Das Manifest der Reitschule

Manifest der Reitschule Bern

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Mit der Besetzung der Reitschule versuchten wir, uns Freiräume zur Verwirklichung von selbstbestimmtem und solidarischem Leben zu nehmen. Die Reitschule soll ein ausserparlamentarisch linkes, politisches Zentrum einer vernetzten Bewegung in Bern und zugleich ein Ort sein, wo unsere Kultur gelebt wird. Rebellisch, unterhaltend und bewegend soll sie sein, diese Stätte – es geht darum Kritik zu üben, schonungslose Kritik an den herrschenden Verhältnissen, aber auch Kritik an uns und unseren Projekten. Wir wollen aber nicht nur Kritik üben, sondern auch Alternativen aufzeigen und umsetzen.

Wollen wir sinnvollen Ansprüchen von Autonomie, Kollektivität, von nicht gewinnorientiertem Kultur- und Begegnungsangebot gerecht werden und mit unserem Experiment fortfahren, heisst dies, dass wir uns selbst einen Rahmen setzen müssen.

Die Reitschule ist ein Ort, wo versucht wird, sich möglichst selbstbestimmt und kollektiv zu organisieren und sich kreativ und kritisch mit dieser Stadt und der Gesellschaft auseinanderzusetzen.

  • Die Reitschule ist ein Ort, der Begegnung und der Kommunikation, wo vieles möglich ist und sein soll. Essen, Filme und Theater anschauen, politische Arbeit leisten, trinken, tanzen, Konzerte veranstalten, wohnen, sich mit Leuten treffen. All dies soll möglich sein nebeneinander und wenn möglich sich ergänzen, ohne sich gegenseitig zu stören.
  • Die Reitschule ist ein politisch-kulturelles Zentrum, das unter anderem via Kultur politische Inhalte vermittelt, eine Widerstandskultur, die die teilweise auch gewinnbringende Veranstaltungen dazu nützt, untergründiges möglich zu machen. Die politische Arbeit soll durch die kulturelle Arbeit geprägt sein und umgekehrt.
  • Kultur umfasst für uns alles, was uns ermöglicht, uns selbst, die Gesellschaft und die Umwelt zu erkennen und sie zu verstehen, zu entwickeln und zu verändern: die bewusste Auseinandersetzung mit unseren Lebensbedingungen. Entsprechend haben die verschiedensten Veranstaltungen in der Reitschule nicht in erster Linie die Befriedigung der Konsumbedürfnisse zum Zweck, sondern sollen zum Mit-Denken, Mit-Leben, Mit-Fühlen und Mit-Machen anregen und die kritische Haltung des Publikums und der ReitschülerInnen herausfordern und bekräftigen.
  • Die Reitschule ist ein Teil der politisch-sozialen Infrastruktur der vielfältigen und vielfarbigen Bewegungen, bzw. Szenen, denen die unten folgenden Grundsätze gemeinsam sind. Die Veranstaltungsräume können für verschiedenste Solidaritätsveranstaltungen genutzt werden.
  • In der Reitschule sollen kollektive Arbeitsformen, zum Teil entlöhnt, im Rahmen von Arbeitsgruppen und von Projekten möglich sein. Die Räume werden als Arbeits- und Veranstaltungsstätten, Ateliers und Begegnungsorte genutzt. Es gibt nur sehr beschränkte, permanente und kollektive Wohnmöglichkeiten.
  • Es ist wünschenswert, dass Menschen die hier tätig sind, sich darauf einstellen, hier längere Zeit aktiv zu sein und gewisse Verbindlichkeiten einzugehen; so können wir unsere Ideen und Vorstellungen vom Freiraum zur Verwirklichung von selbstbestimmtem und solidarischem Leben auch wirklich umsetzen. Ständiger Wechsel schadet der Weiterentwicklung. Die Reitschule ist nicht allein ein Zentrum für Jugendliche.

Grundsätze

Wer die Reitschule besucht, akzeptiert und lebt ihre Grundsätze:

  • kein Rassismus (keine Diskriminierung aufgrund der Herkunft oder äusserlicher Merkmale),
  • kein Sexismus (keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts),
  • keine physischen, psychischen oder sexuellen Übergriffe,
  • keine Homophobie (keine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung),
  • keine Ausbeutung und Unterdrückung,
  • keine Selbstbereicherung (z.B. durch Deal, Klau, etc.),
  • kein Konsumzwang,
  • wir versuchen, Konflikte gewaltfrei zu lösen,
  • wir verhalten uns respektvoll miteinander und gegenüber der Infrastruktur.

Mit Leuten, die gegen unsere Grundsätze verstossen, suchen wir das Gespräch, je nachdem verhängen wir (KG oder VV) zusätzliche Sanktionen, die bis zur Aufhebung des Schutzes gegen aussen führen können. Die Gespräche und Sanktionen sollen nicht in erster Linie «Bestrafung» sein, sondern ein anderes Verhalten herbeiführen, sowie dem Schutz des Freiraums und dessen BenützerInnen dienen.

Organisation

Der Verein «Interessensgemeinschaft Kulturraum Reitschule IKuR» ist das juristische Dach der Reitschule.

Die Reitschule ist basisdemokratisch organisiert. Entscheide fällen diejenigen Gruppen, welche in der Reitschule aktiv und bereit sind, sich auf eine kollektive und solidarische Verbindlichkeit einzulassen, und die neben ihren eigenen Interessen auch diejenigen der gesamten Reitschule vertreten (=Reitschule- Gruppen1).

Die Entscheidungs- und Sanktionsgewalt liegt beim koordinierenden Ausschuss (= Koordinationsgruppe KG2) und der Vollversammlung (=VV3) der Reitschule-Gruppen, die in der Reitschule aktiv sind. Alle Entscheide der VV und der KG werden mittels Protokoll in die Gruppen zurückgeführt. Im Sinne der Basisdemokratie werden Entscheide bei Konsens gefällt.

Die Betriebsgruppe (=BG4) ist für administrative Arbeiten im Auftrag der VV, beziehungsweise der KG zuständig.

KG und BG treffen sich wöchentlich, eine VV kann jederzeit durch die Reitschule-Gruppen über die KG einberufen werden.

Gruppen, die sich in der Reitschule treffen, organisieren, engagieren und die keine Reitschule-Gruppe sein wollen/können, sind willkommen und sind Gastgruppen: Sie erklären sich mit den Grundsätzen der Reitschule einverstanden; sie nehmen je nach Thema, Anliegen, Anfrage an den Sitzungen der Reitschule-Gruppen oder an der KG teil. Sie fällen jedoch keine Entscheide betreffend der Reitschule.

Autonomie / Beziehung zur Stadt

Jeder Mensch soll sich in der Reitschule frei bewegen und engagieren können, solange niemand anderes in seinen Freiheiten eingeschränkt wird, oder die Grundsätze der Reitschule verletzt werden.

Die Reitschule-Gruppen bestimmen autonom über die von ihnen verwalteten Räume, jedoch im Interesse der gesamten Reitschule – Konflikte werden zwischen den Reitschule-Gruppen ausdiskutiert.

Verhandlungen mit der Stadt erfolgen ausschliesslich durch die KG respektive ihre Delegierten. Entscheide werden nicht von den Delegierten gefällt, sondern wiederum an der KG.

Wir versuchen unsere Probleme selbst zu lösen.

Die Reitschule strebt eine weit gehende Autonomie an.

Finanzen, Pool

Die Reitschule finanziert sich zum grossen Teil selbst durch die hier stattfindenden Aktivitäten. Mit den Einnahmeüberschüssen der Reitschule-Gruppen wird der Finanzpool der Reitschule gespiesen. Daraus werden laufende Kosten für Betrieb und Unterhalt sowie Subventionen für Aktivitäten bestritten.

Unterstützung einzelner Projekte durch Stadt und Fonds sind möglich.

Dieses Manifest ist in einem basisdemokratischen Prozess entstanden. Alle Reitschule-Gruppen konnten sich bei der Ausarbeitung gleichberechtigt beteiligen, stehen dahinter und helfen mit bei der Umsetzung.

 

Reitschule Bern, 30. Januar 2006

 

1 Reitschule-Gruppe: Kleinste organisatorische Einheit in den selbstverwalteten Strukturen der Reitschule. Neue Gruppen werden durch die Vollversammlung aufgenommen. 

2 Koordinationsgruppe mit wöchentlicher Sitzung: Die KG setzt sich aus Delegierten der Reitschule-Gruppen (im Rotationsprinzip) zusammen. Die KG ist quasi das ausführende Organ der Reitschule, es werden wichtige, den gesamten Betrieb betreffende Fragen diskutiert und entschieden.

3 Vollversammlung: Entscheidungsorgan bei Fragen, die von der Basis direkt diskutiert werden sollen. Wird nach Bedarf einberufen, insbesondere wenn Entscheide anstehen, die für den gesamten Betrieb schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen.

4 Die Betriebsgruppe aus fest Delegierten der Reitschule-Gruppen ist das «B& uuml;ro» der Reitschule und zuständig für administrative und organisatorische Belange.