bundesstaat Tamaulipas, der hier nur ein
schmaler Grenzstreifen zu Texas ist. Es ist eine jener Gegenden, die
manche Experten mit einem "failed state" vergleichen.
Einer von ihnen, Edgardo Buscaglia, Fachmann für
Drogenkriminalität, arbeitet gerade in Kandahar, am Telefon sagt
er, er wolle nicht länger von der "Kolumbianisierung" Mexikos
reden, denn "es gibt inzwischen Gegenden in einigen Bundesstaaten, die
mich eher an das erinnern, was ich hier in Afghanistan sehe". Rund
zwölf Prozent des mexikanischen Territoriums werden von Narcos,
Drogenhändlern, kontrolliert.
In weiten Teilen von Tamaulipas und dem südlichen Nuevo
León, zwei Bundesstaaten im Nordosten, gibt es keine Polizisten
und keine Bürgermeister mehr, sie sind geflohen oder tot, auf den
Straßen stehen Checkpoints der Narcos.
Die beiden Drogenkartelle, die sich in Tamaulipas bekämpfen,
waren bis vor einem Jahr Verbündete: das Golfkartell und sein
paramilitärischer Arm, die Zetas. Das Wort Drogenkrieg ist hier
nicht nur eine Metapher für eine Serie von Bandenmorden wie in
Ciudad Juárez. Es steht für fast militärische Gewalt
zwischen Kartellen, die Heere von jugendlichen "Sicarios", von Killern,
ins Feld schicken, oft besser ausgerüstet als die Armee.
Im Rathaus von Ciudad Mier, der Geisterstadt, steht der
Bürgermeister, ein parfümierter Mann mit offenem Hemd. Er
könne kein Interview geben, sagt er, sonst - er zieht einen Finger
über den Hals seines Gegenübers, um zu veranschaulichen, was
ihm drohe.
Seine Bürger wollen reden, aber ihren Namen nicht nennen.
Drogenschmuggel gab es immer hier, sagen sie, die Zetas hatten seit je
die Macht. In einem Ort, in dem es für junge Männer kaum
Arbeit gab, lockten sie mit schnellem Geld, Koks und den schönsten
Mädchen.
Noch immer stehen hier die Villen im ornamentalen Narco-Stil, mit
vergoldeten Gittern und gezwirbelten Säulen. Ihre Besitzer
ergriffen die Flucht, als es zum Bruch mit dem Golfkartell kam. Sie
leben heute in den USA oder in Mexiko-City.
Es war ein Triumphzug, als das Golfkartell am 22. Februar die
Stadt einnahm. Eine Kolonne von 60 SUVs und Pick-ups fuhr in Ciudad
Mier ein, auf den Ladeflächen schwerbewaffnete Kämpfer.
Sie töteten fünf Polizisten, die für die Zetas
gearbeitet hatten, köpften einen Polizeichef und eine Dealerin und
legten die Überreste auf dem Dorfplatz aus. Danach, sagen die
Bewohner, seien die Neuen aber nett gewesen. Sie hätten auf der
Straße gegrüßt, anders als die Zetas.
Doch es war nicht vorbei. Mitte Oktober fand Ivana García
einen toten Zeta-Kämpfer auf der Straße. Sie hatte ihn noch
nie gesehen, es musste ein Söldner von außerhalb sein, ein
junger Mann in einer kakaobraunen Hose, mit muskulösem
Oberkörper. Er lag in einer Blutlache.
Am 2. November kehrten die Zetas zurück, in 40
schwergepanzerten Geländewagen, aus denen Gewehrläufe ragten.
Es begann eine Schlacht, die Tage und Nächte dauerte, zum Auszug
der Bewohner führte und zur Ankunft der Armee.
Die Soldaten, die hinter Ivana García durch Ciudad Mier
pirschen, halten ihre Waffen bereit, als könne jeden Augenblick
jemand auf sie schießen. Sie stürmen Häuser, die
verdächtig scheinen. Der vermummte Kommandant sagt, er wisse
nicht, ob alle Banditen vertrieben wurden. Die Regierung von Tamaulipas
hat die Bevölkerung aufgerufen, zurückzukehren in ihre
Häuser, die Stadt sei sicher. Am Ende ihres ersten Arbeitstages
hat Ivana García sechs bewohnte Häuser gezählt.
Es gibt kaum ein Geschäft in der Welt, das so viel Geld
einbringt wie der Drogenhandel. 72 Milliarden Dollar werden
jährlich damit umgesetzt, schätzt die Uno. Von allen Drogen
ist Kokain die profitabelste. In Kolumbien kostet Kokainpaste 800
Dollar pro Kilo, in Chicago zahlt ein Käufer 100 Dollar pro Gramm
- das heißt, der Preis steigt auf der Reise um 12 400 Prozent.
Schätzungsweise 192 Tonnen schmuggeln die mexikanischen Kartelle
jedes Jahr in die USA.
Sieben Drogenkartelle gibt es in Mexiko, und sie betreiben ihre
Geschäfte in wechselnden Allianzen. Aber fast alle haben ihren
Ursprung im Bundesstaat Sinaloa an der Westküste des Landes, der
Wiege der Narcos. Es ist die Heimat von Joaquín Guzmán,
genannt El Chapo, Anführer des Sinaloa-Kartells. Er ist der
schillerndste Drogenboss der Welt, was man auch daran sieht, dass das
Magazin "Forbes" ihn auf seiner Liste der reichsten Menschen der Welt
führt, obwohl keiner seinen Kontostand kennt.
Culiacán, die Hauptstadt von Sinaloa, ist das Rotterdam
des Kokainhandels, der Ort, an dem die Preise festgelegt werden. Es
liegt zwischen dem Pazifischen Ozean und den grünen
Hügelzügen der Sierra, in denen die Bauern Marihuana und Mohn
anbauen. Es ist eine freundliche Stadt mit weiß getünchten
Häusern, 600 000 Einwohner, doch Culiacán steht in der
Liste der Städte mit den meisten Morden hinter Ciudad
Juárez auf dem zweiten Platz.
Seit zwei Jahren kämpft der Drogenboss El Chapo hier gegen
seine früheren Verbündeten, die Brüder Beltrán
Leyva. Es ist ein Krieg der Könige, und wenn Elmer Mendoza, der
Schriftsteller, diese Geschichte erzählt, klingt sie wie eine
griechische Tragödie. Elmer Mendoza, 61, ist ein bärtiger
Mann mit weicher Stimme, geboren in Culiacán, wo seine
Kriminalromane spielen. Er schildert diese Welt so nah, dass manche ihm
vorwerfen, ein Narco-Schriftsteller zu sein.
"Seit ich Kind war, habe ich ihre Legenden gehört", sagt er.
"Diese Leute hatten größere Häuser, die schönsten
Mädchen, manche gar ein Lied zu ihren Ehren." Es gibt in Sinaloa
einen Heiligen der Narcos, Jesús Malverde, einen Robin Hood, der
von den Reichen nahm und den Armen gab. Für viele Leute ist der
Chapo sein Wiedergänger, ein Volksheld.
Elmer Mendoza sagt, er finde schlimm, was mit seinem Land
geschehe. "Doch als Autor bewundere ich Leute, die
Außergewöhnliches leisten. Hat es nicht etwas Episches, eine
Ladung Kokain von Medellín nach Los Angeles zu bringen?"
Der Familienkrieg, der von Culiacán ausging und aufs halbe
Land übergriff, begann am 21. Januar 2008, als der Drogenboss
Alfredo Beltrán Leyva, genannt Mochomo, von der Armee verhaftet
wurde, in einem Haus im Viertel Tierra Blanca.
Hatte der Chapo ihn verraten? Das glaubten die Beltrán
Leyva. Sie holten Söldner in die Stadt, Zetas, und begannen alle
zu töten, die für ihn arbeiteten, Polizisten, Richter,
Politiker, Journalisten.
Die Menschen hätten geglaubt, der Chapo werde sie retten,
doch dann erschossen die Zetas einen seiner Söhne, auf dem
Parkplatz eines Shopping-Centers. "Die Leute begannen an ihrem Helden
zu zweifeln. Sie spürten Angst", sagt er. "Ist das nicht
schön, rein literarisch? "
Elmer Mendoza steht auf dem Friedhof von Culiacán, der
letzten Ruhestätte der Narcos. Es ist eine Totenstadt aus Marmor
und runden Kuppeln, genannt Jardines del Humaya, so groß wie
mehrere Fußballfelder, und sie wächst immer weiter,
überall wird gebaut und begraben.
Hier liegen sie alle wieder beieinander, die Bosse und ihre
Gegner, ihre Kinder und die 18-jährigen Killer, die sich am Ende
ihres zu kurzen Lebens wenigstens etwas Prunk leisten konnten. Die
überlebensgroßen Porträts von jungen Männern mit
harten Gesichtszügen hängen in zehn Meter hohen Mausoleen,
daneben Bilder ihrer Freundinnen und ihrer Waffen.
Nirgends in Culiacán ist die Macht der Drogenkartelle so
spürbar wie hier. Dies ist ihre Tempelstadt, und wer ihre
Totenruhe stört, muss nicht lange warten, bis er selbst
Todesdrohungen bekommt von den Spähern und den Wachen.
Warum sitzt El Chapo, der mächtigste aller Bosse, nicht im
Gefängnis, sondern seit Jahren in seinem Versteck? Weil der Staat
unfähig ist? Oder weil er ein Kartell protegiert?
Es gibt viele ernstzunehmende Leute, die sich sicher sind, dass
die Regierung mit dem Drogenboss ein Abkommen habe. Manche glauben, sie
wolle das Problem der Gewalt lösen, indem sie den Drogenhandel
einem Kartell überlasse.
In einem neu erschienenen Buch schreibt die investigative
Journalistin Anabel Hernandez, Präsident Vicente Fox habe dem
Chapo 2001 gegen 20 Millionen Dollar die Flucht aus einem
Hochsicherheitsgefängnis gestattet. Die Regierung Calderón
kenne seinen Aufenthaltsort, doch statt ihn zu verhaften, schalte sie
seine Feinde aus.
Es gibt viele Gerüchte in Mexiko und viele
Verschwörungstheorien, und vielleicht ist das Bemerkenswerteste
daran, was die Menschen ihrem Staat alles zutrauen. Das Vertrauen in
die Institutionen ist gering, und sie sind schwach. Erst seit 10 Jahren
ist Mexiko eine wirkliche Demokratie, 70 Jahre lang herrschte eine
Staatspartei, die Partei der Institutionalisierten Revolution. Sie
protegierte das organisierte Verbrechen und hielt es zugleich in
Schranken.
Präsident Calderón sagte den Kartellen zwar den Kampf
an, doch ihm fehlten die Mittel. Die Polizei ist auf fast allen Ebenen
korrupt, in Gemeinden sogar oft identisch mit dem herrschenden Kartell,
deswegen werden auch so viele Beamte ermordet. Das Justizsystem gilt
als genauso korrupt, die Staatsanwälte sind abhängig von der
Politik, die meisten Fälle gelangen nie zur Anklage, weil sie
verschlampt werden oder Angeklagte sich freikaufen.
Die Armee ist die einzige Institution, der Calderón
vertrauen kann. Aber die Geschichte von Ciudad Mier zeigt, wie wenig
sie auszurichten vermag. Soldaten können ein Territorium besetzen.
Sie können aber nicht ermitteln, nicht die Strukturen eines
Kartells durchdringen. Man müsse sich ein Kartell vorstellen wie
ein Logistikunternehmen mit einem militärischen Arm, sagt der
Sicherheitsberater Alberto Islas. Anstatt die Strukturen unter die Lupe
zu nehmen, liefere sich der Staat Scharmützel mit 18-jährigen
Fußsoldaten.
Der Staat hat kaum funktionierende Ermittlungsbehörden. Die
entscheidenden Informationen erhält Mexiko von US-Diensten, etwa
der Drogenermittlungsbehörde DEA. Die USA informieren die Armee
über den Aufenthaltsort von Drogenbossen, die mexikanischen
Soldaten nehmen sie gefangen oder töten sie. Diese
"Enthauptungsstrategie" führt zwar zu Erfolgsmeldungen, doch nicht
zum Erfolg. Die Kartelle ersetzen ihre Anführer rasch.
Der massive Einsatz der Armee ist auch eine Gefahr für die
Gesellschaft: Im ganzen Land werden den Soldaten Hunderte Fälle
von Menschenrechtsverletzungen und Folter vorgeworfen, sogar Morde.
Kritiker sagen, die große Zahl von Militäroperationen sei
überhaupt erst für die Gewalt verantwortlich, weil sie
Verteilungskämpfe auslösten.
Die eigentlichen Probleme Mexikos kann die Armee nicht
lösen: die Armut, die fehlende Bildung, die Schwäche des
Staates. Die meisten Experten sind sich einig, was Mexiko machen
müsste, um sich zu befreien. Die Frage ist nur, ob jemand die
politische Kraft hat, es zu tun.
Das Land sei weit davon entfernt, eine demokratisch gefestigte
Gesellschaft zu sein, sagt Luís Astorga, Sozialwissenschaftler
in Mexiko-City, und die große Aufgabe sei, einen Rechtsstaat zu
schaffen, der so stark ist, dass er der Macht und dem Geld der Kartelle
widerstehen kann. Dafür brauche es einen politischen Willen
über alle Parteien hinweg. Aber Vertreter jeder der drei
großen Parteien hätten ihre Hände im
Drogengeschäft.
Solange es keine unabhängigen Richter gebe, sagt Astorga,
werde man nie etwas mit Sicherheit wissen - etwa ob der Staat mit einem
Kartell kooperiere oder nicht.
Es gibt viele Leute, die sich nach einfachen Lösungen
sehnen. Die glauben, man könne zurückkehren zu den Zeiten,
als man die Kartelle gewähren ließ. Selbst Politiker sagen
in Hintergrundgesprächen, das Problem sei der Konsum in den USA,
man müsse einfach nur Marihuana legalisieren. Dabei sind die
Kartelle in bis zu 22 Typen von Verbrechen verwickelt - darunter
Filmpiraterie, Menschenhandel, Erpressung.
Vanda Felbab-Brown vom Think-Tank "Brookings Institution" in
Washington sagt, es sei zwar unvermeidbar gewesen, die Armee zu
involvieren, doch wichtig sei es nun, endlich eine funktionierende
Polizei aufzubauen. Es gibt zwar Pläne für eine nationale
Polizeireform, aber sie kommen nur langsam voran.
Edgardo Buscaglia, der Fachmann für Drogenkriminalität,
hat mit einem Team 17 Länder untersucht, die erfolgreich das
organisierte Verbrechen bekämpft haben. Er sagt, alle hätten
die gleichen vier wichtigen Schritte unternommen.
Es brauche erstens eine Reform des Justizwesens. Zweitens:
Gesetze gegen die Korruption in der Politik, denn 70 Prozent aller
Wahlkämpfe im Land würden teilweise mit Drogengeldern
finanziert.
Drittens müsse Mexiko die Gelder untersuchen, die vom
Drogengeschäft in die Wirtschaft fließen - 78 Prozent der
mexikanischen Wirtschaft hätten Verbindungen zu den
Drogenkartellen.
Und viertens: Sozialprogramme für die Jugend, wie es in
Kolumbien Medellín vorgemacht hat. Sie sollen andere
Perspektiven aufzeigen als ein Leben bei den Kartellen, das schnell zu
Ende sein kann.
Es gibt viele Ideen, aber wer soll sie umsetzen?
Javier Treviño, der Vizegouverneur von Nuevo León,
hat einen Plan, der aus vielen Powerpoint-Folien besteht. Er soll
Monterrey, seine Stadt, und seinen Bundesstaat befreien von der Gewalt.
Treviño, ein kleiner Mann mit Schnurrbart und Brille,
spricht Englisch mit amerikanischem Akzent, er hat in Harvard studiert,
war Diplomat und danach in der Privatwirtschaft, bis er in die Politik
zurückkehrte. Er ist einer der wenigen Menschen in Mexiko, die den
Glauben an die Gestaltungsmacht der Politik noch nicht verloren haben.
Vielleicht ist es auch eine Frage der Ehre für Monterrey,
die reichste Stadt Mexikos. Sie liegt im Nordosten des Landes, 140
Kilometer südlich der US-Grenze, zu drei Seiten umgeben von
Bergen, eine amerikanisch wirkende Stadt mit neuen Türmen aus Glas
und Marmor. Sie beherbergt viele der wichtigsten Unternehmen des Landes.
Es war ein Schock für ihre wohlhabenden Bürger, als zu
Beginn dieses Jahres plötzlich Kämpfer der Zetas und des
Golfkartells auf ihren Straßen aufeinander schossen. Der Kampf,
der auch in Ciudad Mier ausgetragen wurde, fand nun mitten in der
Wirtschaftsmetropole statt, die immer immun war gegen die Unordnung im
Rest Mexikos. Viele der Reichen verließen Monterrey oder gar das
Land, der Verleger der wichtigsten mexikanischen Zeitung floh nach
Dallas.
Javier Treviño ist stolz auf die 29 Folien seiner
Präsentation, er führt sie jedem Besucher vor. Sein Plan
sieht all die Dinge vor, die die Think-Tanks fordern: Sozialprogramme,
eine Justiz- und Strafrechtsreform. Der Staat Nuevo León hat
außerdem eine Einheitspolizei gegründet, die endlich sauber
und effektiv sein soll. Die Polizisten sollen regelmäßig
Lügendetektortests absolvieren, sie sollen so gut bezahlt werden,
dass sie nicht mehr auf Bestechungsgelder angewiesen sind, und
Stipendien für ihre Kinder bekommen.
Nuevo León soll ein Vorbild werden für ganz Mexiko,
sagt Treviño. Es ist ein gut klingender Plan. Es könnte
sogar klappen, man weiß es nicht. Es gäbe dann immerhin
einen Bundesstaat in Mexiko mit einer funktionierenden Polizei.
Javier Treviño will den Anfang machen, er will die
Institutionen stärken und damit die Gesellschaft. Und von wo aus
sollte das gelingen, wenn nicht von Monterrey, der modernsten Stadt des
Landes?
Er klickt weiter, die nächste Folie zeigt das
Straßennetz des Staates, zwei der fünf Hauptverkehrsachsen
in den Norden sind dunkelrot markiert, das heißt, sie sind sicher
befahrbar. Das Ziel für 2011 sei, sagt er, auch die drei anderen
sicher zu machen. ◆
---
Sonntag 19.12.10
Online-Therapie für Kokainschnupfer
Mit snowcontrol.ch wird die weltweit erste Selbsthilfeplattform
getestet
Von Gabriele Spiller
Das Therapieangebot im Internet soll die Hemmschwelle
herabsetzen, über den problematischen Kokainkonsum zu sprechen. In
wöchentlichen Lektionen wird der verantwortungsvolle Umgang mit
der Droge vermittelt.
Die Praxis des medizinischen Zentrums Gesundheitsangebot und
Information, kurz GAIN, liegt unauffällig zentral. Vom
unterirdischen Ausgang des Hauptbahnhofs kann man die Räume quasi
ungesehen betreten. Kokainkonsumenten wollen in der Regel auch nicht
bemerkt werden. Sie leben unter uns, 95Prozent von ihnen sind sozial
inte-griert, gehen einer geregelten Arbeit nach oder haben eine
Familie. Dennoch finden rund 200 Menschen pro Jahr den Weg zu den
Fachleuten im GAIN. Sie wollen einen kontrollierten und risikoarmen
Umgang mit ihrer Droge erlernen. Die wenigsten können sich ein
Leben ohne Kokain vorstellen.
Die Beratung und Behandlung bei Problemen mit Substanzkonsum ist
eine Leistung der Grundversicherung. Wie bei einem Arztbesuch kann man
einen Termin mit den Experten von GAIN vereinbaren und wird in den
ruhigen, gepflegten Praxisräumen empfangen. "Der Kokainkonsum ist
häufig eine Begleit-erscheinung einer psychischen Erkrankung"
erklärt Lars Stark, Psychotherapeut und ärztlicher Leiter von
GAIN. Depressionen, Angstgefühle, eine narzisstische
Persönlichkeitsstörung und eine Aufmerksamkeitsdefizit- oder
Hyperaktivitätsstörung (ADHS) können die Affinität
zu dieser Droge und anderen Stimulanzien fördern. Ist der Druck
hoch, greifen die Konsumenten zum Kokain, das durch die kurzfristige
Erhöhung des Dopaminspiegels für euphorische Gefühle,
Antriebssteigerung, Kontaktfreudigkeit, aber auch Allmachtsfantasien
sorgt. Drei Viertel von Starks Klienten sind Männer.
Drei Minuten dauert es ungefähr, bis die Wirkung nach dem
Schnupfen auftritt. Beim selteneren Rauchen und Spritzen tritt der Kick
bereits nach wenigen Sekunden ein. Was als Partydroge und
Freizeitkonsum beginnt, kann sich schnell zu einer psychischen und
körperlichen Abhängigkeit entwickeln. Den Ausstieg suchen die
Betroffenen meist, wenn das Leben ihnen mehr Verantwortung abverlangt:
beim Wechsel vom Angestellten zur Selbstständigkeit, nach dem
zweiten Kind, erzählt Stark. Irgendwann merkt man, dass man sein
Leben nicht mehr im Griff hat, und möchte dem Drang entkommen.
Es sind ganz subtile Auslöser, die dafür sorgen, dass
man auf einmal wieder ein Säckchen Kokain in der Hand hat.
Vielleicht ist man gerade mit dem Tram am Limmatplatz vorbeigefahren,
und wie automatisch ausgestiegen, um am Bancomaten Geld zu beziehen.
Von den 100 Franken ist man wieder für eine Weile versorgt,
zwanzig Portionen liegen drin. "Kokain ist keine Luxusdroge mehr",
beschreibt Stark die Problematik, entsprechend kommen seine Klienten
aus allen sozialen Schichten. Von Studenten über Handwerker bis zu
Managern aller Kaderstufen berät er die Personen, "die Verbreitung
in Zürich ist gegeben".
Die Scham ist gross und wird von den Therapeuten im GAIN mit viel
Respekt und Verständnis gegenüber den Betroffenen
entgegengenommen. Angehörige stellen manchmal den Erstkontakt her,
um sich selbst zu informieren und den Betroffenen gegebenenfalls zu
einer Konsultation zu bewegen. Druck führe aber häufig zu
einer Gegenreaktion, besser sei, sich darauf zu stützen, was man
beobachtet habe und was einem Sorgen bereite. "Mir fällt auf, dass
du dich in der letzten Zeit verändert hast." Oder: "Ich mache mir
Sorgen, weil ich weiss, dass Kokain eine Droge ist, die schnell und
stark abhängig macht." Solche Aussagen empfiehlt die Sucht Info
Schweiz alsangemessene Formulierungen in ihrem Info-Flyer im Internet.
Als weiteren Zugang mit niedriger Hemmschwelle bietet GAIN ein
internetbasiertes Programm an, das anonym, ortsunabhängig und
zeitlich flexibel dabei helfen kann, problematischen Konsum in den
Griff zu bekommen. DerBenutzer richtet sich ein
passwort-geschütztes Konto ein und kann, ohne persönliche
Angaben hinterlegen zu müssen, an einem achtwöchigen
Therapieprogramm teilnehmen. Ihm werden jede Woche neue Module
zugespielt, mit denen er nicht nur Wissen über die Substanz und
ihre Wirkung erwirbt, er kann auch ein Konsumtagebuch führen und
bekommt wichtige Verhaltenstipps.
"Welches sind die Orte, die Situationen, die Personen, die mich
zum Kokainkonsum animieren? Wie kann ich mich dem entziehen?" sind
einige der Fragen, mit denen der Teilnehmer sensibilisiert werden soll.
Es ist ein längerer Prozess, der nicht gleichmässig
verläuft, sondern meistens mehrere Anläufe braucht, weiss
Stark aus der Praxis.Habe man diesen Prozess aber einmal begonnen, so
gebe es schon nach sehr kurzer Zeit deutlich weniger Konsum, und der
komplette Verzicht könne nach einigen Monaten in greifbare
Nähe rücken.
Lars Stark
--
Gesundheit und Information (GAIN)
GAIN ist ein medizinisches Zentrum der Arbeitsgemeinschaft
für risikoarmen Umgang mit Drogen (ARUD) in Zürich. Seit fast
20 Jahren berät und behandelt die ARUD in ihren Suchthilfestellen
und drei Polikliniken Drogen konsumierende Menschen und deren
Angehörige. Ausserdem unterhält sie ein Gesundheitsangebot
für Männer, die Sex mit Männern haben. GAIN setzt auf
ein umfassendes Angebot aus einer Hand: Information,
psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung sowie
sozialarbeiterische Unterstützung werden verknüpft. Auch bei
Fragen zu Partydrogen, Cannabis, Tabak-, Alkohol- oder
Medikamentenmissbrauch stehen die Fachleute zur Verfügung. (az)
GAIN - Gesundheitsangebot und Information, Telefon 044 444 14 20.
http://www.gain-zh.ch,
http://www.snowcontrol.ch
---
Tagblatt der Stadt Zürich 15.12.10
"Risikobewusstsein nimmt oft ab"
Interview zum Thema Partydrogen
von Jan Strobel
Letzte Woche wurde eine junge Frau in einem Klub am
Albisriederplatz Opfer von K.-O.-Tropfen. Tina Schmitter von der
Organisation Eve & Rave kennt die Klubszene und fordert einen
risikobewussten Umgang mit Drogen.
Tagblatt der Stadt Zürich: Frau Schmitter, kann ich als
Partygast überhaupt merken, wenn sich in meinem Drink
K.-O.-Tropfen wie GHB oder GBL befinden?
Tina Schmitter: GHB ist fast geschmacksneutral, es schmeckt
höchstens leicht salzig. In einem alkoholischen Getränk kann
die Substanz nur schwer nachgewiesen werden. GBL dagegen ist
stärker im Geschmack, leichter erhältlich und wird daher in
den Klubs häufiger im Umlauf sein. Der Rausch macht sich zu Beginn
mit einem Schwebegefühl und einer Gelöstheit bemerkbar, kann
aber schnell zu Übelkeit, Benommenheit bis hin zu Bewusstlosigkeit
führen.
Wenn Partygänger die Kontrolle verlieren, behaupten sie oft,
jemand habe ihnen K.-O.-Tropfen in den Drink geschüttet.
Schmitter: Tatsächlich gibt es Klubbesucher, die sich selbst
überdosieren. Man sollte sich aber immer bewusst sein, dass der
Alkoholrausch ebenfalls zu einem Filmriss führen kann. Es gibt
sicher Personen, die sich lieber als GHB-Opfer darstellen, als
zuzugeben, dass sie zu viel getrunken haben. Dieses Verhalten schadet
den wirklichen GHB-Opfern, deren Glaubwürdigkeit deswegen
angezweifelt wird.
Welche Drogen sind in den Zürcher Klubs gerade im Umlauf?
Schmitter: Alkohol, Kokain, Amphetamine wie Speed oder
MDMA-Pillen. Da hat sich in letzter Zeit wenig geändert.
Gibt es neue Substanzen, die bisher in der hiesigen Partyszene
völlig unbekannt waren?
Schmitter: Es gibt immer wieder neue Designer-Drogen, sogenannte
Research Chemicals wie zum Beispiel Mephedron oder Spice. Sie wirken
ähnlich wie bereits bekannte Substanzen, sind aber am Anfang legal
erhältlich. Oft gibt es einen kurzen Hype, doch danach
verschwinden sie wieder oder werden kaum mehr konsumiert.
Ihre Organisation plädiert für einen risikobewussten
Umgang mit Drogen. Wie stellen Sie sich das vor?
Schmitter: Ein risikobewusster Umgang beginnt mit guten
Kenntnissen über die Substanz, das heisst über Wirkung,
Dosierung, Wirkdauer und Wechselwirkungen. Nur wenn man weiss, was
genau man konsumiert, ist das Risiko überhaupt abschätzbar.
Leider ist es so, dass das Risikobewusstsein mit zunehmendem Konsum oft
abnimmt.
Was sagen Sie jemandem, der Drogen radikal verbieten will?
Schmitter: Bewusstseinsverändernde Substanzen sind aus dem
Alltag nicht mehr wegzudenken. Einige Drogen sind gesellschaftlich
akzeptiert: Alkohol ist unserer Ansicht nach die Droge, die am meisten
Schäden anrichtet. Der Kaffee am Morgen, leistungssteigernde
Mittel im Sport, Energy-Drinks - das sind im weitesten Sinne Drogen.
Nicht zu vergessen die sogenannten Neuro-Enhancer wie Ritalin,
Modafinil und dergleichen. Die einen nehmen Drogen, um die geforderte
Leistung erbringen zu können; andere konsumieren Drogen für
den Ausgleich. Grenzen werden ständig überschritten. Weitere
Verbote bringen nichts. Stattdessen sollte die Selbstverantwortung
gefördert werden, und man sollte toleranter sein.
---
Le Matin 14.12.10
Cannabis swiss made
Chanvre indoor. La culture individuelle de cannabis continue sa
progression en Suisse. Mais gare à ceux qui voient trop grand.
A fin novembre, la police vaudoise a découvert une culture
de chanvre "indoor" au Mont-sur-Lausanne. La semaine dernière,
elle annonçait avoir arrêté un artisan de Lausanne,
reconverti dans la culture hors sol en pleine ville et trahi par des
cambrioleurs. Dimanche dernier, lors de l'incendie d'une ferme en
Appenzell, les policiers ont découvert une autre entreprise du
même genre. A chaque fois ce sont des centaines de plants qui ont
été saisis et détruits, ainsi que le
matériel usuel: lampes à sodium, ventilateurs et
système d'irrigation. Depuis 2001, les dénonciations
annuelles pour culture illégale du chanvre ont doublé en
Suisse, passant d'environ 350 à 800.
Porte-parole de la police vaudoise, Jean-Christophe Sauterel
estime que ces prises ne sont pas le fruit du hasard: "Pour des
cultures d'une certaine dimension, il est difficile de rester discret.
Il faut des locaux, de l'énergie, de l'eau, il y a l'odeur. On
vit dans un petit pays, tout se sait, tout se voit. Par contre, pour
les cultures dans la sphère privée avec quelques plants,
les risques sont moins grands. "
Patron d'un shop dans la région fribourgeoise, P. constate
dans ce contexte que la production individuelle est en hausse
constante: "Pour beaucoup de gens, qui travaillent dans le tertiaire
notamment, il est devenu de plus en plus problématique de se
fournir en produits finis dans la rue. De plus, la qualité n'est
pas garantie. Celui qui produit sait ce qu'il fume. Et avec cinq ou six
plants, cela suffit à sa consommation annuelle. " Mais il y a
aussi ceux qui se lancent pour faire de l'argent facile avec quelques
centaines de plants: "Ce n'est pas si facile que cela, prévient
P. Il faut pas mal d'heures de travail et de connaissances pour
éviter les maladies. Beaucoup abandonnent assez vite. " Ou se
font prendre.
Dans une récente intervention au Conseil national, la
radicale bernoise Christa Markwalder, favorable à la
dépénalisation du cannabis, estimait qu'aujourd'hui "8,7%
des consommateurs cultivent eux-mêmes". Ce qui
représenterait, sur une population estimée de 200 000
fumeurs réguliers, 17 500 plantations personnelles… En 2008,
avec environ 800 dénonciations, moins de 5% des contrevenants se
sont fait attraper.
Le phénomène n'est de loin pas
réservé à la Suisse. En France, l'Observatoire
national de la délinquance a rendu à fin novembre dernier
un rapport alarmant sur le phénomène de la culture indoor
"made in France": "La production nationale de cannabis a
décuplé en trente ans. " Il signale aussi que 80% des
producteurs le font aujourd'hui pour leur propre consommation. "La
France est très bien organisée, relève un membre
romand des Amis du chanvre, les producteurs ont plein de trucs et
d'astuces. Avec une demi-armoire, ils arrivent déjà
à bricoler quelque chose. Les Suisses, même dans
l'illégalité, font les choses d'une manière plus
réglementaire…"
----------------
MARAS
----------------
linksunten.indymedia.org 27.12.10
Maras (Jugendbanden) - Leben und Tod der Jugend Zentralamerikas
Verfasst von: cine rebelde
Zehntausende Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene von El Salvador
bis Los Angeles gelten als aktive Mitglieder in Jugendbanden, den so
genannten Maras. Es vergeht kein Tag, an dem die Gangmitglieder in der
Presse nicht mit Überfällen, räuberischen Erpressungen,
Morden, Waffen, und Drogen in Verbindung gebracht werden. Medien und
Politik verbreiten das Bild von amoralischen Wesen ohne Respekt
für das Leben, die mit Null Toleranz militärisch
bekämpft werden müssen.
Doch wer sind sie? Woher kommen sie? Was denken sie und welches Ziel
verfolgen sie? An diesem Abend wollen wir die soziale Realität der
Maras besser kennenlernen und über die Hintergründe
informieren. Kurzfilme und Vortrag. Anschließend nettes
Café Latino Ambiente.
Kurzfilme und Vortrag von Kathrin Zeiske, Journalistin und
Lateinamerika-Expertin
SUSI Treff, Haus A, Vaubanallee 2
Freitag 28.1, 20:30h
Nach dem Ende der militär-politischen Konflikte der 80er Jahre in
Zentralamerika wird das Vakuum, dass vom subversiven Aufständigen
hinterlassen wurde mit dem Bild des Verbrechers gefüllt -
amoralisch und pathologisch, mit Verbindungen zur organisierten
Kriminalität und zum Drogenhandel. In diesem Kontext erscheinen
die Jugendbanden, sogenannte Maras, als ideale Ziele um Repression
auszuüben und zu rechtfertigen.
Die Massenmedien und die politische Klasse verbreiten das Bild des
mareros (Gangmitglied), als ein Wesen ohne Respekt für das Leben,
moralisch und körperlich degradiert, ein Macho, hierarchisch und
erbarmungslos. Sie sehen in ihm den Verantwortlichen für die
Unsicherheit und die Gewalt, die in den zentralamerikanischen
Städten, Gefängnissen und Migrationsnetzwerken herrscht. Die
Kriminalisierung trifft nicht nur die Mitglieder der Jugendbanden und
deren Aktivitäten, sondern auch ein breites Spektrum sozialer
Akteure und Bewegungen.
Doch sind diese Jugendliche einzig für diese Gewalt
verantwortlich? Welche Beziehungen haben sie tatsächlich mit dem
Drogenhandel? Wie sind die Maras entstanden? Was denken sie und welche
Ziele verfolgen sie? Liegt in der Ausübung krimineller Handlungen
der eigentliche Beweggrund für die Jugendlichen sich zu Maras
zusammenzuschließen? Mit welchen anderen sozialen Realitäten
stehen sie in Verbindung?
Während diese Fragen oft unbeantwortet bleiben, üben die
Regierungen nacheinander ihre Politik der Null Toleranz aus. In El
Salvador und Honduras ist Mord die häufigste Todesursache für
Jugendliche. Sie sterben durch Schüsse, die von der Polizei oder
von ihren Rivalen und Feinden abgefeuert werden. Sie sterben auch als
Opfer ihrer eigenen Gewalt.
Mit dem Ziel diese Realität näher kennenzulernen und
darüber zu diskutieren, laden wir euch zu einem Reflexionsabend
ein, an dem Kurzfilme, Berichte und Erfahrungen zum Thema gezeigt
werden. Anschließend nettes Café Latino Ambiente.
Kurzfilme und Vortrag von Kathrin Zeiske, Journalistin und
Lateinamerika-Expertin
SUSI Treff, Haus A, Vaubanallee 2
Freitag 28.1, 20:30h
Veranstalter: Redaktionsgruppe poder latino beim Radio Dreyeckland,
cine rebelde
Siehe auch:
* Hintergründe zu den Maras (Jugendbanden) im Brennpunt
Lateinamerika
http://www.giga-hamburg.de/dl/download.php?d=/content/ilas/archiv/brennpunkt_la/bpk0405.pdf
* Artikel von Kathrin Zeiske "Krieg der Banden"
http://jungle-world.com/artikel/2009/19/34442.html
* Radio-Interview "sin nombres" unterwegs von Mittelamerika gen USA
http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=34587
----------------------
ANTI-ATOM
----------------------
Bund 27.12.10
Meinungen
Tribüne Das Ersatzkernkraftwerk Mühleberg ist wichtig
für den Kanton Bern.
Es wird noch viel diskutiert werden
Thomas Staffelbach
Der Verbrauch an elektrischer Energie ist in der Schweiz in den
letzten Jahren, mit wenigen Ausnahmen, kontinuierlich gestiegen.
Gleichzeitig nähern sich die ersten schweizerischen Kernkraftwerke
in absehbarer Zeit dem Ende ihrer Betriebsdauer. Höherer Verbrauch
auf der einen Seite und Rückgang der Produktion auf der anderen
Seite - die Schere, die sich öffnet, muss geschlossen werden. Der
Bundesrat hat hierzu eine Strategie verabschiedet, die auf 4
Säulen basiert. Energieeffizienz, neue erneuerbare Energien,
internationale Kooperationen und Grosskraftwerke (wobei Kernkraftwerke
explizit aufgeführt sind) sollen die Versorgung des Landes mit
Strom sicherstellen.
Bei der Resun, der Planungsgesellschaft der BKW und der Axpo
für die Ersatzkernkraftwerke, setzt sich das ganze Team dafür
ein, diese 4. Säule aufzubauen und dem Stimmvolk gut
ausgearbeitete und sichere Projekte zur Abstimmung voraussichtlich im
2013 vorzulegen.
Sicheres bauen und betreiben
Die Energiefrage ist eine der wichtigsten Fragen, die unsere
Gesellschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten
beschäftigen wird. Elektrische Energie, die bei uns rund 20
Prozent des gesamten Schweizer Energiebedarfs ausmacht, wird
zusätzlich an Bedeutung gewinnen. So trägt jede
Wärmepumpe zwar zur Reduktion des gesamten Energiebedarfs bei, der
Bedarf an elektrischer Energie wird jedoch gleichzeitig erhöht,
denn die Wärmepumpe läuft mit Strom.
Ich bin davon überzeugt, dass neue Kernkraftwerke sicher
gebaut und betrieben werden können. Die Nuklearbranche hat die
Erfahrung von über 10 000 Betriebsjahren weltweit genutzt und die
bestehenden und neuen Anlagen ständig weiterentwickelt. Diese
Entwicklung ist auch in die neusten Generationen von Reaktoren
eingeflossen, die wir für Mühleberg und Beznau in
Erwägung ziehen. Für mich spricht auch für die Projekte
in Mühleberg und Beznau, dass sie platzschonend gebaut werden
können. Auf rund 20 Hektaren können jeweils rund 1500
Megawatt elektrische Energie produziert werden. Diese Energiedichte
weist keine andere Produktionsart, die dabei ähnlich wenig CO2
produziert, auf.
Wichtiger politischer Prozess
Wir werden oft auf die Entsorgung nuklearer Abfälle
angesprochen. Aus meiner Sicht müssen wir die Frage der Entsorgung
nuklearer Abfälle lösen, unabhängig davon, ob wir neue
Werke bauen werden oder nicht. Der Bundesrat hat die Machbarkeit
für ein geologisches Tiefenlager attestiert. Der Sachplan für
ein geologisches Tiefenlager ist ein aufwendiger demokratischer
Prozess, der zu einem demokratisch legitimierten Standort führen
wird. Ich bin überzeugt, dass die Bevölkerung der Schweiz
sich ihrer Verantwortung bewusst ist und den Abfall aus den bestehenden
Kraftwerken, von denen wir über 40 Jahre zuverlässig und
sicher Strom bezogen haben, aber auch jenen aus Industrie und Medizin
im eigenen Land entsorgen wird. Die Lager werden wir bauen - mit
Weitsicht, auch im Hinblick auf zukünftige Herausforderungen.
Die Ersatzkernkraftwerke Mühleberg und Beznau befinden sich
in einem wichtigen politischen Prozess, dem
Rahmenbewilligungsverfahren. Dieser Prozess schliesst neben den
nuklearen Sicherheitsbehörden auch die Fachstellen des Bundes
sowie die Kantone und schliesslich jede Schweizerin und jeden Schweizer
ein. Mit einem fakultativen Referendum wird dieser Prozess
abgeschlossen werden. Wir sind froh, dass über die neuen
Kernkraftwerke abgestimmt wird, das gibt uns bei einem Ja den
notwendigen politischen Rückhalt, um die Werke zu realisieren. Ich
gehe davon aus, dass das Stimmvolk in der Energiefrage neben allem
Enthusiasmus und Engagement für neue erneuerbare Energien nicht
auf eine so tragende und bewährte Energieform wie die Kernkraft
verzichten wird.
Ein erster wichtiger Schritt im Rahmenbewilligungsverfahren ist
bereits erfolgt, das Ensi hat die Gutachten zu den
Rahmenbewilligungsgesuchen der neuen Werke erstellt und das BFE hat
diese veröffentlicht. Die Auflagenvorschläge des Ensi stossen
bei Resun offene Türen ein. Wir sind bereits an der Umsetzung der
Auflagenvorschläge. Für Mühleberg gab die Auflage
bezüglich einer möglichen Gefährdung durch
Hangrutschungen zu reden. Wir nehmen das ernst und werden zeigen, dass
ein Kraftwerk, welches einem Erdbeben standhält, das statistisch
nur alle 10 000 Jahre auftreten kann, gegen die viel geringere
Gefährdung durch eventuelle Hangrutsche mehr als genügend
gesichert ist.
Bei Resun arbeiten wir nun an der Erstellung der Unterlagen
für das Baubewilligungsgesuch. Wir wollen diese nach dem für
unser Projekt positiven Ausgang des entsprechenden Referendums
einreichen. Zu diesem Zweck hat die Resun jüngst mit der
Ausschreibung für zwei Anlagen den Beschaffungsprozess für
die neuen Werke initiiert. Mit der öffentlichen Ausschreibung im
selektiven Vergabeverfahren wird allen auf dem Markt tätigen
Anbietern die Möglichkeit gegeben, sich zu bewerben. Bei der
Einreichung des Baubewilligungsgesuchs wird der Kraftwerkstyp
festgelegt sein.
Dialog mit der Bevölkerung
Das Ersatzkernkraftwerk Mühleberg ist wichtig für den
Kanton Bern. Hier finden direkt und indirekt rund 1300 Personen eine
Stelle. Die Wertschöpfung wird jährlich 500 Millionen Franken
betragen. Der Kanton Bern soll meiner Meinung nach nicht auf hoch
qualifizierte Arbeitskräfte verzichten.
Ein derartig grosses Projekt - die Baustelle wird eine mit der
Westside-Baustelle vergleichbare Dimension haben - hat natürlich
auch unerfreuliche Auswirkungen. Es ist nicht möglich, ein Projekt
von dieser Grösse zu errichten, ohne dass es Betroffene gibt. Ich
kann diese sehr gut verstehen, auch ich hätte keine Freude an den
Belastungen während der Bauphase. Dass die Betroffenen sich
einbringen, unterstützen wir. Die BKW hat über die letzten
zwei Jahre mit den direkt Betroffenen, der Gemeinde Mühleberg und
auch der Region einen intensiven Dialog geführt. Es war uns
wichtig, eine Lösung für die Bauphase zu finden, die
Rücksicht auf die Betroffenen nimmt. Wir haben über 44
Varianten ausgearbeitet für die zusätzlichen
Infrastrukturanlagen, die es für den Bau braucht. Die Betroffenen
haben dann unter Federführung der Begleitgruppe der Gemeinde
Mühleberg dem Gemeinderat aus den vielen möglichen Varianten
drei vorgeschlagen. Der Gemeinderat hat der BKW die aus seiner Sicht
beste zur Weiterverfolgung vorgeschlagen. Wir sind überzeugt, dass
wir die bestmögliche Variante ermittelt haben. Mit den Betroffenen
bleiben wir weiterhin im Dialog bei der weiteren Ausarbeitung des
Projekts. Dadurch können alle Interessen optimal aufeinander
abgestimmt werden.
Bis die Werke dereinst ans Netz gehen wird noch viel diskutiert
werden. Wir setzen uns bei Resun tagtäglich dafür ein, dass
die Ersatzkernkraftwerke zu einer zuverlässigen und
tragfähigen Säule der schweizerischen Stromversorgung werden.
Thomas Staffelbach
Der Autor, geboren 1961, hat an der Universität Bern und in
den USA Umweltphysik studiert. Er ist Standortprojektleiter für
EKKM bei Resun und Mitglied der Geschäftsleitung von Resun.
---
NZZ 27.12.10
Ein wichtiges Jahr im Kampf um neue AKW
Der Kanton Bern stimmt über den Neubau des AKW
Mühleberg ab - ein Urnengang im nationalen Blickfeld
Der Kanton Bern stimmt im Februar über den Neubau des AKW
Mühleberg ab. Rechtlich geht es dabei nur um eine Stellungnahme
zum Projekt, doch politisch kommt dem Urnengang Symbolkraft über
die Kantonsgrenzen hinaus zu.
Daniel Gerny, Bern
Von der Abstimmung unmittelbar betroffen ist nur ein einziger
Kanton - und selbst dort hat das Ergebnis nur beschränkte Folgen.
Dennoch entwickelt sich der Urnengang vom 13. Februar, bei dem sich die
Stimmbürger des Kantons Bern zum Neubau des Kernkraftwerks
Mühleberg äussern, zu einer der höchstbeachteten
Abstimmungen des neuen Jahres mit Ausstrahlung in die ganze Schweiz. Es
ist das erste - und vorerst einzige - Mal, dass sich Bürger zu
einem neuen AKW äussern, bevor das Schweizervolk zum Abschluss des
Rahmenbewilligungsverfahrens zum Bau eines neuen Kraftwerkes Stellung
nehmen kann.
Regierung contra Parlament
Rein juristisch gesehen haben die Berner wenig zu entscheiden,
denn zur Debatte steht nur die Frage, ob sich der Kanton in seiner
Stellungnahme zum Rahmenbewilligungsgesuch für einen Neubau
positiv oder negativ äussert. Auch die Kantone Solothurn und
Aargau, in denen sich die Standorte Gösgen und Beznau befinden,
müssen dem Bund bis zum März solche Stellungnahmen abliefern.
Der Kanton Bern ruft nun zu diesem Zweck die Stimmbürger an die
Urne. Der Grund dafür ist, dass Regierung und Parlament in Bezug
auf den Mühleberg-Neubau diametral unterschiedlicher Meinung sind.
Denn Berns Regierung verfügt über eine rot-grüne
Mehrheit, während das Parlament klar bürgerlich geprägt
ist. Im Frühling machte die Regierung klar, dass sie gegen einen
AKW-Neubau in Mühleberg ist: Ein Ersatz stünde im Widerspruch
zu den Zielen der kantonalen Energiestrategie, die einen
mittelfristigen Ausstieg aus der Kernenergie vorsehe, erklärte er.
Der Grosse Rat verpflichtete den Regierungsrat indessen zu einer
positiven Stellungnahme und unterstützte im November
ausdrücklich den Ersatz des AKW Mühleberg. Der Entscheid
für die positive Stellungnahme zuhanden des Bundes wurde aber dem
Referendum unterstellt.
Die erste Abstimmung
Geplant ist in Mühleberg ein Kraftwerk mit einem sogenannten
Hybridkühlturm und einer Leistung von 1600 Megawatt, was rund dem
Vierfachen der heutigen Leistung entspricht. Sprechen sich die Berner
im Februar gegen das Projekt aus, wird es für den Stromkonzern
BKW, der das heutige AKW Mühleberg betreibt und das Gesuch um eine
Rahmenbewilligung eingereicht hat, politisch praktisch unmöglich,
dem Neubau doch noch zum Durchbruch verhelfen. Das allein schon
rechtfertigt den sich abzeichnenden Grosseinsatz auf beiden Seiten:
Bereits im November, kurz nachdem sich die Stadt Bern in einer
Volksabstimmung für den Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahre
2039 ausgesprochen hatte, waren Abstimmungsinserate erschienen.
Doch die Abstimmung ist darüber hinaus ein Stimmungstest mit
Blick auf den nationalen Urnengang, mit dem im Jahre 2013 oder 2014
gerechnet wird. Im Unterschied zu den bestehenden Kraftwerken, zu denen
das Volk noch nicht befragt werden musste, ist für den Bau der
künftigen AKW die Zustimmung der Stimmbürger erforderlich.
Voraussichtlich übernächstes Jahr entscheiden Bundesrat und
Parlament über die Rahmenbewilligungen, die dann dem fakultativen
Referendum unterliegen. Der Berner Urnengang ist aber nicht nur eine
landesweite Premiere, sondern bis anhin auch die einzige Abstimmung. In
den Kantonen Aargau und Solothurn, wo die Kraftwerke Beznau und
Gösgen stehen, wird die Stellungnahme von der Regierung,
gestützt auf ein Richtplanverfahren, verfasst.
Stadt linker als das Land
Wie die Abstimmung ausgeht, ist schwer vorauszusagen. Dass die
Stadtberner mit über 60 Prozent Zustimmung eindeutig für den
Atomausstieg bis 2039 votierten, darf nur beschränkt als Hinweis
auf das Resultat gedeutet werden. Denn einerseits ging es bei dieser
Vorlage um eine strategische Ausrichtung der Energie Wasser Bern als
Lieferant für kernkraftfreie Elektrizität im oberen Segment -
eine Positionierung, der auch Teile der bürgerlichen Parteien
zustimmen konnten. Und andererseits stimmen die Städte im Kanton
Bern deutlich linker als die nach wie vor konservativ geprägten
ländlichen Gebiete. Für Konfliktstoff ist gesorgt, das Klima
wird gehässiger.
Bereits liegen sich die Regierung und die BKW über die
Investitionskosten für das neue Kraftwerk in den Haaren, wobei die
Regierung - entsprechend ihrer Haltung zur Kernkraft - von deutlich
höheren Kosten ausgeht. Und auf die Frage, ob sie sich im
Abstimmungskampf an den Grossratsbeschluss halten werde, der eine
positive Stellungnahme verlangt, antwortete die Berner
Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer (sp.), sie werde die Position
des Parlamentes wohl darlegen - ohne aber mit der Meinung der Regierung
hinter dem Berg zu halten.
--
Der Weg zu einem neuen AKW
dgy. · 2008 haben drei Stromkonzerne Gesuche für eine
Rahmenbewilligung für ein neues AKW eingereicht: die Alpiq im
solothurnischen Gösgen, die Axpo im aargauischen Beznau und die
BKW im bernischen Mühleberg. Im nächsten Jahr nehmen die
Kantone Stellung zu den Plänen, bevor der Bundesrat 2012 über
die Rahmenbewilligungen und allfällige Einsprachen entscheidet.
Danach folgen die Genehmigung durch das Parlament und die
Referendumsabstimmung, voraussichtlich im Jahre 2013 oder 2014. Es
folgen weitere Bewilligungsschritte, die angefochten werden
können. Es ist nicht damit zu rechnen, dass ein neues AKW vor 2022
ans Netz geht.
---
Oltner Tagblatt 27.12.10
Anhörung zum geologischen Sachplan zum Tiefenlager
Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr,
Energie und Kommunikation UVEK führte vom 1. September bis 30.
November 2010 eine Anhörung zum "Sachplan geologische Tiefenlager"
durch.
Dabei ist vorderhand der Hinweis erlaubt, dass der Sachplan zum
geologischen Tiefenlager in keiner Art und Weise mit dem Bau eines
neuen Kernkraftwerkes und den damit verbundenen Richtlinienanpassungen
in einer Verbindung steht. Diese beiden Geschäfte sind rechtlich
vollständig zu unterscheiden, entfalten aber in tatsächlicher
Weise eine grosse Wirkung, insbesondere wenn beide realisiert werden
würden. Hinzu tritt der Umstand, dass es sich beim Sachplan zum
geologischen Tiefenlager um eine derart komplexe Materie handelt, die
aus Sicht des Regionalvereins OGG in der kurzen Frist nur schwer
vollständig verstanden und bearbeitet werden konnte. Aus diesen
Gründen hat der Regionalverein OGG entschieden, eine Arbeitsgruppe
zur Ausarbeitung einer Stellungnahme ins Leben zu rufen. Das
entsprechende Resultat soll es den Gemeinden erleichtern, einen
Überblick zu gewinnen und eine entsprechende Stellungnahme
vorzubereiten und zu versenden.
Das Verfahren zur Erhebung der entsprechenden Grundlagen wurde
vom Bund in drei Etappen gegliedert. In der ersten Etappe sollte
ursprünglich der geeignetste Standort eruiert werden. Dies war
gleich gesetzt mit dem sichersten Standort. Die bisherigen
Abklärungen haben aber ergeben, dass der sicherste Standort im
Zürcher Weinland liegt, wo ein erheblicher Widerstand gegen ein
Tiefenlager aufgebaut worden ist. Danach hat sich der Bund entschieden,
nicht mehr vom sichersten Standort, sondern von der sogenannten
relativen Sicherheit zu sprechen, welche als Minimalstandard gelten
soll. Damit waren auf einmal auch die anderen potenziellen Standorte,
darunter auch der Jura-Südfuss, wieder interessant und das
ursprünglich zentralste Kriterium (Sicherheit) für die
Standortwahl wurde vom Bund aufgegeben bzw. relativiert. Damit liegt
die Vermutung nahe, dass der Bund das ganze Auswahlverfahren dergestalt
aufbauen wird, dass schliesslich der Standort ausgewählt wird,
welcher am wenigsten Widerstand bieten kann.
Weiter sollte in der Etappe 1 eine Partizipation aufgebaut
werden, damit sich sämtliche betroffenen Gemeinden und
Institutionen genügend vernehmen lassen können. Der Bund geht
mutmasslich davon aus, dass sich Gemeinden nur ungenügend
zusammenschliessen und daher im Anhörungsverfahren nur
Einzelinteressen verfolgen können. Hier soll im Gebiet des
Jura-Südfusses der Regionalverein OGG die Stimme der Gemeinden
übernehmen können, ohne dass die Gemeindeautonomie verletzt
würde. Dabei bietet die Plattform Jura-Südfuss eine zentrale
Unterstützung. Dementsprechend arbeitete der Regionalverein OGG
einen Entwurf für eine mögliche Stellungnahme aus, damit
sämtliche Gemeinden, nebst den eigenen Anliegen, auch die
zentralsten Punkte gegenüber dem Bund thematisieren können,
um eine grossflächige Wirkung zu erzielen. Zusammenfassend war der
Gemeinderat mit dem Entwurf der Stellungnahme des Regionalvereins OGG
einverstanden. Zusammenfassend hat der Ergebnisbericht gezeigt, dass
der Jura-Südfuss auch in tektonisch-geologischer Hinsicht nicht
geeignet und damit nicht der sicherste Standort ist. Demnach lehnt auch
der Gemeinderat von Wangen einhellig ein geologisches Tiefenlager auf
diesem Standort ab.
---
Bund 24.12.10
Drei Stromkonzerne wollen gemeinsam zwei AKW bauen
Axpo, Alpiq und BKW einigten sich im Prinzip auf zwei AKW - die
Standortfrage bleibt aber offen.
Simon Thönen
Eine gemeinsame Planungsgesellschaft der Stromkonzerne Axpo,
Alpiq und BKW soll die Projekte für zwei neue Kernkraftwerke
vorantreiben. Dies gaben die drei Konzerne gestern bekannt - und
bezeichneten die Einigung als "Meilenstein" und "wichtigen Durchbruch".
Jahrelang hatten sie vergeblich versucht, sich auf zwei neue AKW zu
einigen, weil jeder Konzern auf seinem eigenen Projekt beharrte. "Es
ist ein guter Schritt für die Stromversorgung", sagte BKW-Chef
Kurt Rohrbach gestern auf Anfrage, "er bringt Vereinfachungen im
Bewilligungsverfahren und ermöglicht Synergien."
Nicht einigen konnten sich die Stromkonzerne jedoch auf die
Standorte für die zwei neuen AKW. Dies soll 2012 entschieden
werden. Falls die Behörden alle drei Projekte als gleichwertig
erachten, sollen Beznau und Mühleberg den Vorrang erhalten.
Aufgeteilt wurde die Stromproduktion der künftigen AKW: Die Axpo
Holding erhielte 59, die Alpiq 24 und die BKW 17 Prozent des Stroms der
zwei Werke.
AKW-Gegner: "Pseudo-Einigung"
Die Konzerne hätten sich "nur vermeintlich geeinigt",
kommentierte die "Allianz Nein zu neuen AKW" in einer Mitteilung. Der
Standortentscheid werde faktisch den Bundesbehörden
überlassen. Die "Stromproduktion aus Uran" bezeichnete die Allianz
als ein "Auslaufmodell und eine Fehlinvestition". Auch die Grüne
Partei der Schweiz bezeichnete die Übereinkunft als
"Pseudo-Einigung". — Kommentar rechts, Seite 13
--
Stromkonzerne einigen sich im Grundsatz auf zwei AKW-Projekte
Der grösste Teil der Stromproduktion eines AKW
Mühleberg II ginge an die ausserkantonale Axpo.
Simon Thönen
Die drei Stromkonzerne Axpo, Alpiq und BKW wollen eine gemeinsame
Planungsgesellschaft für den Bau von zwei neuen Kernkraftwerken
gründen, wie sie gestern mitteilten. Vereinbart wurde auch, dass
man für die zwei AKW-Projekte denselben Reaktortyp wählen
wird. "Die nun erreichte Einigung ist ein wichtiger Durchbruch",
betonte Axpo-Chef Heinz Karrer.
Bisher sind Gesuche für drei AKW bei den Bundesbehörden
hängig. Die Axpo und die BKW möchten in Beznau und
Mühleberg je ein neues Werk bauen, die Alpiq eines in Gösgen.
Auch nach Ansicht der Elektrizitätswirtschaft sind jedoch bloss
zwei AKW nötig. Jahrelang hatten die Konzerne erfolglos um eine
Einigung auf zwei Projekte gerungen.
Auch mit der Übereinkunft bleibt jedoch die Standortfrage
offen: Wo die zwei neuen AKW stehen sollen, wollen die Konzerne
entscheiden, bevor sich der Bundesrat 2012 zu den Gesuchen
äussert. Stimmt die Landesregierung zu, wird das
eidgenössische Parlament und aller Voraussicht nach 2013 oder 2014
letztlich das Schweizer Volk in einer Volksabstimmung entscheiden, ob
neue AKW gebaut werden.
Favoriten Beznau und Mühleberg?
Vorerst bleiben alle drei AKW-Projekte im Rennen. Geeinigt haben
sich die Konzerne erst auf das weitere Vorgehen: Falls die
zuständigen Bundesämter und die Nuklearaufsicht die drei
Projekte als gleichwertig beurteilen sollten, "werden die Standorte in
der Reihenfolge der Ausserbetriebnahme der bestehenden Anlagen
berücksichtigt", teilte die BKW mit. Das heisst: Am Standort der
älteren AKW in Beznau und Mühleberg würden die zwei
neuen Werke gebaut - Gösgen würde ausscheiden.
Allerdings steht demnächst ein weiterer Vorentscheid an: Am
13. Februar stimmt das Volk im Kanton Bern über Mühleberg II
ab. Sollte das Berner Volk Nein sagen, dann wäre Mühleberg
als Standort für ein neues AKW erledigt. Zudem hätte ein Nein
im Kanton Bern wohl eine erhebliche Signalwirkung für eine
spätere nationale Volksabstimmung. Sollte das Berner Volk hingegen
zustimmen, dann macht die Übereinkunft der Stromkonzerne es nun
wahrscheinlicher, dass in Mühleberg tatsächlich ein neues AKW
gebaut wird.
Dies jedenfalls dann, wenn die Projekte in der Beurteilung der
Bundesbehörden wirklich gleich gut abschneiden sollten. In einer
ersten Beurteilung hatte die Nuklearaufsicht ENSI bei den Gesuchen
für Mühleberg und Beznau mehr Nachbesserungen gefordert als
bei jenem für Gösgen. Bei Mühleberg bemängelte das
ENSI etwa, dass die Gefahr von Felsstürzen und Erdrutschen beim
nahen Hang zu wenig abgeklärt sei. Die BKW hatte dies erst im
Baubewilligungsverfahren klären wollen. "Nun werden wir diesen
Punkt einfach ein bisschen früher vertiefen müssen", sagte
BKW-Chef Kurt Rohrbach auf Anfrage.
Axpo erhielte den meisten Strom
Obwohl die Übereinkunft der Stromkonzerne ihr Projekt
Gösgen benachteiligt, stellt die Alpiq diese nicht in Frage.
"Entscheidend ist, dass wir an allen neuen Kernkraftwerken
gleichermassen beteiligt sein werden, unabhängig vom Standort",
sagte Alpiq-Sprecher Martin Bahnmüller der Agentur SDA. Denn die
Konzerne legten auch fest, wie die Kosten und die Stromproduktion
aufgeteilt würden: Beim zweiten Werk, also voraussichtlich
Mühleberg II, erhielte die Axpo Holding 59 Prozent des Stroms, die
Alpiq 25,5 und die BKW 15,5 Prozent. Beim ersten neuen AKW wäre
der Anteil der BKW leicht höher, jener der Alpiq entsprechend
tiefer.
Macht dies die bernische BKW ausgerechnet bei Mühleberg II
zum Juniorpartner? Rohrbach verneint: "Wir sind beim
Ersatzkernkraftwerk Mühleberg der Partner mit der
Betriebsführung." Obwohl die BKW den kleinsten Teil der
Investitionskosten tragen würde, strebt sie eine Aktienmehrheit
bei der Betriebsgesellschaft an. Dies sei nicht unüblich, meinte
Rohrbach. So habe die BKW bei französischen AKW Investitionskosten
übernommen und dafür Strombezugsrechte erhalten, ohne am
Aktienkapital beteiligt zu sein. Klar ist aber: Den Strom aus
Mühleberg II würde in erster Linie die ausserkantonale Axpo
erhalten.
--
Berner Volk stimmt auch über Atomzwischenlager ab
Am 13. Februar stimmt das Volk im Kanton Bern über ein neues
AKW in Mühleberg ab - aber nicht nur. Gemäss der neuesten
Ausgabe der Zeitschrift "Beobachter" ist mit dem neuen AKW auch ein
Zwischenlager für radioaktive Abfälle eingeplant. Dasselbe
gelte für die Projekte für neue AKW in Beznau und Gösgen.
In den eingeplanten Zwischenlagern hätten laut "Beobachter"
auch Brennelemente aus den an diesen Standorten bereits bestehenden
Atomkraftwerken Platz sowie verstrahlte Anlageteile, die anfallen, wenn
die alten AKW dereinst abgerissen werden. "In Mühleberg
könnte die Halle bis 200 Meter lang und 80 Meter breit sein",
schreibt die Zeitschrift.
"Bei einem neuen Kernkraftwerk müssen die Brennelemente bis
zum Abtransport gelagert werden", sagte dazu BKW-Chef Kurt Rohrbach auf
Anfrage. "Dieses Lager könnte man für beide Werke gemeinsam
nutzen." Zum Beispiel könnte das bestehende Kernkraftwerk
Mühleberg nach Betriebsende rascher zurückgebaut werden, wenn
das Lager auf dem Gelände ausreichend gross wäre.
Für die kantonale SP bedeutet ein neues Zwischenlager
hingegen "ein zusätzliches grosses Risiko für den ganzen
Kanton, am stärksten für die Bewohnerinnen und Bewohner der
umliegenden Gemeinden", wie sie in einer Mitteilung schreibt. Zwar habe
die Partei Verständnis dafür, dass es wegen des Widerstands
gegen Endlager vorerst Zwischenlager brauche. Die Bevölkerung
müsse aber vor der Volksabstimmung zu Mühleberg II über
die Risiken informiert werden.(st)
--
Kommentar
Mühleberg II würde kein Berner Projekt
Simon Thönen
Jahrelang hatten die Anhänger der Atomenergie die drei
Stromkonzerne Axpo, Alpiq und BKW ermahnt, sich auf zwei Projekte
für neue Kernkraftwerke zu einigen. Doch keiner der Konzerne
wollte auf sein eigenes neues Atomkraftwerk verzichten, obwohl die
Branche selber nur zwei AKW als nötig erachtet. Die
Befürchtung der AKW-Befürworter war: Das Schweizervolk wird
neuen AKW nicht zustimmen, falls die Branche mit drei AKW - einem zu
viel - zur nationalen Volksabstimmung antreten würde, die 2013
oder 2014 stattfinden wird.
Gestern verkündeten die Stromkonzerne den "Durchbruch": Die
drei Konzerne wollen gemeinsam zwei AKW bauen. Nicht einigen konnte man
sich aber in der Standortfrage - dem eigentlichen Streitpunkt. Hier
legte man lediglich ein Vorgehen fest, das den Standorten Beznau und
Mühleberg einen Vorteil vor Gösgen verschafft. Entscheiden
will man 2012.
Doch der Entscheid über einen der Standorte wird bereits in
weniger als zwei Monaten fallen: Am 13. Februar stimmt das Volk im
Kanton Bern über ein neues AKW in Mühleberg ab. Zwar handelt
es sich bloss um eine konsultative Volksabstimmung. Dennoch ist klar:
Mühleberg wäre als Standort für ein neues AKW erledigt,
falls das bernische Volk Nein sagen sollte. Resultiert ein Ja, dann ist
mit der Übereinkunft der Konzerne die Wahrscheinlichkeit
grösser geworden, dass Mühleberg II eines der zwei AKW sein
wird, das dem Schweizervolk zum Entscheid vorgelegt wird.
Dies ist der eine Punkt, der im gestern verkündeten
Übereinkommen der Stromkonzerne für die bernischen
Stimmberechtigten relevant ist. Von möglicherweise grösserer
Bedeutung ist ein zweiter Punkt: Die bernische BKW wird nur rund ein
Sechstel der Investitionskosten von Mühleberg II tragen - und nur
rund ein Sechstel des Stroms erhalten. Dies mindert das finanzielle
Risiko für die BKW, es macht Mühleberg II aber zu einem
hauptsächlich ausserkantonalen Projekt. Zwar läge das AKW mit
seinen Arbeitsplätzen - aber auch mit dem zwar kleinen, aber
vorhandenen Risiko eines atomaren Super-GAU - in der Region Bern. Den
Hauptnutzen eines AKW, die grosse Strommenge, hätte aber
grösstenteils der ausserkantonale Konzern Axpo.
---
BZ 24.12.10
BKW muss die Macht teilen
AtomkraftwerkeWird in Mühleberg ein neues AKW gebaut, wird
die BKW daran nur eine Minderheitsbeteiligung halten.
Die drei Stromkonzerne Alpiq, Axpo und BKW haben sich
darüber geeinigt, wer welchen Anteil an den geplanten neuen
Atomkraftwerken halten würde. Die Axpo erhält mit 59 Prozent
pro AKW den grössten Anteil, gefolgt von der Alpiq mit 25,5 und
der BKW mit 15,5 Prozent. Diese Verteilung widerspiegelt eins zu eins
die heutigen Anteile an der Atomstromproduktion.
Das bedeutet auch: Die BKW, die das heutige AKW Mühleberg
alleine besitzt und betreibt, müsste sich nach der Realisierung
eines neuen AKW in Mühleberg mit der Rolle der
Minderheitsaktionärin zufriedengeben. Damit kann der Berner
Stromkonzern aber offenbar gut leben: "Wir sind zufrieden, dass wir
eine Einigung gefunden haben", sagt Mediensprecher Antonio Sommavilla.
Die BKW hätte aber, sollte Mühleberg 2 den Zuschlag
erhalten, den Vorteil, dass das Know-how im Unternehmen gehalten werden
könnte. Zudem könnte die BKW dank dem neuen Werk tausend
Arbeitsplätze anbieten. Das sind rund siebenhundert Angestellte
mehr, als in der heutigen Anlage beschäftigt sind.
Was die Strommenge betrifft, so hat der neue
Verteilschlüssel laut BKW keine negativen Konsequenzen. Mit der
garantierten Stromleistung von 500 Megawatt könne die BKW die
Stromversorgung in ihrem Einzugsgebiet nach wie vor sicherstellen.
Positive Auswirkungen hat der neue Schlüssel auf das
finanzielle Risiko der BKW. Die geschätzten rund 9 Milliarden
Franken, welche ein neues AKW kostet, müsste sie ebenfalls nur
anteilsmässig tragen.
Auch nach der Einigung der drei Stromkonzerne bleibt eine der
wichtigsten Fragen nach wie vor offen: Alpiq, Axpo und BKW haben es
noch nicht geschafft, sich auf zwei AKW-Standorte zu einigen. Weil
maximal zwei neue AKW gebaut werden und drei Orte im Rennen sind, ist
einer überflüssig. Bis 2012 wollen sie diese Frage
klären.phmSeite 13
--
Mühleberg: BKW regiert nicht alleine
AtomkraftwerkeWird in Mühleberg ein neues AKW gebaut, so
wird die BKW daran nur mit 15,5 Prozent beteiligt sein. Die
grösseren Anteile stehen den Stromkonzernen Axpo und Alpiq zu.
Auch den Gewinn aus dem Stromverkauf müsste die BKW teilen.
Das heutige Atomkraftwerk Mühleberg ist vollständig in
Besitz des Berner Stromkonzerns BKW. Demzufolge fliessen auch alle
Gewinne, die das AKW abwirft, zu vollen Teilen in die BKW-Kasse.
Mit dem neuen AKW-Zeitalter wird sich nun auch die Besitzstruktur
ändern. Bekanntlich wollen die drei Stromunternehmen Axpo, Alpiq
und BKW die beiden neuen Atomkraftwerke der Schweiz - sollte das Volk
denn überhaupt Ja zu neuen Werken sagen - als Partnerwerke
führen. Gestern haben die drei Konzerne den Verteilschlüssel
bekannt gegeben, auf den sie sich nach auffallend langen Verhandlungen
einigen konnten.
BKW mit kleinstem Anteil
Der Schlüssel widerspiegelt exakt die heutigen Anteile an
der Atomstromproduktion in der Schweiz. Demnach wird die Axpo mit
jeweils 59 Prozent an den neuen AKW beteiligt sein. Der Anteil von
Alpiq liegt bei 25,5 Prozent, jener der BKW bei 15,5 Prozent. Für
das erste AKW, das ersetzt wird, wird dieser Verteilschlüssel
jedoch zugunsten der BKW und zulasten von Alpiq um 3 Prozent verschoben
(siehe Tabelle). Der Grund dafür liegt unter anderem darin, dass
Alpiq "ihr" AKW in Gösgen erst 2040 und damit deutlich später
abschalten muss als die BKW jenes in Mühleberg (zirka 2022).
Obwohl die BKW den kleinsten Anteil an den neuen AKW halten wird,
kann sie offenbar gut damit leben: "Wir sind zufrieden, dass wir eine
Einigung gefunden haben", sagt Mediensprecher Antonio Sommavilla. Er
weist darauf hin, dass die BKW mit diesen Anteilsverhältnissen die
Stromversorgung in ihrem Einzugsgebiet nach wie vor werde sicherstellen
können. Tatsächlich bleibt die Atomstrommenge für die
BKW in etwa gleich: Das heutige AKW Mühleberg hat eine
installierte Leistung von 372 Megawatt, zusätzlich besteht ein
Strombezugsvertrag über 88 Megawatt mit dem AKW im
französischen Kessenheim. Der neue Verteilschlüssel
garantiert der BKW Kraftwerksanteile im Umfang von 500 Megawatt.
Wird in Mühleberg ein Atomkraftwerk der neusten Generation
gebaut, müsste die BKW zwar auch dort die Minderheitsbeteiligung
in Kauf nehmen, sie hätte aber einen grossen Vorteil: Sie
dürfte das Werk betreiben und könnte das Know-how innerhalb
des Unternehmens halten. Zudem würde die neue Anlage rund tausend
Personen Arbeit geben.
Geringeres Risiko
Der Minderheitsanteil der BKW wird sich auch auf die Finanzierung
der neuen AKW auswirken, weil die Baukosten nach dem gleichen
Verteilschlüssel aufgesplittet werden. Ausgehend von einer
mittleren Schätzung, dass ein neues AKW rund 9 Milliarden Franken
kostet, würde die BKW an das eine Werk 1,7 Milliarden (18,5%) und
an das zweite 1,4 Milliarden (15,5%) beisteuern. Das bedeutet, dass die
Investition für die BKW tiefer ausfallen wird als angenommen.
Zweite Konsequenz: Das finanzielle Risiko, das der Kanton Bern als
Hauptaktionärin der BKW trägt, sinkt im selben Mass.
Auch wenn die drei Stromkonzerne die Einigung auf den
Verteilschlüssel als "Meilenstein" bezeichnen: In der
entscheidenden Frage haben sie sich noch immer nicht angenähert.
So bleibt nach wie vor offen, an welchen zwei Standorten sie neue AKW
bauen wollen (siehe Kasten). Der Standortpoker geht also weiter.
Philippe Müller
--
Standortpoker
Keine Einigung Seit Herbst 2009 verhandeln die drei Stromkonzerne
Alpiq, Axpo und BKW über die Standorte allfälliger neuer
Atomkraftwerke. Weil alle drei Konzerne je ein neues AKW bauen wollen,
es in der Schweiz aber höchstens deren zwei braucht, müsste
ein Konzern auf sein Projekt verzichten.
Dazu ist aber niemand freiwillig bereit. Gestern liessen die
Stromriesen verlauten, sie wollten sich bis 2012 auf zwei Standorte
einigen. Dafür sollen sämtliche Erkenntnisse, die bis dahin
vorliegen, berücksichtigt werden. Sollten dann immer noch alle
Projekte gleichwertig sein, soll die natürliche Reihenfolge zum
Zug kommen. Das heisst: Die beiden Werke, die als erste vom Netz
müssen, sollen zuerst ersetzt werden. Das wären Beznau und
Mühleberg. Sagt aber beispielsweise das Berner Stimmvolk am 13.
Februar Nein zu Mühleberg, hätte die BKW schlechte Karten.phm
--
BZ Kommentar
Gespielte Einigkeit
Redaktor Philippe Müller zur AKW-Debatte
Drei Stromkonzerne kämpfen seit mehr als einem Jahr
dafür, dass in ihrem Hoheitsgebiet ein neues Atomkraftwerk gebaut
wird. In diesem Kampf gibt es zwei Lager: die BKW und die Axpo, die
sich gemeinsam für den Ersatz der beiden AKW in Beznau und
Mühleberg einsetzen, und auf der anderen Seite die Solothurner
Alpiq, die in Gösgen ein neues Atomkraftwerk bauen will. Weil
Gösgen länger am Netz bleiben kann als Beznau und
Mühleberg, hat Alpiq etwas schlechtere Karten. Das Verhältnis
zwischen den beiden Lagern war bisher geprägt von Rivalität.
Gestern nun stellten die drei Konzerne den Verteilschlüssel
zum Betrieb der neuen Atomkraftwerke vor und sprachen von einem
"Meilenstein" und einer wichtigen Einigung. Diese Einigkeit ist aber
nur gespielt. Denn die Eigeninteressen stehen immer noch im
Vordergrund. Nach wie vor ist keiner der drei Stromriesen bereit,
zugunsten eines Konkurrenten das eigene Projekt zurückzustellen.
Und nach wie vor ist klar, dass jeder der drei Konzerne lieber als
AKW-Betreiber als "nur" als Partner auftritt. Deshalb dürfte Alpiq
insgeheim darauf hoffen, dass sich das Berner Stimmvolk am 13. Februar
gegen den Bau von Mühleberg 2 ausspricht. Das würde die
Position von Alpiq stärken, und die BKW wäre faktisch wohl
aus dem Rennen.
philippe.mueller@
---
20 Minuten 24.12.10
AKW Mühleberg: Entscheid rückt näher
BERN. Ob in Mühleberg ein neues AKW gebaut wird, ist nach
wie vor offen. Ein wichtiger Vorentscheid fällt aber schon im
Februar: Dann entscheiden die Stimmbürger des Kanton Berns, wie
die Regierung gegenüber dem Bund Stellung zu nehmen hat - für
oder gegen ein AKW. Auf Geheiss des bürgerlich dominierten
Parlaments hat der rot-grüne Regierungsrat bereits eine positive
Stellungnahme erarbeitet. Bevor es zur Abstimmung kommt, fordert die SP
aber Klarheit von der BKW: Sie soll die Bevölkerung umfassend
über die Risiken des geplanten Zwischenlagers für radioaktive
Abfälle informieren.
--
AKW-Planer raufen sich zusammen
BERN. Die drei Energiekonzerne Axpo, Alpiq und BKW haben sich auf
ein gemeinsames Vorgehen für die Planung der zwei
Ersatz-Atomkraftwerke geeinigt. Eine Planungsgesellschaft soll die
Projekte Beznau AG, Gösgen SO und Mühleberg BE
weiterverfolgen. An welchen zwei Standorten gebaut werden soll,
entscheiden sie spätestens Mitte 2012. Die gemeinsame
Planungsgesellschaft sei nach "intensiven Verhandlungen"
zustandegekommen, teilten die drei Energiekonzerne mit. Axpo, Alpiq und
BKW beteiligen sich zu je einem Drittel an der Gesellschaft. Falls bis
Mitte 2012 immer noch alle drei AKW-Projekte als gleichwertig beurteilt
würden, werden die beiden Standorte gebaut, die zuerst ausser
Betrieb genommen werden müssen. Die Einigung sei ein gemeinsames
Bekenntnis der drei Partner für die Versorgungssicherheit, hielt
Alpiq-Chef Giovanni Leonardi fest.
---
NZZ 24.12.10
AKW-Standort-Frage bleibt weiter offen
Zusammenarbeit der Stromfirmen
dsc. · Die Stromkonzerne Axpo, Alpiq und BKW einigen sich
auf die Realisierung von zwei neuen Atomkraftwerken in der Schweiz. Am
Donnerstag wurde ein Zusammenarbeitsmodell vorgestellt. Die
Projektarbeiten für die drei Standorte Gösgen, Mühleberg
und Beznau werden gleichermassen vorangetrieben, eine Priorisierung der
für die Landesversorgung nötigen zwei Vorhaben könnte
auch erst 2012 erfolgen. Derweil werden auch neue Gaskombikraftwerke
geplant.
Schweiz, Seite 11
Meinung & Debatte, Seite 20
--
Schulterschluss für AKW-Projekte
Stromkonzerne gründen Planungsgesellschaft - erste
Vorauswahl des AKW-Typs Ende 2011
Die drei Stromkonzerne schliessen sich für den Bau neuer
Atomkraftwerke zusammen. Die für die Kantone finanziell wichtige
Standortfrage bleibt weiterhin offen.
Davide Scruzzi
Die bei den AKW-Projekten bereits kooperierenden Stromunternehmen
Axpo und BKW haben sich mit der Alpiq Holding AG über Planung, Bau
und Betrieb von zwei neuen Atomkraftwerken geeinigt. Die
Projektarbeiten an den drei bisherigen Standorten Mühleberg und
Beznau (BKW/ Axpo) und Gösgen (Alpiq) werden allerdings
gleichermassen vorangetrieben, was den Unternehmen freilich Mehrkosten
verursacht.
Offene Standortfrage
Der definitive Entscheid über die Reihenfolge werde
"spätestens vor dem Botschafts- und Entscheidentwurf" des
Bundesamts für Energie getroffen, heisst es in einer
Medienmitteilung vom Donnerstag. Gemäss dem heutigen Stand der
Planung wäre dies Mitte 2012. Entscheidungsgrundlagen sollen die
laufenden technischen Abklärungen und Behördenverfahren sowie
wirt schaftliche und politische Aspekte sein. Würde sich daraus
keine Priorisierung ergeben, soll die Reihenfolge der
Ausserbetriebnahme der jetzigen AKW gelten - das AKW Gösgen ist
das jüngste der drei.
Ein wichtiger Faktor bei der Standortwahl dürfte die
Volksabstimmung im Kanton Bern über ein neues Werk in
Mühleberg sein. Die Berner werden im Februar über die
kantonale Stellungnahme dazu befinden. Die Überprüfung der
Rahmenbewilligungsgesuche durch das Eidgenössische
Nuklearsicherheitsinspektorat zeigte indes keine Priorisierung der
Standorte auf.
Da die Ersatz-Kernkraftwerke als Partnerwerke betrieben
würden, sei der Standort für die Unternehmen nun weniger
wichtig als für die Standortkantone und -gemeinden, erklärt
Axpo-Mediensprecherin Anahid Rickmann. Die finanziellen Vorteile
für die Standortregionen einer neuen Anlage mit einer Leistung von
1000 bis 1600 Megawatt sind erheblich. Ein neues AKW generiert
gemäss einer Studie im Standortkanton Steuereinnahmen von
insgesamt jährlich rund 80 Millionen Franken. Nicht zu
vernachlässigen ist zudem die Wertschöpfung beim Bau eines
Kernkraftwerks der neuen Generation, denn ein grosser Teil der Kosten
im Umfang von über 6 Milliarden Franken dürfte an
inländische Unternehmen fliessen. Im vergangenen Jahr verhandelten
die Finanzdirektoren der möglichen Standortkantone über ein
Ausgleichssystem für jenen Kanton, in dem am Schluss kein Reaktor
realisiert würde. Die Verhandlungen wurden aufgrund der
Komplexität der Materie und wegen zahlreicher offener Fragen
abgebrochen. Im Moment ist keine Wiederaufnahme geplant. Wie der
Solothurner Regierungsrat Christian Wanner erklärt, werde man erst
in einer späteren Phase wieder das Gespräch suchen.
Axpo hält Mehrheit
An der neuen gemeinsamen Planungsgesellschaft werden sich die
drei Partner je zu einem Drittel beteiligen. Die
Beteiligungsverhältnisse der Unternehmen an den Anlagen sollen
sich indes am jetzigen Anteil am nuklearen Produktionspark richten: 59
Prozent Axpo, 25,5 Prozent Alpiq und 15,5 Prozent BKW. Für die
erste Anlage wird das Beteiligungsverhältnis leicht zugunsten der
BKW verschoben. Resun, die bisherige Projektgesellschaft von Axpo und
BKW, hat die Ausschreibung für den AKW-Auftrag kürzlich
publiziert. Es sollte möglich sein, per Ende 2011 eine Einengung
auf zwei Reaktortypen vorzunehmen, so die Axpo. Unklar ist, ob die
definitive Wahl des technischen Systems vor oder nach der 2013 zu
erwartenden Volksabstimmung erfolgen wird.
Meinung & Debatte, Seite 20
--
Es fehlt eine klare Kraftwerks-Strategie
Nach der Einigung der Stromfirmen muss der Bund seine Positionen
schärfen.
Von Davide Scruzzi
Die Unternehmen Axpo, Alpiq und BKW gründen eine gemeinsame
Planungs- und Projektgesellschaft für die Realisierung zweier
neuer Atomkraftwerke. Welcher Standort aus dem Rennen fallen wird, ist
noch unklar. Die Verantwortlichen wollen dies vom Ausgang der laufenden
technischen und politischen Abklärungen abhängig machen. Es
liegen also vorerst bloss jene Verhältnisse ausformuliert vor, die
bereits einigermassen bekannt waren: Die grossen Stromunternehmen
wollen die AKW Beznau und Mühleberg sowie die französischen
Importverträge durch zwei neue Anlagen ersetzen; dafür werden
drei Projekte vorangetrieben (Gösgen, Mühleberg und Beznau).
Zweifellos haben die Stromunternehmen mit ihrer Mitteilung kurz vor
Weihnachten Friede und Einigkeit demonstrieren können - der
Branche kann man nicht mehr wie bisher vorwerfen, sie sei in dieser
Frage zerstritten.
Planungen für Gaskraftwerke
Besonders angesichts der im Februar stattfindenden
Volksabstimmung im Kanton Bern über die kantonale Stellungnahme zu
einem Neubau am Standort Mühleberg ist es verständlich, dass
sich die Unternehmen noch nicht auf eine Priorisierung unter den
Standorten einigen wollen - ein Nein der Berner hätte keine
bindende Kraft beim Standortentscheid, wäre aber ein klares Signal
gegen einen Neubau in Mühleberg. Weil die Atomkraft viele
Emotionen schürt, muss über ihre Zukunft am Schluss ein
direktdemokratisches Kräftemessen entscheiden. Die
eidgenössische Referendumsabstimmung dazu ist frühestens 2013
zu erwarten.
Während nun die Stromunternehmen ihre Hausaufgaben dazu
erledigt haben, bleibt für die Politik noch viel zu tun, nicht nur
was die kantonale Einigkeit über die mit den Standorten
verbundenen Steuerfragen angeht oder Informationsaufgaben wie die
Aktualisierung der Kosten und Auswirkungen der verschiedenen
energiepolitischen Szenarien durch das Bundesamt für Energie.
Vor allem muss die AKW-Frage auch im Rahmen einer allgemeinen
Strategie für Grosskraftwerke gesehen werden. Die inländische
Alternative zu neuen Reaktoren sind nämlich in absehbarer Zeit
Gaskraftwerke. Sogar für viele Branchenkenner und Parlamentarier
völlig überraschend hat der Bundesrat vor einigen Wochen per
Verordnung den Weg zur Realisierung eines Gaskombikraftwerks in
Chavalon, Wallis, geebnet, nachdem bei den nötigen
Kohlendioxid-Kompensationen Fortschritte erkennbar geworden waren. In
Cornaux, im Kanton Neuenburg, plant ein regionaler Versorger ebenfalls
ein Gaskraftwerk der 400-Megawatt-Klasse. Tatsächlich können
solche Anlagen eine Ergänzung zum Produktionsmix sein und als
Übergangslösung bis zur Inbetriebnahme neuer AKW dienen. Auch
sind die darin erkennbaren ökonomischen Interessen der Stromfirmen
zu beachten.
Die Kostenfrage am Schluss
Die Realisierung von Gaskraftwerken muss aber seitens des Bundes
stärker mit der emotional aufgeladenen AKW-Frage verbunden und
deutlicher in eine Grosskraftwerks-Strategie eingebettet werden. Die
Nachteile von Gaskraftwerken für die Versorgungssicherheit,
für die Kohlendioxid-Bilanz (eine grosse Anlage entspricht einem
einstelligen Prozentsatz des gesamtschweizerischen Ausstosses) und ihre
eher negativen Auswirkungen auf die Strompreise sind ja Teil der vom
Volk zu klärenden AKW-Frage. Demgegenüber werden die
Rentabilität und die Finanzierung neuer Kernkraftwerke am Schluss
von den einzelnen Stromkonzernen zu beantworten sein, nach einem
allfälligen Ja von Parlament und Volk.
So bleibt die Sicherung weiter Teile der Stromversorgung mittels
Grosskraftwerken ein Balanceakt zwischen staatlicher Regulierung,
politischen Debatten und betriebswirtschaftlichen Strategien der
Stromunternehmen, der jetzt eine starke moderierende Rolle der neuen
Departementschefin nötig macht.
---
NLZ 24.12.10
AKW-Betreiber planen gemeinsam Ersatz
sda.
Welche Atomkraftwerke werden neu gebaut? Und wann? Die grossen
AKW-Betreiber wollen diese Fragen jetzt gemeinsam angehen.
sda. Axpo, Alpiq und BKW wollen ihre Pläne für ein
Ersatz-Atomkraftwerk einer gemeinsamen Planungsgesellschaft
übergeben. Diese wird die drei Projekte für den Ersatz von
Beznau I und II sowie die beiden Atomkraftwerke in Gösgen und
Mühleberg parallel und gleichwertig weiterverfolgen.
An der Planungsgesellschaft sind die drei Konzerne zu je einem
Drittel beteiligt. Die drei Konzernchefs sprachen in der
Medienmitteilung von "Meilenstein" und "Durchbruch".
Entscheid soll 2012 fallen
Die Axpo Holding betreibt Beznau I und II im Kanton Aargau, die
Alpiq AG das AKW in Gösgen im solothurnischen Niederamt und die
BKW Energie AG das Atomkraftwerk Mühleberg vor den Toren der Stadt
Bern. Der Entscheid, welche AKW ersetzt werden, soll spätestens
2012 fallen - noch vor dem Botschafts- und Entscheidentwurf des
Bundesamts für Energie.
2020 wird erstes AKW abgeschaltet
Falls bis zu dieser Frist alle drei AKW-Projekte als gleichwertig
beurteilt werden, soll an den beiden Standorten gebaut werden, wo die
AKW zuerst - wahrscheinlich ab 2020 - ausser Betrieb genommen werden:
in Mühleberg und Beznau. Damit startet Gösgen mit einem
Handicap.
Von der Diskussion um Ersatz ausgenommen ist das AKW Leibstadt.
Dieses nahm seinen Betrieb erst im Jahr 1984 auf.
5
--
Der Eiertanz der Stromkonzerne
AKW
Hanspeter Guggenbühl
Der Standortstreit um neue Schweizer Atomkraftwerke geht weiter:
Vordergründig hat Beznau Vorrang vor Mühleberg. Die Axpo soll
grösster Atomstrom-Produzent bleiben.
Hanspeter Guggenbühl
schweiz@luzernerzeitung.ch
"Einigung über Planung und Bau der Ersatz-Kernkraftwerke
erreicht". So lautet der Titel der Medienmitteilung, welche die drei
grossen Schweizer Stromgesellschaften Axpo, Alpiq und BKW gestern
gemeinsam veröffentlichten. Doch das Kleingedruckte zeigt: Die
Einigung über den wesentlichen internen Streitpunkt - die
Standortwahl - ist erneut vertagt worden: Welche zwei der drei neuen
Atomkraftwerk-Projekte in welcher Reihenfolge realisiert werden sollen,
wollen die Stromkonzerne "spätestens" dann entscheiden, wenn das
Bundesamt für Energie den Entwurf für die Botschaft des
Bundesrates veröffentlicht. Das wird voraussichtlich noch bis
Mitte 2012 dauern.
Eine Weiche haben die drei Stromfirmen in ihrem gestern
unterzeichneten "Rahmenvertrag" immerhin gestellt: "Falls die
Gesamtbeurteilung keine relevanten Unterschiede ergibt, werden die
Standorte in der Reihenfolge der Ausserbetriebnahme der bestehenden
Anlagen berücksichtigt." In diesem Fall hätte das
Axpo-Projekt im aargauischen Beznau Vorrang, weil das älteste,
1969 eröffnete KKW Beznau als erstes abgeschaltet werden muss. Als
zweites folgte das BKW-Projekt in Mühleberg bei Bern. Das
Alpiq-Projekt Gösgen würde damit begraben.
Es geht um Begriffsauslegung
Die Konjunktive zeigen: Der Eiertanz, den die grossen
Stromkonzerne bei der Standortwahl vorführen, geht weiter, dreht
sich neu aber um die Frage, wie der Begriff "relevante Unterschiede"
ausgelegt wird. Als "Basis" sollen "sowohl wirtschaftliche und
politische Aspekte als auch Abklärungen des laufenden
Prüfprozesses" herangezogen werden. Was sich mit zwei
naheliegenden Beispielen konkretisieren lässt:
Politisch:Politisch können die Stellungnahmen der Kantone
Unterschiede herbeiführen. Aargau und Solothurn werden sich im
jetzt anlaufenden Vernehmlassungsverfahren wohl für "ihre"
Projekte in Beznau AG und Gösgen SO engagieren. Ungewiss ist
hingegen die Ausgangslage beim Berner Projekt in Mühleberg. So
will der Kanton Bern mit einer Konsultativabstimmung am 13. Februar
2011 sein Volk befragen. Lehnt das Berner Volk ein neues AKW in
Mühleberg ab, fragt sich, ob dieser Unterschied politisch
"relevant" ist. "Das ist ein Faktor", antwortet Martin Bahnmüller,
Sprecher der Alpiq, die beim Projekt in Gösgen federführend
ist. "Damit würde der Standort Mühleberg geschwächt",
bestätigt Antonio Sommavilla, Sprecher der BKW, die das
AKW-Projekt Mühleberg vorantreibt.
Ökonomisch:Wirtschaftlich können sich Unterschiede
ergeben, wenn zum Beispiel die Baukosten für das AKW-Projekt in
Beznau höher oder tiefer ausfallen als für die Projekte in
Mühleberg oder Gösgen. Über die Frage, ab welcher
Höhe die Preisdifferenz "relevant" ist, lässt sich ebenfalls
streiten.
Axpo bleibt Atomleader
Obwohl die Einigung also noch aussteht, haben die drei
Stromgesellschaften ihre Beteiligungen an allfälligen neuen
Atomkraftwerken vertraglich bereits verteilt: Die Axpo-Töchter
Axpo AG und CKW erhalten zusammen einen Anteil von 59 Prozent und damit
die Mehrheit. Auf Alpiq entfallen 25,5 und auf die BKW 15,5 Prozent.
Das entspricht dem heutigen Anteil an der inländischen
Atomstrom-Produktion. Mit diesem Verteilschlüssel präzisieren
die drei Stromkonzerne ihren schon früher bekundeten Willen, jedes
neue Atomkraftwerk als "Partnerwerk" zu betreiben. Damit lassen sich -
wie schon bei den bestehenden AKW in Gösgen und Leibstadt - die
Gewinne oder Verluste der teuren Investitionen aufteilen.
Weiter haben Axpo, Alpiq und BKW beschlossen, ihre AKW-Projekte
in eine gemeinsame Planungsgesellschaft einzubringen. Diese gemeinsame
Weiterplanung spart Kosten und allenfalls auch Zeit. Der Weg bis zum
endgültigen Entscheid, ob es in der Schweiz zwei, eines oder gar
kein neues AKW geben wird, dauert noch Jahre. Nach dem
Standortentscheid der Stromfirmen folgen Beschlüsse von Bundesrat
und Parlament. Danach kann das Schweizer Volk entscheiden. Ein
allfälliges neues Atomkraftwerk kann frühestens ab 2025 Strom
produzieren.
--
Kommentar
Atompfad birgt Risiken
Hanspeter Guggenbühl
Ein "Meilenstein" sei erreicht, schwärmten die
Stromgesellschaften Axpo, Alpiq und BKW, als sie gestern über ihre
"Einigung über Planung und Bau der Ersatz-Kernkraftwerke"
informierten. Ebenfalls als "Meilenstein" feierten sie vor Monatsfrist
das Gutachten der nuklearen Aufsichtsbehörde Ensi, die
grundsätzlich alle geplanten Standorte für neue
Atomkraftwerke als "geeignet" bezeichnet hatte.
Die wiederholte Metapher "Meilenstein" tönt nach mehr, als
tatsächlich ist. Denn das vielfältige Bewilligungsverfahren
für neue Atomstromfabriken gleicht einem 100-Meilen-Lauf. Nach 2
Meilen ist man also noch nicht sehr weit gekommen.
Mit ihrer vorweihnächtlichen Botschaft mimen die drei
Stromkonzerne Einigkeit. In Wirklichkeit aber marschieren sie trotz
gemeinsamer Planungsgesellschaft immer noch gespalten in die atomare
Zukunft. Denn die zentrale Frage, ob der Atompfad nach Beznau,
Gösgen oder Mühleberg führen soll, lassen sie in ihrem
neuen Rahmenvertrag weiterhin offen.
Der lange Marsch zu neuen Atommeilern birgt vielerlei Gefahren.
Dazu gehört nicht nur das Risiko einer nuklearen Verstrahlung. Am
Wegrand lauern auch politische Unwägbarkeiten. Offen bleibt
insbesondere, ob das Volk als letzte Instanz dereinst zwei, einem oder
gar keinem neuen AKW zustimmen wird. Und gross ist auch die
wirtschaftliche Ungewissheit. Denn neue Atomkraftwerke könnten die
Schweizer Stromproduktion und Stromversorgung während einer
Laufzeit von weiteren 60 Jahren zementieren. In einer Zeit, in der sich
die Energietechnik stark wandelt und ökonomische Auf- und
Einbrüche sich in immer kürzeren Abständen folgen, kann
ein hoher Anteil an atomarer Stromproduktion zum Klumpenrisiko werden.
Hanspeter Guggenbühl
schweiz@luzernerzeitung.ch
---
Aargauer Zeitung 24.12.10
Kuhhandel im Streit um AKW-Gesuche
Strom Alpiq plant AKWs nun mit Axpo und BKW, dafür wird die
Beteiligungsquote der Oltner sinken
Sven Millischer
"Ein Meilenstein", "ein wichtiger Durchbruch", "ein Bekenntnis
zur Versorgungssicherheit des Landes" - die Stromkonzerne Alpiq, Axpo
und BKW überschlagen sich mit Superlativen in ihrer gemeinsamen
Pressemitteilung. Doch was der Öffentlichkeit als grosse Einigung
verkauft wird, ist bestenfalls ein kleiner Schritt auf dem Weg zu einem
gemeinsamen AKW-Gesuch.
Denn die entscheidende Frage nach dem Standort ist weiterhin
nicht geklärt. So werden die drei Projekte in Beznau AG,
Mühleberg BE und Gösgen SO "vorläufig parallel und
gleichwertig weiterentwickelt". Eine "definitive Einigung", wann und wo
die beiden AKWs gebaut werden sollen, wollen Alpiq, Axpo und BKW
spätestens Mitte 2012 erzielen. Dann wird der Bundesrat über
die Rahmenbewilligungsgesuche entscheiden.
Sollten sich bis dahin die Stromkonzerne nicht zusammenraufen
können, kommt die "Ausserbetriebnahme der bestehenden Anlage" zum
Tragen. In diesem Fall würde das Alpiq-Kraftwerk in Gösgen
als jüngstes AKW nicht ersetzt werden.
Nach dem Bundesrat wird das Parlament über die Gesuche
befinden. Das letzte Wort wird voraussichtlich Ende 2013 das Volk haben.
Konzertiertes Vorgehen
Worin also besteht die jetzige Einigung? Axpo, Alpiq und BKW
wollen künftig als Trio die beiden Ersatz-AKWs planen. Dies soll
die Kosten in ungenannter Höhe verringern, indem man
beispielsweise mögliche Reaktortypen gemeinsam evaluiert und sich
schliesslich auf eine technische Lösung einigt. Dieses
konzertierte Vorgehen soll auch das Verfahren gegenüber dem
eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi vereinfachen
und beschleunigen.
Dazu beteiligen sich die Stromkonzerne zu je einem Drittel an
einer Planungsgesellschaft mit noch unbekanntem Namen, Sitz und
Personalgrösse. Auch muss die Gesellschaft erst noch
gegründet werden.
Allerdings unterhalten Axpo und BKW mit der Firma Resun bereits
jetzt eine Tochtergesellschaft mit 40 Mitarbeitern, welche die
Rahmenbewilligungsgesuche der beiden Stromkonzerne vorantreiben.
Für BKW-Sprecher Antonio Sommavilla ist deshalb klar: "Resun wird
um Alpiq erweitert." Demgegenüber versteht Alpiq-Konzernsprecher
Andreas Werz die neue Planungsgesellschaft als eigenständiges
Konstrukt. Für Zündstoff unter den "Partnern" ist also
bereits gesorgt. Fest steht jedoch, dass Resun bereits Anfang Dezember
Aufträge im Umfang von 14 bis 18 Milliarden Franken für neue
AKWs in Beznau und Mühleberg öffentlich ausgeschrieben hat.
Am Verfahren, das noch bis kommenden April läuft, halte man fest,
sagt Sommavilla von der BKW. Alpiq dagegen wollte für ihren
Standort Gösgen erst Ende 2011 mit dem Beschaffungsprozess
beginnen.
Der Oltner Stromkonzern dürfte sich diese eigenständige
Ausschreibung wohl sparen. Insofern ist Alpiq, die bisher im Alleingang
agierte, Nutzniesserin der neuen Planungsgesellschaft. Verringern sich
doch damit insgesamt die Vorinvestitionen und werden künftig auf
drei Stromkonzerne verteilt.
Ausgleich gestaltet sich schwierig
Im Gegenzug musste Alpiq Zugeständnisse machen. Um die
Kapital- und Energiebezugsverhältnisse wurde lange und intensiv
gerungen. Denn kommt das erste Ersatz-AKW dereinst ans Netz, produziert
Gösgen weiter Strom. Alpiq verzichtet deshalb auf drei Prozent am
nuklearen Produktionsmix. Der Anteil geht an die Berner und nicht an
den Axpo-Konzern. Dies, weil die Nordostschweizer Kantone und damit
vollumfänglich die öffentliche Hand schon heute mit 59
Prozent das grösste Risiko tragen. Dies auch im Vergleich zum
Anteil am Versorgungsmarkt. Die Beteiligungsquote der BKW an den
Partnerwerken erhöht sich dereinst auf 18,5 Prozent. Jene der
Alpiq wird sich auf 22,5 Prozent verringern. Kommentar rechts
--
Umweltverbände: "Fehlinvestition"
Der Entscheid von Alpiq, Axpo und BKW, die Ersatzbauten für
die hiesigen drei AKWs mit einer gemeinsamen Planungsfirma
voranzutreiben, ist Umweltverbänden und Grünen nicht geheuer.
Die Grünen schreiben in einer Stellungnahme, es handle sich um
eine "Pseudo-Einigung", die nur dazu diene, die bevorstehenden
Abstimmungen in den Kantonen Bern, Waadt und Jura zu beeinflussen. Der
Schulterschluss solle "dem Volk vorgaukeln, dass die Konzerne geeint"
seien. Dabei gehe es nur um "Gewinnmaximierung". Der richtige Weg sei
es, aus der "Atomenergie auszusteigen und erneuerbare Energien zu
fördern". Die Allianz "Nein zu neuen AKW" bezeichnet es in einem
Communiqué als "Fehlinvestition", 10 Milliarden Franken in neue
AKWs zu stecken. Ersatzbauten würden nur das "Umstellen auf eine
nachhaltige Stromversorgung blockieren". (SPM)
--
Kommentar
Alpiq spielt weiter auf Zeit
Sven Millischer
Auf den ersten Blick scheint Alpiq bei dieser Einigung den
Kürzeren gezogen zu haben: Das führende Schweizer
Stromunternehmen gibt bei der AKW-Planung und Projektierung das Heft
aus der Hand und macht mit Axpo und BKW gemeinsame Sache. Beide hatten
zuvor schon ihre Pläne für Ersatz-AKWs an den Standorten
Mühleberg und Beznau zusammen vorangetrieben. Alpiq dagegen wird
um ihre Stellung in der neuen Planungsgesellschaft kämpfen
müssen.
Auch verzichtet der Oltner Stromriese auf drei Prozent am
nuklearen Produktionspark zugunsten der Bernischen Kraftwerke, sobald
ein erstes Ersatz-AKW ans Netz geht, weil ja der Atommeiler der Alpiq
in Gösgen SO weiterlaufen wird.
Was die Stromkonzerne als blossen "Ausgleichsmechanismus"
verkaufen, ist wohl ein erstes Zugeständnis an die Berner zu
werten, sollte im AKW-Poker das Projekt der Alpiq im solothurnischen
Niederamt das Rennen machen. Schaut man sich das Gutachten des
Nuklearinspektorats Ensi an, sind die Chancen Gösgens durchaus
intakt.
Auch, weil Giovanni Leonardi ein schlauer Fuchs ist. Trotz
Zugeständnissen blieb der Alpiq-Chef in einem Punkt hart: "Wir
wollen ganz bewusst das Ergebnis des Behördenprozesses abwarten,
so halten wir alle Optionen offen", verkündete der Tessiner in
einer Videobotschaft nach der Einigung.
Leonardi will die Standortfrage so lange offenhalten, bis sie
sich von selbst erledigt. Ein möglicher Termin könnte der 13.
Februar sein. Dann stimmt Bern - als einziger Standortkanton - in einer
Konsultativabstimmung über ein Ersatz-AKW in Mühleberg ab.
Das Resultat hat zwar rechtlich keine bindende Wirkung. Sollten die
Berner aber Nein zu Mühleberg sagen, kann die BKW ihre
Atompläne wohl begraben.
sven.millischer@azmedien.ch
---
Oltner Tagblatt 24.12.10
"Sinnvolle Bündelung der Kräfte"
Herbert Niklaus VR-Präsident der Kernkraftwerk Niederamt AG
zur Einigung von Axpo, Alpiq und BKW
von Beat Nützi
Axpo, Alpiq und BKW wollen bei der Planung und dem Neubau von
zwei Ersatz-Kernkraftwerken in der Schweiz einen gemeinsamen Weg gehen
- was bedeutet diese Einigung?
Herbert Niklaus: Diese Einigung ist ein Meilenstein auf dem Weg
zu einer sicheren und zuverlässigen Stromversorgung der Schweiz.
Axpo, Alpiq und BKW haben damit ein gemeinsames Bekenntnis für die
Versorgungssicherheit unseres Landes abgegeben. Und es ist ein
Meilenstein für Alpiq und das Niederamt.
Sie sprechen von einer Einigung. Geeinigt haben Sie sich jedoch
nicht bezüglich der wichtigsten Fragen wie die Standorte oder die
Reihenfolge der zu realisierenden Ersatzkernkraftwerke.
Richtig. Aber wir haben uns auf gemeinsame Beurteilungskriterien
und den Zeitpunkt geeinigt - ebenso wie auf den Prozess, entlang
welchem wir Entscheide bezüglich der Standorte und der Reihenfolge
herbeiführen werden. Damit ist der Weg klar abgesteckt.
Wie sieht die Einigung im Detail aus?
Axpo, Alpiq und BKW werden sich je zu einem Drittel an einer
gemeinsamen Planungs- und Projektgesellschaft beteiligen. Die
Bündelung der Aktivitäten in dieser Gesellschaft hilft dabei,
die politischen und behördlichen Verfahrensabläufe zu
beschleunigen, Synergien bei der Evaluation zu nutzen und auch Kosten
zu sparen. Alle drei Partner bringen so schnell wie möglich
sämtliche Ressourcen im Zusammenhang mit den jeweiligen Projekten
in die gemeinsame Planungs- und Projektgesellschaft ein. Die Partner
treiben dann die drei Projekte parallel und gleichberechtigt voran.
Wieso hat es denn so lange gedauert, bis sich die Branche auf ein
weiteres Vorgehen geeinigt hat?
Es bestand schon früh Einigkeit darin, die neuen
Kernkraftwerke als gemeinsame Partnerwerke zu planen, bauen und
betreiben und für die Festlegung der Reihenfolge die Ergebnisse
des laufenden Behördenprozesses abzuwarten. Alpiq hat das auch
immer betont. Die Verhandlung der Besitz- und Energiebezugsanteile
sowie der Entscheidbefugnisse in den Partnerwerken erforderte
angesichts der verschiedenen Unternehmensinteressen intensive
Diskussionen. Es brauchte die Klärung vieler Detailfragen, wie das
bei allen grossen Infrastrukturprojekten üblich ist.
Hat die spezielle Art der zur Debatte stehenden Projekte auch
eine Rolle gespielt?
Natürlich. Wir sprechen für zwei Kernkraftwerke
über Investitionen zwischen 12 und 16 Milliarden Franken. Und was
Planungs-, Bau- und Betriebszeit anbelangt, sprechen wir über ein
veritables Generationenprojekt. Entsprechend wurden die Verhandlungen
ernsthaft geführt. Glücklicherweise hat uns das
Kernenergiegesetz genügend zeitlichen Spielraum gelassen - es gab
nie akuten Zeitdruck für eine Lösung.
Wie sind die Energiebezugsrechte denn aufgeteilt?
Wir haben uns nach den heutigen Anteilen der einzelnen Partner an
der Kernenergie-Produktion orientiert. Das heisst Axpo 59 Prozent,
Alpiq 25,5 Prozent und BKW 15,5 Prozent. Für das erste neue
Kernkraftwerk haben wir zudem einen Ausgleichsmechanismus eingebaut.
Alpiq verzichtet demzufolge zu Gunsten von BKW auf 3 Prozent. Dies
geschieht, da voraussichtlich für einen gewissen Zeitraum das
Kernkraftwerk Gösgen und das erste Ersatzkraftwerk parallel
betrieben werden.
Alpiq hat das Projekt im Niederamt bisher alleine vorangetrieben.
Wie sehen Sie aufgrund dieser neuen Ausgangslage die Chancen für
das geplante KKN?
Das kürzlich veröffentlichte Gutachten des
Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI hat dem
Projekt KKN eine hohe Qualität attestiert. Das freut uns und zeigt
uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Auch die politische
Unterstützung des
"Die Chancen für ein neues Kernkraftwerk im Niederamt sind
intakt." Herbert Niklaus
Kantons Solothurn haben wir. Das Kantonsparlament hat die
Kantonsregierung schon früh beauftragt, sich für den raschen
Bau eines Kernkraftwerks im Niederamt einzusetzen. Das ist ein starkes
Signal. Die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der
sozioökonomischen Studie im Niederamt wird die Effekte eines neuen
Kernkraftwerks aufzeigen. Die Chancen für ein Kernkraftwerk im
Niederamt sind also intakt.
Wer sind die Gewinner und Verlierer dieser Einigung?
In erster Linie haben das Schweizer Volk und die Wirtschaft
gewonnen. Denn mit zwei neuen Kernkraftwerken können wir die
Versorgungssicherheit in unserem Land nachhaltig stärken. Gewonnen
haben aber auch die Partner Axpo, Alpiq und BKW. Denn nun können
sich alle drei gemeinsam für die Erneuerung der Kernkraft
einsetzen und die Kräfte aller Partner bündeln. Die
Bündelung aller Kräfte und Kompetenzen für ein solch
grosses Projekt ist für ein kleines Land wie die Schweiz absolut
zwingend für den Erfolg.
Wie haben Sie die Verhandlungen mit den anderen
Energieunternehmen empfunden?
Ich möchte betonen, dass die Verhandlungen trotz intensiver
Diskussionen hart aber konstruktiv waren. Das sieht man an der
einvernehmlichen Lösung, die wir erarbeitet haben. Wir haben die
Interessen der verschiedenen Unternehmen unter einen Hut gebracht. Wie
bei solchen Verhandlungen üblich, haben alle Beteiligten
Zugeständnisse machen müssen.
In welcher Reihenfolge werden denn die neuen Kernkraftwerke
gebaut?
Die Realisierung ist letztlich abhängig vom
Bewilligungsprozess und von der Entscheidung des Bundes respektive des
Volkes. Die drei Partner haben sich dazu entschieden, über die
Standortfrage und die Reihenfolge der Kernkraftwerke später zu
beschliessen.
Warum legen Sie die Standorte nicht schon jetzt fest?
Es ist sinnvoll, zuerst die Ergebnisse des laufenden
Behördenprozesses abzuwarten. Die verschiedenen
Behördengutachten, Anhörungen und kantonale Stellungnahmen
werden uns zusätzliche, wertvolle Entscheidgrundlagen geben. Als
Standorte eignen sich laut ENSI für die Realisierung unserer
Projekte alle gut. Würden wir die Standorte schon jetzt festlegen,
sprich einen Standort ausscheiden, besteht das Risiko, dass man auf den
Entscheid zurückkommen müsste. Dies wäre sehr teuer und
würde uns in unserer Planungsarbeit und Realisierung zeitlich
zurückwerfen, was für die Versorgungssicherheit der Schweiz
schlecht wäre.
Wird das neue KKW Niederamt dann überhaupt jemals gebaut
werden?
Wie gesagt, die Chancen bestehen weiterhin. Der Vorschlag
über die zu realisierende Reihenfolge wird spätestens vor der
Botschaft des Bundesrates an das Parlament getroffen. Gemäss
heutigem Stand der Planung ist das Mitte 2012. Als Basis dafür
dienen neben der langfristigen Standortsicherung sowohl technische,
wirtschaftliche und politische Aspekte als auch Abklärungen des
laufenden Prüfprozesses der drei Rahmenbewilligungsgesuche durch
die Behörden. Falls diese Gesamtbeurteilung keine relevanten
Unterschiede ergibt, werden die Standorte in der Reihenfolge der
Ausserbetriebnahme der bestehenden Anlagen berücksichtigt. Das
letzte Wort hat das Schweizer Volk an der Urne.
Wie werden die zu ersetzenden KKW finanziert?
Die Investitionskosten bewegen sich nach heutigem Stand in einer
Grössenordnung von 6 bis 8 Milliarden Schweizer Franken pro
Kraftwerk, je nach deren Leistungsfähigkeit. Wir sind uns einig,
dass zwei neue Kernkraftwerke in der Schweiz ohne staatliche Hilfe
finanzierbar sind. Für die Beteiligung Dritter sind wir aber
offen. Verschiedene potenzielle Partner haben ihr Interesse an einer
Beteiligung bereits bekundet. Den Entscheid über eine
allfällige Staffelung des Baus werden wir später fällen.
Das gilt auch für die Frage, ob die internationalen
Finanzmärkte mit einbezogen werden müssen.
Welche Auswirkungen hat die Einigung auf das Projekt
Kernkraftwerk Niederamt?
Da die Chance für die Realisierung des Projektes nach wie
vor besteht, wird es mindestens bis zum Bundesratsbeschluss über
die Rahmenbewilligungen weiterentwickelt. Die technischen
Aktivitäten gehen dabei von Alpiq in die neue gemeinsame Planungs-
und Projektierungsgesellschaft über. Die standortgebundenen Fragen
werden von der Standortgesellschaft, das heisst der KKN AG, behandelt.
Haben die Niederämter nun neue Ansprechpartner?
Grundsätzlich bleiben die Ansprechpartner die gleichen. Ich
bin nach wie vor Verwaltungsratspräsident der KKN AG, deren
Geschäftsführer ist Werner Meier. Auch der Alpiq CEO Giovanni
Leonardi steht dem Niederamt nach wie vor als Ansprechpartner zur
Verfügung. Für spezifische technische Fragen werden Personen
aus der neuen Planungsund Projektierungsgesellschaft zuständig
sein, welche zum Teil heute schon für Alpiq im Projektteam
arbeiten.
Wandert die KKN AG nun in den Kanton Aargau ab und wird dort
steuerpflichtig?
Nein, die KKN AG als Standortgesellschaft bleibt im Kanton
Solothurn. Die neue Planungs- und Projektierungsgesellschaft, welche
alle drei Projekte entwickelt, wird voraussichtlich in Aarau ihren Sitz
haben.
Wird die Axpo die Entscheidungen um die neuen Kernkraftwerke in
der Schweiz beherrschen?
Grundsätzlich hat Axpo eine führende Rolle auf Grund
ihres Energiebezugsanteils. Unter anderem aus standortpolitischen
Gründen können die Beteiligungsverhältnisse an der KKN
AG aber vom Energiebezugsschlüssel abweichen. Der führende
Standortpartner für das KKN-Projekt wird aber in jedem Fall die
Alpiq sein. Dieser bestimmt das VR-Präsidium und die
Geschäftsführung. Siehe auch Bericht Seite 7
--
Kommentar
Partnerschaft markieren
Beat Nützi, Chefredaktor
Für die einen ist es ein Kuhhandel, für die andern eine
vernunftorientierte Einigung: Die Schaffung einer gemeinsamen
Gesellschaft von Axpo, Alpiq und BKW für Planung und Bau neuer
Kernkraftwerke (KKW). Auf jeden Fall ist spürbar, dass den
Strombaronen offenbar einiges daran gelegen ist, gegen aussen
Partnerschaft zu markieren. Sie scheinen eingesehen zu haben, dass ein
gemeinsames Vorgehen gescheiter ist als von Eigeninteressen getriebene
Konfrontation, wodurch man sich zum Spielball der Politik macht und
Glaubwürdigkeit auf Spiel setzt. Denn die drei Energie-Player
unterstreichen immer wieder, mit Blick auf die Sicherung der
Energieversorgung im Landes- und nicht im Eigeninteresse zu handeln.
Vernünftig erscheint auch der vereinbarte Modus für die
Standortwahl: Neue KKW sollen in erster Linie dort entstehen, wo die
Voraussetzungen am besten sind. Sollten alle drei zur Diskussion
stehenden Standorte als gleichwertig beurteilt werden, wäre der
Zeitpunkt für die Stilllegung der zu ersetzenden KKW
ausschlaggebend. In diesem Fall müsste das Niederamt Beznau und
Mühleberg den Vorrang geben. Das heisst: Ein neues KKW im
Niederamt gibt es nur, wenn Standortvorteile für ein solches
sprechen. Und das wird wahrscheinlich so sein. Denn in Bezug auf die
Netzanbindung sind Beznau und Gösgen gleichwertig, nicht aber
Mühleberg. Eine Hypothek für ein neues Kernkraftwerk im
Niederamt ist und bleibt jedoch der beabsichtigte jahrzehntelange
Parallelbetrieb mit dem bestehenden KKG.
So oder so: Weil dereinst das Volk das letzte Wort hat, werden
sich die Promotoren neuer KKW auf die Projekte mit den besten Chancen
einigen müssen. Deshalb wird es zu weiteren internen
Auseinandersetzungen zwischen Axpo, Alpiq und BKW kommen - auch wenn es
darum geht, die besiegelte Partnerschaft weiter zu konkretisieren.
nuetzi@oltnertagblatt.ch
---
Blick 24.12.10
Gösgen-Betreiber und Alpiq-Chef Giovanni Leonardi über den
Schulterschluss der Atom-Stromer
Hoffen Sie auf einen Sieg der Berner AKW-Gegner?
Alpiq, Axpo und BKW tun sich jetzt doch zusammen und beteiligen
sich mit je einem Drittel an einer gemeinsamen Planungsfirma für
neue AKW. Warum nicht gleich?
Giovanni Leonardi: Wir haben rund zwei Jahre verhandelt. Ich
finde das nicht so lange für ein gigantisches Projekt von der
Grösse einer Neat mit Kosten von 6 bis 8 Milliarden Franken - pro
Kraftwerk. Das geht über Generationen. Für mich war von
Anfang an klar, dass das keiner von uns alleine machen kann.
Der Standortstreit ist nicht gelöst. Drei wollen bauen, aber
gebaut werden höchstens zwei. Neu will man die AKW dort bauen, wo
die bestehenden Anlagen zuerst vom Netz gehen. Also hat Ihr Projekt in
Gösgen schlechte Karten, weil diese Anlage neuer ist als die
andern.
Moment. Wir haben uns mit Axpo und BKW darauf geeinigt, dass alle
drei Projekte gleichwertig sind und dass auch alle drei weiter verfolgt
werden. Erst 2012 werden wir eine saubere Entscheidungsgrundlage haben
- technisch, politisch, wirtschaftlich. Erst falls die Projekte dann
immer noch gleichwertig sind, entscheidet die Reihenfolge der
Ausserbetriebnahme.
Das gibt sicher Krach. Wer bestimmt, ob die Projekte gleich gut
sind?
Wir selber. Wir brauchen keinen Schiedsrichter. Es ist alles
genau in einem Vertrag festgeschrieben.
Nochmals: Wenn alle gleich gut sind, wird Gösgen nicht
gebaut.
Ja, das würden wir dann auch akzeptieren.
Warum entscheidet man nicht schon jetzt?
Es stehen noch Einschätzungen von Behörden aus. Und
politische Abstimmungen.
Im Februar entscheidet das Volk im Kanton Bern in einer
Konsultativabstimmung über ein neues AKW. Gibt es ein Nein, hat
Mühleberg ein Problem - gut für Gösgen. Hoffen Sie auf
einen Sieg der Atomgegner?
Nein. Gibt es ein Ja, ist der politische Weg für
Mühleberg offen. Bei einem Nein muss man weiterschauen. Aber
nochmals: Wir spannen jetzt mit Axpo und BKW zusammen. Dank der neuen
Partnerschaft sind wir in jedem Fall an einem neuen Kraftwerk beteiligt
- egal, wo gebaut wird. Das ist kein Wettkampf.
Bis gestern war es einer.
Wir haben hart verhandelt. Aber nun wollen wir das beste Projekt
mit den kleinsten Risiken bauen. Es geht um eine unabhängige
Stromversorgung der Schweiz.
Warum gibt es eigentlich im Kanton Solothurn, dem Standort von
Gösgen, keine Volksabstimmung?
Das kann immer noch kommen. Ich bin Manager, kein Politiker.
Das Schweizer Stimmvolk entscheidet 2013 über neue AKW.
Welches Resultat erwarten Sie aus heutiger Sicht?
Ich bin weiterhin sehr optimistisch. Die Schweizer
Stimmbürger sind sehr vernünftig.
Interview: Daniel Meier
--
Wo soll ein neues AKW gebaut werden?
Die Strom-Lobby warnt vor Versorgungsengpässen und will die
alten AKW durch neue ersetzen. Drei Projekte liegen vor: Beznau AG
(Axpo), Mühleberg BE (BKW) und Gösgen SO (Alpiq). Nun spannen
die drei Konzerne in einer gemeinsamen Planungsfirma zusammen. Gebaut
werden aber höchstens zwei AKW - wenn überhaupt. Das Volk
entscheidet 2013.
---
Beobachter 24.12.10
Atommüll
Plan: Mehr Zwischenlager
Thomas Angeli
Ein Zwischenlager für Atommüll existiert bereits. Nun
sollen direkt bei den geplanten Atomkraftwerken weitere riesige
Deponien entstehen.
Wenn im Jahr 2013 darüber abgestimmt wird, ob und wo in der
Schweiz neue Atomkraftwerke gebaut werden sollen, entscheidet das
Stimmvolk auch gleich über Bauten, die die AKWs um Jahrzehnte
überdauern werden. Bei allen drei Neubauprojekten in
Mühleberg (BKW), Beznau (Axpo) und im Niederamt (Alpiq) ist auch
ein Zwischenlager für die radioaktiven Abfälle vorgesehen.
Wenn, wie von den Betreibern geplant, zwei dieser Projekte gebaut
werden, entstehen mit ihnen auch zwei temporäre Deponien für
Atommüll.
Dabei ist klar, dass die geplanten AKWs Platz brauchen
würden, um die radioaktiven Abfälle bis zur Inbetriebnahme
eines Endlagers zwischenzulagern. Unbestritten war jedoch bisher, dass
sämtliche Abfälle aus den bestehenden fünf Atomanlagen
vorerst im zentralen Zwischenlager (Zwilag) in Würenlingen
deponiert werden. Sämtliche abgebrannten Brennelemente, aber auch
verstrahlte Anlageteile, die dereinst beim Rückbau der Anlagen
anfallen werden, hätten in Würenlingen Platz, erklärt
Zwilag-Geschäftsführer Walter Heep: "Das ist ja gerade der
Sinn des Zwilag."
Die Masse eines Fussballfelds
Nun sehen die AKW-Betreiber jedoch vor, neben den neuen
Atomkraftwerken riesige Hallen zu errichten, in denen nicht nur die
Abfälle der geplanten Atomanlagen, sondern auch die abgebrannten
Brennelemente und die Rückbauabfälle der bestehenden AKWs
Platz haben sollen. In Beznau etwa ist allein für das
Zwischenlager für Brennelemente eine Halle von 145 Metern
Länge und 42 Metern Breite vorgesehen - die Masse eines kleineren
Fussballfelds. In Mühleberg könnte die Halle bis 200 Meter
lang und bis 80 Meter breit sein. Neue Zwischenlager seien "im Moment
bloss eine Option", sagt BKW-Sprecher Antonio Sommavilla: "Wir
könnten damit Synergien ausnützen und die alten Werke
schneller zurückbauen."
Bei den Umweltorganisationen reagiert man skeptisch.
Grundsätzlich habe man immer gefordert, dass der radioaktive
Müll direkt bei den AKWs zwischengelagert werde, so Florian
Kasser, Greenpeace-Atomspezialist: "Allerdings muss man den Leuten dann
auch klar sagen, dass selbst nach der Stilllegung des AKWs noch
während Jahrzehnten eine riesige Halle mit hochradioaktiven
Abfällen in der Gegend herumstehen wird."Thomas Angeli
---
Tagesschau sf.tv 23.12.10
Stromkonzerne spannen zusammen
Die Energiekonzerne Axpo, Alpiq und BKW wollen in der AKW-Frage
zusammenarbeiten. Sie haben eine Gesellschaft gegründet, die
über die Standorte von zwei neuen Atomkraftwerke beraten soll.
http://videoportal.sf.tv/video?id=129709e0-5df8-40b2-a82b-49ca5fe78ca8
---
Blick am Abend 23.12.10
Eine geballte Ladung für neue AKWs
ATOM
Die Stromgiganten Axpo, Alpiq und BKW spannen beim Bau von zwei
AKWs zusammen.
thomas.ungricht@ringier.ch
Wir führen miteinander Gespräche", hiess es jeweils,
wenn die drei grossen Stromkonzerne zum Bau von neuen Atomkraftwerken
befragt wurden. Ab sofort will man nicht nur miteinander reden, sondern
gemeinsam entscheiden.
Die drei Stromkonzerne Axpo, Alpiq und die BKW gründen eine
Aktiengesellschaft, die sich mit der Planung und dem Neubau von zwei
neuen AKWs befasst. Das Vorgehen beinhaltet auch die Standortwahl.
Hier will man an den Projekten an den Standorten Beznau (AG),
Mühleberg (BE) und Gösgen (SO) weiter festhalten.
Alle drei Ersatz-Atomkraftwerke würden nun parallel und
gleichwertig weiterentwickelt, heisst es heute. Der Entscheid, welche
beiden Projekte verwirklicht werden, falle spätestens Mitte 2012 -
vor dem Botschaftsund Entscheidentwurf des Bundesamts für Energie.
Falls bis zu dieser Frist immer noch alle drei AKW-Projekte als
gleichwertig beurteilt würden, werden die beiden Standorte gebaut,
die zuerst ausser Betrieb genommen werden müssen. Das wären
dann Mühleberg und Beznau. Das Nachsehen hätte Gösgen
und die Betreiberin Alpiq. "Wir stehen trotzdem voll und ganz hinter
der Einigung der Energiekonzerne", sagte Alpiq-Sprecher Martin
Bahmüller. Ein Entscheid gegen Gösgen wäre für ihn
überraschend, da das AKW im Kanton Solothurn politisch gut
abgestützt sei.
Möglicherweise bringt eine Konsultativabstimmung im Kanton
Bern am 13. Februar die Vorentscheidung. Das Volk wird zu einem neuen
AKW in Mühleberg befragt. Ein Nein an der Urne würde den
Standort Mühleberg entscheidend schwächen. Rechtliche
Konsequenzen hat die Abstimmung, aber keine. Doch wenn die Politik zwei
von drei Standorten auswählen muss, wird sie darauf achten, wo die
Akzeptanz am höchsten ist. Ein erster Stimmungstest war 2009 eine
Abstimmung im Kanton Waadt. Dort wurde eine unbefristete Bewilligung
vom AKW Mühlberg deutlich abgelehnt.
Der Bundesrat wird voraussichtlich Mitte 2012 über die
Gesuche entscheiden. Danach ist das Parlament am Zug. Das letzte Wort
hat das Volk. Die Volksabstimmung wird vor aussichtlich Ende 2013
stattfinden. Stimmt das Volk zu, könnten die neuen AKWs zwischen
2025 und 2027 ans Netz gehen.
---
presseportal.ch 23.12.10
Axpo Holding AG, Alpiq Holding AG und BKW FMB Energie AG
Einigung über Planung und Bau der Ersatz-Kernkraftwerke erreicht
Bern (ots) -
Axpo, Alpiq und BKW haben sich auf das weitere gemeinsame Vorgehen
bezüglich Planung und Neubau von zwei Ersatz-Kernkraftwerken
geeinigt. Diese sollen als Ersatz für die wegfallenden nuklearen
Produktionskapazitäten in der Schweiz und die langfristigen
Importverträge aus Frankreich dienen. Damit ist im Hinblick auf
die Wahrung der zukünftigen Versorgungssicherheit der Schweiz ein
Meilenstein erreicht. Axpo, Alpiq und BKW bringen ihre laufenden
Projekte in eine gemeinsame Planungsgesellschaft ein. Die drei Projekte
werden vorläufig parallel und gleichwertig weiter entwickelt.
Entscheide bezüglich der Standorte oder der Reihenfolge werden zu
einem späteren Zeitpunkt gefällt.
Nach intensiven Verhandlungen haben sich Axpo bzw. ihre
Konzerngesellschaften Axpo AG und Centralschweizerische Kraftwerke AG,
Alpiq und BKW über das weitere Vorgehen für den Ersatz der
wegfallenden nuklearen Produktionskapazitäten sowie der
französischen Importverträge durch den Neubau zweier
Kernkraftwerke geeinigt. Diese Einigung wird von allen Beteiligten als
Meilenstein auf dem Weg zu einer sicheren und zuverlässigen
Stromversorgung der Schweiz betrachtet.
Axpo, Alpiq und BKW beteiligen sich je zu einem Drittel an einer
gemeinsamen Planungs- und Projektgesellschaft. Deren Zweck ist die
partnerschaftliche Planung dreier vergleichbarer Projekte bis zur
definitiven Festlegung der Reihenfolge. Damit können die
politischen und behördlichen Verfahrensabläufe beschleunigt,
Synergien bei der Evaluation genutzt und Kosten gespart werden.
Ausserdem werden die Voraussetzungen für eine mögliche
zukünftige gemeinsame Betriebsgesellschaft geschaffen.
Der definitive Entscheid über die zu realisierende Reihenfolge
wird spätestens vor dem Botschafts- und Entscheidentwurf
gemäss dem Rahmenbewilligungsverfahren für neue
Kernkraftwerke des Bundesamts für Energie (BFE) getroffen -
gemäss heutigem Stand der Planung Mitte 2012. Als Basis für
den Entscheid dienen neben der langfristigen Standortsicherung sowohl
wirtschaftliche und politische Aspekte als auch Abklärungen des
laufenden Prüfprozesses der drei Rahmenbewilligungsgesuche durch
die Behörden. Falls diese Gesamtbeurteilung keine relevanten
Unterschiede ergibt, werden die Standorte in der Reihenfolge der
Ausserbetriebnahme der bestehenden Anlagen berücksichtigt.
Die Beteiligungsverhältnisse der drei Unternehmen an den
Partnerwerken sehen wie folgt aus: 59% Axpo (Axpo AG 48,6%,
Centralschweizerische Kraftwerke AG 10,4%), 25,5% Alpiq, 15,5% BKW.
Diese Aufteilung spiegelt den heutigen Anteil der drei Partner am
nuklearen Produktionspark der Schweiz und nicht die Marktanteile an der
Versorgung in der Schweiz (Axpo 35%, Alpiq 24%, BKW 14%) wider.
Für die erste Anlage wird das Beteiligungsverhältnis unter
Berücksichtigung verschiedener Faktoren, wie die Laufzeiten der
bestehenden Anlagen, leicht verschoben (Alpiq -3%, BKW +3%).
Axpo CEO Heinz Karrer betont: "Die nun erreichte Einigung ist ein
wichtiger Durchbruch. Damit können wir auch in Zukunft unseren
praktisch CO2-freien Strommix aus Wasserkraft, Kernenergie und neuen
erneuerbaren Energien gewährleisten."
Alpiq CEO Giovanni Leonardi: "Die Einigung ist ein gemeinsames
Bekenntnis der drei Partner für die Versorgungssicherheit unseres
Landes."
BKW CEO Kurt Rohrbach ergänzt: "Axpo, Alpiq und BKW haben seit
Beginn der Verhandlungen eine einvernehmliche Lösung angestrebt.
Wir freuen uns, dass diese nun vorliegt."
Investitionen in die Versorgungssicherheit
Die bundesrätliche Energiepolitik setzt neben der
Energieeffizienz, der Förderung der erneuerbaren Energien und der
Zusammenarbeit mit Europa insbesondere auf den Ersatz oder Neubau von
Grosskraftwerken. Darauf basierend und um die Versorgungssicherheit in
der Schweiz zu gewährleisten, haben Alpiq (Juni 2008) sowie die
Axpo Tochterunternehmen Axpo AG und Centralschweizerische Kraftwerke AG
zusammen mit BKW FMB Energie AG (Dezember 2008) beim BFE
Rahmenbewilligungsgesuche für Kernkraftwerke an den Standorten
Niederamt (SO), Mühleberg (BE) und Beznau (AG) eingereicht. Am 30.
Oktober 2009 übergaben die drei Projektanten die auf den im April
2009 erfolgten Antrag des Eidgenössischen
Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI) überarbeiteten Unterlagen zu
ihren Rahmenbewilligungsgesuchen an das BFE. Im November 2010
bestätigte das ENSI in seinen Gutachten die drei Standorte. Der
Bundesrat wird laut BFE voraussichtlich Mitte 2012 über die drei
vorliegenden Rahmenbewilligungsgesuche entscheiden, rund fünf
Monate später als bisher geplant.
Über Axpo
Der Axpo Konzern mit der Axpo AG, der Centralschweizerischen Kraftwerke
AG (CKW) sowie der EGL AG ist ein führendes Schweizer
Energieunternehmen mit lokaler Verankerung und internationaler
Ausrichtung. Stromproduktion, Handel, Verkauf und Dienstleistungen sind
in den Unternehmensgruppen vereint. Axpo versorgt zusammen mit Partnern
rund 3 Millionen Menschen in der Schweiz mit Strom. Die Axpo Holding AG
ist zu 100 Prozent im Besitz der Nordostschweizer Kantone. Weitere
Informationen: www.axpo.ch
Alpiq: Schweizer Wurzeln - Engagement in ganz Europa
Die Alpiq Holding AG ist das führende Energiehandelsunternehmen
und die grösste Energiedienstleisterin der Schweiz mit
europäischer Ausrichtung. Der Konzern ist Anfang 2009 aus dem
Zusammenschluss der beiden Energiepioniere Atel Holding AG und Energie
Ouest Suisse SA (EOS) entstanden. Er ist in 31 Nationen tätig, hat
Tochtergesellschaften in 27 Ländern, beschäftigt mehr als 10
000 Mitarbeitende und erwirtschaftete 2009 einen konsolidierten
Jahresumsatz von rund 15 Milliarden Schweizer Franken. Alpiq ist in der
Stromerzeugung und im Stromtransport, im Vertrieb und Handel sowie im
Bereich Energieservice aktiv. Das Unternehmen ist zusammen mit seinen
Partnern für rund ein Drittel der Schweizer Stromversorgung
verantwort-lich. Mehr Informationen zu Alpiq: www.alpiq.com
BKW - vertikal integriert und in ausgewählten europäischen
Märkten tätig
Die BKW FMB Energie AG ist mit 3'592 Mio. CHF Umsatz (2009) eines der
bedeutendsten Schweizer Energieunternehmen. Sie beschäftigt rund
2'800 Mitarbeitende und deckt alle Stufen der Energieversorgung ab: von
der Produktion über den Transport und Handel bis hin zum Vertrieb.
Sie versorgt direkt und indirekt über ihre Vertriebspartner mehr
als eine Million Menschen in der deutsch- und
französischsprachigen Schweiz. Mit ihrem Handels- und
Vertriebsgeschäft engagiert sich die BKW zudem in
ausgewählten ausländischen Märkten. Der
BKW-Produktionspark umfasst Wasserkraftwerke, ein Kernkraftwerk sowie
Anlagen neuer erneuerbarer Energien (Wind und Sonne). In
Deutschland und Italien will die BKW in den nächsten Jahren ein
Windkraftportfolio von insgesamt 750 MW aufbauen. Dank ihrem Engagement
für erneuerbare Energien und ihren Ökostromangeboten unter
der Angebotsmarke 1to1 energy ist die BKW heute die grösste
Ökostromanbieterin in der Schweiz. Die BKW unterhält in der
Schweiz auch ein weit verzweigtes, engmaschiges Stromnetz. Die
Leitungen erreichen eine Länge von über 20'000 Kilometern.
Zusammen mit den zahlreichen Schalt- und Transformierungsanlagen
erschliessen sie das Versorgungsgebiet bis zu den abgelegensten
Orten.Weitere Informationen: www.bkw-fmb.ch
Kontakt:
Axpo Holding AG | Corporate Communications
Media Hotline | 0800 44 11 00
Anahid Rickmann | 044 278 41 68
Alpiq Holding AG, Corporate Communications
062 286 71 10
Martin Bahnmüller
BKW FMB Energie AG,Media Communications
031 330 51 07
Antonio Sommavilla
---
presseportal.ch 23.12.10
Einigung zwischen Axpo Holding AG, Alpiq Holding AG und BKW FMB Energie
AG
Bedeutung der Einigung für die BKW
Bern (ots) - Nach längeren Verhandlungen haben sich die Axpo
Holding AG, die Alpiq Holding AG und die BKW FMB Energie AG (BKW) auf
das weitere gemeinsame Vorgehen bezüglich Planung und Neubau von
zwei Ersatzkernkraftwerken, inklusive Vorgehen betreffend Standortwahl,
geeinigt.
Als Basis für diese Einigung dienen neben der langfristigen
Standortsicherung sowohl wirtschaftliche und politische Aspekte als
auch Abklärungen des laufenden Prüfprozesses der drei
Rahmenbewilligungsgesuche durch die Behörden. Falls diese
Gesamtbeurteilung keine relevanten Unterschiede ergibt, werden die
Standorte in der Reihenfolge der Ausserbetriebnahme der bestehenden
Anlagen berücksichtigt (d.h. zuerst werden Beznau und
Mühleberg ersetzt, dann Gösgen). Der definitive Entscheid
über die Standorte und die über zu realisierende Reihenfolge
wird zu einem späteren Zeitpunkt gefällt.
Die BKW wird die Betriebsführung des Ersatzkernkraftwerks
Mühleberg (EKKM) übernehmen. Die anderen Partner werden sich
am Ersatzkernkraftwerk Mühleberg beteiligen und helfen so, die
Finanzierungslasten und das Betriebsrisiko wie üblich bei
Partnerwerken mitzutragen. Das Partnerwerkmodell, das sich bei den
meisten grösseren Wasserkraftanlagen (z.B. KWO, Mattmark, Grande
Dixence, Engadiner Kraftwerke) und auch bei den neueren Schweizer KKW
(Gösgen und Leibstadt) bewährt hat, dient der
Risikodiversifikation und wird auch beim anderen Ersatzkernkraftwerk
angewandt. Zudem kann die BKW bei wichtigen Fragen wie beispielsweise
die Reaktorwahl nicht überstimmt werden.
Die Betriebsführung der BKW in Mühleberg wird durch die
Partner anteilig abgegolten, so dass die BKW bei EKKM gegenüber
den Bezugsanteilen zusätzlich profitiert. Zudem ermöglicht
die Betriebsführung die Beibehaltung, resp. den Aufbau des
entsprechenden Know-hows in der Region Bern / Nordwestschweiz und die
Bewirtschaftung des Kraftwerks bezüglich Systemdienstleistungen.
Dies ermöglicht der BKW, die Produktion zu optimieren.
Die Strombezugsanteile aus den beiden Kraftwerken entsprechen den
heutigen Beteiligungsanteilen an Kernenergiekapazitäten (Axpo
48.6%, Alpiq 25.5%, BKW 15.5%, CKW 10.4%). Für das erste
Ersatzkernkraftwerk werden die Anteile unter Berücksichtigung
verschiedener Faktoren, wie die Laufzeiten der bestehenden Anlagen,
zudem leicht verschoben (Alpiq -3%, BKW +3%). Gemäss Vereinbarung
über den Strombezug aus den beiden Ersatzkernkraftwerken wird die
BKW Kraftwerksanteile im Umfang von über 500 MW bekommen. Damit
kann die BKW das bestehende KKW Mühleberg (372 MW) und den
Strombezugsvertrag aus dem KKW Fessenheim (F) im Umfang von 88 MW
kompensieren und so die Stromversorgung im BKW-Versorgungsgebiet
langfristig sichern.
Die seit Jahrzehnten bewährte Stromversorgung der BKW mit
Kernenergie und erneuerbaren Energien kann so weitergeführt werden.
Kontakt:
Antonio Sommavilla
Media Communications / BKW FMB Energie AG
031 330 51 07
---
Südostschweiz 23.12.10
Neue AKW: Glarner sollen mitreden
Die Grünen wollen, dass das Glarner Volk bei der
Stellungnahme des Kantons zu neuen Schweizer Atomkraftwerken mitreden
kann. Hierzu stellen sie der Regierung in einer Interpellation Fragen.
Glarus. - Die Kantone werden voraussichtlich im nächsten
Jahr zu den Rahmenbewilligungsverfahren für drei neue
Atomkraftwerke Stellung nehmen können. In einer Interpellation an
die Regierung verlangt nun die Grüne Landratsfraktion, dass das
Glarner Volk hier mitreden kann.
Die Grünen betonen, dass der Kanton Glarus als
Miteigentümer des Stromkonzerns Axpo "direkt mitbetroffen sei".
Die Bevölkerung habe aber keinen Einfluss auf "ihre" Axpo. Diese
handle im Auftrag der Kantone nach eigenem Gutdünken. "Deshalb
muss die Bevölkerung bei der Stellungnahme des Kantons mitreden
können", schreiben die Grünen.
Gibt es eine Vernehmlassung?
Sie fragen die Regierung in der Interpellation, ob sie ebenfalls
der Ansicht sei, dass das Volk bereits frühzeitig - "also jetzt
bei der Stellungnahme des Kantons" - einbezogen werden solle. Des
weiteren möchte die Partei von der Regierung wissen, ob sie bereit
sei, zur Stellungnahme eine Vernehmlassung bei Parteien, Verbänden
und der Bevölkerung durchzuführen.
Auch über die politische Linie der Regierung wollen die
Grünen Bescheid wissen: "Ist der Regierungsrat bereit, bei seiner
Stellungnahme den Umbau der Energieversorgung auf der Basis
erneuerbarer Energien und ohne neue Atomkraftwerke zu verlangen?",
heisst es in der Interpellation. (eing)
---
Aargauer Zeitung 23.12.10
Standortwahl für Lager von Atommüll: Fairness verlangt
Zeihen Gemeinderat äussert sich zum Sachplan geologisches
Tiefenlager
Walter Christen
"Man muss sich weiter intensiv Gedanken darüber machen, wie
es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit der Entsorgung von
radioaktiven Abfällen weitergehen soll. Das ist ein heikles,
komplexes Thema und ruft gewisse Bedenken hervor. Es handelt sich bei
der Entsorgung radioaktiven Abfalls um ein
generationenüberschreitendes Problem." Dies hielt der Zeiher
Gemeindeammann Ueli Schenk im Gespräch mit der az Aargauer Zeitung
fest.
Das Dorf Zeihen im Standortgebiet
Zeihen ist eine der tangierten Gemeinden im ausgeschiedenen
Standortgebiet, wo die unterirdischen Anlagen für ein geologisches
Tiefenlager für hochaktive Abfälle im Opalinuston der
Bözbergregion erstellt werden könnte. Doch der vorgeschlagene
Zeitplan birgt aus Zeiher Sicht die grosse Gefahr, dass eine
vorschnelle Gesamtbewertung der Standorte vorgenommen wird. Aus diesem
Grund müsse der Zeitplan massiv ausgeweitet werden. "Es soll keine
zu schnelle Gangart eingeschaltet werden", so Gemeindeammann Ueli
Schenk.
Da die Gemeinde Zeihen direkt und/oder indirekt von einem
potenziellen Tiefenlager Bözberg betroffen wäre, hat der
Gemeinderat die Möglichkeit im Rahmen des Mitwirkungsverfahrens
zum Sachplan genutzt und eine Stellungnahme beim Bundesamt für
Energie eingereicht.
Das Sachplanverfahren soll gewährleisten, dass die infrage
kommenden Gebiete für ein geologisches Tiefenlager transparent und
fair untersucht und geprüft werden. Dazu soll die
Öffentlichkeit über Grundsätze, Vorgehensweisen und
Ziele des Bundes bei der Entsorgung von nu-klearen Abfällen
informiert werden. Trotz grossem Aufwand vonseiten des Bundesamtes
für Energie, die Öffentlichkeit auf dem Laufenden zu halten,
gab es inzwischen Rückmeldungen aus der Bevölkerung, wonach
weitere, auch für Laien besser verständliche Informationen
nützlich gewesen wären.
Höchste Sicherheit hat Priorität
Höchste Priorität hat aus Sicht des Gemeinderats Zeihen
die Langzeitsicherheit. "Es ist daher eher unver-ständlich, dass
der Jura (Bözberg) zur Auswahl steht. Gerade das Juragebirge ist
in Bewegung, was für ein allfälliges Tiefenlager grosse
Probleme mit sich bringen könnte. Zudem muss die Problematik der
unterschiedlichen Erosionsarten in den Sicherheitsanalysen vertieft
untersucht werden."
Für die sozioökologischen Studien wurde vom Bundesamt
für Raumplanung, unter Einbezug der Arbeitsgruppe Raumplanung,
eine Methodik entwickelt. "Mit einem gewissen Unbehagen müssen wir
darauf vertrauen, dass diese Methodik zu plausiblen Resultaten
führt. Wir sind deshalb der Meinung, dass die vom Ausschuss der
Kantone empfohlene Zusatzuntersuchung zu Gesellschaft und Image
dringend gemacht werden sollte", heisst es in der Stellungnahme des
Gemeinderats Zeihen.
"Nicht die hohle Hand machen"
Allfällige negative Einflüsse müssen erkannt und
abgegolten werden, würde doch der Jurapark ansonsten klar an
Glaubwürdigkeit verlieren, meint die Zeiher Exekutive. "Es
gäbe sicher verschiedene Arten von Entschädigungen. Die
betroffenen Gemeinden müssten diesbezüglich
berücksichtigt werden. Aber einfach die hohle Hand machen
wäre auch nicht das Wahre", so Ueli Schenk.
--
Tiefenlager in der Region?
Ein oder zwei Tiefenlager sollen in der Schweiz für die
Lagerung radioaktiven Mülls gebaut werden. Abklärungen in 6
Gebieten werden vorgenommen, auch im Raum Bözberg/oberes Fricktal.
Die Gemeinde Zeihen liegt im Standortgebiet des Tiefenlagers. Neben dem
Platz für die Aufbewahrung des radioaktiven Abfalls in 500 bis 900
Meter Tiefe wird im Einzugsgebiet eine Empfangsanlage benötigt.
Das Material soll dort umgeladen und bis zu 5 Kilometer weit ins
Endlager geführt werden. (chr)
---
Südostschweiz 23.12.10
Regierung will Klarheit von der Axpo
Anfang November reichte die grüne Landratsfraktion eine
Interpellation zum Bezug von Uranbrennmaterial aus Majak (Russland)
durch die Axpo ein. Die Regierung hat nun eine Antwort gegeben.
Glarus. - Von Umweltverbänden wird bezweifelt, dass die
Anlage in Majak international anerkannte Umwelt-Standards einhält.
Die Axpo trifft dazu zurzeit Abklärungen. Der Regierungsrat
erwartet hierzu umfassende Informationen und begrüsst, "dass die
Axpo gewillt ist, volle Transparenz in den Brennstoffkreisläufen
zu schaffen und die Öffentlichkeit laufend über neue
Erkenntnisse zu informieren".
Beurteilung durch Axpo
Gemäss Mitteilung ist dem Regierungsrat wichtig, dass in der
gesamten Lieferkette internationale Umwelt- und Qualitätskriterien
eingehalten werden. Die Regierung erwartet deshalb von der
Geschäftsleitung und vom Verwaltungsrat der Axpo, dass
allfällige Massnahmen ergriffen werden, falls
"Unregelmässigkeiten im Umgang mit Mensch und Umwelt" entdeckt
werden.
Eine Beurteilung darüber müsse abschliessend durch den
Verwaltungsrat der Axpo Holding AG erfolgen. Der Regierungsrat lehnt es
daher ab, eine fristlose Kündigung der Verträge zu verlangen,
ohne dass die Resultate der Abklärungen vorliegen. (mitg)
---
NZZ 23.12.10
Uranbrennstäbe aus Russland
(sda) · Die Umweltorganisation Greenpeace fordert von den
Aktionären des Atomkraftwerks Gösgen volle Transparenz zur
Verwendung von Brennelementen aus der russischen
Wiederaufbereitungsanlage Majak. Die Anlage belastet die Umwelt und
Menschen radioaktiv.
---
L'Hebdo 23.12.10
Avenir énergétique
Le lobby du nucléaire déjà à l'œuvre
MICHEL GUILLAUME
Au printemps prochain, la plupart des cantons romands se
prononceront - à titre consultatif - sur l'avenir du
nucléaire. A Berne, le lobby s'installe.
Le compte à rebours est enclenché. Le débat,
enseveli durant près de vingt ans, est relancé.
L'Inspection fédérale de la sécurité
nucléaire vient de déclarer conformes les trois demandes
de nouvelles centrales. Au printemps prochain, plusieurs cantons
romands organiseront des votations consultatives pour arrêter
leur position. Le Conseil fédéral se prononcera en 2012,
avant que le peuple suisse n'ait le dernier mot, en 2014 au plus tard.
Les trois grands groupes électriques, Alpiq, Axpo et FMB,
souhaitent tous une nouvelle centrale. Ils se montrent gourmands,
probablement trop. Ils sont prêts à investir de grosses
sommes - près de 25 millions de francs jusqu'à la
votation selon les estimations - pour faire triompher leur cause. A lui
seul, le Forum nucléaire, qui est financé par les
électriciens, affiche un budget annuel de plus de trois millions.
Les deux camps affûtent leur argumentaire. Les partisans du
nucléaire thématisent surtout la pénurie
d'électricité qui se profile à l'horizon 2020. Ils
ont pour l'instant une longueur d'avance dans les sondages, qui leur
donnaient en 2009 une majorité de près de 55%. Leurs
adversaires ne se résignent pas. Plus que jamais, ils sont
prêts à monter au front. Ils insistent sur les risques de
cette technologie. Ces dernières semaines, ils n'ont pas
manqué de dénoncer la provenance douteuse de l'uranium
russe des centrales du groupe Axpo, qui a été contraint
d'avouer certains faits avérés. Ils
répètent que le problème du dépôt des
déchets nucléaires n'est toujours pas résolu. En
Suisse allemande, aucune région ne veut l'accueillir.
Le 13 février 2011, le canton de Berne sera le premier
à voter. Il ne s'agit que d'un scrutin consultatif, une
péripétie dans le débat, pourrait-on croire. En
fait, il est capital, car il donnera non seulement le ton du
débat, mais aussi un fort signal sur les sites retenus en 2012
par le Conseil fédéral. Si les partisans du
nucléaire perdent la votation, il est à peu près
certain que le site de Mühleberg n'entrera plus en ligne de compte
pour une nouvelle centrale.
En Suisse romande, les dates des votations ne sont pas encore
arrêtées. Durant le premier semestre, Vaudois et
Jurassiens seront appelés aux urnes. Le débat y sera
moins passionné qu'outre-Sarine, où sont situées
les cinq centrales en fonction. Les Romands sont moins engagés
dans le nucléaire; ils ne le sont qu'à travers EOS
Holding (EOSH), désormais actionnaire à 31% d'Alpiq, qui
possède de fortes participations minoritaires dans les centrales
de Leibstadt (32%) et de Gösgen (40%).
Déplacer les priorités.
Mais les principaux actionnaires d'EOSH - Romande Energie, les
Services industriels de Genève (SIG), de Lausanne (SIL) et
Groupe E notamment - sont pour la plupart convaincus de la
nécessité de déplacer les priorités en
matière énergétique ou alors proposent de
construire des centrales à gaz. Comme ils sont avant tout des
distributeurs d'électricité, ils portent désormais
l'accent à la fois sur l'efficience (les économies) et le
développement des nouvelles énergies renouvelables.
Dans le cadre des négociations de la Suisse avec l'UE
devant déboucher sur un accord sur l'électricité,
un bras de fer a d'ailleurs vu s'affronter les distributeurs des
grandes villes suisses (Swisspower) aux grands groupes
nucléaires réunis au sein de Swisselectric. Ceux-ci
s'opposaient au fait que le Conseil fédéral étende
son mandat de négociation à la directive de Bruxelles sur
les énergies renouvelables. Le gouvernement a tranché en
faveur des premiers.
Sur le plan politique, les positions sont claires. L'UDC et le
PLR veulent construire deux nouvelles centrales; les socialistes et les
Verts s'y opposent. Le PDC, le parti de la cheffe du DETEC Doris
Leuthard, jouera le rôle d'arbitre. Il prépare un papier
de position qui sera dévoilé en janvier prochain. Il
pourrait pencher - dans un premier temps en tout cas - pour la
construction d'une seule, mais grande centrale. La bataille sera
formidable, le lobby du nucléaire (voir ci-contre) fourbit ses
armes jusqu'au cœur de la Berne fédérale.
--
GROUPE PARLEMENTAIRE AVES (100 membres)
Action pour une politique de l'énergie raisonnable
ROLF SCHWEIGER (CE-ZG/PLR) Président
PANKRAZ FREITAG (CE-GL/PLR) Vice-président d'AXPO Les
Romands:
DOMINIQUE BAETTIG (CN-JU/UDC)
JACQUES BOURGEOIS (CN-FR/PLR)
MARTINE BRUNSCHWIG GRAF (CN-GE/PLR)
CHARLES FAVRE (CN-VD/PLR)
JEAN-PIERRE GRABER (CN-BE/UDC)
JEAN-PIERRE GRIN (CN-VD/UDC)
RENÉ IMOBERDORF (CE-VS/PDC)
GUY PARMELIN (CN-VD/UDC)
ANDRÉ REYMOND (CN-GE/UDC)
URS SCHWALLER (CE-FR/PDC)
--
UN LOBBY TRÈS PUISSANT
Doris Leuthard, la cheffe du Département
fédéral de l'environnement, des transports, de
l'énergie et de la communication (DETEC), aura fort à
faire pour arbitrer le débat nucléaire. Un puissant lobby
exercera sur elle de fortes pressions pour que le Conseil
fédéral propose au Parlement, puis au peuple, la
construction de deux nouvelles centrales. A sa tête, les trois
grands groupes Alpiq, Axpo et FMB, dont l'actionnariat est souvent
contrôlé par les collectivités publiques à
travers leurs services électriques. Leur meilleur allié
sera l'association economiesuisse. Leurs patrons Hans Schweickardt
(Alpiq), Heinz Karrer (Axpo) et Kurt Rohrbach (FMB) font tous partie de
son comité.
--
FÉDÉRATION ROMANDE DE L'ÉNERGIE CHANTAL
BALET présidente PAUL-ANDRÉ ROUX (CN-VS/PDC),
vice-président JACQUES BOURGEOIS (CN-FR/PLR),
vice-président JEAN-PIERRE BOMMER secrétaire
général
SWISSNUCLEAR (section énergie nucléaire de
Swisselectric)
SWISSELECTRIC (association regroupant les grands producteurs
d'électricité)
FORUM NUCLÉAIRE CORINA EICHENBERGER (CN-AG/PLR),
présidente BRUNO PELLAUD vice-président
BURSON MARSTELLER (agence de communication du Forum
nucléaire)
FORUM SUISSE DE L'ÉNERGIE RUDOLF STEINER Président
HAJO LEUTENEGGER Vice-président, président ASIG
(Association suisse de l'industrie du gaz) KURT ROHRBACH
Vice-président, président direction FMB, président
de l'Association des entreprises électriques suisses)
---
Bund 22.12.10
Betreiber setzen auf Bewährtes
Die Stromkonzerne Axpo und BKW treiben die Planung für zwei
neue Schweizer Atomkraftwerke voran. Geplant sind Leichtwasserreaktoren
der neuen Generation.
Martin Läubli
Die Stromkonzerne Axpo und BKW setzen auf bewährte
Technologie, wenn es darum geht, die Kernkraftwerke Beznau und
Mühleberg zu ersetzen. Es sollen Leichtwasserreaktoren sein wie
bisher, "vollständig, schlüsselfertig und betriebsbereit",
heisst es in der Ausschreibung der Resun AG. Die Planungsgesellschaft
hat für Axpo und BKW die Beschaffung zweier neuer AKW eingeleitet
- unabhängig, ob der Kanton Bern im kommenden Februar einer
Vernehmlassung zum Bau eines neuen Kraftwerks in Mühleberg
zustimmt.
Zur Kategorie der Leichtwasserreaktoren gehören bereits der
Siedewasserreaktor in Mühleberg und die Druckwasserreaktoren in
Beznau, die in den 1970er-Jahren gebaut wurden. Ihnen ist gemeinsam:
Der Kernspaltungsprozess wird mit gewöhnlichem Wasser
gekühlt, das überwiegend das leichteste Wasserstoff-Isotop
Protium enthält. Solche Anlagen der zweiten Generation liefern den
grössten Teil des nuklearen Stroms in Europa.
Nun nähert sich die Lebensdauer dieser Reaktoren
allmählich dem Ende. Die Ersatzreaktoren sollen bedeutend mehr
Leistung erbringen: netto rund 1160 bis 1740 Megawatt. "Es kommen nur
Reaktorsysteme der neusten Generation infrage mit einer weltweit
anerkannten Reaktortechnologie, die zertifiziert, im Bau oder sogar
schon in Betrieb sind", heisst es auf der Website der Resun AG. Die
neusten Reaktoren zählen zur dritten Generation, die seit den
1980er-Jahren entwickelt wurde und heute marktreif ist. Dazu
gehören inzwischen acht verschiedene Typen von
Leichtwasserreaktoren, die von acht unterschiedlichen Unternehmen
angeboten werden.
Der Generationenwechsel brachte grundsätzlich keine Neuerung
im technischen System der Energiegewinnung. Der Betrieb der zweiten
Generation hat sich bisher bewährt, die Technologie hat 12 000
Reaktorbetriebsjahre hinter sich. Technisch heisst das: Auch die neuen
Leichtwasserreaktoren funktionieren mit Uran, das zu vier Prozent mit
dem spaltbaren Isotop Uran 235 angereichert wurde. Wasser ist das
Kühlmittel. Es nimmt die Wärme der Kernspaltung auf und gibt
die Energie in Form von Dampf ab. Der Dampf treibt dann eine
Stromturbine an.
Unterschiedlich sind allerdings die Sicherheitskonzepte. Begonnen
hat die Entwicklung bereits 1978 nach dem schweren Störfall im
Druckwasserreaktor Three Miles Island im amerikanischen Harrisburg. Die
Zerstörung des Reaktors im Kernkraftwerk in Tschernobyl 1986 hat
die Neuentwicklung zur dritten Generation weiter vorangetrieben. Die
Maxime hiess: "Kernreaktoren sollen so sicher sein, dass selbst bei
einer Kernschmelze, die Bevölkerung nicht evakuiert werden muss",
sagt Thomas Schulenberg vom Institut für Kern- und Energietechnik
in Karlsruhe.
Schutz bei Kernschmelze
So entstand in Europa in deutsch-französischer
Zusammenarbeit der europäische Druckwasserreaktor EPR. Er wurde
erstmals 2003 verkauft. In Finnland und Frankreich sind derzeit zwei
AKW dieses Typs im Bau, zudem entstehen zwei Anlagen im chinesischen
Taishan. Der EPR des französischen Konzerns Areva gehört laut
Experten zum Favoritenkreis für die geplanten neuen Ersatz-AKW in
der Schweiz. Er gilt als Mercedes unter den Leichtwasser-Kraftwerken.
"Kein anderer Reaktortyp ist so intensiv auf seine Sicherheit
untersucht worden", sagt Schulenberg.
Das Reaktorgebäude des EPR besteht aus zwei dicken
Betonwänden. Das Herz des mehrfachen Sicherheitssystems ist eine
Wanne. Im Fall einer unkontrollierten Kernspaltung soll sie die
Kernschmelze auffangen, abkühlen und damit verhindern, dass sich
radioaktives Material durch den Boden frisst und den Untergrund
verseucht. Noch sicherer sollen die Kernreaktoren der vierten
Generation sein. Seit fünf Jahren forschen die Ingenieure daran.
Dazu gründeten zehn Nationen das Generation IV Forum, darunter die
USA, Kanada, Japan, Südkorea, Südafrika und Frankreich. Das
Motto heisst: "Sicher, wirtschaftlich und zuverlässig". Und die
Kernkraftwerke der Zukunft sollen nur wenig Abfall produzieren.
Zu dieser Kategorie gehören zum Beispiel die sogenannten
Kugelhaufenreaktoren. Das Konzept wurde bereits vor mehr als 20 Jahren
in einer deutschen Kernforschungsanlage in Jülich erfolgreich
geprüft. Der Kernbrennstoff ist in tennisballgrosse Grafitkugeln
eingeschlossen. Im Gegensatz zu den konventionellen Anlagen steuert und
kühlt nicht Wasser den Reaktor, sondern Heliumgas. Dieses System
soll gegenüber den Leichtwasserreaktoren einen höheren
Sicherheitsstandard haben.
Steigt die Temperatur im Kugelhaufen, so wird weniger Uran
gespalten. Bei Überhitzung schaltet sich der Reaktor selbst ab.
Auch der Wirkungsgrad ist besser, weil die Betriebstemperatur bei 800
Grad liegt, im Gegensatz zu Leichtwasserreaktoren, die bei etwa 350
Grad funktionieren.
Für die Schweiz dürfte der Kugelhaufenreaktor jedoch
keine Option sein, weil die Anlagen zu klein sind. Um die gleiche
Leistung wie das AKW Leibstadt zu erzielen, brauchte es zehn solcher
Kugelreaktoren. Ein Prototyp wird demnächst in China gebaut.
Das Forum glaubt, bereits in 10 bis 20 Jahren erste
Kraftwerkstypen dieser Generation ans Netz zu bringen. Der Kernphysiker
Schulenberg ist skeptisch: "Ein neues System kann nicht sicherer sein
als eines, das schon 30 Jahre läuft."
--
Finnland
Über 3000 Konstruktionsmängel
Der Bau des neuen AKW auf der Insel Olkiluoto kommt nicht
plangemäss voran.
Bruno Kaufmann, Helsinki
Schon die Baubewilligung war ein Kraftakt: Als sich das finnische
Parlament vor bald zehn Jahren für den ersten neuen Atommeiler in
Europa seit vielen Jahren aussprach, zerbrach deswegen die
Regierungskoalition. Doch die Zukunftsvisionen waren vielversprechend:
Finnland wollte vom Stromimport aus Russland unabhängig werden.
Gleichzeitig sollten die im Klimaabkommen von Kyoto vereinbarten
Umweltziele eingehalten werden. Arbeitsplätze sollten geschaffen
und der Industrie sollte günstige Elektrizität angeboten
werden. So waren der finnische Staat und der Stromkonzern TVO bereit,
das Milliardenprojekt zu subventionieren.
Seit 2004 bauen auf der Insel Olkiluoto an der finnischen
Südwestküste bis zu 4000 Arbeiter einen 1600 Megawatt starken
Druckwasserreaktor vom Typ EPR. Im Untergrund der Insel soll zudem das
weltweit erste Endlager für hoch radioaktive Abfälle
entstehen - in einer Tiefe von 500 Metern. Das gefährliche
Material wird in Kupferbehälter abgepackt und mit Beton ummantelt.
Das Bauprojekt hat Skeptikern Aufwind gegeben. So hat die
finnische Aufsichtsbehörde im Verlauf der komplexen Bauarbeiten
bereits über 3000 Konstruktionsmängel entdeckt. Ein Jahr nach
der ursprünglich für 2009 geplanten Inbetriebnahme des neuen
AKW ist immer noch unklar, wann der neue Meiler Strom produzieren wird.
Vor wenigen Wochen stellte TVO "Ende 2013" in Aussicht.
Zwei weitere Reaktoren geplant
Auch wirtschaftlich hat das Projekt bislang die Erwartungen nicht
erfüllt. Statt der ursprünglich vereinbarten gut drei
Milliarden Euro könnten die Kosten auf über sechs Milliarden
Euro steigen. Wer für diese Mehrkosten aufkommen soll, ist
Gegenstand eines juristischen Verfahrens zwischen den finnischen
Betreibern und dem französischen Areva-Konzern.
In der finnischen Bevölkerung steht heute laut
Meinungsumfragen eine Mehrheit der Atomenergie skeptisch
gegenüber. Im Unterschied zur Schweiz hat das letzte Wort in der
Energiepolitik jedoch das Parlament. Dieses hat sich im vergangenen
Sommer für einen weiteren Ausbau der Kernenergie ausgesprochen und
zwei weitere Reaktoren bewilligt.
--
USA
Die Nuklearbranche zögert
Trotz hoher Kreditgarantien werden viele Bauprojekte in den USA
zurückgestellt.
Martin Kilian, Washington
Die Vereinigten Staaten sind zwar weltweit der grösste
Produzent nuklearen Stroms, neue Atomkraftwerke aber sind seit den
1980er-Jahren nicht mehr in Betrieb genommen worden. Und hatte die
Regierung Obama noch zu Beginn des Jahres eine "nukleare Renaissance"
erwartet, so sind inzwischen mehrere Bauprojekte wieder eingestellt
worden. Die Hoffnung auf einen Fortschritt in der Nuklearenergie
gründete einerseits auf den Bedarf an "sauberer Energie"
angesichts des Klimawandels und zum anderen auf einen deutlich
erhöhten amerikanischen Strombedarf.
Kein Endlager
Bereits 2005 hatte der Kongress mit dem "Energy Policy Act" 18,5
Milliarden Dollar an Kreditgarantien zum Bau neuer Atommeiler
bewilligt, und im vergangenen Februar stellte die Regierung Obama
Kreditgarantien in Höhe von 8 Milliarden Dollar für den Bau
zweier Reaktoren der Firma Westinghouse im Bundesstaat Georgia bereit.
Dennoch zögerten diverse US-Energieversorger, neue Bauprojekte in
die Wege zu leiten: Hohe Kosten sowie das Problem der Endlagerung
nuklearen Mülls lösten bei den Energiefirmen Bedenken aus.
Das ursprünglich geplante Endlager in Yucca Mountain im Staat
Nevada wurde nach dem Widerstand der örtlichen Bevölkerung
aufgegeben. Eine neue Lösung ist nicht in Sicht.
Der niedrige Preis von Naturgas wurde zu einem weiteren Hindernis
für die Nuklearbranche, da er die Wirtschaftlichkeit von Atomstrom
gefährdet. Erwartete die Aufsichtsbehörde, die Nuclear
Regulatory Commission, noch im Frühjahr über zwanzig neue
Bauanträge, so sind die meisten Projekte inzwischen verschoben
oder eingestellt worden. Derzeit wird nur an zwei Reaktoren in Georgia
gebaut, während die Erdarbeiten für einen weiteren Meiler in
South Carolina begonnen haben.
Geplante Atomkraftwerke in Texas und Florida sind hingegen ebenso
storniert worden wie der Bau eines dritten Meilers im AKW Calvert Cliff
im Staat Maryland, der vom Washingtoner Energieministerium mit einer
Kreditgarantie von siebeneinhalb Milliarden Dollar unterstützt
wurde. Nach Ansicht amerikanischer Experten wird es deshalb auf
absehbare Zeit in den Staaten keine "nukleare Renaissance" geben.
---
Bund 21.12.10
Uran-Deklaration: Regierungsrat ist unzufrieden mit der BKW
Die BKW sollte besser Bescheid wissen über die Herkunft
ihres Urans, findet der Regierungsrat.
Sarah Nowotny
Uran, Rohstoff für die Stromproduktion in AKW, stammt zum
Teil aus Gebieten, in denen schlimme Zustände herrschen. So werden
Umwelt und Menschen rund um amerikanische und australische Minen sowie
in der Nähe der russischen Wiederaufbereitungsanlage Majak
radioaktiv verseucht. Schweizer Energiekonzerne haben zum Teil Uran aus
solch belasteten Gegenden bezogen - und tun es teilweise immer noch.
Die BKW etwa erklärte im November, sie kenne die Herkunft ihres
Urans nicht restlos, und konnte nur eine Mine zweifelsfrei als
Lieferantin identifizieren. Dies hat die Politik auf den Plan gerufen.
Die grüne Berner Grossrätin Natalie Imboden fragte die
Kantonsregierung, ob diese wisse, woher das Uran im AKW Mühleberg
stamme. Imboden fordert zudem mehr Transparenz und eine
Deklarationspflicht für die Uran-Herkunft.
In seiner gestern veröffentlichten Antwort hält der
Regierungsrat nun fest, dass er bis vor kurzem nicht wusste, woher die
BKW ihren Rohstoff bezieht. Die Nachfrage beim Unternehmen habe
ergeben, dass auch die BKW bei mindestens zwei Lieferanten die Herkunft
des Urans nicht eindeutig nachvollziehen könne, es keiner
"spezifischen Mine" zuzuordnen vermöge. Diese Situation sei "nicht
zufriedenstellend". Die Regierung erwartet nun, dass die BKW
"künftig lückenlos die Prozesse vom Uranabbau bis zur
Fertigstellung der Brennelemente kennt, diese transparent offenlegt und
sicherstellt, dass kein Natururan aus fragwürdigen Quellen bezogen
wird". Einen Abbauort, nämlich die australische Ranger-Mine,
könne die BKW sehr wohl zweifelsfrei identifizieren, sagt dazu
BKW-Sprecher Antonio Sommavilla. "Denn wir haben die Forderung der
Regierung bereits umgesetzt: Bei der Uranbeschaffung diesen Herbst
haben wir auf den Lieferanten mit der grösstmöglichen
Transparenz gesetzt, um eine lückenlose Rückverfolgung zu
ermöglichen." Der Lieferant sei nicht gleichzeitig der billigste
gewesen.
Dies dürfte nicht nur den atomkritischen Regierungsrat,
sondern auch den AKW-Befürworter Christian Wasserfallen freuen.
Der FDP-Nationalrat hatte bereits im November lückenlose
Transparenz bei der Uranbeschaffung gefordert. Die Regierung will nun
noch weiter gehen und sich beim Bund für eine gesetzlich
verankerte Deklarationspflicht der Uranherkunft einsetzen - ihre
Möglichkeiten, diese durchzusetzen, sind aber sehr beschränkt.
---
BZ 21.12.10
Uran: Regierung nimmt die BKW in die Pflicht
Uran-HerkunftFür den Berner Regierungsrat ist es
inakzeptabel, dass die BKW nicht genau weiss, woher das Uran für
ihre AKW-Brennstäbe stammt. Die Regierung fordert eine gesetzliche
Deklarationspflicht auf Bundesebene.
Die BKW musste Mitte November einräumen, dass sie nicht bis
ins letzte Detail zurückverfolgen kann, woher das Uran für
die Brennstäbe des AKW Mühleberg stammt. Zumindest eine
Uranlieferung in den letzten zehn Jahren habe es gegeben, deren Spuren
teilweise in die russische Kernaufbereitungsanlage Majak geführt
haben. Das Gebiet um Majak ist wegen Vorfällen in der Anlage stark
verseucht.
Gestern nun liess der Berner Regierungsrat verlauten, es sei
"nicht akzeptabel, dass Natururan aus ethisch fragwürdigen Quellen
stammen könnte". Die aktuelle Situation sei nicht
zufriedenstellend. Die Regierung erwarte von der BKW, dass sie
künftig die Prozesse vom Uranabbau bis zur Fertigstellung der
Brennelemente "lückenlos" kenne und sicherstelle, dass kein
Natururan aus "fragwürdigen Quellen" bezogen werde.
Der Regierungsrat platzierte diese Forderung in der Antwort auf
eine Interpellation von Grossrätin Nathalie Imboden (Grüne)
zum Thema Uran-Herkunft. Die Regierung scheint aber der BKW nicht
zuzutrauen, dass sie ihre Forderung erfüllt. Denn der
Regierungsrat will sich zusätzlich dafür einsetzen, dass auf
Bundesebene eine gesetzliche Deklarationspflicht der Uran-Herkunft
eingeführt wird. Ausserdem wird die Regierung im
BKW-Verwaltungsrat verlangen, dass sich der Stromkonzern ebenfalls
für eine solche Regelung einsetzt.
phm
---
20 Minuten 21.12.10
Intransparenz im Uranhandel
BERN. "Nicht akzeptabel" findet der Berner Regierungsrat, dass
die BKW die Herkunft des von ihr verwendeten Urans nicht lückenlos
nachweisen kann. Der Energiekonzern kann zwar laut eigenen Angaben die
Prozessschritte zur Brennelementherstellung und zur Anreicherung des
Natururans nachvollziehen. Was die Gewinnung des radioaktiven Metalls
angeht, bestehen jedoch Wissenslücken. "Das heisst, dass Uran auch
aus fragwürdigen Quellen stammen könnte", schlussfolgert der
Regierungsrat. Er will sich deshalb jetzt beim Bund für eine
Uran-Deklarationspflicht einsetzen. Laut Menschenrechtlern sterben in
Uranminen immer wieder Menschen, die Minen selbst bleiben nach dem
Abbau als strahlende Müllkippen zurück. Anstoss für die
Nachfrage des Regierungsrats bei der BKW gab ein Vorstoss von
Grossrätin Natalie Imboden (Grünes Bündnis). NJ
---
Blick am Abend 20.12.10
Regierung rüffelt BKW
SO NICHT
Die BKW weiss nicht, woher sie ihr Uran für das AKW
Mühleberg hat. Die Berner Regierung fordert jetzt eine
Deklarationspflicht.
Für den Berner Regierungsrat ist es "nicht akzeptabel", dass
der Berner Energiekonzern BKW nicht vollumfänglich sagen kann,
woher das Uran für das Kernkraftwerk Mühleberg kommt. Die
Regierung antwortete damit heute auf eine Interpellation, die
Grossrätin Natalie Imboden (Grüne) im November eingereicht
hatte. "Der Regierungsrat erwartet von der BKW, dass sie künftig
lückenlos die Prozesse vom Uranabbau bis zur Fertigstellung der
Brennelemente kennt, diese transparent offenlegt und sicherstellt, dass
kein Natururan aus fragwürdigen Quellen bezogen wird", schreibt
die Regierung in ihrer Antwort. Die Schritte zur Gewinnung des
Natururans könne die BKW nicht vollständig nachvollziehen.
Das heisse, dass Uran aus fragwürdigen Quellen stammen könnte.
Imboden wollte von der Regierung wissen, ob sie gewillt sei,
Grundlagen für eine Deklarationspflicht zu schaffen. Die
Gesetzgebung auf dem Gebiet der Kernenergie liegt jedoch in der
ausschliesslichen Kompetenz des Bundes. "Da die heutige Situation nicht
befriedigend ist, wird sich der Regierungsrat auf Bundesebene für
eine gesetzliche Deklarationspflicht der Uranherkunft einsetzen", sagt
die Regierung, die im BKW-Verwaltungsrat sitzt. Die BKW solle sich auch
selbst für eine solche Regelung einsetzen. SDA/ehi
---
NZZ 20.12.10
AKW und die Romantik im Auge
Kerntechnik-Spezialist Horst-Michael Prasser über die
Wahrnehmung seiner Zunft
Horst-Michael Prasser forscht über Effizienz und Sicherheit
von Atomkraftwerken. Zu Beginn seiner Karriere in der DDR war dies
freilich prestigeträchtiger.
Davide Scruzzi
Gerne würde sich Horst-Michael Prasser häufiger der
Kritik von AKW-Gegnern stellen. Er werde aber vor allem zu
Anlässen eingeladen, bei denen die Befürworter der Atomkraft
dominierten, sagt der 55-jährige ETH-Professor für
Kernenergiesysteme. Hat diese Kluft zwischen den AKW-Spezialisten und
kritischen Teilen der Öffentlichkeit aber nicht gerade damit zu
tun, dass sich die Wissenschafter selber mit problematischen Aspekten
der Atomenergie schwertun? Prasser gibt die Schwierigkeiten seiner
Zunft bei der Kommunikation zu. Man sei oft "übervorsichtig", um
die Kernenergie nicht in Misskredit zu bringen. Seine Disziplin
verharre in einer Verteidigungshaltung, das Reden über
Sicherheitsstandards schüre dann eher noch die Ängste. Der
Nutzen der Kernenergie komme dabei häufig zu kurz. Nötig sei
ein offener Dialog, sagt Prasser, verweist aber auf das Problem der
technischen Komplexität.
Auffällig zurückhaltend gibt sich dann allerdings auch
er selbst bei der Frage nach den jüngsten Vorwürfen an
Schweizer AKW-Betreiber, dass in den Uran-Lieferketten ökologisch
bedenkliche Anlagen in Russland involviert seien - er habe leider keine
genauen Informationen dazu, erklärt Prasser kurz.
Das Ende der DDR gemeistert
Dass sein Fach nun oft im Gegenwind der öffentlichen Meinung
steht, nimmt er gelassen. Womöglich schöpft der Hobbypianist
seine sympathische Ruhe ja aus der Beschäftigung mit Klaviermusik
der Romantik. Gerne stöbert er Partituren unbekannter Meister auf,
vorzugsweise in Antiquariaten.
Dem in der DDR gross gewordenen Kernenergie-Professor gelang es,
seinem Arbeitsort nach der Wende eine harmonische Zukunft zu sichern.
Das Forschungszentrum Dresden-Rossendorf wurde durch Prasser
erfolgreich in der Sicherheitsforschung und der Entwicklung von Mess-
und Experimentiertechniken positioniert. Doch nicht nur mit dem Fluss
der Geschichte hat Prasser Erfahrungen. Er ist Spezialist für
Thermofluiddynamik, beschäftigt sich mit Gas- und
Flüssigkeitskreisläufen im Reaktorkern sowie auch - im Fall
eines zu beherrschenden Störfalls - mit Phänomenen innerhalb
des ganzen Reaktorschutzmantels. In seinem Labor am
Paul-Scherrer-Institut steht eine der grössten Versuchsanlagen der
Welt zur Nachbildung solcher Störfälle, notabene mittels
ungefährlicher Modellsubstanzen. Ein anderer Schwerpunkt ist die
Energieausbeute pro Kilogramm Natururan, also die Effizienz. Diese kann
verbessert werden, wenn die Anordnung der Brennstäbe optimiert
wird. Natururan enthält nämlich sehr viel eines nicht
spaltbaren Uranisotops. Durch Verbesserungen könne bereits in
heutigen Reaktoren über die Umwandlung in Plutonium mehr davon
doch noch zur Energiegewinnung genutzt werden. Die Kühlung der
Brennstäbe sei dabei aber eine Herausforderung.
Ausbildung in der UdSSR
Prassers kleines Labor an der ETH Zürich zieht Doktoranden
aus aller Welt an. Der Kerntechnik-Lehrstuhl konnte aber nur dank der
Finanzierung durch die AKW-Betreiber überleben. 2006 trat Prasser
dort seine neue Stelle an. Viel grösser war das Prestige dieser
Wissenschaft, als sich der in Görlitz Aufgewachsene als
Schüler bei der Besichtigung des Atomkraftwerks Rheinsberg
dafür begeisterte. Dem jungen Gewinner von Mathematik-Olympiaden
und späteren Absolventen eines Ostberliner Elitegymnasiums stand
der Weg ans Moskauer Energietechnische Institut offen, von dessen
"Drill" in Mathematik und anderen Fächern er noch heute
profitiere, sagt Horst-Michael Prasser, der nun mit seiner Partnerin im
Aargau lebt.
Auch nach der Rückkehr in die DDR habe er sich auf die
akademische Arbeit konzentriert. Von den Bedingungen in
osteuropäischen Kernkraftwerken habe er wenig mitbekommen, so
Prasser. Die Regelverstösse der AKW-Operateure bei der
Tschernobyl-Katastrophe und jene Konstruktionsfehler waren für ihn
ein "böses Erwachen", wie er sagt. Ein grosses Problem der
sowjetischen Anlagen sei die Qualitätssicherung bei Bau und
Betrieb gewesen. Zu viel sei improvisiert worden, und dies sei das
Gegenteil von Sicherheitskultur. Heute hätten gerade die
Wissenschafter ein vitales Eigeninteresse, neue Sicherheitsaspekte
aufzuzeigen und zu untersuchen.
Im Westen seien nach dem Störfall im amerikanischen
Kraftwerk Three Mile Island 1979 die Standards so verbessert worden,
dass das Restrisiko nun viel kleiner sei als die Vorteile der
Kernenergie. Deren Ersatz durch erneuerbare Quellen ergebe "keinen
Sinn", denn dann "verpuffe der Nutzen der Erneuerbaren", die als Ersatz
von fossilen Brennstoffen wie Kohle und Gas dienen sollten, so die
provokante Meinung Prassers.
---
Zentralschweiz am Sonntag 19.12.10
Wellenberg
Gemeinderat hat Bedenken
om. Die Kantone Nidwalden und Obwalden haben den Bund am Freitag
erneut dazu aufgefordert, den Wellenberg von der Liste der
möglichen Standort für ein Atomendlager zu streichen (siehe
Ausgabe von gestern). Die gleiche Meinung vertreten auch die
Behörden der Standortgemeinde Wolfenschiessen. "Wir machen darauf
aufmerksam, dass bei der geologischen Beurteilung des Wellenbergs
bezüglich der Tektonik und der langfristigen Entwicklung grosse
Bedenken vorliegen", hält der Gemeinderat in seiner Stellungnahme
zur ersten Etappe des sogenannten Sachplans geologische Tiefenlager
fest.
Ein Gutachten von Jon Mosar, das dieser im Auftrag der Nidwaldner
Regierung erstellt hat, ist zum gleichen Schluss gekommen. "Aus Sicht
der Tektonik schätze ich den Wellenberg als einen ungünstigen
Standort für die Lagerung von schwach- und mittelradioaktiven
Abfällen ein", so der Experte von der Universität Freiburg.
Der Wolfenschiesser Gemeinderat äussert deshalb seine Bedenken:
"Es muss während des Baus mit unliebsamen Überraschungen
gerechnet werden."
Sechs Standorte dabei
Wie die Regierung fordert auch der Gemeinderat, dass das Nein des
Nidwaldner Stimmvolks bei früheren Abstimmungen "politisch richtig
zu gewichten" ist. Der Wellenberg müsse alleine schon deswegen vom
Bundesrat aus dem Rennen genommen werden. Die Wolfenschiesser
befürchten gar, dass jene Gegend mit der geringsten nationalen
Einflusskraft zum Standort wird, obwohl sich dieser nicht am besten
dazu eignet. Neben dem Wellenberg stehen die Regionen Bözberg
(AG), Jura-Südfuss (AG), Nördlich Lägeren (AG und ZH),
Südranden (SH) und das Zürcher Weinland zur Diskussion.
---
Bund 18.12.10
Atomkraft
Aargau, Ob- und Nidwalden wehren sich gegen Atommüll
Drei Kantonsregierungen haben sich gestern zum Thema
Atommüll zu Wort gemeldet. Der Aargau will kein Tiefenlager
für hoch radioaktive Abfälle. Der Aargau trage bereits hohe
Lasten für die ganze Schweiz. Ob- und Nidwalden fordern, dass der
Wellenberg als Standort für ein Atommülllager gestrichen
werde. Sie haben Bedenken bezüglich der Geologie.(sda)
---
Basler Zeitung 18.12.10
Der Aargau will kein Endlager
Regierung verabschiedet eine überraschend deutliche
Stellungnahme an den Bund
Samuel Mattli
Der Kanton Aargau trage schon genug Lasten für die ganze
Schweiz. Deshalb soll er jetzt nicht auch noch ein Endlager für
Atommüll aufgedrückt bekommen, teilt der Regierungsrat dem
Bund mit.
Die Atomkraft gehört für klischeeselige Zeitgenossen
genauso zum Aargau wie die Rüeblitorte und verstopfte Autobahnen:
Drei Reaktorblöcke produzieren Strom (und ein vierter steht gleich
ennet der Kantonsgrenze im solothurnischen Gösgen), mit dem
Paul-Scherrer-Institut befindet sich das wichtigste
Nuklearforschungsinstitut der Schweiz im Kanton, und im Zwischenlager
Würenlingen stapelt sich der strahlende Abfall. Und wenn der ja
schon da ist, könnte man ihn auch gleich noch ein paar Millionen
Jahre länger da lassen, denkt sich wohl mancher. Jedenfalls gilt
der Bözberg nach wie vor als valabler Standort für ein
atomares Endlager, wie auch die Region Nördlich Lägern, die
Gemeinden in den Kantonen Aargau und Zürich umfasst. Etwas weniger
wahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen ist zudem ein Lager am
Jurasüdfuss, in der Region Aarau-Olten. Dort könnten
allerdings nur schwach und mittelstark strahlende Abfälle
deponiert werden.
Der Aargau, prädestinierter Endlagerstandort also? Auf
keinen Fall, protestiert der Regierungsrat in seiner am Mittwoch beim
Bundesamt für Energie eingereichten Stellungnahme. "Der
Regierungsrat will grundsätzlich keine Tiefenlager im Kanton
Aargau", heisst es darin klar.
Sicherheit geht vor. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich der
Aargau kategorisch gegen einen entsprechenden Bundesentscheid zur Wehr
setzen würde: "Ein Endlager im Aargau kommt für uns nur dann
infrage, wenn sich tatsächlich der nachweisbar sicherste Standort
der ganzen Schweiz in unserem Kanton befindet", sagt der
verantwortliche Regierungsrat, Bau- und Umweltdirektor Peter C. Beyeler
(FDP). "Ein allfälliger Entscheid für einen Standort im
Aargau muss auf objektiven und sachlichen Fakten betreffend Sicherheit
beruhen - und nicht auf weichen, sozioökonomischen Faktoren."
Der Kanton möchte also verhindern, dass er ein Endlager
quasi aufgedrückt bekommt, weil er sich in der Vergangenheit als
eher atomfreundlich gezeigt hat. Schon heute trage der Aargau grosse
Lasten für die ganze Schweiz, sei es bei der Stromproduktion durch
Kernkraftwerke oder beim Durchgangsverkehr auf Schiene und Strasse,
schreibt die Regierung zuhanden des Bundes. "Vorbehalte gegen ein
atomares Tiefenlager bestehen in unserem Kanton genauso wie
überall sonst", ist Beyeler überzeugt.
Trotz seiner grundsätzlich ablehnenden Haltung wolle die
Regierung den Bund und die Nationale Genossenschaft für die
Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) weiter "konstruktiv" bei der
Suche nach dem idealen Standort für ein geologisches Tiefenlager
unterstützen. Dieser soll in drei Etappen ermittelt werden.
Zurzeit läuft die erste Phase, welche im nächsten Jahr
abgeschlossen sein soll. Gegenwärtig stehen noch sechs Standorte
zur Auswahl; nebst den dreien im Aargau kommen noch das Zürcher
Weinland (ZH, SH), der Südranden (SH) und der Wellenberg (NW, OW)
infrage.
Alleingelassen. "Das Verfahren der Nagra ist grundsätzlich
begrüssenswert, stellt aber aufgrund der hohen Komplexität
für viele Gemeinden eine grosse Belastung dar", sagt Beyeler. Die
Nagra arbeitet bei ihren Untersuchungen eng mit den Gemeinden und
Kantonen in den betroffenen Regionen zusammen - alle anderen
würden sich aber zu wenig kümmern, kritisiert Beyeler: "Ich
stelle fest, dass sich die nicht betroffenen Regionen kaum mit Fragen
der atomaren Endlagerung beschäftigen. Dabei geht das die ganze
Schweiz etwas an."
---
Oltner Tagblatt 18.12.10
"Aargau ohne Tiefenlager"
Standortsuche Für höchstmögliche Sicherheit und
gegen Verhinderer
von Hans Lüthi
Wer davon ausgeht, der Aargau akzeptiere neben seinen
Atomkraftwerken leichtfertig auch ein radioaktives Endlager, der
täuscht sich gewaltig. "Die Regierung will grundsätzlich kein
Tiefenlager im Aargau" lautet der Kernsatz in der Stellungnahme an das
Bundesamt für Energie. Begründung: Der Aargau trägt
schon hohe Lasten für die ganze Schweiz, mit dem Strom aus
Kernkraftwerken und dem Verkehr auf Strasse und Schiene. Verlangt wird
die höchstmögliche Sicherheit, "die nicht verhandelbar ist".
Der sicherste Standort sei jener, der in allen Szenarien über
Tausende von Jahren die tiefsten Strahlenbelastungswerte aufweise.
Oberste Priorität habe "der maximale und nicht nur der relative
Schutz der Bevölkerung und Umwelt".
Mitarbeit im Findungsprozess
Dennoch ist die Aargauer Regierung gewillt, im Findungsprozess
für ein Tiefenlager konstruktiv mitzuwirken. Der Kanton hat die
vielen Eingaben von Gemeinden und Planungsgruppen gesammelt und an den
Bund geschickt. Gegenüber den heutigen und künftigen
Generationen fühlt sich die Regierung verpflichtet, die Sicherheit
vor alle anderen Kriterien zu stellen. Immerhin gehe es um einen
Zeitraum von 100 000 und mehr Jahren.
Der Aargau fordert weitere und ergänzende
erdwissenschaftliche Untersuchungen an allen potenziellen Standorten.
Es dürfe nicht sein, dass der Bund einzelne Gebiete "aus
politischen Gründen aus dem Sachplanprozess entlasse".
Verweigerer-Kantone seien in die Pflicht zu nehmen, weil sie auch seit
Jahren vom Strom aus Kernenergie profitierten. "Es darf nicht sein,
dass ein Lager dort verhindert wird, wo der grösste politische
Lärm entsteht", sagt Landammann Peter C. Beyeler mit Nachdruck.
Vertiefte Untersuchung nötig
Mit dem Bözberg und Nördlich Lägern sind zwei von
drei für den Aargau relevanten Gebieten "mit erheblichen
geologischen Ungewissheiten behaftet". Darum brauche es
zusätzliche Abklärungen, auch mit Seismik-Technik in
3D-Qualität. Zu den weiteren Forderungen gehört eine
Beschränkung der Planungszeit auf 5 statt auf 10 Jahre. Denn: "Ein
Gebiet darf nicht über ein Jahrzehnt in seiner Entwicklung gehemmt
werden, nur weil es für ein Tiefenlager infrage kommt." Weil im
Gebiet Bözberg und unteres Aaretal die geothermischen
Wärmeflüsse besonders stark sind, müssten hier
Nutzungskonflikte ausgeschlossen werden. Vom Bund verlangt der Aargau,
er müsse das Regalrecht des Kantons für Heilquellen und
Thermalwasser garantieren. Komme es dennoch zu Wertverlusten,
müsse der Bund diese "in vollem Umfang entschädigen".
Viel Verständnis hat die Regierung für eine
Namensänderung von der Region Bözberg zu "Jura Ost". Dem Bund
wird das vorgeschlagen, der Beschluss steht noch aus. Der Wunsch der
Bözberg-Gemeinden ist verständlich, denn mit einem
radioaktiven Tiefenlager lässt sich schlecht Image-Werbung
betreiben.
--
SP "scheinheilige Kantonsregierungen"
"Die Kantonsregierungen von Aargau, Ob- und Nidwalden wollen kein
Tiefenlager auf ihrem Gebiet. Gleichzeitig setzen sie sich für
neue AKW ein." - Die Sozialdemokratische Partei verurteilt in einer
Reaktion "die Scheinheiligkeit der bürgerlich dominierten
Kantonsregierungen in der Energiepolitik". Die Sozialdemokraten meinen,
dass AKW-freundliche Kantone ihr Gebiet auch für ein Tiefenlager
zur Verfügung stellen müssten. Neue Atomkraftwerke
dürften nur geplant werden, wenn die Standortkantone auch zur
Errichtung eines Tiefenlagers bereit seien. Die SP glaubt nicht, dass
andere Kantone - die kaum von den Grosskraftwerken profitieren
würden - bereit seien, den Atommüll bei sich aufzunehmen.
"Auch von bürgerlichen Regierungen muss Konsequenz erwartet
werden. Wer nicht bereit ist, den hochradioaktiven Müll bei sich
zu lagern, sollte sich nicht für AKW, sondern für Strom aus
Wasser, Wind, Solarzellen, Biogasanlagen und Geothermie einsetzen."
(mgt/otr)
---
NLZ 18.12.10
Wellenberg: Dicke Post für Bundesrat
Wellenberg
Martin Uebelhart
Nidwalden und Obwalden verlangen vom Bund, den Wellenberg als
Standort für ein Endlager zu streichen. Und erinnern den Bundesrat
an ein Versprechen.
martin.uebelhart@nidwaldnerzeitung.ch
Der Bundesrat erhält dicke Post aus Nidwalden: Eine rund
80-seitige Stellungnahme reicht der Kanton als Vernehmlassung zur
ersten Etappe des Sachplans geologische Tiefenlager ein. Die Nidwaldner
Regierung beantragt, den Wellenberg aus der Liste der möglichen
Standorte für ein Atomendlager zu streichen. Dabei stützt
sich die Regierung in erster Linie auf geologisch-sicherheitstechnische
Gründe, wie Baudirektor Hans Wicki gestern an einer
Medienorientierung in Stans sagte.
Beträchtliche Ungewissheiten
"Der Wellenberg wurde bereits relativ intensiv untersucht", sagte
Kantonsgeologe Fidel Hendry. Doch seien die Sondierbohrungen aus den
Achtziger- und Neunzigerjahren räumlich nicht zwingend
repräsentativ für den Aufbau des Untergrunds: "Das sind
lediglich Nadelstiche, die einen kleinräumigen Bereich abdecken."
Seismische Untersuchungen seien aufgrund der komplexen Verfaltungen
nicht aussagekräftig. Es gebe deshalb immer noch
beträchtliche Ungewissheiten darüber, wie es im Innern des
Wellenbergs aussehe. "Im Bericht an den Bundesrat beurteilen wir die
Aussagen der Nagra", so Hendry. Die Stellungnahme basiere auf einer
kritischen Auseinandersetzung mit den vorliegenden Ergebnissen und den
Aussagen von ausgewiesenen Fachleuten.
Einer von ihnen ist Jon Mosar. Der Privatdozent befasst sich an
der Universität Freiburg mit Tektonik, Plattentektonik und
Geodynamik. Er hat sich im Auftrag der Nidwaldner Regierung mit dem
Wellenberg beschäftigt (siehe Kasten). Er kommt zum Schluss: "Aus
Sicht der Tektonik schätze ich den Wellenberg als einen
ungünstigen Standort für die Lagerung von schwach- und
mittelradioaktiven Abfällen ein."
Nicht nur das Nidwaldner Volk, sondern auch der Regierungsrat sei
überrascht gewesen, als 2008 der Wellenberg wieder als potenzielle
Standortregion für ein geologisches Tiefenlager vorgeschlagen
worden sei, sagte Hans Wicki. Der Nidwaldner Regierungsrat sei ganz
klar dagegen, dass der Wellenberg überhaupt noch in dem Verfahren
auftauche. "Nur schon aufgrund der Erkenntnisse der Fachleute
müsste man den Wellenberg streichen."
Auch in einem Verfahren, in dem es vor allem um die Sicherheit
gehe, sollten "demokratierechtliche Gründe berücksichtigt
werden". Wicki wies einmal mehr auf die drei Abstimmungen seit 1988
hin, in denen sich das Nidwaldner Volk klar gegen den Standort
Wellenberg ausgesprochen habe.
Leuenberger: "Kein Wellenberg"
"Was mir aber noch viel mehr zu denken gibt, ist Treu und
Glauben", fuhr Wicki fort. Der damalige Bundesrat Leuenberger habe 2003
bei der Beantwortung einer Interpellation im Nationalrat wörtlich
gesagt: "Mit dem Nein vom 22. September 2002 hat sich die Nidwaldner
Bevölkerung gegen den Sondierstollen und damit gegen weitere
Untersuchungen am Wellenberg ausgesprochen. Damit wird es im Wellenberg
kein SMA-Tiefenlager geben." Diese Aussage habe er gegenüber der
Nidwaldner Regierung auch mündlich wiederholt. "Wenn so etwas
gesagt wird, dann gehe ich auch davon aus, dass man sich daran
hält." Wicki erwartet, dass der Bundesrat zu seinem Wort stehe und
den Standort Wellenberg aufgebe.
Schlecht für Tourismus
Auch der Kanton Obwalden stehe hinter der Aussage, dass der
Wellenberg von der Liste möglicher Standorte gestrichen werden
müsse, sagte Regierungsrat Paul Federer, Vorsteher des Bau- und
Raumentwicklungsdepartements. Neben geologischen und
sicherheitstechnischen Argumenten wies Federer auch auf die Situation
Engelbergs hin. Studien hätten gezeigt, dass sich der Bau eines
Tiefenlagers im Wellenberg negativ auf den Tourismus auswirken
würde.
Die Nidwaldner Regierung schickt die Vernehmlassung unter dem
Vorbehalt nach Bern, dass das Stimmvolk am 13. Februar dazu Ja sagt.
Die Kantonsverfassung schreibt eine Volksabstimmung vor. Im
nächsten Herbst wird der Bundesrat voraussichtlich entscheiden,
welche Standorte für die weiteren Etappen des Verfahrens in Frage
kommen.
--
Nidwalden stützt sich auf Gutachten
Wellenberg
mu. Ein wesentlicher Bestandteil der Stellungnahme der Nidwaldner
Regierung ist ein Gutachten von Jon Mosar, Privatdozent an der
Universität Fribourg. Aus Sicht der Tektonik sei der Wellenberg
ein ungünstiger Standort für ein Tiefenlager. Seine
Einschätzung beruht auf vier Punkten:
Bruchzonen: Mosar geht davon aus, dass sich geologische
Bruchzonen vom Aarmassiv auch ins Gebiet des Wellenbergs ziehen.
Sicherheitsabstand: Es gibt kleinere Bruchzonen im Wellenberg.
"Wenn man zu diesen Brüchen einen beidseitigen Sicherheitsabstand
von 200 Meter dazunimmt, hat es keinen Platz mehr für ein
Endlager", sagt Mosar.
Fremdkörper im Gestein:Im vorgesehenen Gebiet hat es
Fremdkörper aus Kalkstein, die wasserführend sind. Mit den
zur Verfügung stehenden Methoden lässt sich nicht
herausfinden, wo diese Kalkzonen genau sind.
Erdbeben: Für ein Tiefenlager seien Erdbeben nicht direkt
ein Problem, so Mosar. Dieses würde so gebaut, dass es auch
starken Erdstössen widerstehen könnte. Doch könnte durch
ein Beben eine Bruchzone zu einem Fliessweg für Wasser werden. Das
könnte die Barrierefunktion des Gesteins beeinträchtigen. Er
glaubt, dass in der Gegend ein solches Szenario nicht ausgeschlossen
werden kann.
---
sf.tv 17.12.10
AG, OW und NW wollen Atommüll-Lager bekämpfen
Aargau, Ob- und Nidwalden wollen kein Atommüll-Lager. Der
Aargau will auf seinem Gebiet kein Tiefenlager für hochradioaktive
Abfälle. Ob- und Nidwalden fordern, dass der Wellenberg als
Standort für ein Atommülllager gestrichen wird.
sda/fasc
Ein Tiefenlager hätte "massgebliche Nachteile für die
künftige Entwicklung des Kantons", hielt der Aargauer
Regierungsrat fest. Der Aargau trage bereits hohe Lasten für die
ganze Schweiz. Als Beispiele werden die AKW-Stromproduktion und die
hohe Verkehrsbelastung genannt.
Untergrund schwer bestimmbar
"Eine weitere Belastung kann daher dem Kanton Aargau nicht
zugemutet werden", heisst es in der Stellungnahme an den Bund zur
ersten Etappe des Sachplanes Geologische Tiefenlager. Der Aargau sei
jedoch gewillt, "im Findungsprozess konstruktiv mitzuarbeiten".
Ob- und Nidwalden äussern in ihrer gemeinsamen Stellungnahme
zum Sachplan Bedenken bezüglich der Geologie und der Tektonik im
Wellenberg. Es sei äusserst schwierig, die Geometrie der
tektonischen Strukturen im Untergrund zu bestimmen und die Auswirkungen
der fortschreitenden Gebirgsbildung vorherzusagen. Auch die Eignung des
Wirtgesteinkörpers sei nicht gesichert.
Sechs Standorte werden geprüft
Obwalden befürchtet zudem negative Auswirkungen auf den
Tourismus und stützt sich auf Studien früherer Jahre.
Investoren würden in Zusammenhang mit eine Tiefenlager bereits
heute zurückhaltend reagieren. Der Verbleib des Wellenbergs im
Auswahlverfahren hemme daher die Entwicklung Engelbergs.
Im Falle Nidwaldens kommen auch demokratierechtliche Bedenken
hinzu. Bereits drei Mal habe die Bevölkerung in Volksabstimmungen
das Atommülllager im Wellenberg abgelehnt. Auch die nun vorgelegte
Stellungnahme zum Sachplan muss vom Volk abgesegnet werden. Die
Abstimmung ist auf den 13. Februar 2011 festgelegt.
Die Bundesbehörden prüfen sechs Standorte. Dies sind
die Regionen Bözberg (AG), Jura-Südfuss (SO/AG),
Nördlich Lägeren (AG und ZH), Südranden (SH), Wellenberg
(NW und OW) und Zürcher Weinland (ZH und TG).
---
Oltner Tagblatt 17.12.10
Tiefenlager am Jurasüdfuss wird abgelehnt
Lostorf Der Gemeinderat beschloss zudem, am Winterdienstkonzept
festzuhalten
Von Markus von Däniken
Für die Lagerung radioaktiver Abfälle besteht in der
Schweiz ein gesetzlich verankertes Verfahren, welches im so genannten
"Sachplan geologisches Tiefenlager" festgelegt ist. Das Verfahren zur
Erhebung der entsprechenden Grundlagen wurde vom Bund in drei Etappen
gegliedert. In der ersten Etappe sollte zuerst der geeignetste Standort
bestimmt werden. Dieser war ursprünglich gleichgesetzt mit dem
sichersten Standort. Die bisherigen Abklärungen haben ergeben,
dass der sicherste Standort im Zürcher Weinland liegt. Dort wurde
jedoch erheblicher Widerstand gegen ein Tiefenlager laut. Danach hat
sich der Bund entschieden, nicht mehr vom sichersten Standort, sondern
von der so genannt relativen Sicherheit zu sprechen, welche als
Minimalstandard gelten soll. Damit waren auf einmal die anderen
potenziellen Standorte, darunter auch der Jura-Südfuss, wieder
interessant, und das ursprünglich zentralste Kriterium, die
Sicherheit, wurde vom Bund relativiert.
In der Grundsatzfrage dagegen
Lostorf gehört zum provisorischen Planungsperimeter
"Jura-Südfuss" für ein geologisches Tiefenlager für
schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Das Bundesamt für
Energie (BFE) ist im Sachplanverfahren federführend. Das
Anhörungsverfahren zur ersten Etappe ist am 30. November
abgelaufen. Der Rat hat dazu wie folgt Stellung genommen:
· Der Gemeinderat der Einwohnergemeinde Lostorf spricht
sich in der Grundsatzfrage gegen ein geologisches Tiefenlager im
Niederamt aus. Die Belastung im Niederamt sei mit dem Kernkraftwerk
Gösgen-Däniken und dem Nasslager in Däniken bereits
heute übermässig. Hinzu komme, dass zurzeit ein
Richtplanänderungsverfahren des Kantons Solothurn für ein
zweites Kernkraftwerk läuft. "Die Region ist also auch ohne das
zur Diskussion stehende Tiefenlager weit über Gebühr
belastet", so der Rat.
· Ein Tiefenlager müsse zwingend am dafür am
besten geeigneten, das heisst, am sichersten Ort realisiert werden. Das
könne aufgrund der Untersuchungen nicht das Niederamt sein.
· Der Gemeinderat Lostorf will weiterhin jederzeit bei den
Entscheidungsprozessen und Handlungsabläufen einbezogen werden.
· Die Stellungnahmen des Regionalvereins
Olten-Gösgen-Gäu und der Plattform Jura-Südfuss zum
Sachplanverfahren werden unterstützt.
· Aus finanziellen und ökonomischen Gründen
werde es als nicht sinnvoll erachtet, in der kleinen Schweiz zwei
Tiefenlager (eines für hochradioaktive und ein weiteres für
mittel- und schwachradioaktive Abfälle) zu bauen. Ein Kombilager
sei anzustreben.
Festhalten am Winterdienstkonzept
Der Gemeinderat hat das neue Winterdienstkonzept am 25. Oktober
zur Kenntnis genommen. Die Bevölkerung konnte sich dazu ebenfalls
äussern. Insgesamt sind drei Eingaben von Anwohnern privater
Strassenabschnitte eingegangen. Die Anwohner zeigten sich allesamt
enttäuscht, dass an ihrer Privatstrasse durch die Gemeinde keine
Schneeräumung mehr erfolgt. Die Gemeinde wurde ersucht, die
Schneeräumung auch künftig auszuführen. Falls dies nicht
mehr möglich ist, wurde vorgeschlagen, dass sich die Bewohner der
privaten Strassenabschnitte an den Kosten der Schneeräumung
beteiligen könnten oder die Schneeräumung durch Dritte
auszuführen sei und sich die Gemeinde an den Kosten beteiligen
würde oder die Gemeinde die Privatstrasse übernehmen soll.
In der Gemeinde bestehen rund 30 Privatstrassen respektive -wege.
Etwa 20 solcher "Strassen" weisen einen so genannten
"Strassencharakter" auf, etwa zehn davon haben "keinen
Strassencharakter". Der Bornweg oder der Buchenweg sind zum Beispiel
solche Strassen mit "Strassencharakter". Teilweise gibt es auch
Strassen, die eigene Parzellennummern aufweisen. Es gibt aber auch so
genannte "zusammengesetzte" Strassen, bestehend aus mehreren
Parzellennummern. Ebenso bestehen auch "Strassen", deren
Strassencharakter (mehrere zusammengesetzte private Vorplätze)
nicht eindeutig ersichtlich ist.
Von den insgesamt 30 "Strassen" wurden mit dem neuen
Winterdienstkonzept lediglich drei "Strassen" (Bornweg, Buchenweg und
Eihübelstrasse, nördlicher Teil) aus dem bestehenden
Winterdienstkonzept genommen. Die anderen 27 "Privatstrassen/Wege"
wurden schon vorher nicht offiziell gepflügt. Offenbar haben dort
aber verschiedene private Abmachungen bestanden.
Alle Einwohner gleich behandeln
Der Buchenweg, der Bornweg und der nördliche Teil der
Eihübelstrasse werden beim neuen Winterdienstkonzept nun nicht
mehr gepflügt. Begründet wird dies damit, dass man alle
Einwohner gleich behandeln will. Würde die Gemeinde bei den
Privatstrassen den Winterdienst durchführen, würde privates
Eigentum gepflügt. Zum Vergleich sei nachstehendes Beispiel
erwähnt: "Eine defekte private Wasserhauszuleitung wird auch nicht
durch die Gemeinde, sondern durch eine Privatfirma repariert. Der
Besitzer der privaten Wasserhauszuleitung bezahlt zwar auch Steuern und
hat auch Anschlussgebühren für das öffentliche
Wasserleitungsnetz entrichtet".
Falls die Anstösser die Übernahme der Privatstrasse
wünschen, ist ein entsprechendes Gesuch einzureichen. Die
Baukommission prüft dann im Detail, unter welchen Bedingungen die
Privatstrasse übernommen werden kann. Bei einer Gegenstimme hat
der Gemeinderat beschlossen, am verabschiedeten Winterdienstkonzept
festzuhalten.
---
St. Galler Tagblatt 17.12.10
Kein Protest aus Frauenfeld
Markus Schoch
Der Thurgauer Regierungsrat erachtet das bisherige Verfahren zur
Suche eines Tiefenlagers für die radioaktiven Abfälle als
offen und fair. Die zuständigen Stellen hätten aber noch
nicht alle Hausaufgaben gemacht. Die einzelnen Standorte müssten
teilweise noch besser abgeklärt werden.
Frauenfeld. Die Nagra hat 2008 sechs Standorte festgelegt, die
aus ihrer Sicht als Endlager für radioaktive Abfälle in Frage
kommen könnten. Eines liegt im Zürcher Weinland ("Zürich
Nord-Ost") und betrifft den Thurgau zumindest am Rande, da die
Gemeinden Basadingen, Schlattingen und Diessenhofen zum
Planungsperimeter gehören. Dort könnten
Oberflächenanlagen wie beispielsweise Zugangstunnels gebaut werden.
Die Berichte und Gutachten verschiedener Fachbehörden und
-kommissionen zu den Nagra-Vorschlägen lagen seit Anfang September
im Rahmen einer Anhörung öffentlich auf. Der Thurgauer
Regierungsrat hat die Akten studiert und kommt zu einem insgesamt
positiven Schluss, wie er in seiner Vernehmlassungsantwort zuhanden des
Bundesamtes für Energie schreibt. Das Verfahren sei bis jetzt
korrekt, fair und offen verlaufen. Die Auswahl der sechs Standorte sei
plausibel. Auch die anderen Entscheide seien nachvollziehbar.
Alle Gebiete gleich gut abklären
Allerdings ist der Regierungsrat nicht restlos zufrieden mit den
Abklärungen. Die zuständigen Stellen hätten noch einen
Teil der Hausaufgaben zu machen. Damit komme zwar der Zeitplan
durcheinander. Anders gehe es aber nicht. Heute sei nicht einmal eine
provisorische Sicherheitsanalyse möglich, die nötig sei, um
in einer zweiten Etappe die Zahl der Standorte auf mindestens zwei
einzuschränken.
Es bestünden teilweise noch grosse Wissenslücken, was
die Wirtsgesteine und die Gebiete selber anbelange. Die Modelle
stützten sich an einigen Orten auf hochgerechnete Daten weit
entfernter Bohrungen und auf wenige Seismiklinien. Nichtsdestotrotz
hätten die Nagra und die Kommission Nukleare Entsorgung die
Standorte bewertet und benotet, was der Regierungsrat für
problematisch hält. Das gehe zu weit. Ein Vergleich sei im
jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht möglich. Er verlangt deshalb,
dass der Bund eine gründliche wissenschaftliche Untersuchung aller
möglichen Standorte in der gleichen Tiefe nachholt. Das
Auswahlverfahren müsse einer harten politischen Auseinandersetzung
standhalten. Wichtig ist dem Regierungsrat überdies, dass für
alle Gebiete umfassende sozioökonomische Untersuchungen vorliegen,
damit die Auswirkungen gründlich bedacht werden können.
"Wir erwarten, dass der Bundesrat auf unsere Anliegen eingeht",
sagt Baudirektor Jakob Stark. "Wenn das nicht der Fall sein sollte,
werden wir auf die Pauke hauen."
Diverse Probleme
Im Zürcher Weinland seien diverse Probleme zu
berücksichtigen, gibt der Regierungsrat weiter zu bedenken. Ein
Lager müsste so tief gebaut werden, dass es bei einer
nächsten Eiszeit nicht durch glaziale Tiefenerosion
beschädigt würde. Besondere Aufmerksamkeit verlange auch die
Korrosions- und Gasproblematik. In den Zugangsstollen seien in den
Bereichen mit verkarsteten Malmkalken massive Wasserzutritte zu
erwarten. Wert legt der Regierungsrat auch auf die Feststellung, dass
der Bau von Oberflächenanlagen im Thurgau "sehr schwierig sein
dürfte".
--
Befragt
"Einwände werden ernst genommen"
Jakob Stark Regierungsrat
Der Thurgauer Regierungsrat will nicht, dass der Standort im
Zürcher Weinland schon jetzt in den Vordergrund gestellt wird, nur
weil er besser als alle anderen untersucht ist. Wird nicht genau das
passieren?
Es gab bei einer Untersuchung eine unterschiedliche Bewertung der
Standorte. Das ist jedoch nur eine Momentaufnahme. Wir verlangen, dass
alle Standorte auf dem gleichen wissenschaftlichen Niveau
abgeklärt werden. Das ist ganz wichtig.
Ist die Hoffnung real?
Wir hatten letzte Woche eine Sitzung im Ausschuss der Kantone.
Und dort hat uns der Nagra-Chef zugesichert, dass unsere Einwände
ernst genommen werden. Ich gehe deshalb davon aus, dass sich die zweite
Etappe um ein Jahr oder mehr verlängert.
Die Regierungsräte von Zürich und Schaffhausen haben
sich bereits jetzt gegen ein Endlager im Zürcher Weinland
ausgesprochen. Besteht nicht die Gefahr, dass am Schluss nicht der
beste Standort ausgewählt wird, sondern derjenige, wo der
politische Widerstand am kleinsten ist?
Diese Gefahr besteht, und das finden wir schlecht. Wir setzen uns
dafür ein, dass alle Standorte eingehend und nach den gleichen
Kriterien abgeklärt werden. Der beste soll am Schluss auch
gewählt werden. Wir wollen konstruktiv mitarbeiten.
Bevölkerung schweigt
Der Regierungsrat hatte die Bevölkerung dazu aufgerufen,
eine Kopie der Schreiben nach Bern an die Staatskanzlei zu schicken.
Tatsächlich ist kein einziger Brief in Frauenfeld eingetroffen.
Baudirektor Jakob Stark wertet diese Tatsache als Bestätigung der
regierungsrätlichen Haltung, konstruktiv mitzuarbeiten. "Ich
fühle mich getragen." Von der Gemeinde Schlatt wisse er, dass sie
eine ähnliche Haltung vertrete wie der Regierungsrat.
Unterstützung erhält er auch von der Aktion für
vernünftige Energiepolitik. "Es soll der am besten geeignete
Standort gewählt werden", schreibt die Organisation. Die Allianz
Thurgau Nein-zu-neuen-AKW wehrt sich gegen den Bau eines
Atommülllagers "vor der Haustür". (mso)
---
20 Minuten 17.12.10
Mit Leserbriefen und Übungen gegen AKW
BERN. Die Kriegskasse ist leer und die Parteisoldaten müssen
umso fleissiger exerzieren: Mit Übungen im Leserbriefschreiben und
Argumentieren rüsten sich die Grünen für die Schlacht
ums AKW Mühleberg II.
David trifft auf Goliath: Mit einem Bruchteil des Budgets, das
die Atomlobby für Werbung einsetzen kann, ziehen die AKW-Gegner in
den Abstimmungskampf. Ihr Kapital sind indes die vielen Aktivisten:
"Sie sind bereit, sich einzusetzen, wissen aber noch nicht wie", sagt
Monika Hächler, Geschäftsleiterin der Grünen.
Ein Workshop soll die Parteimitglieder nun fit für
Strassendebatten machen. Mit Rollenspielen üben sie typische
Gesprächssituationen ein, damit sie selbstsicher auf Passanten
zugehen können. Angeleitet von der Berner Gemeinderätin
Regula Rytz lernen sie zudem, souverän auf kritische Fragen zu
reagieren und das Gespräch auf ihre Hauptargumente zu lenken:
"AKWs sind gefährlich und das Atommüllproblem ist nicht
lösbar", lauten diese sinngemäss.
"Ein gutes Instrument sind auch Leserbriefe", so Hächler.
"Wir zeigen, was man beachten muss, damit sie abgedruckt werden." Ziel
ist es, dass jeder Kursteilnehmer mindestens einen Leserbrief
vorfabriziert, den die Grünen im Hinblick auf die Abstimmung
verwenden können.
PATRICK MARBACH
--
Befürworter haben 2 Mio Franken
BERN. Während die AKW-Gegner ihre Basis erst mobilisieren,
ist die Kampagne der Befürworter schon angerollt. Die Berner
Sektion der "Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz",
das Komitee "Ja zu Mühleberg" und das schweizweit agierende
Nuklearforum verfügen gesamthaft über einen Etat, der auf
über 2 Millionen Franken geschätzt wird. Federführend
ist Burson-Marsteller, eine der weltweit führenden Grossagenturen
mit Erfahrung in ethisch heiklen Fällen.
---
WoZ 16.12.10
Teileinsicht in AKW-Akten
Mitte Oktober berichtete die WOZ über das AKW
Mühleberg, das vom Bund eine un be fris te te Betriebsbewilligung
erhalten hatte. Das "Komitee Mühleberg Ver-fahren" erhob
Einspruch. Das Problem: Es muss die lückenhafte Sicherheit des
AKWs beweisen, was ohne Akteneinsicht praktisch unmöglich ist.
Letzte Woche nun hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden,
dass das Komitee Einsicht in einen Teil der 86 Bundesordner mit
sicherheitsrelevanten Akten erhält, die dem Gericht vorliegen. Das
Gericht will zwar ein Gutachten über Risse im AKW-Kernmantel und
drei weitere "interne" Sicherheitsakten offenlegen, gleichzeitig
hält es aber die jährlichen Sicherheitsberichte unter
Verschluss - wegen Terrorgefahr. Beschwerdeführer Rainer Weibel
spricht von einem "Teilerfolg". Ob er den Zwischenentscheid ans
Bundesgericht weiterziehe, sei noch unklar. Auch noch nicht über
einen allfälligen Rekurs entschieden hat die
Mühleberg-Betreiberin BKW, während das Energiedepartement
Uvek auf eine Anfechtung verzichtet.
Den Hauptentscheid (unbefristete Betriebsbewilligung ja oder
nein) dürfte das Bundesverwaltungsgericht laut der Zeitung "Bund"
noch im Jahr 2011 fällen. dig
Nachtrag zum Artikel "Die krampfhafte Geheimniskrämerei
macht misstrauisch" in WOZ Nr. 41/10
---
gr.be.ch 15.12.10
AKW Mühleberg: Woher kommt das Uran für das AKW
Mühleberg?
http://www.gr.be.ch/etc/designs/gr/media.cdwsbinary.acq/8470eb9a95b341268c1354ec00c65979-332/3/PDF/2010-9824-Vorstossantwort-D-33648.pdf
---
Oltner Tagblatt 15.12.10
Braucht die Schweiz neue Kernkraftwerke?
Schützi Das zweite EnergieForum AareLand verspricht Brisanz:
Behandelt wird die Frage: Braucht die Schweiz neue Kernkraftwerke?
Der Verein "EnergieMobilität AareLand" veranstaltet am 13.
Januar 2011, 19 Uhr, in der Schützi Olten das 2. EnergieForum
AareLand. Hochkarätige Podiumsteilnehmer diskutieren eine brisante
Frage: Braucht die Schweiz neue Kernkraftwerke?
Diskussion ist lanciert
Die Diskussion um die Kernenergie ist in der Schweiz lanciert. Am
15. November 2010 hat das eidgenössische
Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi mitgeteilt, dass sich die drei
bisherigen KKW-Standorte auch für den Bau neuer Kernkraftwerke
eignen. Und der Kanton Bern wird am 13. Februar 2011 über den
Ersatz des KKW Mühleberg abstimmen. Zwar hat die Abstimmung nur
konsultativen Charakter, doch das Resultat gilt bei nationalen
Parlamentarierinnen und Parlamentariern als wichtiger Stimmungstest
für das ganze Land. Die Befürworter sind der Meinung, die
Stromversorgung kann nicht ohne die sichere und saubere Kernenergie
garantiert werden. Für die Gegner ist der Atomstrom
gefährlich und veraltet und sie setzen auf Alternativenergien.
Braucht die Schweiz nun wirklich neue Kernkraftwerke, um die
Stromversorgung sicherzustellen? Oder investiert man mit dem Bau von
neuen Kernkraftwerken in ein technologisches Auslaufmodell? "Bilden Sie
sich am 2. EnergieForum AareLand Ihre eigene Meinung und diskutieren
Sie mit hochkarätigen Gästen über die Energiezukunft der
Schweiz", rät Präsident Daniel Dähler der
Bevölkerung.
Hochkarätige Diskussionsrunde
Der Verein "EnergieMobilität AareLand", welcher ehrenamtlich
und ohne Gewinnorientierung geführt wird und politisch neutral
ist, will den Bürgern sowie den Entscheidungsträgern in der
Wirtschaft kritische und kompetente Auseinandersetzung mit Themen in
den Bereichen Energie und Mobilität ermöglichen. Am 2.
EnergieForum AareLand referieren die Solothurner Regierungsrätin
Esther Gassler, die Grünen-Nationalrätin Franzis-ka Teuscher
und der SVP-Nationalrat Hans Killer.
In der anschliessenden Podiumsdis-kussion, welche von Tomas
Honegger moderiert wird, treten die verschiedenen Politiker und
Energiespezialisten direkt gegeneinander an. Neben den Referenten
Gassler, Killer und Teuscher werden FDP-Nationalrat Christian
Wasserfallen, SP-Nationalrat Eric Nussbaumer und Pascal Previdoli,
Vizedirektor des Bundesamts für Energie, ihre Argumente vortragen.
"Unser Ziel ist eine sachliche und - soweit möglich - emotionslose
Diskussion, die dazu führt, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer
nach Hause gehen und sich eine eigene Meinung bilden können", so
Honegger. (mgt)
www.energiemobilitaet.ch.
---
Bund 15.12.10
Regierung: AKW könnte Steuerzahler belasten
Mühleberg II könne ein Risiko für die
Kantonsfinanzen sein, sagt die Regierung.
Simon Thönen
Die Antwort der rot-grünen Kantonsregierung auf eine
Interpellation von EVP-Grossrat und Solarunternehmer Josef Jenni hat es
in sich. Jenni hatte sich nach den Kosten eines neuen Atomkraftwerks in
Mühleberg erkundigt - und nach den finanziellen Risiken für
den Kanton.
Gestützt auf Angaben des Bundesamtes für Energie nennt
die Regierung eine Kostenbandbreite für Bau, Nachrüstung und
Stilllegung zwischen 9 und 15,7 Milliarden Franken für ein neues
Kernkraftwerk mit 1600 Megawatt Leistung. "In den letzten Jahren
mussten die Kostenschätzungen nach oben angepasst werden",
schreibt die Regierung weiter.
Die BKW Energie AG wolle ein neues Kernkraftwerk mit Partnern
bauen, die die finanziellen Risiken anteilsmässig
übernähmen. Für den Kanton als Mehrheitsaktionär
der BKW ergeben sich "im Fall einer Unterfinanzierung des Baus", so die
Regierung, "verschiedene Risiken, die auch von den Steuerzahlern
mitgetragen werden müssten":
Der Wert der Beteiligung an der BKW "würde negativ
beeinflusst und die Dividendenausschüttung verringert".
Käme die BKW wegen der Unterfinanzierung des AKW-Projekts
"in finanzielle Nöte, wäre nicht auszuschliessen, dass der
Kanton Bern sich - aufgrund der Wichtigkeit der BKW für den Kanton
- faktisch an der Finanzierung beteiligen müsste".
Nicht weniger brisant ist die Auskunft der Regierung, dass mit
angenommenen 12 Milliarden Franken, die für den Bau eines
Kernkraftwerks nötig wären, "mehr als doppelt so viel
Leistung an erneuerbaren Energien installiert werden könnte".
Diese würden zwar sehr viel unregelmässiger Strom produzieren
als ein AKW. In der Summe wäre die Strommenge aber gleich.
Die BKW bestreitet in einer Mitteilung die Angaben der Regierung:
Sie rechne mit Investitionen von 7 bis 9 Milliarden Franken. Kosten
für Instandhaltung, Nachrüstungen, Stilllegung und Entsorgung
würden "durch den laufenden Betrieb finanziert".
"Das Risiko einer Unterfinanzierung scheint mir gering zu sein",
sagt auch FDP-Nationalrat Peter Flück. Er gehe davon aus, dass man
die gestiegenen Kosten beim Bau von Kernkraftwerken in die Finanzierung
einbeziehen werde.
"Teilweise auf Spekulation" beruhe die Aussage, dass man mit dem
für den KKW-Bau nötigen Geld ebenso viel grünen Strom
produzieren könne. Flück: "Wer garantiert mir, dass wir mit
alternativen Anlagen genügend Strom haben werden?" Falls diese im
Kanton gebaut würden, bedeutete dies überall Windkraftwerke
und einen Totalausbau der Wasserkraft. Er bezweifle, dass die
Baubranche dafür genug Kapazität habe.
"Im Grossen und Ganzen objektiv" ist die Antwort für
Interpellant Jenni. "Sie zeigt sehr klar, dass die Kosten eines
Kernkraftwerks hoch sind und die Allgemeinheit einbezogen würde,
wenn etwas schieflaufen sollte."
---
BZ 15.12.10
Verwirrung um Kosten für AKW
AKW-Streit. Mit einer neuen Kostenschätzung zum Bau eines
neuen Atomkraftwerks verärgert die Berner Regierung den
Energiekonzern BKW.
Nächste Runde im AKW-Streit: Der Berner Regierungsrat
schätzt die Kosten für ein neues Atomkraftwerk in
Mühleberg neu auf 9 bis 15,7 Milliarden Franken. Dieser Betrag ist
massiv höher als jener, den die BKW veranschlagt hat. Der
Energiekonzern rechnet mit Investitionskosten von 7 bis 9 Milliarden
Franken. Die BKW stellte in einer Medienmitteilung umgehend klar, dass
sie die Kostenschätzung der Regierung für überzogen
halte. Ansonsten hielt sich der Energiekonzern mit öffentlicher
Kritik zurück.
Nicht so der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. Er
wirft der rot-grün dominierten und atomkritischen Regierung um
SP-Energiedirektorin Barbara Egger vor, mit den neuen Zahlen "billigen
Abstimmungskampf" zu betreiben. "Die Regierung zieht einfach gerade die
Aussagen heran, die ihr am besten passen." phm Seite 13
--
Wie teuer ist ein neues AKW wirklich?
Baukosten. Der Regierungsrat korrigiert die Kostenschätzung
für ein neues Atomkraftwerk massiv nach oben und verärgert
damit die BKW, die von deutlich tieferen Kosten ausgeht.
Bürgerliche Kreise werfen der Regierung "billigen
Abstimmungskampf" vor.
Der Abstimmungskampf hat definitiv begonnen. Der links-grün
dominierte Berner Regierungsrat bringt in der Diskussion um die
Baukosten eines neuen Atomkraftwerks in Mühleberg Zahlen ins
Spiel, die aufhorchen lassen: So geht die Regierung um
SP-Energiedirektorin Barbara Egger, die feurig gegen die Atomenergie
ankämpft, davon aus, dass ein neues AKW im Kanton Bern gesamthaft
zwischen 9 und 15,7 Milliarden Franken kosten dürfte. Das ist
massiv mehr, als bisher veranschlagt wurde. Der Berner Energiekonzern
BKW seinerseits rechnet mit Investitionskosten von zwischen 7 und 9
Milliarden.
Der Anlass für die Regierung, eine eigene
Kostenschätzung abzugeben, war eine entsprechende Interpellation
von EVP-Grossrat Josef Jenni (Oberburg).
Die Reaktion der BKW
Klar, dass die BKW gestern gar nicht erfreut reagierte: Sie
stellte am Nachmittag in einer Medienmitteilung klar, dass sie an ihrer
Berechnung von 7 bis 9 Milliarden Franken festhalte. In diesem Betrag
seien bereits "Reserven für Unvorhergesehenes" enthalten. Nicht
zulässig ist für die BKW, dass der Regierungsrat in seiner
Berechnung nicht nur die eigentlichen Baukosten von 8 bis 12
Milliarden, sondern auch die Kosten für allfällige
spätere Nachrüstungen und die Stilllegung von insgesamt
maximal 3,7 Milliarden Franken dazugerechnet hat. Diese Zusatzkosten
würden wie seit Jahren üblich durch den laufenden Betrieb und
über den Strompreis finanziert, betont die BKW.
Wasserfallens Kritik
Bemerkenswert ist, wie die Regierung auf die neuen Zahlen kommt:
Sie stützt sich bei ihrer Schätzung nicht etwa auf
spezifische Erhebungen, sondern unter anderem auf die Interviewaussagen
eines ehemaligen Managers einer Axpo-Tochtergesellschaft, die in der
"SonntagsZeitung" erschienen sind. Des Weiteren bezieht sich der
Regierungsrat auf Aussagen von Fachpersonen der atomkritischen
Schweizerischen Energiestiftung.
Das ruft Kritiker aus dem bürgerlichen Lager auf den Plan.
"Die Regierung zieht einfach gerade die Aussagen heran, die ihr am
besten passen", ärgert sich der Berner FDP-Nationalrat Christian
Wasserfallen. Als besonders brisant beurteilt Wasserfallen den Umstand,
dass Energiedirektorin Barbara Egger als Kantonsvertreterin selber im
Verwaltungsrat der BKW sitzt und mit solchen Aussagen die
Geschäftsleitung frontal angreife. "Frau Egger macht mit der
neusten Kostenschätzung deutlich, dass sie der Beurteilung der
BKW-Spitze nicht traut", sagt Wasserfallen, bevor er anfügt: "Was
die Regierung hier betreibt, ist billiger Abstimmungskampf. Frau Egger
wird unter diesen Umständen nach einem allfälligen Volks-Ja
zu Mühleberg am 13. Februar kaum in der Lage sein, das Projekt
‹Ersatzkernkraftwerk Mühleberg› konstruktiv zu begleiten."
Barbara Egger war gestern für diese Zeitung nicht erreichbar.
Steuerzahler in der Pflicht
Die Regierung nutzte die Steilvorlage des Interpellanten, um
aufzuzeigen, welche finanziellen Risiken sich der Kanton Bern mit dem
Bau eines neuen AKW aufhalsen würde. Auf die Frage, wer dafür
gerade stehen müsste, falls die Baukosten aus dem Ruder liefen,
antwortete die Regierung: "Käme die Unternehmung wegen der
Unterfinanzierung des Bauprojekts in finanzielle Nöte, wäre
nicht auszuschliessen, dass sich der Kanton Bern - aufgrund der
Wichtigkeit der BKW für den Kanton - faktisch an der Finanzierung
beteiligen müsste." Mit anderen Worten: Auch die Steuerzahler
müssten bei einer Kostenüberschreitung oder anderen
Zwischenfällen ihren Beitrag leisten.
Zurück zu den Kosten eines neuen Atomkraftwerks: Wie viel
ein AKW der neusten Generation tatsächlich kostet, werden die
Berner Stimmbürger bis zur Abstimmung am 13. Februar nicht wissen.
Es können bloss Vergleiche mit laufenden AKW-Projekten in Europa
gemacht werden. Im finnischen Olkiluoto beispielsweise wird aktuell ein
neues AKW gebaut. Die ursprünglich veranschlagten Baukosten von
rund 4 Milliarden Franken sind längst überschritten worden.
Die Verantwortlichen rechnen mit Endkosten von 6 bis 8 Milliarden
Franken. Auf diese Zahlen stützt sich auch die Schätzung der
BKW.
Philippe Müller
--
AKW-Abstimmung
Darum gehts Die drei AKW-Standortkantone Bern, Aargau und
Solothurn müssen bis Anfang 2011 eine Stellungnahme zuhanden des
Bundes abgeben und die Frage beantworten, wie sie einem AKW-Neubau
gegenüberstehen. Der Kanton Bern lässt diese Frage am 13.
Februar 2011 vom Stimmvolk beantworten. Es handelt sich dabei um eine
konsultative Abstimmung. Das heisst: Ein Ja zum Mühleberg-Ersatz
bedeutet noch nicht, dass ein neues AKW gebaut wird. Bei einem Nein
dagegen stünden die Chancen, dass der Kanton Bern vom Bund den
Zuschlag für Mühleberg II erhält, eher schlecht. Der
Entscheid, ob und wo neue AKW gebaut werden, fällt zwischen 2012
und 2013 im eidgenössischen Parlament, wobei der definitive
Entscheid wohl in einer Volksabstimmung fallen wird. phm
---
20 Minuten 15.12.10
AKW: Streit um Geld
BERN. Zwei Monate vor der Abstimmung über ein neues AKW
Mühleberg streiten die rot-grüne Kantonsregierung und die BKW
über die Kosten. Die Regierung rechnet mit 15,7 Milliarden
Franken, die BKW widerspricht: Es seien höchstens 9 Milliarden.
---
Langenthaler Tagblatt 15.12.10
Was kostet das neue AKW wirklich?
Samuel Thomi
BKW/Regierungsrat Sind es nun "7 bis 9 Milliarden Franken" oder 9
bis 15,7 Milliarden? Im Vorfeld der Abstimmung über ein neues AKW
geben die Kosten zum Neubau in Mühleberg zu reden.
Einst nannten Vertreter der BKW Energie AG Summen von sechs bis
acht Milliarden Franken für den Neubau eines AKW. Inzwischen
rechnet der mehrheitlich in Kantonsbesitz stehende Energiekonzern mit
totalen Investitionskosten von 7 bis 9 Milliarden Franken für die
Realisierung eines Ersatzkernkraftwerks in Mühleberg, stellte das
Unternehmen gestern Vorabend in einer Mitteilung klar. Darin
eingeschlossen seien auch Reserven für Unvorhergesehenes
während des Baus. Die BKW reagierte damit auf eine am Morgen
veröffentlichte Regierungs-Antwort auf eine Interpellation aus dem
Grossen Rat.
Warum doppelt so hohe Kosten?
Darin ist die Rede von Kosten von 9 bis 15,7 Milliarden Franken
für ein Atomkraftwerk in der Grössenordnung Mühlebergs.
Miteingeschlossen in der Quasi-Vollkostenrechnung sind allerdings auch
Stilllegungskosten (0,5 bis 1,7 Milliarden) sowie allfällige
Nachrüstungskosten bis zur Werk-Inbetriebnahme (0,5 bis 2
Milliarden). Diese Kosten miteinzubeziehen in die Berechnungen
entspreche allerdings nicht geltender Praxis, hält die BKW an die
Adresse der Berner Regierung fest. Allfällige
Nachrüstungskosten sowie die Kosten für die permanente
Instandhaltung müssten aus der laufenden Rechnung finanziert
werden, entgegnet die BKW. Das gelte auch für die Kosten der
Stilllegung und Entsorgung.
Laufende Projekte wesentlich teurer
Der Regierungsrat wiederum hält fest, die neuerdings
höher ausfallenden Kostenprognosen für ein neues Berner AKW
rührten auch daher, dass sich bisherige Berechnungen an
japanischen Vorhaben orientierten; die im Bau befindlichen, neuen
europäischen Meiler in Frankreich und Finnland zeigten jedoch,
"dass die Kosten deutlich höher sind". Tatsächlich laufen die
Kosten beim Bau im finnischen Olkiluoto aus dem Ruder: Beim Start des
Projekts wurde ein fixer Abnahmepreis von rund vier Milliarden Franken
vereinbart. Inzwischen dürfte der Bau laut verschiedenen
Medienberichten schliesslich sechs bis acht Milliarden Franken kosten.
Am Schluss haftet der Kanton
Umgekehrt interessieren sich die Interpellanten von EVP,
Grünen und SP aber auch nach der Finanzierung des Vorhabens. Dazu
hält die Regierung fest, die BKW wolle das neue "Mühleberg"
als Partnerwerk mit Eigenkapital sowie mit Fremdkapital in Form von
Unternehmensanleihen und Bankkrediten finanzieren.
Auf die Frage nach den finanziellen Risiken für den Kanton
hält die Regierung fest: "Im Fall einer Unterfinanzierung des Baus
ergeben sich für den Kanton entsprechend verschiedene Risiken, die
auch von den Steuerzahlenden mitgetragen werden müssten."
Einerseits sei mit geringeren Dividenden und einem verminderten Wert
der Aktien zu rechnen. Käme dagegen gar das Unternehmen in
finanzielle Nöte, würde sich der Kanton "aufgrund der
Wichtigkeit der BKW für den Kanton" finanziell engagieren. Im
schlimmsten Fall, bei einem Störfall, sei dagegen "mit grosser
Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen", dass nicht alle Schäden aus
dem Haftpflichtersatz der Anlagebetreiber respektive des nationalen
Nuklearschadenfonds gedeckt wären. Für die dann noch
ungedeckten Kosten würde der Kanton aufkommen müssen.
---
Basler Zeitung 15.12.10
Mitbericht*
Markus Kägi reist nach Russland
Rudolf Rechsteiner
Die Zürcher Kantonsregierung unterstützt den Bau von
zwei neuen Atomkraftwerken. So steht es im neuen
Energieplanungsbericht. Im Bermuda-Dreieck von Axpo, ETH und
SVP-FDP-Mehrheit stürzen die erneuerbaren Energien
zuverlässig ab.
In Bundesbern spielen sich manche Zürcher als Träger
des Fortschritts und als Sponsor der übrigen Schweiz auf. Doch in
Wahrheit ist es umgekehrt. Für ETH, Fernsehen, Nationalbank, Empa,
Meteo Schweiz, Flughafen und Durchgangsbahnhof fliesst viel Geld
Richtung Limmat. Bei Unannehmlichkeiten halten es die Zürcher
umgekehrt: Den Fluglärm exportieren sie nach Süddeutschland,
Atomkraftwerke in den Aargau, Atommüll ins Fricktal, den beiden
Basel am Bözberg vor die Schnauze.
"Die Zürcher Regierung sagt Nein zu einem Endlager",
verkündet der Zürcher Energiedirektor Markus Kägi seit
Jahren in den potenziellen Standortgemeinden im Züribiet. Und
jetzt verlangt derselbe SVP-Magistrat zwei neue AKW. Perfektes
Doppelspiel. Höchst persönlich werde er "nach Russland
reisen", um "auszuschliessen, dass wir unseren Bedarf aus
umweltschädigenden Quellen decken". Ziel ist Mayak, die russische
Atomfabrik, von der die Axpo ihre Brennstäbe bezieht.
Von Mayak (früher: Tscheljabinsk) wissen wir, dass
radioaktive Abfälle seit Jahrzehnten in Flüsse, Seen und
Müllhalden gekippt werden. 20 000 Menschen wurden umgesiedelt.
"Ein Grossteil dieser Personen wurde nicht gezielt medizinisch
überwacht, sodass keine Aussagen über gesundheitliche Folgen
für Personen aus den evakuierten Gebieten gemacht werden
können", schreibt Wikipedia. Welchen Persilschein wird uns
Axpo-Mann Kägi aus Mayak nach Hause bringen? Wird er auch die
Stadt Sewersk besuchen, wo Plutoniumfässer aus Frankreich und der
Schweiz auf einem Parkplatz mitten in bewohntem Gebiet herumstehen, wie
der Film "Albtraum Atommüll" (Arte TV) berichtet hat?
Im Verheimlichen hat Russland Übung. Und Korruption ist an
der Tagesordnung. Die gleichen Firmen, die Tschernobyl auf dem Gewissen
haben, sind heute Geschäftspartner der Axpo. Hätte Greenpeace
den Russen-Deal nicht enttarnt, wir hätten wohl nie davon
erfahren. Im Vertuschen spielt die Axpo in der Super League.
Seit über 30 Jahren importiert der Kanton Zürich
französischen Atomstrom. Jetzt ist der Zeitpunkt da, zu dem viele
Stadtwerke schnell und günstig auf Windstrom umsteigen. In und
rund um die Nord- und Ostsee entstehen bis 2030 Windfarmen, welche die
Stromerzeugung von 100 bis 200 "Gösgen" ersetzen werden. Nun sind
Stromimporte in den Augen der Zürcher Regierung plötzlich das
Schlimmste, was es gibt: "Wir haben keine Hoffnung, dass wir vom
Ausland kostengünstig und zuverlässig Strom beziehen
können." Gegen Uran- und Gasimporte hat sie aber nichts, die Axpo
baut ja die TAP-Pipeline in den Iran. Mayak und Mullahs sind für
die Axpo als Handelspartner zuverlässig, Windfarmen in der Nord-
und Ostsee Krisenherde. Aha.
Dass die Schweiz Strom an der europäischen Strombörse
einkauft, hat ja niemand verlangt. Stadtwerke, die in Windfarmen -
Standort Europa - investieren, bezahlen keine Marktpreise, sondern
Gestehungskosten. Das ist ein Riesenunterschied, sollte Erdgas gerade
wieder einmal knapp werden. Wind bläst bekanntlich gratis, deshalb
bleiben die Gestehungskosten auch in Krisenzeiten stabil.
Makulatur. Die freie Stromdurchleitung in Europa nennt sich
Strombinnenmarkt. Axpo-Verwaltungsrat Kägi müsste eigentlich
schon davon gehört haben. Die Axpo-Tochter EGL gehört zu den
grössten Stromhändlern. Sie baut und betreibt in Italien ein
halbes Dutzend Gaskraftwerke, übrigens nicht CO2-frei.
Anfang Dezember haben zehn Nordsee-Anrainerländer einen
Vertrag für ein gemeinsames neues Stromnetz unterzeichnet. Es wird
sich dereinst von Irland bis Estland und von Schweden bis nach Italien
erstrecken. Die Ausrede, die Stromnetze würden für
Windenergie nicht ausgelegt, ist Makulatur.
Auch das Flugticket nach Russland könnten sich die
Zürcher sparen. Herr Kägi müsste bloss die deutsche
Kinderkrebsstudie lesen, die Krebsstudien von E. Cardis oder Prof.
J.-F. Viel (Leukämie in La Hague). Die Todesfälle durch
Atomenergie sind im Westen gut dokumentiert. In Mayak wird Herr
Kägi wenig Neues erfahren. Ist das vielleicht der Zweck der Reise?
* Mit einem Mitbericht kommentieren Regierungs- und
Bundesräte die Geschäfte ihrer Kollegen. Rudolf Rechsteiner
(1958) ist Ökonom und war Nationalrat (BS, SP) von 1995 bis 2010.
---
Solothurner Tagblatt 15.12.10
"Es braucht weitere geologische Abklärungen"
Atom-Endlager Die Regierung bezweifelt, dass der
Jura-Südfuss zur Lagerung von radioaktivem Material geeignet ist.
"Für den Kanton Solothurn bleiben viele Fragen
bezüglich der Gesteins- und Gebirgseigenschaften des Standorts
Jura-Südfuss offen, die ohne weitere Abklärungen nicht
beantwortet werden können." Das hält der Solothurner
Regierungsrat in einer Mitteilung fest. In seiner
Vernehmlassungsantwort zur ersten Etappe des Sachplans geologische
Tiefenlager an das Bundesamt für Energie fordert er denn auch
"vertiefte geologische Abklärungen" zum Standort
Jura-Südfuss. Alle sechs Standortgebiete in der Schweiz seien
zudem nach den gleichen sicherheitstechnischen Kriterien zu
untersuchen. Weiter müssen sie auf dem gleichen geologischen
Wissensstand vergleichbar sein, unterstreicht die Regierung.
Ein Ausschluss wäre verfrüht
Das Standortgebiet Jura-Südfuss enthält als
mögliche Wirtgesteine Effinger-Schichten sowie Opalinuston. Es
bestehen keine Bohrungen, die bis in diese Tiefe reichen. Der
Regierungsrat bezweifelt immer noch die Eignung der Effinger-Schichten
als Wirtgestein für ein Tiefenlager. Ausserdem liegt das Gebiet
aufgrund der Jurafaltung in einem tektonisch stark
überprägten Bereich. "Deshalb sind seismische Messungen
nötig, um die räumliche Ausdehnung der ungestörten
lagerfähigen Gesteinspakete festzustellen", betont die Regierung.
Und: "Sind die lagerfähigen Gesteinsschichten zu stark
zerstückelt, eignet sich das Standortgebiet nicht für ein
Tiefenlager."
Die Regierung findet es allerdings richtig, dass aufgrund des
heutigen Kenntnisstands alle sechs Standortgebiete in der Schweiz
beibehalten werden. "Ein Ausschluss eines Gebiets in der Etappe 1
wäre verfrüht." Im Standortgebiet Jura-Südfuss sei bei
der weiteren Bearbeitung aber auch die Problematik der dichten
Besiedlung zu berücksichtigen. Der Regierungsrat anerkennt weiter
die zentrale Rolle der Gemeinden für die erfolgreiche
Durchführung der regionalen Partizipation im
Standortauswahlverfahren. Sie müssten in der Organisation
entscheidend vertreten sein. Nur damit könne sichergestellt
werden, dass ihre Interessen berücksichtigt würden. Der
Schwerpunkt der Etappe 1 liegt auf der Identifizierung geeigneter
Standortgebiete aufgrund sicherheitstechnischer und geologischer
Kriterien. Im Herbst 2008 schlug die Nationale Genossenschaft für
die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) sechs Gebiete vor. Der
Jura-Südfuss wurde für die Lagerung von schwach- und
mittelaktiven Abfällen als geeignet beurteilt. (sks)
---
NLZ 15.12.10
FDP: Wellenberg muss vom Tisch
Nidwalden
wy. Der Standort Wellenberg muss gestrichen werden. Dies verlangt
die FDP Nidwalden in ihrer Stellungnahme zum Sachplan geologische
Tiefenlager des Bundes. Spätestens in der nächsten Etappe
müsse der Wellenberg aus dem Auswahlverfahren für ein
Endlager für atomare Abfälle herausgenommen werden. Die FDP
spricht in ihrer Mitteilung davon, dass der Wellenberg eine
Sonderstellung habe, weil das Nidwaldner Volk sich zwei Mal gegen ein
Endlager an diesem Standort ausgesprochen habe. "Die beiden
Volksabstimmungen sind politisch richtig zu gewichten", unterstreicht
die FDP Nidwalden.
Ja zum Atomstrom gesagt
Zudem seien auch geologische Bedenken angebracht, hätten die
Kontrollbehörden den Wellenberg doch "vorsichtig günstig" bis
"bedingt günstig" bewertet.
Die FDP sagt aber auch, dass alle in der Verantwortung für
eine sichere Entsorgung von atomaren Abfällen stünden. Auch
Nidwalden, dessen Volk mit dem Nein zur Atomausstiegs-Initiative am 26.
September klar Ja gesagt habe zur Nutzung der Kernenergie. Es lasse
sich auch nicht wegdiskutieren, dass der Kanton Nidwalden
überdurchschnittlich viel Strom aus Kernenergie verbrauche.
"Transparent und demokratisch"
Das Auswahlverfahren des Bundes für ein geologisches
Tiefenlager bezeichnet die FDP als "transparent und demokratisch". Es
sei daher die demokratische Pflicht der FDP Nidwalden, das Verfahren
kritisch und konstruktiv zu begleiten. Die Partei werde immer wieder
mit Nachdruck darauf hinweisen, dass die beiden Volksabstimmungen und
deren historische Bedeutung richtig gewichtet würden.
---
Aargauer Zeitung 14.12.10
"Der Sachplan muss überarbeitet werden"
Tiefenlager Die Grünen Brugg nehmen Stellung
Die Grünen Brugg weisen den "Sachplan geologisches
Tiefenlager Etappe1" zurück. "Unter nachhaltigem Umgang mit
radioaktiven Abfällen verstehen wir Lösungen, die
wissenschaftlich standhalten und nicht unter politischem Druck
möglichst rasch - zuungunsten der Standortbevölkerung und der
Qualität - ausgearbeitet werden", stellen die Grünen Brugg in
einem Communique fest.
Die Grünen Brugg begrüssen, "dass die Nagra ihre
Pflicht, die radioaktiven Abfälle langfristig und sicher in einem
Endlager unterzubringen, ernst nimmt. Sie vermissen in der ganzen
Planung aber eine Weitsicht, die einen zukünftigen Ausstieg aus
der Produktion der Atomenergie umfasst."
"Eiltempo ist nicht angebracht"
Zudem dürfe, so die Grünen Brugg, "kein
Standortentscheid gefällt werden, solange die technische
Ausführung des Tiefenlagerkonzepts unausgereift ist und weder
Sicherheit noch Rückholbarkeit garantiert sind. Darüber
hinaus sind die sechs Standorte auf den gleichen geologischen
Kenntnisstand zu bringen. Diese Abklärungen sind zeitintensiv und
dürfen nicht aufgrund politischer und wirtschaftlicher
Sachzwänge im Eiltempo erfolgen."
Die Grünen Brugg monieren zudem, dass die Standorte
Nördlich Lägern und Bözberg in der Vergangenheit immer
als Reservestandorte erwähnt und als "geologisch weniger geeignet"
eingestuft worden seien. "Nun werden sie auf der gleichen Ebene wie die
anderen vier Standorte behandelt. Dies ist vor dem Hintergrund der
unterschiedlichen Wissensgrundlagen nicht nachvollziehbar."
Scheinpartizipation
Die Art und Weise der Mitsprache der Bevölkerung entspreche
einer Scheinpartizipation, stellen die Grünen Brugg fest. "Der
einseitige Informationsfluss, gekoppelt mit Zeitdruck, macht es nur den
naturwissenschaftlich vorgebildeten Einwohnern möglich, die
Dokumente überhaupt zu verstehen." Die Grünen Brugg machen
zudem geltend, dass der Kanton Aargau mit den drei Atomkraftwerken
Leibstadt und BeznauI und II sowie mit dem Zwischenlager in
Würenlingen bereits heute für die gesamte Schweiz einen
grossen Teil der Lasten der Atomtechnologie trägt. "Diesem
Sachverhalt ist bei der Standortevaluation unbedingt Rechnung zu
tragen", betonen die Grünen Brugg. Vor dem Hintergrund all dieser
kritischen Aspekte lehnen sie den "Sachplan geologisches Tiefenlager
Etap-pe1" in dieser Form ab und fordern dessen Überarbeitung und
ein Überdenken des Prozesses. (az)
---
Basler Zeitung 13.12.10
Der Bözberg war nur Nagras zweite Wahl
Drei Gebiete kommen als Lager für hochradioaktiven Müll
infrage - zwei davon galten einst als weniger geeignet
Susanna Petrin
Das Zürcher Weinland war der ursprüngliche Favorit der
Nagra. Der potenzielle Endlagerstandort wurde besser untersucht als der
Bözberg und Nördlich Lägern. Trotzdem gelten heute alle
drei als ebenbürtige Optionen. Fachleute fordern nun, dass alle
drei Gebiete gleich geprüft werden.
Als "Reserveoption" bezeichnete die Nationale Genossenschaft
für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) einst den
Bözberg im Fricktal, ebenso das Gebiet Nördlich Lägern
im Mittelland. "Als Explorationsgebiet" für die Entsorgung
hochradioaktiver Abfälle stehe "das Zürcher Weinland im
Vordergrund", schrieb die Nagra in ihrem technischen Bericht weiter.
Denn dieses Gebiet, so heisst es dort, verfüge über "das
grösste tektonisch ungestörte Areal im geeigneten
Tiefenbereich".
In anderen Worten: Das Weinland liegt ausserhalb der
Alpenbildungszone, der Bözberg und Nördlich Lägern
dagegen zählen zur Vorfaltenzone. In den letzten beiden
könnten sich Scherzonen befinden - durch Überschiebungen
entstandene Narben. Möglicherweise verringert das die Sicherheit.
Denn ein Endlager soll mithilfe des umliegenden Gesteins radioaktive
Abfälle bis zu einer Million Jahre vom Menschen und der Umwelt
abschotten.
Der zitierte Bericht ist aus dem Jahr 1994. Die Nagra stand
damals unter Druck, sie musste den Entsorgungsnachweis erbringen -
Forschungen, die aufzeigen sollten, dass die Endlagerung radioaktiver
Abfälle in der Schweiz grundsätzlich möglich ist.
Für die hochaktiven Abfälle wurde dieser Nachweis für
das Weinland erbracht. Das Zürcher Weinland ist der Favorit,
lautete alsbald das erste Fazit.
Doch dann änderten sich die politischen Verhältnisse;
der Bund verlangte von der Genossenschaft, sie müsse den
Fächer öffnen und dem Land eine Auswahl bieten. Dazu ersann
der Bund ein Sachplanverfahren für Tiefenlager. Die Nagra
präsentierte alsbald sechs Standorte, drei davon als für den
strahlendsten AKW-Müll geeignet. Sie hatte die einstigen
Reserveoptionen Bözberg und Nördlich Lägern wieder aus
dem Hut gezogen.
Gleichstand gefordert
Seither werden alle drei Standorte gleichwertig öffentlich
diskutiert. Die Kantone sind eingeweiht, die Bevölkerung darf sich
an Podien einbringen, deutsche Medien loben den vorbildlichen
demokratischen Prozess. Doch nun droht die Geschichte die Nagra
einzuholen. Denn nicht nur war das Weinland - heute als Zürich
Nord-Ost bezeichnet - einst ihr Lieblingsstandort, er wurde
entsprechend am gründlichsten untersucht.
In Nördlich Lägern wurde dagegen nie eine 3-D-Seismik
gemacht (eine räumliche Messung zur Bestimmung von Strukturen),
und am Bözberg fehlt diese genauso wie eine Tiefenbohrung im
möglichen Endlagergebiet.
Nun fordern Betroffene und Experten einen Gleichstand der
Untersuchungen aller drei Standorte - bevor es beim laufenden
Sachplanverfahren mit sozioökonomischen und anderen Studien
weitergeht und bevor die Wahl auf zwei Orte eingeengt wird (vgl.
Kasten).
Bisher sind die fehlenden Tiefenbohrungen und 3-D-Messungen erst
in der dritten und letzten Etappe des Verfahrens vorgesehen,
ungefähr 2016/17. "Zu spät", beanstanden unter anderen die
Schweizerische Energiestiftung (SES), Bürgerorganisationen, der
Geologieprofessor Walter Wildi, der Geologe Marcos Buser, Mitglied der
Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit (KNS),
sowie der Geologe Erich Müller namens der Arbeitsgruppe Sicherheit
Kantone. Die Reihenfolge müsse geändert werden, sagen sie:
Zuerst muss untersucht werden, erst danach könnten alle
Betroffenen auf Augenhöhe weiterdiskutieren.
Inspektorat prüft
Derzeit liegt der Ball beim Eidgenössischen
Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi). Es muss ohnehin klären, ob
der Stand der Untersuchungen in allen drei Gebieten den Anforderungen
der Behörden genügt. Vor rund zwei Wochen hat es von der
Nagra den neusten technischen Bericht erhalten, bis im März 2011
will das Ensi dieses 400-seitige Werk prüfen. Je nachdem darf die
Nagra weitermachen oder sie muss zuerst millionenteure Bohrungen vor
Ort durchführen.
Tatsächlich sei über das Weinland viel mehr bekannt,
sagt Meinert Rahn, Leiter Sektion Geologie beim Ensi, "aber auch
über die anderen zwei Gebiete weiss man schon sehr viel".
Sicherheitstechnisch seien alle drei geeignet, "das wissen wir", sagt
Rahn. Doch jedes Gebiet habe potenzielle Vor- und Nachteile. Was die zu
erwartenden 10 bis 15 Eiszeiten betrifft, die in der nächsten
Million Jahre wahrscheinlich über Europa ziehen werden, so sei der
Bözberg vermutlich am wenigsten betroffen. Denn das Gebiet sei
"wegen seiner Alpenferne und dem Jurawall geschützter". In
Zürich Nord-Ost und in Nördlich Lägern könne
wiederum das Lager tiefer angelegt werden. Das böte einen
"langfristigen Schutz" vor den Gletschern.
Am Ende werde das Ensi alle Sicherheitsaspekte gegeneinander
abwägen. Eine sichere Option müsse gewählt werden -
nicht jene, bei welcher der geringste politische Widerstand herrsche,
versichert Rahn. Doch wenn alle drei Standorte am Ende den
äusserst strengen Sicherheitsanforderungen entsprächen, dann
dürften auch andere Kriterien mitspielen, soziale und politische
etwa. "Wir berechnen, wie viel Radioaktivität der Mensch der
Zukunft aufgrund eines Endlagers maximal aufnehmen würde",
erklärt Rahn. "Unsere Limite dazu ist dabei um einen Faktor 500
tiefer als die Dosis, der ein Mensch heute jährlich durch
natürliche Strahlung und technische Anwendungen ausgesetzt werden
darf."
André Lambert, Geologe bei der Nagra, zeigt sich offen und
selbstkritisch. Umfang und Reihenfolge des "vom Bund so bestimmten
Sachplanverfahrens" seien auch innerhalb der Nagra "Gegenstand von
Diskussionen". Doch es sei grundsätzlich sehr wichtig und
käme gut an, dass die Leute schon möglichst früh beim
Auswahlverfahren partizipieren dürfen. Dass zwei der drei Regionen
noch etwas weniger detailliert untersucht worden seien, mache diese
nicht a priori schlechter. Schrittweise werde nun mehr und mehr Wissen
eingeholt, zunächst mit regionalen 2-D-Seismikmessungen,
Modellberechnungen und später mit vertiefteren Untersuchungen.
In einem sind sich alle Parteien einig: Der Wissenstand über
die Endlagergebiete muss angehoben werden. Die Frage ist nur: wie bald?
Die KNS fordert in einer offiziellen Stellungnahme, dass schon in der
nächsten, zweiten Etappe "die erforderlichen Untersuchungen"
durchgeführt werden. Dazu gehören laut dem Geologen Buser
zwingend die Bohrungen und die 3-D-Messungen: "Man muss das jetzt
abklären", sagt Buser, "danach hat man eine ehrliche Antwort." Im
Vergleich zu den Hunderten von Millionen, die bereits für
Endlagerforschung ausgegeben worden seien, koste das nicht viel - und
erspare der Nagra viel Ärger.
--
Drei Etappen bis zum Endlager
Schwierige suche. Der Bund und die Genossenschaft für die
Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) klären derzeit ab,
welcher Standort sich am besten als Endlager für radioaktive
Abfälle eignet. Gesucht wird ein Lager für schwach- und
mittelradioaktiven sowie einer für hochaktiven Abfall - auch ein
Kombilager wäre möglich. Neben dem Bözberg kommen die
Regionen Zürcher Weinland (ZH, TG), Nördlich Lägeren
(ZH, AG), Südranden (SH) und Wellenberg (NW, OW) infrage. Doch nur
die ersten drei würden sich auch für den radioaktivsten
Müll eignen. Ein vom Bundesamt für Energie (BFE) geleitetes
Verfahren sieht drei Etappen vor. In der aktuellen, ersten läuft
eine öffentliche Anhörung. Schon in der zweiten, ab November
2011, soll der Bundesrat je einen Endlager-Standort aus dem Rennen
nehmen. In der dritten und letzten Etappe sollen als Bestandteil des
Rahmenbewilligungsverfahren letzte, grosse Untersuchungen wie die
3-D-Messungen aller Standorte folgen - zu spät, sagen verschiedene
kritische Stimmen (vgl. Text), denn ohne diese Untersuchungen
würden möglicherweise die falschen Gebiete vorzeitig
ausgeschieden. Schliesslich soll der Bundesrat bis 2019 einen Standort
bestimmen. Und auch wenn das Parlament diesen bestätigt, am Ende
wird es wahrscheinlich zu einer Volksabstimmung kommen. spe
---
Sonntag 12.12.10
Für SBB macht Beteiligung an neuem AKW "keinen Sinn"
Absage der Bundesbahnen an die Projekte von Axpo und Alpiq
im Mai bezeichnete Axpo-Chef Heinz Karrer die SBB als
interessanten Partner beim allfälligen Bau zweier neuer
Atomkraftwerke. Kein Wunder, denn mit den Bundesbahnen als Partner
liesse sich die Abstimmung über neue AKW in frühestens drei
Jahren einfacher gewinnen.
Der SBB-Energieverantwortliche Jon Bisaz ist an den
AKW-Bauplänen der Stromkonzerne Axpo und Alpiq jedoch nicht
interessiert: Eine Beteiligung an einem neuen Schweizer Atomkraftwerk
sei für die SBB "keine Option". Gegenüber der "SBB-Zeitung"
sagt der Leiter Energie: "Von einem neuen Kernkraftwerk im Niederamt,
für das Alpiq einen Richtplan vorlegte, würden wir
höchstens 4 Prozent der Produktion benötigen. Da macht eine
Beteiligung keinen Sinn."
Grund dafür sind nicht etwa Vorbehalte gegenüber
Atomstrom. Denn die SBB fahren bereits heute zu rund einem Viertel mit
Energie aus Beteiligungen an französischen Atomkraftwerken.
Vielmehr würden die geplanten neuen Atommeiler für die SBB
schlicht zu spät kommen. Denn die Bundesbahnen haben bereits ab
2017 eine Energielücke, die sie mit Kraftwerksbeteiligungen und
neuen Strombezugsverträgen decken wollen. Allfällige neue AKW
würden aber frühestens 2025 in Betrieb gehen.
Deshalb sagt Bisaz: "Wegen der Bahn braucht es kein KKW." Die
Axpo sagt dazu lediglich, dass verschiedene andere potenzielle Partner
ihr Interesse an einer Beteiligung bekundet hätten. Bei Alpiq will
man dies ebenfalls nicht kommentieren und verweist auf die gute
Zusammenarbeit mit den SBB beim gemeinsamen Pumpspeicherkraftwerk Nant
de Drance.
Die SBB müssen in den nächsten sieben Jahren erhebliche
Mittel in neue (Spitzen-)Energie-Bezugsquellen investieren. Dass dies
teuer wird, zeigt das Beispiel Nant de Drance: Vor drei Jahren lag die
"Schmerzgrenze" der SBB für das 600-MW-Kraftwerk noch bei 800
Millionen Franken. Vor zwei Jahren wurden die Kosten auf 1 Milliarde
Franken budgetiert und vor 11 Monaten musste das Aktienkapital des
Kraftwerks um 100 Millionen aufgestockt werden. Die SBB brauchen das
Kraftwerk, das 2016 in Betrieb gehen soll, dringend, um für die
Eröffnung der Neat gerüstet zu sein.
Yves Demuth
---
NZZ 11.12.10
Bundesverwaltungsgericht
Keine Einsicht in vertrauliche Akten
Streit um KKW Mühleberg
fel. Bern · Im Streit um die vom Departement für
Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) aufgehobene
Befristung der Betriebsbewilligung für das Kernkraftwerk
Mühleberg erhalten die Gegner keine Einsicht in Akten, die vom
Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat als vertraulich
klassifiziert wurden. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht im
Rahmen des bei ihm hängigen Beschwerdeverfahrens. Begründet
wird die Verweigerung der Akteneinsicht mit Blick auf die innere
Sicherheit wegen der Gefahr von Sabotageakten und Terrorangriffen.
Soweit es um interne Akten und damit lediglich um das
Geschäftsgeheimnis der Betreibergesellschaft BKW geht, erhalten
die Beschwerdeführer teilweise Einsicht. Das gilt unter anderem
für das sogenannte TÜV-Nord-Gutachten von 2006 zu
Kernmantelrissen am Reaktor.
Urteil A-667/2010 vom 8. 12. 10.
---
gr.be.ch 8.12.10
Geplantes AKW Mühleberg - Wie viel muss der Kanton Bern bezahlen
und wird über
die Kosten offen informiert?
http://www.gr.be.ch/etc/designs/gr/media.cdwsbinary.acq/1f7e147a2fee4dc6bc82812494afc7c5-332/2/PDF/2010-8979-Vorstossantwort-D-33401.pdf